„Ein Backofen voller Liebe“

Mit allen Widersprüchen und Rätseln hält Gott die Welt in seiner Hand

Predigttext: Jesaja 40,12-25
Kirche / Ort: Lübeck
Datum: 6.02.2011
Kirchenjahr: 5. Sonntag nach Epiphanias
Autor/in: Pastor em. Hans-Dieter Krüger

Predigttext: Jesaja 40,12-25 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

12 Wer mißt die Wasser mit der hohlen Hand, und wer bestimmt des Himmels Weite mit der Spanne und faßt den Staub der Erde mit dem Maß und wiegt die Berge mit einem Gewicht und die Hügel mit einer Waage?  13 Wer bestimmt den Geist des HERRN, und welcher Ratgeber unterweist ihn?  14 Wen fragt er um Rat, der ihm Einsicht gebe und lehre ihn den Weg des Rechts und lehre ihn Erkenntnis und weise ihm den Weg des Verstandes? 15 Siehe, die Völker sind geachtet wie ein Tropfen am Eimer und wie ein Sandkorn auf der Waage. Siehe, die Inseln sind wie ein Stäublein.  16 Der Libanon wäre zu wenig zum Feuer und seine Tiere zu wenig zum Brandopfer.  17 Alle Völker sind vor ihm wie nichts und gelten ihm als nichtig und eitel. 18 Mit wem wollt ihr denn Gott vergleichen? Oder was für ein Abbild wollt ihr von ihm machen?  19 Der Meister gießt ein Bild, und der Goldschmied vergoldet's und macht silberne Ketten daran.  20 Wer aber zu arm ist für eine solche Gabe, der wählt ein Holz, das nicht fault, und sucht einen klugen Meister dazu, ein Bild zu fertigen, das nicht wackelt. 21 Wißt ihr denn nicht? Hört ihr denn nicht? Ist's euch nicht von Anfang an verkündigt? Habt ihr's nicht gelernt von Anbeginn der Erde?  22 Er thront über dem Kreis der Erde, und die darauf wohnen, sind wie Heuschrecken; er spannt den Himmel aus wie einen Schleier und breitet ihn aus wie ein Zelt, in dem man wohnt;  23 er gibt die Fürsten preis, daß sie nichts sind, und die Richter auf Erden macht er zunichte:  24 Kaum sind sie gepflanzt, kaum sind sie gesät, kaum hat ihr Stamm eine Wurzel in der Erde, da läßt er einen Wind unter sie wehen, daß sie verdorren, und ein Wirbelsturm führt sie weg wie Spreu. 25 Mit wem wollt ihr mich also vergleichen, dem ich gleich sei? spricht der Heilige.

Vorbemerkungen zum Predigttext

Der 5. So. n. Ep. kommt selten vor, und darum wird auch über diese Perikope nicht oft gepredigt. Sie bietet mehrere Themen, an denen homiletisch angeknüpft werden kann: z.B. das Thema Schöpfung oder das Verhältnis Naturwissenschaft und Glaube. Ich versuche, das Anliegen des Textes herauszustellen, nämlich zu trösten, und es für die heutige Gemeinde fruchtbar zu machen sowie die dabei auftauchende Theodizeefrage seelsorglich zu beantworten. In manchen Predigten wird versucht, den Text aus sich heraus zu interpretieren, ohne ihn im Horizont des NT zu hören. Diesen Weg gehe ich nicht. Auf die Verse 18-20 (Kritik des Propheten an den „handgemachten“ Göttern der Babylonier) gehe ich nicht ein, um die Predigt nicht zu überfrachten. Den geschichtlichen Hintergrund des Textes deute ich nur an, soweit es homiletisch nötig ist.

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Liebe Gemeinde!

Trost in Anfechtung

Das sind wunderbare Worte, die wir aus dem 40. Kapitel des Jesajabuches gehört haben. Sie wurden einige hundert Jahre vor Christus verfasst. Kraftvoll preisen sie Gottes unvergleichliche Größe, seine unbegrenzte Macht, seinen unbezwingbaren Willen, rühmen ihn als Schöpfer der Welt und als Herrn über die Geschichte. Neben ihm sind die Völker nicht mehr als Wassertropfen an einem Eimer. Wenn er auf den Plan tritt, müssen die Mächtigen auf Erden damit rechnen, dass sie wie Spreu weggefegt werden. So ist unser Gott. Welch ein Trost für Menschen, die in ihrem Glauben angefochten sind.

Die ersten, die diese Botschaft hörten, waren Juden im babylonischen Exil. Ihre Hauptstadt Jerusalem war zerstört. Der herrliche Tempel dem Erdboden gleichgemacht. Die Heimat verloren. Ihr Staatswesen aufgelöst. Sie selbst nach Babylon verschleppt. Äußerlich ging es ihnen gar nicht so schlecht. Sie durften als Volksgruppe zusammenbleiben, Familien gründen, das Land bebauen, Handel treiben und als Gemeinde zusammenkommen. Aber das konnte nicht über den Schmerz hinwegtrösten, dass sie die Verlierer waren, von den Feinden gedemütigt, in ihrer Ehre gekränkt. Aber vor allem waren die Fundamente ihres Glaubens erschüttert. Wie konnte Gott sein Volk nur so im Stich lassen? Wie konnte er zulassen, dass ihr Land in die Hand der Ungläubigen fiel? Wie konnte er mit ansehen, wie sie ihre Heiligtümer zerstörten, Blutbäder unter der Bevölkerung anrichteten und sie zu Gefangen machten und deportierten? Wo blieb seine Macht, wo seine Bewahrung, wo seine Fürsorge? Diese Fragen kennen wir doch! Wie viele, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, haben sie gestellt! Wie viele, die in Lagern und Gefängnissen eingesperrt waren,  wurden durch sie gequält? Wie oft stellen wir sie angesichts von Naturkatastrophen, Kriegsgeschehen, Krankheitsnöten oder Familientragödien? Wie gut, dass Jesus dieser Frage nicht ausgewichen ist. Im Gegenteil. Er hat sie selbst ausgesprochen als er am Kreuz rief: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Damit ist ja auch deutlich geworden, dass diese Frage berechtigt ist. Aber er wollte diese Welt nicht verlassen, ohne seinem himmlischen Vater das Vertrauen auszusprechen: „In deine Hände befehle ich meinen Geist“.

Was kann ich tun, wenn ich ganz unten bin, wenn alles zerbricht, wenn alle menschliche Hoffnung dahin ist? Ich wünsche mir, dass ich dann sagen kann: Herr, ich lege mein Schicksal ganz in deine Hände. Ich will dir auch in dieser schweren Situation vertrauen. Ich weiß, dass du es gut mit mir meinst und mein Leben zu einem guten Ende bringen wirst, auch wenn der äußere Anschein dagegen spricht. Ich möchte beten wie David in Psalm 73: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil“.

Ins rechte Licht gerückt

Für die Exilgemeinde in Babylon gab es noch eine Anfechtung anderer Art: Sie bestand darin, dass sie mit ansehen mussten, wie die siegreichen Feinde ihren Glauben feierten. Die Babylonier waren sehr religiös. Sie huldigten ihren Göttern, bauten ihnen zu Ehren prächtige Paläste, eindrucksvolle Tempelanlagen und hohe Türme. Die Besiegten übergossen sie mit Spott, Hohn und Verachtung. Unüberhörbar waren ihre Triumphgesänge: „Seht her, das sind unsere Götter. In ihrem Namen haben wir Kriege geführt, Schlachten gewonnen, euren Tempel niedergerissen, eure Städte verbrannt und euch zu Gefangenen gemacht. Im Namen unserer Götter haben wir gesiegt. Wo ist Euer Gott geblieben? Er ist ein Nichts“.  Wie sehr muss das die gläubige Gemeinde geschmerzt haben! Es war eine schlimme Demütigung. Eine schreckliche, eine vernichtende Botschaft: Der Gott Israels hat abgewirtschaftet, er ist erledigt. Die Zeit ist über ihn hinweggegangen.Auch in unserer Zeit begegnen uns immer wieder ähnliche Botschaften des Unglaubens. Auch uns tut es weh, wenn Gott verspottet und verlacht wird, wenn man ihm die Ehre nimmt und ihm alles Elend der Welt anlastet. Auch uns lässt es ja nicht gleichgültig, wenn der Atheismus sich neuerdings wieder aggressiv zu Wort meldet und für seine Sicht der Dinge Reklame macht und uns an die klagende Liedstrophe erinnert: „Unglaub und Torheit brüsten sich frecher jetzt als je“ (EG 135,3).Wie wohltuend sind dann die Worte aus unserem Predigttext, mit denen göttliche Tatsachen wieder ins rechte Licht gerückt werden. Es ist eine Botschaft, die nicht nur die damals in der Fremde lebende Gemeinde brauchte. Wir brauchen sie auch. Unsere Seele hungert nach dieser geistlichen Nahrung. Unsere Herzen verlangen nach diesem göttlichen Zuspruch. Unser Gemüt, das so oft verzagt ist, freut sich über diesen Trost.

„Wer misst die Wasser mit der hohlen Hand?“ Ein herrliches Bild für die Größe Gottes. Gorch Fock soll einmal sinngemäß gesagt haben: Das Meer ist nur eine Lache in Gottes Hand. Daraus hat er die Schlussfolgerung gezogen: Wenn er in den Fluten des Ozeans ertrinken sollte, dann würde er dennoch in Gottes Hand bleiben. „Wer bestimmt des Himmels Weite mit der Spanne?“ Wir stehen staunend vor der Weite des Weltalls mit Millionen von Sternen und unendlichen vielen Milchstraßensystemen. Planeten werden genial in ihrer Umlaufbahn gehalten. Unvorstellbar, dass der Weltraum räumlich begrenzt sein könnte, denn hinter jeder gedachten oder berechneten Grenze gibt es neue Räume, unendliche Weiten, die unsere Vorstellungsmöglichkeiten übersteigen. So groß ist unser Gott. „Mein Auge sieht, wohin es blickt, die Wunder deiner Werke…“, sang Christian Fürchtegott Gellert (EG 506,3). Weiter fragt der Prophet: „Wer bestimmt den Geist des HERRN, und welcher Ratgeber unterweist ihn? Wen fragt er um Rat, der ihm Einsicht gebe und lehre ihn den Weg des Rechts und lehre ihn Erkenntnis und weise ihm den Weg des Verstandes?“ Es ist eine rhetorische Frage. Unser Gott denkt und handelt absolut souverän. Wir Menschen wünschen uns, dass es manchmal anders wäre. Wir haben gute Ratschläge für ihn. Aber Gott spricht (Jes 55,8-9): „…meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, …sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken“; wie trostvoll der Hinweis (Jer 29,11): „Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leidens“.

In Gottes Hand

Gottes Handeln können wir nicht begreifen. Das betrifft die Geschehnisse in der Natur, über deren Wunder und Schönheit wir uns freuen. Es betrifft aber auch ihre Grausamkeit, vor der wir erschrecken. Ihre Abläufe und Gesetzmäßigkeiten können wir nur schwer deuten. Dass wir leben dürfen und Freude am Leben haben, macht uns dankbar. Aber dass wir auch krank werden können, vielleicht leiden und eines Tages sterben müssen, ist eine Anfechtung. Die Bahnen der Planeten sind so wunderbar aufeinander abgestimmt, dass man darüber nur staunen kann. Das ruft jeden vernünftigen Menschen zum Glauben an einen Schöpfer, der sich das so genial ausgedacht und umgesetzt hat. Aber gleichzeitig fürchten wir uns davor, dass irgendwann einmal ein Planet aus der Bahn gerät, unseren Erdball trifft und alles Leben zerstört. Aber Gott ist Herr der Geschichte, verkündigt das Prophetenwort. Aber heißt das auch, dass er die Kriege will oder sie nur zulässt? Trifft es zu, dass Gott, wie man früher sagte, die Schlachten lenkt? Ist Gott verantwortlich für Krankheiten, die uns plagen, für Katastrophen, die den Menschen so viel Leid zufügen? In all diesen Fragen sind wir ratlos. Aber Gott lässt uns in seinem Sohn, Jesus Christus, in sein innerstes Wesen Einblick nehmen. Martin Luther hat einmal gesagt: Durch ihn schauen wir in Gottes Herz, und das ist ein Backofen voller Liebe. Nur durch ihn finden wir die Gewissheit, dass unser Leben mit seinen Widersprüchen zu seiner letzten und tiefsten Bestimmung findet: Nach Hause zu kommen zu dem, der die Welt und unser kleines Leben in seinen Händen hält.

Amen.

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2 Kommentare on “„Ein Backofen voller Liebe“

  1. Sabine Becker

    Ein sehr schöner Rettungsanker ist diese Predigt für all diejenigen, die Gott vorübergehend infrage stellen. Herzlichen Dank!

  2. Manfred Günther

    Eine sehr tröstliche Predigt, die die Herzen erreicht. Ich stehe zwar selbst in der Predigtarbeit, habe aber an dieser Predigt wieder einmal gespürt: “Das Wort, dass dir hilft, kannst du dir nicht selbst sagen!”
    Herzlichen Dank Pastor Krüger!

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