Horizonterweiterung
Es gibt für uns noch viel zu suchen und zu finden
Predigttext: Johannes 1,15-18 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.) 15 Johannes gibt Zeugnis von ihm und ruft: Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist; denn er war eher als ich. 16 Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. 17 Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. 18 Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt.Übersetzung von Adolf Schlatter (Erläuterungen zum Neuen Testament, 1. Bd, Die Evangelien und die Apostelgeschichte, 5. Aufl., 1936):
( (V.14) Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. Und wir sahen seine Herrlichkeit, wie sie der einzige Sohn vom Vater hat, voll Gnade und Wahrheit.) (V.15) Johannes zeugt von ihm und ruft: Dieser war der, von dem ich sagte: Der nach mir Kommende ist vor mir geworden. Denn er ist der Erste über mir. (V.16) Denn aus seiner Fülle haben wir all genommen, nämlich Gnade für Gnade. (V.17) Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben; die Gnade und die Wahrheit wurde durch Christus. (V. 18) Keiner hat Gott je gesehen. Der einzige Sohn, der an der Brust des Vaters ist, der hat ihn verkündigt.Vorüberlegungen
Der Tag Epiphanius und die Epiphaniaszeit sind eine schöne Zeit. Die Texte und die Lieder dieser Kirchenjahrszeit machen deutlich: Zum Glauben gehört das Vertrauen, die Liebe und das Hoffen, dann das Erkennen und die Ehrfurcht, aber auch das Erleuchtet-Sein. Katholische Christen in Süd-Europa und orthodoxe Christen feiern am 6. Januar ihr Weihnachtsfest. Der Christushymnus Joh 1,1-18, aus dem die Perikope zu Epiphanias stammt (V.15-18), ist einer der gewaltigen Texte des Neuen Testamentes. Ich lese V.14 mit. Martin Luther übersetzt V.14: „Das Wort ward Fleisch“, die ZB (1966) ebenso, die „Gute Nachricht“: „Er, das Wort, wurde ein Mensch, ein wirklicher Mensch von Fleisch und Blut“, die „Bibel in gerechter Sprache“: „Und die Weisheit wurde Materie“. Materie? Übersetzung von V.18 nach M. Luther, Revision 1984: „der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt“. Man kann bei der Übersetzung von „kolpos“ in „Schoß“ an Luk 16,22 denken: Lazarus „wurde von den Engel getragen in Abrahams Schoß“. Joh 1,18 wird in dem Weihnachtslied „Lobt Gott, ihr Christen“ aufgenommen: „Er kommt aus seines Vaters Schoß…“ (EG 27,2). W. Bauer (Wb. z. NT) übersetzt: „der an der Brust des Vaters ruht“. A. Schlatter: „Der einzige Sohn, der an der Brust des Vaters ist, er hat ihn verkündigt“. Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“: „Der Einziggeborene, der im Mutterschoß des Vaters ist“. „Mutterschoß des Vaters“? Ich wähle zum Verlesen des Textes die Übersetzung von Adolf Schlatter. Rudolf Bultmann zitiert in seinem Kommentar (zu V.18): „Nach Schlatter … lässt das ‚eis‘ an die einander zugewendete Haltung der beiden denken, die nebeneinander am Tisch liegen‘“ (R.B., KEK II, 1964, S.56, Anm.2). Gisela Kittel schreibt zu diesem Schluss des Christusliedes: „Jesu Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen sind von nun an in den Namen Gottes eingeschrieben. Oder anders gesagt: Der Name Gottes wird im Namen Jesu ‚exegesiert‘“ (G. Kittel, Der Name über alle Namen, II, Biblische Theologie, NT, 1996, 2. Aufl., S. 18). Gerhard Lohfink schreibt: „Was also ansatzweise schon von jeder profanen Geschichtsdeutung gilt, gilt erst recht von der Deutung aus dem Glauben: Gläubige Deutung von Geschichte setzt das Gottesvolk als Deutegemeinschaft voraus. … Es ist nur möglich im Miteinander der Glaubenden, in gläubigen Gemeinden, in der Kirche“ (aus: Der letzte Tag Jesu, was bei der Passion wirklich geschah, 2004, S. 85).Liebe Gemeinde!
Im Gespräch bleiben
Weihnachten liegt hinter uns. Wird die Weihnachtsbotschaft in uns nachklingen? Bei wem von uns wird man es mitbekommen, dass das Evangelium Wurzeln geschlagen hat, wächst und reift? Oder wird die Botschaft der Weihnacht bald in uns verklungen sein? Sieht man in unseren Gesichtern nicht die Anfragen, die Zweifel und den Protest, wie viel an Abwehr und Widerspruch hat sich angesammelt? O wenn das doch bald alles deutlich ausgesprochen und gründlich durchdiskutiert werden könnte! Da freut es mich, dass unsere Evangelische Kirche deutschlandweit jetzt im neuen Jahr eine Kampagne startet. Mitte Januar gibt es in unserer westfälischen Landeskirche eine Eröffnungsveranstaltung. Alle Kirchengemeinden sollen eingeladen und gelockt werden, erstmalig und dann regelmäßig für erwachsene Menschen Glaubenskurse anzubieten. Die Verantwortlichen für die Erwachsenenbildung und die Ämter für missionarische Dienste haben zusammengefunden und bieten gemeinsam Glaubenskurse ganz unterschiedlicher Prägung an. Jeder Erwachsene soll die Gelegenheit haben, noch einmal über die Kernaussagen des christlichen Glaubens nachzudenken und mit anderen darüber zu sprechen. Er soll Gelegenheit bekommen, all das, was sich in ihm an Rückfragen und Blockierungen angesammelt hat, anrühren zu lassen und auszusprechen. Nicht nur die theologisch ausgebildeten Gemeindeglieder, viele der Christen in weltlichen Berufen sollen dann zum Gespräch bereit sein, zuhören und Rede und Antwort stehen. Ein solcher Austausch wird unseren Gemeinden sehr gut tun.
„Allen aber, die ihn annahmen, gab er die Vollmacht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben“ (Joh 1,12) Das an den Weihnachtsfesttagen verkündigte Evangelium ist zu schade, bald im Alltag zu versickern. Es will wirken in unserem Leben, in unseren Beziehungen und in unserem alltäglichen Handeln. Menschen sollen und dürfen heute erfahren: „Christ, der Retter, ist da!“ (EG 45,3) Da kommt die Epiphaniaszeit, die heute mit dem Epiphaniastag beginnt, gerade richtig. Bis zum Tag der „Darstellung des Herrn“ am 2. Februar hält sie an. Mit den biblischen Texten und Liedern ist es eine schöne Zeit. Zum Glauben gehört nicht allein das Vertrauen, das Lieben und das Hoffen, das Erkennen, das Handeln und die Ehrfurcht vor Gott – auch das Erleuchtet-Sein gehört zum Glauben. Im Süden Europas feiern heute katholische Christen ihr Weihnachtsfest, und in unserem Land feiern es 1,5 Millionen orthodoxe Christen wie auch in anderen Ländern. „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ – diese Worte aus dem Predigttext (Joh 1,14) haben uns von Heiligabend an bis zum letzten Sonntag als Wochenspruch begleitet.
Innige Gemeinschaft
Es lohnt sich, besonders beim letzten Vers, verschiedene Übersetzungen zu vergleichen. In der revidierten Bibelübersetzung nach Martin Luther ist dieser Vers so übersetzt: „Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt“. Wir kennen das Wort „Schoß“ aus dem Gleichnis Jesu, in dem der arme Lazarus starb und getragen wurde „in Abrahams Schoß“ (Luk 16,22). An Weihnachten haben wir gesungen: „Er kommt aus seines Vaters Schoß und wird ein Kindlein klein“ (EG 27,2). Aber das griechisch Wort kann auch die Brust bezeichnen. Deshalb habe ich am Anfang vorgelesen: „Der einzige Sohn, der an der Brust des Vaters ist, der hat ihn uns verkündigt“. Wenn ein Vater sein kleines Kind auf den Arm nimmt und ihm so seine Nähe zeigt, liegt dieses Kind an der Brust des Vaters, der es hält. So viele, die Väter und Mütter sein dürfen, können dies nachfühlen. Der Sohn an der Brust des Vaters – offenbar ist gemeint: Jesus Christus kommt von der Seite und aus der Nähe Gottes. Wo Jesus von Nazareth redet, da können wir Gott ins Herz schauen. Die Geburt in Bethlehem war keine Sturzgeburt des göttlichen Kopfes sondern ein Geborenwerden aus dem Innersten des himmlischen Vaters heraus. Aus dieser Gemeinschaft mit Gott hat Jesus uns Menschen enthüllt, was das Wesen und was der Wille des himmlischen Vaters ist. Jesus war hinsichtlich des göttlichen Heilsplanes vollkommen in den Plan Gottes mit der von ihm geliebten Welt eingeweiht. So wichtig sind die Worte Jesu Christi, und so herrlich sind die Werke, die er als Zeichen seiner Beauftragung von Gott her getan hat.
Himmlischer Lichtglanz im Allag
Über dem Wesen Jesu, über seinem Reden und über jeder seiner Handlungen liegt etwas von dem himmlischen Lichtglanz. Was Weihnachten bedeutet, ist für den ganzen Erdkreis bestimmt und hat inzwischen die ganze Welt erfasst. Aber die Menschen, die dieses ebenso innige wie gewaltige Geschehen miterleben und erfassen sollten, mussten darauf vorbereitet werden. So wurde Abraham von Gott erwählt und zum Vater des Glaubens und zum Erzvater Israels bestimmt. So hat Gott den Mose gegriffen und ihn Führer des Volkes Israel werden lassen. Ihm hat Gott die grundlegenden Gebote für sein Volk übergeben. Die Propheten haben auf den Kommenden hingewiesen und die Menschen darauf vorbereitet. Und kurz bevor die Zeit erfüllt war, kündigte Johannes der Täufer den Größeren an, der von Ewigkeit zu Ewigkeit ist. Durch die Gerichtsbotschaft der Propheten und durch die Bußpredigt des Täufers wurde das Gottesvolk auf das Kommen Jesu Christi vorbereitet. Dann sind da diejenigen, die das Leben und Wirken Jesu von Nazareth miterlebt haben: Sie wurden auserwählt, das Werk Jesu mitzugründen und auszuweiten, und sie wurden bevollmächtigt, dies alles mit zu deuten und niederzuschreiben. Der katholische Bibelausleger Gerhard Lohfink spricht gerne von der Urgemeinde als einer „Deutegemeinschaft“. Deshalb schreibt Johannes hier: „Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade“ (V.16). Zusammen mit den anderen Aposteln muss er dies einfach bekennen. Hier wurden Menschen die Augen geöffnet; ihr Herz wurde weiter und weiter; sie bekamen einen grandiosen Horizont; sie wurden mit zum Fundament eines Bauwerkes, das in Ewigkeit Bestand hat. Auf keinen Fall dürfen wir uns heute mit Restbeständen des christlichen Glaubens zufrieden geben und dabei übersehen, wie viel es für uns noch zu suchen und zu finden gibt, „Gnade um Gnade“.
„Wir sahen seine Herrlichkeit“ (V.14) – am Schluss der Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium (Kap. 2) heißt es: „Die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt hatten“ (V.20). Sie hatten den Glanz der himmlischen Herrlichkeit gesehen, als ihnen die Engel auf dem Hirtenfeld erschienen. Sie hatten aber auch Gottes Liebe gesehen, als sie das Kind in der Krippe sehen konnten. In allen vier Evangelien ist es der Grundton: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“, des Sohnes, der aus der innigen Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater kommt.
Amen.
Mit Restbeständen des christlichen Glaubens dürfen wir uns nicht zufrieden geben, betont Pfarrer Frische. Besonders geht es ihm um die Christologie, den Ursprung Jesu aus Gott und seine innige Beziehung zu ihm. Deswegen wirbt er erfreut für die deutschlandweiten neuen Glaubenskurse der Kirchen über die Grundlage unseres Glaubens. Zu Epiphanias stellt er in den Mittelpunkt, dass nach seiner Übersetzung Jesus nicht aus dem “Schoß Gottes” stammt, sondern aus seiner Brust, aus der Herznähe Gottes. Er erinnert, dass die Kirche seit je als eine “Deutegemeinschaft” der großen Botschaft von Weihnachten zu verstehen ist. Die innige Gemeinschaft Jesu mit Gott wird bis zum Schlußsatz dieser tiefgründigen Predigt betont, damit wir uns nicht mit Restbeständen der hohen Christologie begnügen. Anmerken möchte ich noch, dass der “in des Vaters (Mutter-) Schoß ist” und der “an der Brust des Vaters ist” sich vom biblischen Ursprung der Metaphern her nicht ausschließen. “Mutterleib” und “sich erbarmen” haben denselben Wortstamm, r ch m. Der Mutterleib war symbolisch der emotionale Sitz des Erbarmens, der Liebe und Nähe zum anderen und zum Kind. Im Deutschen ist dagegen das Herz und die Brust der Sitz der Liebe und Nähe.
Zu ergänzen ist noch, dass der “in des Vaters (Mutter-) Schoß ist” und der “an der Brust des Vaters ist” sich vom biblischen Ursprung der Metaphern her nicht ausschließen. “Mutterleib” und “sich erbarmen” haben denselben Wortstamm,
r ch m. Der Mutterleib war symbolisch der emotionale Sitz des Erbarmens, der Liebe und Nähe zum anderen und zum Kind. Im Deutschen ist dagegen das Herz und die Brust der Sitz der Liebe und Nähe.