Hauch des vorübergehenden Gottes
Wege in die Freiheit
Predigttext: 2.Mose 33,17b-23 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(17a Der HERR sprach zu Mose: Auch das, was du jetzt gesagt hast, will ich tun;) 17bdenn du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen. 18 Und Mose sprach: Laß mich deine Herrlichkeit sehen! 19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des HERRN: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. 20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. 21 Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. 22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. 23 Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.Exegetische Bemerkungen zum Predigttext
Nach dem Abfall, der Anbetung des Goldenen Kalbes (Ex 32), mußte Jahwaes Verhältnis zu Israel und Israels zu Jahwae neu justiert werden. Es konnte nicht einfach so weitergehen, als wäre nichts gewesen. Diese Neujustierung geschieht im ganzen Kapitel Ex 33, aus dem die Perikope Ex 33,17b-23 zum 1.So. n. Ep. genommen ist. Ohne Geleit Jahwaes kann Israel die Weiterwanderung nicht antreten. Jahwae läßt seine „Panim“ mitgehen. „Diese fast schon hypostasierende Verselbständigung des „Angesichtes“= Panim als einer besonderen Erscheinungsform Jahwaes vor Israel ist hier singulär“ (G.v.Rad, Theol. AT, I.). Zu dieser Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Gott und seinem Volk wünscht sich Mose sichtbare Zeichen. Aber das Wort, die Rede Jahwaes mit Mose, muß zur Vergewisserung reichen. Jahwae schützt Mose, der ihn sehen will, vor seinem Lichtglanz/ seiner Herrlichkeit (kabod V.18) bzw. seinem Angesicht (panim V.20), weil kein Mensch das Schauen Gottes überleben würde. Schlüsselworte im hebräischen Text sind: kabod = Gewicht(igkeit), Glanz, Herrlichkeit, panim = Angesicht/Vorderseite, ät-achorai = von hinten, Hinter-/Rückseite. V.17b: Mit dem Reden Jahwaes steht und fällt das Verhältnis zwischen Jahwae und Israel. Durch dieses Reden erkennt Israel nicht nur Jahwae, sondern wird auch selbst zur Erkenntnis seiner Lage vor Gott geführt. Die Geschichte wird zum Wort, und das Wort wird zur Geschichte (vgl. Joh 1,14). So geschieht auf unspekulative Weise die Gotteserkenntnis in Israel. Die Verkündigung des „Wortes“ bekommt hier ihr Schwergewicht. Jahwae spricht mit Mose. Mose hat Gnade in Gottes Augen gefunden und wird von Gott gekannt. Deshalb redet Gott – wieder – mit ihm und verspricht Mose, mit dem Volk weiter zu ziehen. V.18: Mose will Gottes kabod = Herrlichkeit sehen. Joh 1,14 liest sich wie eine Erfüllung dieses Wunsches: „Wir sahen seine Herrlichkeit“. In der Epiphaniaszeit legt sich diese Erinnerung nahe, obwohl auch wir „nur“ Erscheinungsformen Gottes „gesehen“ haben. V.19: Gott verspricht, in seiner ganzen Güte an Mose vorüberzuziehen und vor ihm seinen Namen kundzutun. Das war schon ein Teilerfolg für Mose. Jahwae redet wieder mit ihm! Mose war ein besonders begnadeter Mensch, aber auch er kann nicht Gottes Angesicht sehen, denn: V.20: …niemand kann Gottes Angesicht sehen, ohne das Leben zu verlieren. Jahwae schützt sein Volk selbst vor der zerstörenden Begegnung, und er trifft Vorkehrungen, daß sein Plan, Israel zu seiner Ruhe zu bringen, zum Ziel kommt. V.21: „Stelle dich auf den Felsen“, erhält Mose als Anweisung. Berge werden als Orte der Gottesbegegnung und Throne der Götter in vielen Kulten gesehen. V.22: Aber wenn Gottes Herrlichkeit vorüberzieht, will Gottes Hand Mose schützend bedecken. Gott sorgt dafür, daß sein Heilsplan zum Erfolg kommt. V.23: Mose darf, halb witzig vom Erzähler bemerkt, nicht das Angesicht, Panim, sondern das Hinterteil, ät-achorai, hinter ihm herschauen, wie es das Wesen aller Geschichtsschreibung und –deutung ist. Obwohl Gott mit Mose vertraut geredet hat, ist ihm die Schau der Herrlichkeit Gottes verwehrt, weil Mose das nicht überleben würde. Hier schimmert der „deus absconditus“ durch, der dunkle, nicht bis ins letzte durchschaubare, nicht deutbare, nicht anschauliche Gott. Das ist das Problem jeder Daseinsdeutung, ob nun Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Der Mensch schaut immer hinterher. Das muß nicht in jedem Fall ein Nachsehen sein. Manchmal ist es gut, Gott nicht ins Angesicht sehen zu können. Die jüngst verstorbene Dichterin Eva Strittmatter nennt eine „Ursubstanz“, der man zwar nahekommen kann, die aber nicht faßbar ist (ich zitiere das Gedicht am Schluss meiner Predigt). Lied: „Wir haben Gottes Spuren festgestellt“(EG Regionalteil)Es sind bewegende Zeiten für das alte Gottesvolk Israel, die uns da beschrieben werden. Man hatte den Auszug aus Ägypten mit Gottes Hilfe geschafft, der Mose zur Führungsgestalt gemacht hatte. Aber man war wieder in alte Verhaltensmuster zurückgefallen. Die Anbetung des Goldenen Kalbes machte den ganzen Zug in die Freiheit fraglich. Mose ist zornig und hat seine Mission und das Volk gründlich satt. Aber er nimmt doch wieder Kontakt mit Gott auf. Wie soll es weitergehen? Es geht nur mit einer Neujustierung nach dem Rückfall in die Anbetung des Mammons. Mose will am liebsten etwas Greifbar-Vorzeigbares für das Volk, das die Größe und Stärke Gottes unwiderlegbar beweist. Und Gott redet mit Mose. Sein Wort muß genügen. Mose darf Gott hinterherschauen.
Neujustierung
Wir kennen im Privaten als auch Gesellschaftlich-Gemeinschaftlichen Umbrüche, Krisenzeiten, Aufbrüche, Wendegeschehen. Mancher möchte nicht innehalten, sondern atemlos, Augen zu und durch, oder Schwamm drüber und weitermachen, nur in die andere Richtung. Dabei machen wir die Erfahrung: Das funktioniert nicht. Das verdrängte Übel kommt immer wieder hoch, meist zur unpassenden Zeit. Das Volk Israel hatte den Auszug aus der Sklaverei geschafft, aber war wieder in alte Verhaltensweisen zurückgefallen. Die Anbetung des Goldenen Kalbes steht für alle Anbetung des Mammons, der Potenzen in Wirtschaft und Persönlichkeit, Abwendung vom Gott des Wortes. Mose ist sauer auf sein Volk, die seine Abwesenheit gleich für ihre mammonistischen Bestrebungen nutzten. Nun ist er wieder zurück , und er weiß, es muß eine Neubesinnung, eine Neuausrichtung auf den Gott geben, der das Volk bisher geführt hat.
Gott redet – wieder – mit Mose. Wir sagen, wenn sich zwei zerstritten haben: Die reden nicht mehr miteinander, und wenn sie sich wieder vertragen haben, sagen wir: Nun reden sie wieder miteinander. So ist es auch zwischen Gott und Mose, obwohl Mose ja immer der Mittler zwischen Gott und dem Volk Israel ist, der eintritt für das Volk, stellvertretend und bittend um neue Gnade. Mose hat Gnade vor Gottes Augen gefunden. Gott redet mit ihm. Es ist für das Volk Israel ein ganz großes Geschenk, solch einen von Gott akzeptierten Mittler zu haben. Den richtigen Vermittler zu finden, kann schon eine Sache befördern, die erst feststeckte. Auf Vermittlern liegen oft die letzten Hoffnungen. In Tarifstreitigkeiten, bei Eheauseinandersetzungen, bei Friedensverhandlungen, bei Stuttgart 21, überall werden weise und geschickte Vermittler gesucht. Israel hatte in Mose eine solche vermittelnde Person. Aber natürlich hörte das Volk auch nicht immer auf ihn, das Volk, der große Lümmel, der greint, wenn er nicht bekommt, was er will (H. Heine).
Suche nach etwas Greifbarem
Mose sucht nach etwas Vorzeigbarem, Greifbarem, das er dem Volk präsentieren kann, damit sie doch endlich das tun, was Gott durch ihn verkündet. Das sind priesterliche Seiten an Mose. Im Grunde sucht er ein Sakrament, das er greifbar, anfaßbar immer wieder als die zugewandte Gnade den Menschen präsentieren kann. „Laß mich deine Herrlichkeit schauen.“ Das wäre doch später durch Mose darstellbar, ein Kult der Anschauung Gottes. Ein angeschauter Gott, eine Gottesanschauung, wie es eine Weltanschauung gibt. Da hat man doch etwas, ein Fundament, von dem aus sich manches bewegen läßt, Deutungshoheit über Mensch und Welt. Natürlich gibt es dann ein Drinnen, für die, die diese Anschauung teilen und mit denen man Freund ist, und die, welche diese Anschauung nicht teilen, mit denen man Feind ist. Dann sind doch die Welt und die Menschen eingeteilt in Gut und Böse, und man selbst gehört dann zu den Insidern, welche die Guten sind und die Deutungshoheit haben. Und den anderen – Gnade Gott. Dem widersetzt sich der Gott Moses. Es gibt von ihm keine Anschauung, er läßt sich nicht festsetzen, auch nicht im Sakrament. Denn sein Wort muß genügen.
Sein Wort muss genügen
Dabei hat Mose nicht das Nachsehen. Er muß nur begreifen, daß Gott in seinem Wort Geschichte macht. Dieser Hauch des vorübergehenden mit dem Wort Geschichte machenden Gottes müssen als Vergewisserung genügen. Immer wieder war dies Menschen zu wenig. Tradition, Sakrament, Bilder – danach ging immer wieder das Streben. Wir malen uns doch gern etwas aus, am liebsten die Zukunft, aber auch Vergangenheit und Gegenwart werden nicht verschont. So kommt es zur Fälschung von Geschichte, wenn sie nicht dem Bild entspricht, das man gern hätte. Nach diesem „Justierungsgespräch“ zwischen Jahwae und Mose gehts mit Israel weiter: Es gibt neue Gesetzestafeln, einen neuen Bundesschluß und neue Bundespflichten. Es war kein Zuckerschlecken, was dann kam, aber es war eine Wanderung in die Freiheit mit klaren Regeln und Pflichten und einem begnadeten Mann an der Spitze. Heute könnte ich mir auch eine Frau vorstellen, die in besonderer Gottesweisheit Menschen leiten kann. Die neulich verstorbene Dichterin Eva Strittmatter hat die Schwierigkeit, die Ursubstanz zu fassen, in nachvollziehbare Worte gebracht:
Ursubstanz
Die Worte sind wie Quecksilbertropfen.
Sie sind so flüchtig und rollen davon.
Sie sind kein Material zum Beklopfen.
Und sie sind auch kein geduldiger Ton.
Man glaubt sie zu fassen, für immer zu halten.
Und stößt sie in Wahrheit nur weiter fort.
Es gelingt einem manchmal, den Kern aufzuspalten.
Man gerät an die Ursubstanzen im Wort.
Man spürts an der eisigen Herzbeklemmung,
Die einem bei diesem Fange befällt.
Denn man greift mit frevelhafter Enthemmung
Nach der Ursubstanz von Leben und Welt.
Eine sehr schöne Predigt über einen zentralen Text des Alten Testaments. Pfarrerin Bürger interpretiert in Einführung und Predigt eindringlich und sehr aktuell den bewegenden Bibeltext, in dem Mose um die Gegenwart Gottes ringt: “Laß mich deine Herrlichkeit sehen”. In ihrer Einführung zum Predigttext erinnert die Autorin an die erfahungsbezogenen und bekenntnishaften Worte aus dem Johannesevangelium (1,14): “Wir sahen seine Herrlichkeit”. In der Predigt kommt die christologische Dimension nicht vor, eine offensichtlich bewusste homiletische Entscheidung der Predigerin. Die christliche Predigt atl. Texte ist eine bis heute umstrittene hermeneutische Frage. Darf bei der Rezeption eines altl. Textes aus der israelitisch-jüdischen Tradition in der christlichen Predigt ein “Weiterdenken” zu Jesus Christus hin und ein ausdrücklicher Hinweis auf ihn als der Mitte der ganzen Bibel fehlen?
Die christologische Dimension ist für mich gesetzt, wenn diese Predigt in einem christlichen Gottesdienst gehalten wird: vor einer Gemeinde von Christen, umrahmt von neutestamentlichen Texten, christlichen Liedern und Gebeten. Darum stellt sich für mich die Frage nicht ganz so dramatisch, ob ich diesen Text in der Predigt dann auch explizit mache.
Eine interessante Auslegung des Textes (nicht nur in Hinblick auf meine anstehende AT-Prüfung ;-)). Besonders gefällt mir die Verknüpfung zur Lyrik Eva Strittmatters. Literatur, sei es nun geistliche oder weltliche, uralte oder moderne, erscheint mir nicht nur als schönster, sondern auch wahrhaftigster Zugang zur Wirklichkeit.