Leben im Licht des nahenden Himmelreiches
Mit dem Anfang der Predigt Jesu nimmt die Geschichte Gottes mit den Menschen eine neue Wendung
Predigttext: Matthäus 4,12-17 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Als nun Jesus hörte, daß Johannes gefangengesetzt worden war, zog er sich nach Galiläa zurück. Und er verließ Nazareth, kam und wohnte in Kapernaum, das am See liegt im Gebiet von Sebulon und Naftali, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht : »Das Land Sebulon und das Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das heidnische Galiläa, das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.« Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!*********************
Die Redaktion Heidelberger Predigt-Forum weist empfehlend auf Wolfgang Vögeles Blog hin: http://wolfgangvoegele.wordpress.comLiebe Gemeinde!
Im richtigen Augenblick am richtigen Ort
Hören wir am Anfang einen Ausschnitt aus der Lebensgeschichte einer Studentin: Franziska, die junge Frau von zweiunddreißig Jahren, ist noch immer völlig aus dem Häuschen. Sie weiß gar nicht, was sie sagen soll. Sie hat versucht, Sara, ihre beste Freundin, anzurufen, aber bei Sara war die Mailbox eingeschaltet. Franziska muß das jetzt einfach einem anderen Menschen erzählen. Sara könnte sie am besten verstehen, denn sie weiß am besten über Franziskas Lebensgeschichte Bescheid. Franziska studiert Sprachen an einer Universität in einer malerischen Stadt in Süddeutschland. Sie hat ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht, mit Mühe einen Studienplatz ergattert. Und nach den ersten Wochen wollte sie mit dem Studium gleich wieder aufhören, weil sie sich nicht zurechtfand. Sara hatte sie in dieser Zeit getröstet. Franziska hatte sich dann doch für Seminare und Vorlesungen eingeschrieben, langsam Fuß gefaßt und sich dann auch getraut, in einem Seminar, was ihr sehr gut gefiel, ein Referat vorzubereiten. Heute nun hat sie das Referat gehalten. Sie war am Anfang aufgeregt, später aber legte sich die Aufregung, und sie sprach frei und sicher. Ihre Mitstudenten waren am Ende begeistert und klopften mit den Handknöcheln auf die Tische. Der Professor war ebenfalls angetan. Er bestellte sie in seine Sprechstunde und bot ihr an, bei ihm die Magisterarbeit über das Referatsthema zu schreiben. Wenn das alles über die Bühne gegangen sei, wolle er sich für sie um eine Assistentenstelle bemühen. Franziska kann ihr Glück kaum fassen: Nach dem schwierigen Anfang hätte sie beinahe resigniert. Und nun hat sie einen großen Schritt in die richtige Richtung getan. Eine große Chance hat sich für sie ergeben. Sie spürt, wie die Begeisterung darüber sie trägt. Sie wird sich ab sofort mit doppeltem Eifer in die Arbeit stürzen. Aber zuerst muß sie, die vor Begeisterung kaum sprechen kann, mit ihrer Freundin sprechen und ihr alles erzählen.
Gottesnähe und Gefährdung
Liebe Gemeinde, an der Geschichte ist im Grunde nichts Besonderes. Franziska hat die Anfangsschwierigkeiten ihres Studiums überwunden, und nun eröffnen sich für sie neue Möglichkeiten. Bei ihr, der jungen Studentin, hat alles gestimmt: die Zeit, der Ort, die Möglichkeiten, die sich ihr geboten haben. Sie hat diese Chance weder geplant noch bewußt herbeigeführt, sie hat einfach abgewartet und war im richtigen Augenblick am richtigen Ort. Es mag da viel Zufall am Werk gewesen sein. Am Anfang des Jahres bestimmen noch die guten Vorsätze, die wir verwirklichen wollen, unser Leben. Die meisten dieser Vorsätze schleifen sich nach ein paar Wochen an der Wirklichkeit des Alltags ab und lösen sich in reines Wunschdenken auf. Erfolg und Tugenden sind im Leben leider weder zu planen noch selbständig zu gestalten. Zum gescheiten Plan müssen vielmehr der richtige Ort und die richtige Zeit hinzu kommen. Das gilt im Kleinen wie im Großen, heute wie damals. Das gilt für die junge Studentin Franziska. Und das galt für Jesus aus Nazareth und Johannes den Täufer.
Schon die Umstände von Jesu Geburt waren wunderbar. Ein Wunder, daß er trotz fehlender medizinischer Versorgung überlebte. Ein Wunder, daß die Häscher des machtgierigen Herodes ihn verfehlten und ihn nicht umbringen konnten. Ein Wunder, daß er die Flucht nach Ägypten überlebte. Seine Eltern brachten ihn auf einem Esel dorthin. Der Anfang seines Lebens zeigte Beides: in besonderem Maß Gottes Nähe, aber genauso sehr auch die Gefährdung seines Lebens.
Wechsel der Zeiten
Jesus ist älter, erwachsen geworden. Es beginnt etwas Neues, ein neuer Lebensabschnitt. Auch dabei kommen Zeit und Ort, Lebensumstände und Gottesgeschichte, Abschluß von Altem und Neuanfang zusammen. Um den Zeitpunkt zu bestimmen, bleibt der Evangelist Matthäus im halb privaten Bereich. Es ist die Zeit, als Johannes der Täufer inhaftiert wird. Zwar sind viele Menschen in die Wüste oder an den Jordan gepilgert, und sich die Predigten des Täufers anzuhören oder sich sogar taufen zu lassen. Aber damals wurden so viele Menschen inhaftiert. Es ist die Frage, ob das viele Leute interessiert hat. Die meisten von Ihnen haben noch die Weihnachtsgeschichte des Lukas im Ohr. Lukas hatte für die Zeitbestimmung den Kaiser Augustus und den Gouverneur Cyrenius bemüht. Aber Matthäus interessiert sich an diesem Punkt des Lebens Jesu nicht für die Weltgeschichte. Wichtiger ist der Wechsel von Johannes zu Jesus. Was dieser Prophet aus Nazareth ab sofort tun und sagen wird, wird für alle Menschen seine besondere Bedeutung gewinnen. Das Neue fängt an, als Johannes der Täufer gefangengenommen wird. Die Gefangenschaft des Johannes wird schließlich mit seiner Hinrichtung enden. An die Stelle des Bußpredigers Johannes wird der Prediger Jesus von Nazareth treten. Seine Zeit fängt nun an. Ein Wechsel der Zeiten bedeutet auch einen Ortswechsel: Jesus von Nazareth wechselt seinen Wohnsitz. Von Nazareth, wo er bei seinen Eltern aufgewachsen ist, geht er nach Kapernaum am See Genezareth. Dort wohnten schon mehrere der Fischer, die er später zu Jüngern machen sollte. Verglichen mit Rom, Athen und Alexandria, den um das Mittelmeer herum gelegenen Metropolen der Antike, war das keine besonders spannende Gegend, eher verschlafene und verstaubte Provinz. Den neuigkeitsversessenen Römer hörten davon nur, wenn irgendwelche Aufständischen den römischen Besatzungstruppen das Leben schwer machten.
Neuanfang
Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth standen sich besonders nahe. Die Beziehung zwischen Johannes dem Täufer und Jesus von Nazareth gilt seit jeher als besonders eng. Matthäus berichtet von dem Bußprediger in der Wüste, ein zorniger Mann, der sich allen bürgerlichen und frommen Konventionen widersetzte. Jesus ließ sich von diesem Johannes im Fluß Jordan taufen. So aufrührerisch war die Botschaft des Johannes, daß er gefangengenommen wurde. Matthäus, dem Evangelisten liegt daran, daß Jesus dieselbe Botschaft weitergibt wie Johannes. Des Wüstenbotschaft des Johannes faßte Matthäus mit den Worten zusammen: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ (Mt 3,2) Und genau dieselben Worte machen nach Matthäus auch die Predigt Jesu aus (Mt 4,17): „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ Jesus übernimmt Botschaft und Aufgabe von Johannes, der wegen seiner Gefangenschaft nicht mehr predigen kann. Matthäus schweigt sich darüber aus, ob Jesus von seiner Aufgabe genauso begeistert war wie die Studentin Franziska. Er läßt uns auch darüber im Unklaren, ob er die Gefangenschaft des Johannes bedauert hat. Vielleicht hat er mit dem Gedanken gespielt, Johannes gewaltsam zu befreien. Vielleicht war ihm klar, daß er in diesem Fall nichts ausrichten könne. Wir wissen das alles nicht. Aber für den Erzähler Matthäus ist deutlich: Nun kommen eine neue Zeit, ein neuer Ort und neue Lebensumstände zusammen. Die Zeit der Vorbereitung und des Erwachsenwerdens ist vorbei. Jesus macht einen Neuanfang. Er macht den Neuanfang seines bisher kurzen Lebens. Verglichen damit wirken die Neuanfängen anderer Lebensgeschichten harmlos.
Gute Gründe zur Umkehr
Damit es unbedingt alle seine Leser verstehen, kann Matthäus einen Schriftbeweis anführen. Diesen hält er offensichtlich deshalb für besonders überzeugend, weil seinen judenchristlichen Lesern diese Art von Beweisen bekannt und vertraut waren. Aus den Gegenden Sebulon und Naftali wird ein großes Licht aufgehen. So hat es Jesaja gesagt. Und so wird es jetzt Wirklichkeit. So geht es in Erfüllung. In einem geht die Geschichte Jesu von Nazareth doch weit über die Studentin Franziska weit hinaus. Franziska fand eine neue akademische Perspektive, während Matthäus, der Evangelist, markiert, daß mit dem Anfang der Predigt Jesu die Geschichte Gottes mit den Menschen eine neue Wendung nimmt. Das Glück der Studentin Franziska bleibt erst einmal privat. Die neue Predigt Jesu hat nicht nur für ihn selbst Auswirkungen. „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ Diese Botschaft hat Jesus von Johannes dem Täufer übernommen. Angesichts des nahenden Himmelreiches verändern sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das trifft kurz nach dem Beginn eines neuen Jahres einen wichtigen Punkt. Wer sein Leben im Licht des nahenden Himmelreiches betrachtet, der sieht immer die Entfernung, die zwischen dem eigenen Leben und Gottes Reich besteht. Die Entfernung gibt gute Gründe zur Umkehr, zur Neuausrichtung. Jesus spricht wie Johannes ganz bewußt von einer doppelten Bewegung: Die Menschen kommen in Umkehr und Buße Gott entgegen. Aber zweitens, und das ist genauso wichtig, auch Gott kommt im Himmelreich den Menschen entgegen. An Weihnachten konnten wir lernen, daß Gott den Menschen in einem unscheinbaren Baby, dem kleinen Kind in der Krippe, entgegenkommt. In ihm stimmen Zeit und Ort, Anlaß und Lebensumstände so sehr überein, daß die Hirten und die Weisen, die Engel und die Tiere dieses Kind als Zeichen der Gegenwart Gottes wahrgenommen haben. Auch im neuen Jahr gilt: Wer in die Nähe des barmherzigen und vergebenden Gottes kommt, der kann sein Leben neu ausrichten. Es ist der Versuch, in aller unzureichenden Menschlichkeit dieser Gnade und Barmherzigkeit Gottes zu entsprechen.
Amen.
Schade, dass der Prediger den Gedanken mit dem Neuanfang am richtigen Ort zur richtigen Zeit nicht weiter ausgeführt hat. Dieser Gedanke könnte manche Gemeinde weiter bringen.
Ich finde diese Predigt gut, obwohl die Gedanken vom Anfang nicht weiter geführt werden. Danke für gute Gendanken.