Hoffnung aufleben lassen

Wie Maria haben sich Menschen Gott geöffnet, sich in seinen Dienst gestellt und wurden "Werkzeuge seines Friedens"

Predigttext: Luk 1,26-33(-37)38
Kirche / Ort: Hamburg
Datum: 19.12.2010
Kirchenjahr: 4. Sonntag im Advent
Autor/in: Pfarrer Christoph Kühne

Predigttext: Luk 1,26-33(-37)38 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

26 Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth,  27 zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria.  28 Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir!  29 Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das?  30 Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden.  31 Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben.  32 Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, (33 und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.  34 Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß?  35 Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.  36 Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, daß sie unfruchtbar sei.  37 Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.) 38 Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.

Erste Eindrücke beim Lesen

Vertraute Geschichte. Märchenhaft. Kann man das glauben? Unendlich oft gemalt. Anlass für Zweifel. Welche Bedeutung hat Joseph? Immerhin wird er genannt. Hinweis auf die Schwangerschaft der älteren Cousine Elisabeth soll Zweifel beheben mit dem Argument "Bei Gott ist nichts unmöglich."

Anmerkungen zum Predigttext

Interessant sind einige Varianten des textkritischen Apparats: 26 Der Bezae Cantabr. lässt den Namen des galiläischen Dörfchens (Nazareth) weg. 28 Eine Handschrift lässt den Engel die Maria segnen. Außerdem schließt er  an seinen Gruß an, dass sie gesegnet sei unter den Frauen - Maria wird diesen Gruß wenig später ihrer Cousine Elisabeth zurufen (Luk 1,42). 29 fügt die Koine et alii ein, dass Maria erschrickt als sie den Engel sieht; einige andere Schriften: als sie den Engel hört. 37 formuliert der Cod. Sinaiticus et alii, dass in der Nähe Gottes nichts unmöglich sei. Insbesondere V 31-33 "belegt" der Evangelist seine Erzählung mit Hinweisen aus dem Protojesaja: 31 zitiert Lukas aus Js 7,14 die "Jungfrau", die mit "Immanuel" schwanger ist. 32 und 33 zitiert er aus Js 9,6 die Größe des "Kindes" auf dem "Thron Davids", dessen Königreich (des Friedens) kein Ende haben wird. Die lukanische Perikope hat eine gewisse Entsprechung bei Matthäus, der denselben Sachverhalt wie Luk erzählt - provoziert durch die Absicht des Joseph, sein "Verlobte" wegen der Schwangerschaft zu verlassen (Matth 1,18-25).

Gedanken zur Predigt

Die Predigt kann verschiedene Schwerpunkte haben: Es ist wie ein Traumbild: dieser Besuch des Engels Gabriel bei dem Mädchen Maria in einem Städtchen Galiläas. Oft gemalt, vertont, beschrieben. Hier findet sich keine Störung - außer dem Schrecken über die plötzliche Erscheinung des Engels. Und der ist durchaus nachvollziehbar. Doch wenn wir die Fakten für sich sehen, dann sehen wir hier ein Mädchen, das merkt, dass es schwanger geworden ist, und nicht weiß woher. Ein Mann, der Freund, Joseph, mit dem honorigen Stammbaum, scheint nicht anwesend zu sein - und auch spätere Geschichten rücken ihn nicht näher an Maria heran. Auf einer anderen Ebene spielt diese Perikope um das Wort, bei Gott sei nichts unmöglich (V. 37). Und so wird "begründet", warum ein so junges Mädchen bereits schwanger wird. Und um jenes Gotteswort noch  weiter zu erhärten, führt er Marias ältere Cousine Elisabeth an, die in ihrem Alter noch ein Kind bekommt.  Als Begründung für DIESE Schwangerschaft mag Luk an Gen 18,14 gedacht haben, wo dem alten Abraham und seiner Frau Sara ein Kind angekündigt wird. Die Kraft Gottes mag bereits deutlich werden am Namen des Engels Gabriel, "Gott ist meine Kraft". Und diese Erzählung mag allein dies deutlich machen, dass Gott der "Höchste" ist. Daher wird das Kind auch "Sohn des Höchsten" genannt werden. Die Perikope mag auch eine Antwort darauf geben wollen, wer der "Nazarener" ist, der als Erwachsener durch Palästina wandern wird. Er soll nach dem Geheiß des Engels Jesus heißen, "Gott hilft". Aber er ist auch "der Sohn des Höchsten", mithin ein Herrscher, der, den bereits die Propheten angekündigt haben. Und schließlich wird er "Sohn Gottes" genannt werden, da weder eine sexuelle Vereinigung, geschweige denn eine Familienplanung von Bedeutung war. Und in seinem weiteren Leben wird er seiner leiblichen Familie gegenüber Abstand halten (vgl. als 12-jähriger im Tempel Luk2,41ff, aber auch bei der kanaischen Hochzeit Joh 2,1ff).

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Liebe Gemeinde!

Der Besuch des Engels Gabriel bei der Jungfrau Maria gehört zu den anrührendsten Bildern der Bibel. Auch moderne Menschen sind ergriffen von dieser Szene, die so himmlisch und doch auch so menschlich-irdisch ist. Ein Engel besucht einen Menschen und teilt ihm eine Frohe Botschaft, ein Evangelium, mit. Die Verwirrung, das Erschrecken oder zumindest Erstaunen der jungen Frau können wir nachvollziehen. Und dann ein Schatz von Verheißungen, die ebenfalls kaum fassbar sind. Fast schüchtern wagt Maria die Farbenpracht des Zukünftigen zu unterbrechen: sie sei zwar verlobt, aber ihr Joseph habe sie noch nicht “erkannt”, habe noch nicht mit ihr geschlafen. Sie seien noch kein festes Paar. Die engelische Botschaft wird von diesen Einwänden nicht geschmälert: Gott selbst wird sie “überschatten”. Und damit nicht noch ein Einwand kommt, fällt der Satz, dass bei Gott nichts unmöglich sei. Dieses Wort ist verhältnismäßig sachlich. Es ist klar. Es ist eine Tatsache. Und so beugt sich das Mädchen und erkennt die Macht des “Höchsten” an: Mir geschehe nach deinem Wort. So erzählt es der Evangelist Lukas, der für sich beansprucht, kein Dichter oder Literat, geschweige denn ein orientalischer Märchenerzähler zu sein. Nein, er will sich an die Tatsachen halten. Er verlässt sich auf Augen- oder Ohrenzeugen, und er überprüft selber die Richtigkeit. So sagt er es im  Präskript zu seinem Evangelium. Wir sollen schließlich keinen erfundenen Märchen folgen, wenn es um unseren Glauben geht (vgl. 2 Petr 1,16)! Wie steht es dann mit dieser Geschichte von der “Ankündigung der Geburt Jesu”?

Wir finden in der ganzen Bibel Geschichten, die mit Zeichen und Symbolen versehen sind, um eine bestimmte Wahrheit deutlich zu machen. Das hat der Bibel viel Kritik gebracht, was auch richtig ist. Aber es ist so wie bei den Werken der Kunst, die ebenfalls versuchen, die Wirklichkeit darzustellen – und sich Zeichen und Symbolen bedienen, die man zum Verständnis kennen sollte. So hat z.B. die Lilie auf den Bildern alter Meister oft die Bedeutung, die Reinheit und Jungfräulichkeit zu verdeutlichen. Auch die Farben der Gewänder unterstreichen das Wesen des dargestellten Menschen. Wir Heutigen kennen oft die Symbolik der Pflanzen, Tiere, Farben nicht mehr und stehen mit unserem “kritischen” Verstand verständnislos vor den Bildern, die uns berühren mögen, aber wir wissen nicht recht wieso. So wollen wir versuchen, die sogenannten “Fakten” zu sehen und dann die Farben und Symbole zu verstehen, die die Fakten verdeutlichen. Wir hören von einer “Jungfrau”, einem Mädchen. Sie ist “zusammen” mit Joseph, einem Mann aus nobler Herkunft, er stammt vom König David ab. Von Maria wissen wir, dass sie mit der älteren Elisabeth verwandt ist, und Elisabeth stammt aus dem Priestergeschlecht Aaron. So bringt Maria die geistliche “Herrschaft” ihrer Herkunft mit. Also eine attraktive Partie die beiden: Maria und Joseph! Doch gibt es (noch) keine eheliche Verbindung noch sexuelle Kontakte der Beiden. Das junge Mädchen wird schwanger. Die Gründe liegen im Dunkeln. Wir erfahren später von dem Evangelisten Matthäus, dass Joseph seine “Verlobte” verlassen will, um sie zu schützen. Also liegt hier ein schwerer Makel vor! Dieser Makel wird der “Heiland”, der Christus, der Messias, der das “Reich Gottes” mit Wort und Tat auf die Erde bringen wird. Der Menschen heilen und heilsame Gleichnisse erzählen wird. Wie kann man diese Wandlung erzählen?

Lukas bedient sich der Symbolik seiner Welt. Seine Zuhörer und Leser kennen Engel. Sie wissen, dass sich Gott seinem Volk in einer Wolkensäule genaht und sie durch die Katastrophe geleitet hat. Sie leben in der Erwartung des Messias, der in den alten Schriften der Bibel besondere Namen und Titel hat. Sie wissen, dass Gott Unmögliches möglich machen kann. So malt er ein Bild mit Worten, das viele Maler später mit Farbe gestalten werden. Vielleicht gebraucht er auch Vorstellungen seiner hellenistischen Zeit, in denen von Besuchen der Götter bei den Menschen die Rede ist. Auch das haben seine Zeitgenossen verstanden. Jesus, der Sohn Gottes, der Messias, der Christus – schon seine Empfängnis  verdankt sich keinen normalen, bürgerlichen Maßstäben. Nur Maria, seine Mutter, könnte genauere Auskunft geben. Sie mag verzweifelt, hoffnungslos gewesen sein, als sie ihre Schwangerschaft bemerkt hat. Auf einmal geschieht vieles in ihr. Wie soll sie damit zurechtkommen?

Etwas Neues beginnt – Angst und Freude mögen miteinander ringen, sich mischen. Dann ein Wort, ein Trost –  von außen. Das hat sie im Innersten angerührt, und ihre Ambivalenz, ihr Schwanken, ihre Unsicherheit beseitigt. Lukas nennt die Quelle der Ermutigung: “Engel Gabriel”. Vielleicht haben Sie in Ihrem Leben auch schon einmal einen solchen “Engel” erlebt, ein Wort, das Sie angerührt und verändert hat! Für Maria kam dadurch die Wandlung: Die Frucht ihres Leibes sollte etwas ganz Besonderes werden. Sie wurde sich ihrer eigenen Mutterschaft, Kraft und Veränderung  bewusst. Sie konnte Ja sagen: Ja, ich bin des Herren Magd. Mir geschehe nach deinem Wort! So wurde aus Schmerz Trost, aus Leid wurde Hoffnung; nicht nur für ihr Leben sondern auch für das Leben der Mitmenschen, ja, der ganzen Welt. Diese Hoffnung hat Maria aufleben lassen. Jetzt erscheint alles wie im Traum: Es war, als hätte der Engel Gabriel die Maria besucht und als ob sie Gott selber zur Welt bringen sollte, der alles Leid wenden kann: Welt ging verloren, Christ ist geboren. Freue, freue dich, du Christenheit!

So wurde Maria für viele die unmittelbare Verbindung zu Gott. Gott war gar nicht mehr fern. Er war nicht mehr in rigiden Gesetzen und Geboten, Strukturen und Ritualen, versteinert und verschlüsselt, zu finden. Sondern er ist in der Mutterschaft nahe. Wie Maria haben sich Menschen Gott geöffnet, haben sich in seinen Dienst gestellt, wurden  “Werkzeuge seines Friedens”. Die Welt wurde licht – wie am ersten Schöpfungstag. Darum ist auf vielen Gemälden die „Ankündigung der Geburt Christi“ (“Annuntiatio navitatis Christi”) hell und licht. Alles ist leicht. Das junge Mädchen Maria – eine eigene Persönlichkeit ohne Makel und Verzweiflung. Und die neue, die gute Welt Gottes umfängt sie. Noch ein Detail auf den alten Bildern: Die meisten zeigen ein Fenster, durch das die “normale” Welt, ein Haus, ein Städtchen, ein Wald, die Realität zu sehen ist: Was bei der “Ankündigung der Geburt Christi” geschieht, soll die Welt erfahren und soll sie wieder heil machen. Gott will in mir und in dir zur Welt kommen, und er will, dass wir seine Boten werden, seine Engel für Andere.

Amen.

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2 Kommentare on “Hoffnung aufleben lassen

  1. P.iR Heinz Rußmann

    Das anrührende Bild von Maria und dem Engel wird uns vor Augen gemalt und symbolisch gedeutet. Diese Geschichte ist für Pastor Kühne mit Zeichen und Symbolen versehen, um eine bestimmte Wirklichkeit deutlich zu machen. Man wird erinnert an den großen Theologen Paul Tillich, der intensiv herausgestellt hat, dass man das eigentlich Religiöse nur durch Symbole in Worte fassen kann. Zum Ende hin fragt der Prediger, ob uns nicht allen auch schon Engel begegnet sind ? Der Schlußsatz fasst die ganze Predigt tiefsinnig zusammen. Den Bezug zum vierten Advent und zur Anwendung der Botschaft in den Tagen vor Weihnachten legt der Predigttext nahe.

  2. Jörg Reichmann

    Der Predigt gelingt es, tiefe Dimensionen der Begegnung des Engels mit Maria für gebildete und kritische HörerInnen unserer Zeit zu erschließen. Leider unterläuft dem Autor im letzten Absatz die Formulierung: “…Er (Gott, d. Kommentator) war nicht mehr in rigiden Gesetzen und Geboten, Strukturen und Ritualen, versteinert und verschlüsselt, zu finden.”, die hochgradig missverständlich im Sinne einer antijudaistischen Deutung sein kann, auch wenn dem Autor solche Absicht in keiner Weise unterstellt werden soll. Erschreckend ist jedoch zweifelsohne, dass ein Theologe des 21. Jahrhunderts immer noch diese pauschalisierte Sichtweise des Judentums zur Zeit Jesu vertritt, die jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehrt.

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