Kreative Stille – Zeiten für Gott

Ermutigung, sich dem Leben zuzuwenden und dabei sich auch schwierigen Lebenssituationen zu stellen

Predigttext: Jesaja 30,8-17
Kirche / Ort: Karlsruhe
Datum: 31.12.2010
Kirchenjahr: Altjahresabend
Autor/in: Kirchenrat Pfarrer Heinz Janssen

Predigttext: Jesaja 30,8-17 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

8 So geh nun hin und schreib es vor ihnen nieder auf eine Tafel und zeichne es in ein Buch, daß es bleibe für immer und ewig.  9 Denn sie sind ein ungehorsames Volk und verlogene Söhne, die nicht hören wollen die Weisung des HERRN,  10 sondern sagen zu den Sehern: »Ihr sollt nicht sehen!« und zu den Schauern: »Was wahr ist, sollt ihr uns nicht schauen! Redet zu uns, was angenehm ist; schauet, was das Herz begehrt!  11 Weicht ab vom Wege, geht aus der rechten Bahn! Laßt uns doch in Ruhe mit dem Heiligen Israels!«  12 Darum spricht der Heilige Israels: Weil ihr dies Wort verwerft und verlaßt euch auf Frevel und Mutwillen und trotzet darauf,  13 so soll euch diese Sünde sein wie ein Riß, wenn es beginnt zu rieseln an einer hohen Mauer, die plötzlich, unversehens einstürzt;  14 wie wenn ein Topf zerschmettert wird, den man zerstößt ohne Erbarmen, so daß man von seinen Stücken nicht eine Scherbe findet, darin man Feuer hole vom Herde oder Wasser schöpfe aus dem Brunnen.  15 Denn so spricht Gott der HERR, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht  16 und sprecht: »Nein, sondern auf Rossen wollen wir dahinfliegen«, - darum werdet ihr dahinfliehen, »und auf Rennern wollen wir reiten«, - darum werden euch eure Verfolger überrennen.  17 Denn euer tausend werden fliehen vor eines einzigen Drohen; ja vor fünfen werdet ihr alle fliehen, bis ihr übrigbleibt wie ein Mast oben auf einem Berge und wie ein Banner auf einem Hügel.

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Liebe Gemeinde!

“Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.” Das ist die Mitte der Botschaft aus dem Buch des Propheten Jesaja, die uns heute am Altjahresabend mit auf den Weg ins Neue Jahr begleiten möchte. “Aber ihr wolltet nicht”, klagt der Prophet. Jesaja blickt zurück auf seine Prophetie, seinen göttlichen Auftrag. Er musste erleben, wie seine Botschaft auf Widerwillen stieß und zu seinen Lebzeiten erfolglos blieb. Darum schrieb er sie nieder, überzeugt, damit von Gott beauftragt zu sein, in der Hoffnung, dass seine Botschaft in späteren Zeiten Hörende findet – und sie sucht sie bis heute, in dieser Stunde auch unter uns.

Schweigen und reden

Wie kamen die Menschen damals dazu, diese Botschaft abzulehnen? Kennen wir Worte wie Stillesein und Hoffen in unserer christlichen Tradition nicht allzu gut, wer wollte daran etwas Anstößiges finden? Für viele war und ist es bis heute ein Ausdruck von besonderer Frömmigkeit, immer still zu sein, wenn andere meinen, in einer bestimmten persönlichen oder gesellschaftlichen Situation etwas sagen zu müssen. “Reden ist Silber, Schweigen ist Gold”, heißt ein Sprichwort. Hat das der Prophet gemeint: sich zurückziehen und abschirmen von der Welt und ganz für sich einer stillen Hoffnung leben? Nein, damit haben diese Prophetenworte nichts zu tun. Die Situation damals: In Jerusalem war in politíscher Hinsicht Ruhe eingekehrt, was die Bevölkerung verständlicherweise aufleben ließ, wodurch sich aber viele auch in eine gewisse Sattheit, Selbstgenügsamkeit und Trägheit treiben ließen. Dem Propheten Jesaja gaben sie eine Abfuhr mit den Worten: “Was wahr ist, sollt ihr uns nicht schauen! Redet zu uns, was angenehm ist; schauet, was das Herz begehrt!” (Vers 10) Die Mauer, mit der ihr euch umgebt wie mit einem Panzer, ist brüchig, sie kann schnell rieseln und unversehens einstürzen, entgegnet der Prophet auf diese allzu sichere Haltung. Als “Sünde” bezeichnet der Prophet dieses Fehlverhalten von Menschen, die sich selbst genug sind (Vers 13). Noch ein anderes Bild gebraucht Jesaja: Wie wenn ein Topf zerschmettert wird und in tausend Stücke zerfällt, so kann es auf einmal mit eurer so festgefügten Weltanschauung gehen.

Nicht auf der Stelle treten

Erleben wir nicht auch wie brüchig und zerbrechlich der Friede in der Welt, die gesellschaftlichen Verhältnisse, unser Leben, unsere Beziehungen, unser Glück sind? Es gibt zu jeder Zeit Menschen – und mit solchen müssen wir auch die biblischen Propheten vergleichen -, die um der Wahrheit willen ihre Stimme erheben und sprechen, auch wenn es nicht gerade angenehm ist, ihnen zuzuhören, weil sich nämlich bei uns etwas verändern müsste. Wir müssten uns vielleicht schnell entscheiden, eine andere Wegrichtung einzuschlagen, unserem Leben eine andere Richtung zu geben, lange aufgerichtete Mauern zu durchbrechen und einen vielleicht selbst verursachten Scherbenhaufen als Chance eines Neuanfanges zu begreifen. Von Martin Luther wissen wir, dass er zwischen einer fatalen Selbstsicherheit (der “securitas”) und einer tragenden Gewissheit (der “certitudo”), unterschied. In der Selbstsicherheit ist sich der Mensch selbst genug, er bleibt stehen, tritt auf der Stelle, verkrümmt sich in sich selber und mauert sich ein. Die Gewissheit ermutigt den Menschen, sich dem Leben zuzuwenden, sich auch schwierigen Lebenssituationen zu stellen. Sie lässt ihn immer wieder neu nach dem Sinn seines Lebens fragen und danach, was er selbst tun kann. Sie bewegt ihn dazu, das Tagesgeschehen und so manche selbstberuhigende Weltanschauungen kritisch wahrzunehmen. Sie schult sein Gespür für Recht und Gerechtigkeit und dafür, was den Menschen und die Schöpfung gefährdet.

Heilsame Stille

Sich den Lebenssituationen zu stellen, wie sie sind, kann uns verletzlich und unruhig machen. Aber es ist – so die prophetische Botschaft – gerade kein Zeichen von Frömmigkeit, wenn wir nur auf Angenehmes aus sind, nicht zu Beschönigendes schönreden oder gar wegschauen; wenn wir uns nicht fordern und bewegen lassen. Hören wir jetzt nocheinmal die Botschaft des Propheten Jesaja: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen;durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. – Merken wir, welche Bewegung in dem Stillesein und Hoffen mitschwingt? Der Prophet nennt umkehren und stillebleiben, stillebleiben und hoffen in einem Atemzug! Umkehren – damit ist meine Bereitschaft angesprochen, eine eingeschlagene falsche Wegrichtung nicht stur weiterzugehen, sondern die Richtung zu ändern. Darin liegt etwas Kreatives, etwas Heilsames, es ist Gottes Heil für uns Menschen. Darum hat umkehren im biblischen Sinn mit unserer Hinwendung zu Gott zu tun. Auf Ihn hin soll sich unser Stillesein und Hoffen richten “Denn” – so heißt es in einem Psalm – “bei dir ist die Quelle des Lebens und in deinem Lichte sehen wir das Licht”. Dies gilt uns gerade auch dann, wenn Schweres in unser Leben einbricht. Es darf ihm nicht gelingen, dass wir uns in uns selbst zurückziehen. Marie von Ebner-Eschenbach hat einmal gesagt: “Nicht, was wir erleben, sondern wie wir empfinden, was wir erleben, macht unser Schicksal”.

Begleitet

Mit stillebleiben meint der Prophet kein Verstummen, sondern ein Hoffen. Die Hoffnung auf Gott ist das Vertrauen, dass Gott uns im Leid nicht im Stich lässt, sondern – selbst am Leid leidend – mit uns geht in seine Zukunft des Lebens. „Selig, die da Leid tragen“, ruft uns Jesus in der Bergpredigt zu. Jesus waren die Worte des Propheten vertraut. Die Hoffnung auf Gott schließt die Hoffnung ein, dass Menschen dort sind, wo ein anderer Mensch dringend Hilfe braucht. „Lasst euer Licht leuchten“, ermutigt Jesus, der uns selbst als das Licht der Welt auf den Wegen durch das Neue Jahr begleitet. Wo waren wir in diesem Jahr, und wo wollen wir im Neuen Jahr sein? Der Heidelberger Theologe Gerhard von Rad sagte einmal in einer Predigt: “Ich glaube, Gott freut sich derer, die ihm aufmerksam und vertrauensvoll auf die Hände sehen; und ich glaube, er wird ihnen die Erleuchtung und die Kräfte, deren sie bedürfen, nicht verweigern”. Gott im Neuen Jahr stillehalten – das heißt: sich von ihm zur Umkehr bewegen lassen, also zur täglichen Besinnung, und zur Hoffnung, die uns den Lebensmut gibt und bewahrt. Mögen wir im Neuen Jahr 2011 umkehren können, wo es lebensnotwendig ist, uns helfen lassen, wo wir Hilfe brauchen. Mögen wir uns als Christinnen und Christen in der Nachfolge Jesu voller Hoffnung dem Leben, der Welt, Gottes Schöpfung zuwenden. Mögen wir immer wieder Momente der Stille finden, Zeiten für Gott – sie stärken uns auf dem Weg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.

Amen.

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2 Kommentare on “Kreative Stille – Zeiten für Gott

  1. P.iR Heinz Rußmann

    Das dunkle und ernste Propheten-Wort wird erhellt von Kirchenrat Janssen. Kern des längeren Predigttextes ist für ihn der Vers: “Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein”. Diese Botschaft des Jeremia wurde damls von den Hörern abgelehnt. Sie wollten -ähnlich wie bei der heutigen wellness-Religion- ohne Gottes Mahnung nur das hören, “was angenehm ist und das Herz begehrt”. Der Prediger macht uns darauf aufmerksam, wie brüchig auch heute unsere gesellschaftlichen Verhältnisse sind und dass Selbstsicherheit (securitas nach Luther) ohne Gott fatal ist für uns. Um eine tragende Gewißheit durch Gott (certitudo ) geht es. Alles hängt davon ab, das wir uns Gott zuwenden. Nur durch Stillewerden im Gebet und Hoffen wird uns fundierter Lebensmut von Gott gegeben. Deswegen wünscht uns der Prediger zum Schluß, dass wir im Neuen Jahr Zeit finden für Gott, der uns Hoffnung gibt.

    Fragen möchte ich, ob man beim Kasual-Fall Silvester nicht etwas direkter auf die ambivalenten Gefühle der Hörer eingehen müßte, zum Jahreswechsel mit Erinnerungen an Schuld und Versagen und Ängsten und neuen Hoffnungen. Das Thema: Innehalten und Hoffen der Predigt könnte m.E. durch konkretere aktuelle Bezüge ergänzt werden.

  2. Sei ermutigt

    Jesaja 30,15 – Denn so spricht Gott der HERR, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.
    Wir wollen die Weisung des HERRN hören.
    Was wahr ist, soll Gott uns schauen!
    Redet zu uns, was wahr ist; schauet, was das Herz nötig hat! Seid gesegnet!

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