Nicht allein unterwegs im Neuen Jahr

Weg, Wahrheit und Leben – die Worte Jesu drücken die Fülle aus, in der wir leben können

Predigttext: Johannes 14 ,1-6
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 1.01.2011
Kirchenjahr: Neujahrstag
Autor/in: Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: Johannes 14 ,1-6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin. Und wo ich hingehe, den Weg wisst ihr. Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen? Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.

Exegetisch-homiletische Überlegungen

Der Neujahrstag sitzt zwischen den Stühlen: Zum Kirchenjahr gehört er nicht, aber die Leute erwarten auch, am ersten Tag des Jahres, keine Abschiedsrede. Evangelium und Hörererwartungen beißen sich auch dieses Mal. Zugespitzt: Johannes 14,1-6 wirkt deplatziert. Chance für den Text? Für die Gemeinde? Der Abschnitt aus den Abschiedsreden Jesu besticht durch seine Dynamik und Dramatik: Er beginnt mit dem Aufruf, sich nicht zu erschrecken, spricht dann von Wohnungen, die bereitet werden und schließlich wird Jesus selbst als Weg vorgestellt. Er begründet den Glauben und ist selbst sein Inhalt (V. 1). Die existentielle Situation ist die eines Abschieds. Jesus nimmt von seinen Jüngern Abschied. Sie aber bleiben zurück in einer Welt, die in Joh. 13-17 aufgedeckt wird. Die Szene ist nachösterlich vorösterlich. Diese typisch johanneische Sichtweise lässt sich homiletisch kaum bändigen. Allerdings: Sie ist seelsorglich von besonderer Bedeutung. Der Focus liegt auf den vielen Wohnungen in des Vaters Haus und darauf, „euch“ die Stätte zu bereiten. Mit dem „Jenseits“ allerdings hat dies nichts zu tun, die auslegungsgeschichtlichen Engführungen sollten wenigstens im Hintergrund wahrgenommen werden. Der Abschied Jesu steht vielmehr unter der Verheißung seines Kommens. Dass dies am Ende sein wird, wird in den Abschiedsreden Jesu nicht gesagt. Die Predigt wird sich auf die Bilder einlassen dürfen: auf die „Wohnung“ und den „Weg“. Jedoch: die Bilder sind spannungsreich auf einander bezogen. „Wohnung“ ist statisch, abgegrenzt und identifizierbar, der Weg aber offen, variationsreich und auf ein Ziel gerichtet. Die „Wohnung“ hat eher mit Sitzen, der „Weg“ mit Gehen, mit Bewegung zu tun. Diese Spannung soll homiletisch fruchtbar gemacht werden. Thomas spricht aus, was Menschen bis heute bewegt und auch irritiert: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst. Jesus stellt sich als Weg, Wahrheit und Leben vor. Die Worte werden zwar mit „und“ verbunden und erscheinen in einer Reihenfolge, bringen sich aber gegenseitig in eine Beziehung. In dem „Ich bin-Wort“ entfaltet Jesus die Namensoffenbarung Gottes am brennenden Dornbusch (Ex. 3). Ich werde diese Geschichte als  atl. Lesung wählen: Sie nimmt die Spannung von „wohnen“ und „gehen“ nicht nur vorweg, sondern stellt auch das Abschiedswort Jesu in die heilvolle und befreiende Geschichte Gottes mit Menschen.

Fürbittgebet

mit den Liedworten von Paul Gerhardt „Nun laßt uns gehen…“ (EG 58): Der Liturg bzw. die Liturgin liest die erste und letzte Strophe (1 und 15), dazwischen können verschiedene Sprecherinnen die Strophen 9 und 11-14 lesen. Oder: Gott, am Anfang dieses Jahres danken wir dir für deine Treue, für dein Wort, für Brot und Wein. Wir sind mit Gegensätzen groß geworden und kommen nicht aus ihrem Bann: Gewalt gegen Gewalt, Mensch gegen Mensch, Geschichte gegen Geschichte. Wir bitten dich, unsere Erfahrungen zu verwandeln, dass Teufelskreisläufe durchbrochen werden, Menschen zu einander finden, Geschichten nicht zu Gefängnissen verkommen, darum bitten wir dich: Herr, erbarme dich. Wir fragen, was denn im Leben bleibt und sind doch stets im Wandel: wenn der Glaube nicht mehr trägt, kostbare Überlieferungen nur noch beschweren und den Kirchen rauer  Wind ins Gesicht weht. Wir bitten dich, unsere Erwartungen zu verwandeln, dass wir uns nicht am Vergangenen messen, dem Geist der Zeit nicht hinterherlaufen, uns in unserem Kleinmut nicht häuslich einrichten, darum bitten wir dich: Herr, erbarme dich. Wir hören Zukunftsmusik in allen Sphären, ohne die Noten lesen zu können: wenn die Welt neu geordnet wird, Menschen die Gene sortieren, Hunger, Ungerechtigkeit und Armut aber hingenommen werden. Wir bitten dich, unsere Tagesordnung zu verwandeln, dass wir den Dingen auf den Grund gehen, Menschlichkeit und Würde bewahren, den Mut haben, die Wahrheit zu sagen, darum bitten wir dich: Herr, erbarme dich. Du, Gott, hörst das Schweigen, du siehst das Verborgene, du gehst die letzten Wege mit. Auch das neue Jahr ist dein Jahr mit uns. Jetzt sind wir als deine Gemeinde unterwegs. Durch Jesus, mit ihm und in ihm, ist dir alle Herrlichkeit und Ehre, das erste und das letzte Wort. Segenswunsch für das neue Jahr Ein Dach, das dich schützt, wenn du Herberge suchst, eine sanfte Hand, die dich hält, wenn du dich niedergeschlagen fühlst, ein gutes Herz, an das du dich anlehnen kannst, wenn du dich verlierst im Alltäglichen, einen Menschen in der Nähe, der deine Tränen auffängt wie eine kostbare Schale, eine warme Hand, die deine Augen schließt, auch dann, wenn du Abschied nimmst und hinübergehst in die Welt des Lichtes, das wünsche ich dir aus Gottes liebender Hand, die uns berührt: Die sanfte Hand des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.  (Quelle unbekannt)

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Gute Wünsche zum Neuen Jahr

Schon in der Nacht haben wir gute Wünsche getauscht. Mit einem Küsschen, einer Umarmung, einem offenen Lachen. Vielleicht reichte es auch nur zu Floskeln. Aber es gibt auch die größten und schönsten Erwartungen: dass der neue Erdenbürger, der sich angekündigt hat, gut zur Welt kommt, eine Diagnose nicht so schlimm ist wie sie sich anhört, die neue Stelle, die am Montag angetreten wird, zu einem Glücksfall wird.

Mit vielen guten Wünschen sind auch Sorgen verbunden. Am ersten Tag des neuen Jahres fühlen wir, obwohl sich eigentlich doch nichts ändert, Neuland vor uns. So geheimnisvoll, fremdartig und wohl auch riskant, wie Neuland so ist. Gute Wünsche zeigen uns, dass wir nicht allein unterwegs sind. Wir können uns Mut zusprechen. Wir können gemeinsam Angst aushalten. Zwei gute Wünsche habe ich auch noch: dass wir ein Dach über dem Kopf haben, einen Raum, um die Füße hoch zu legen und Türen, die sich öffnen und schließen, dass wir einen Weg vor uns haben, weit und offen, mit einem Ziel vor Augen und lieben Gefährten an der Seite. Es sind Wünsche zu wohnen und zu gehen, zu Hause zu sein und doch auch unterwegs. Wünsche, zur Ruhe zu kommen, aber nicht fertig zu sein. Wünsche, den Reichtum des Lebens zu schmecken, auszukosten und das Leben doch noch vor sich zu haben. Im Evangelium nach Johannes lesen wir (Lesung des Predigttextes).

Wohnen und Gehen

Die Worte Jesu sind aus einer Abschiedsrede. Mehrere hat er von ihnen gehalten, um seine Jünger vorzubereiten. Vorzubereiten auf eine Zeit, in der sie allein, ohne ihn, leben werden. Nur im Glauben mit ihm verbunden. Ein gravierender Einschnitt. So gravierend, dass wir bis heute von ihm gezeichnet sind – oder auch beschenkt. Uns wird eine Wohnung versprochen – und ein Weg. Nach einem anfänglichen Zögern – ein solcher Text am 1.1.2011? Wer hat den denn ausgesucht? – finde ich mich in diesen Worten wieder. Wort für Wort. Ganz besonders an einem Anfang! Wohnungen sind abgesteckt. Sie haben Wände. Fenster. Türen. Sie sind Rückzugsort und Ausgangspunkt. In ihnen kann gestritten und geliebt werden. Füße werden hochgelegt – und das Geschirr gestapelt. In der Wohnung bin ich überall gegenwärtig. Sogar in den Farben und Gerüchen. Mein Reich! Jesus spricht davon, dass im Haus seines Vaters viele Wohnungen sind. Ich kann mir gar nicht vorstellen, in einer von ihnen zu wohnen – zu Hause zu sein – bei ihm. Gibt es da keine Haken? Wo ist die Hausordnung? Werde ich mit so vielen anderen unter einem Dach leben können? Keine Zweifel: Ich gehöre dahin. Jesus kommt sogar wieder, um mich abzuholen, einzuführen, die Schlüssel zu übergeben. Ich merke, wie das Bild eine ungeheure Kraft gewinnt: Ich bekomme einen Schlüssel! Was war das  für ein Gefühl, als ich den ersten eigenen Schlüssel bekam! Achten wir auf die Bewegung! Als Jesus von den vielen Wohnungen im Haus seines Vaters redet, spricht er davon, sie einzurichten. Für uns. Nicht ungefährlich – für Menschen, die irgendwann satt sind, alles erreicht haben, nichts mehr erwarten.

Wir entdecken jetzt das Geheimnis eines Weges. Wer einen Weg vor sich hat, muss sich auf den Weg machen. In Gedanken kann man zwar auch neue Erdteile entdecken und sich in Phantasielandschaften bewegen, aber um einen anderen Ort zu erreichen, wird man gehen müssen. Schritt für Schritt. Bei Sonne und Regen. In der Ebene und in der Höhe. Auf und ab. Nicht umsonst sprechen wir von einem Lebensweg. Das Lebenshaus hat es nicht geschafft, sich in unsere Sprache zu schleichen. Bewegung und Beweglichkeit, Ausdauer und Wagemut zeichnen einen Menschen aus, der sich auf den Weg macht. Besonders dann, wenn die dunklen Wolken schon aufgezogen sind. Erschreckt euch nicht, habt keine Angst. Mit einfachen Worten macht Jesus uns Mut. Mut, ihm zu vertrauen. An ihn zu glauben. Ihn nicht zu verlieren. Wie gut doch diese Worte tun am  Anfang eines neuen Jahres! So manche Unwägbarkeit, Unsicherheit, Angst findet ihren Meister. Erschreckt euch nicht. Habt keine Angst.

Guter Weg

Ein schönes Evangelium am Neujahrstag! Jesus verspricht uns, bei ihm ein Zuhause zu haben – sozusagen Untermieter im Haus seines Vaters. Die erste Adresse am Ort! Aber dann werden wir auf einen  Weg geschickt. Den Weg zu ihm. Die vielen Wege, die wir schon gegangen sind, die wir gehen müssen, die Wege, die man von uns erwartet, die wir uns nicht ausgesucht haben, die uns beschwerlich sind – sie münden in diesen einen Weg. Jesus traut uns tatsächlich zu: Den Weg wisst ihr. Thomas aber sagt: Wir wissen nicht, wo du hingehst. Ein kleines  Zwiegespräch. Es ist eine uns bestens vertraute Situation. Wir kennen den Weg nicht. Wie gut, dass Thomas ausgesprochen hat, was uns bedrückt. Wir müssen die Worte jetzt nicht suchen, wir finden sie sogar im Evangelium. Dort sind sie gut aufgehoben! Dann stellt sich Jesus vor: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich. Es sind große Worte: Weg, Wahrheit und Leben. Aber sie drücken die Fülle aus, in der wir leben können, sie erschließen uns den Reichtum Gottes! Bei ihm gibt es keinen Irrweg, er bahnt den guten Weg selbst. Treu und verlässlich steht er zu seinem Wort. Was uns dabei zuteil wird, ist: Leben. Drei Worte, die das Geheimnis Gottes, das Geheimnis Jesu ausdrücken.

Ich sehe Mose. Neugierig begibt er sich zu dem brennenden Dornbusch. Was er sieht, ist nicht so wichtig, was er hört, verändert sein Leben und das Leben eines ganzen Volkes. Gott hat das Klagen gehört, die Resignation, die Ausweglosigkeit gesehen. Jetzt schickt er seinen Mann, Menschen aus der Knechtschaft in ein sprichwörtlich gewordenes gelobtes Land zu bringen. Wer er denn sei, fragt Mose und: was er denn sagen solle. Da stellt sich Gott vor. Ich bin, der ich bin! Aber die Worte fangen zu fließen an, Vergangenes und Zukünftiges verschwimmen. Es ist eigentlich eine Liebeserklärung:

Ich bin für dich da,
ich gehe mit dir,
ich stehe zu meinem Wort,
das ich dir gab,
ich werde immer sein,
der ich immer schon war:
dein Gott.

Jesus sagt das nur anders, und  er steht sogar mit seinem Leben dafür ein. Selbst die so übermächtige Sünde, der so unerbittliche Tod: Sie haben schon verloren. – Zwei gute Wünsche: dass wir ein Dach über dem Kopf haben, einen Raum, um die Füße hoch zu legen und Türen, die sich öffnen und schließen, dass wir einen Weg vor uns haben, weit und offen, mit einem Ziel vor Augen und lieben Gefährten an der Seite. Es sind Wünsche zu wohnen und zu gehen, zu Hause zu sein und doch auch unterwegs. Wünsche, zur Ruhe zu kommen, aber nicht fertig zu sein. Wünsche, den Reichtum des Lebens zu schmecken, auszukosten und das Leben doch noch vor sich zu haben. Wünsche verwandeln sich in Aufgaben: dass Kinder nicht mehr auf der Straße groß werden und als Kindersoldaten missbraucht werden; dass es bezahlbaren Wohnraum gibt auch für die Armen; dass Menschen von ihrer Arbeit gut leben können. Ein gutes Neues Jahr! – Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

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