Vertrauen wagen
Ein Weckruf in unsere Leistungsgesellschaft hinein
Predigttext: Markus 4,26-29 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
26 Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft 27 und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht, wie. 28 Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. 29 Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.Vorbemerkung zum Predigttext
Das Gleichnis ist ein Weckruf in unsere Leistungsgesellschaft hinein: Gelassenheit gegen Überforderung. Vertrauen gegen Plan- und Organisierbarkeit. Unverfügbarkeit gegen die Machbarkeit aller Dinge. Akzeptieren meiner Grenzen gegen Unentbehrlichsein. Loslassen gegen Erdrücktwerden. Liebe gegen Leistung. Die Wirklichkeit Gottes ist manchmal konträr zu meiner eigenen. Der Blick Jesu auf diese Wirklichkeit macht mich frei aus den selbstauferlegten Zwängen und Gewohnheiten. Wo ich Vertrauen wage, erfahre ich: Wer sät, der wird auch ernten. Das gestattet mir eine Selbstvergessenheit, die sich dem Rhythmus des Lebens anvertrauen darf. Wohl wissend, in der Liebe Gottes geborgen zu sein.Gelassenheit
Wenn wir in diesen Tagen in Rheinhessen spazieren gehen oder mit dem Auto an den Feldern vorbeifahren – vorausgesetzt es liegt kein Schnee -, dann sehen wir, wie mancher Ackerboden mit Grün bedeckt ist. Vor Zeiten schon hat der Bauer die Saat in den Boden gelegt. In den Tagen vor dem Winter hat er dem Boden den Samen anvertraut. Nun wartet er geduldig, ohne die Felder Tag für Tag in Augenschein zu nehmen, bis im Frühling sich das begonnene Wachstum fortsetzt. Aus dem jetzt schon sichtbaren zarten Grün werden die starken Halme emporschießen. Eine Ähre mit den Fruchtkörnern wird sich ausbilden. Irgendwann im Sommer wird es soweit sein: Die Ernte ist da, der Ernteertrag kann eingebracht werden. Das geduldige Warten vom Säen her hat sich mit der Ernte bezahlt gemacht, eine Bestätigung für den Bauern. Der Landwirt hat den Samen dem Land überlassen und sich selbst dem alltäglichen Rhythmus des Lebens zugewandt. In Schlafen und Aufstehen, in Tag und Nacht, in Arbeiten und Ruhen, in Zweifeln und Zuversichtlichsein. Er hat sich in der Zwischenzeit nicht der Sorge preisgegeben, hat sich zwischen Säen und Ernten nicht um seinen Schlaf bringen lassen. Er hat seine Tage mit dem verbracht, was zu tun nötig war und was tun konnte. Er bleibt gelassen, denn er weiß: Das Aufgehen und Wachsen der Saat ist dem Boden anvertraut. Es fällt nicht in seine Machbarkeit.
Jesus hat den Menschen seiner Zeit mit diesem wundersamen Vorgang der Natur vor Augen geführt: So verhält es sich mit der Wirklichkeit Gottes. Immer wieder hat Jesus an Hand alltäglicher Vorgänge, mit denen seine Hörerinnen und Hörer vertraut waren, gezeigt, veranschaulicht, versinnbildlicht, wie die Wirklichkeit Gottes für uns Wirklichkeit wird. Jesus hat in seinen Reden und Gesprächen oft bei den beruflichen Gegebenheiten angeknüpft. Darin fand er seine Bilder für die Wirklichkeit Gottes. In Gleichnissen hat er ausgedrückt, was nicht anders zu umschreiben war. In Bildern, dem Leben entnommen, hat er seine Botschaft verdeutlicht. Mit Selbstverständlichkeiten hat Jesus das Unverständliche veranschaulicht. Das Selbstverständliche besteht in dem geduldigen Warten dessen, der den Samen ausgesät hat. Er weiß, dass er das Seine getan hat und die Erde nun das Ihre tun muss. Das Unverständliche, das in dem Selbstverständlichen versinnbildlicht ist, ist die Frage: Wie kommt die Wirklichkeit Gottes zu uns? Die schlichte Antwort heißt: Im geduldigen Warten des Bauern nach dem Säen auf die Zeit der Ernte. Ohne einzugreifen, ohne herbeizuzwingen, ohne ungeduldig zu werden. In der schlichten Gewissheit, dass wer sät, auch ernten wird. Darin hat die Gelassenheit des Bauern ihren Grund: Wer sät, wird auch ernten. Das Letzte folgt unabdingbar aus dem Ersten. Die Saat wächst von selbst, dem Boden anvertraut, durch die ihr innewohnende Kraft.
Zuversicht
„Moment mal!“, ruft es da. Sieht so unsere Wirklichkeit aus? Ist das Gleichnis „Säen gleich Ernten“ nicht zu einfach gedacht? Was ist mit den Gegenkräften, die sich der Saat in den Weg stellen: Die Trockenheit, das Unkraut, der Vogelfraß? Wo spricht Jesus von den Widerständen, die die Wirklichkeit Gottes in Frage stellen? Es gibt sie wahrlich auf tausendfache Weise. Genau gegen sie ist seine Rede ja gemünzt. Gegen die Bedenkenträger, die Zweifler, die Ängstlichen, die Zögerlichen, die Zauderer. Jesus hat sie im Ohr, die Einwände, die Ausreden, die Widerstände, die Ungenügsamkeiten. Da ist unsere Ungeduld, die uns zwingend im Nacken sitzt. Sie hetzt uns andauernd. Sie treibt uns an. Wann ist die Zeit reif, wann ist Erntezeit? Wo aber bleibt der Raum, der uns atmen lässt. Die Pause zum Nachdenken. Die Ruhe zur Erholung. Die Ungeduld verdirbt das Leben. Immer ist sie in Gedanken einen Schritt weiter. Sie will Morgen, wo das Heute ist und lässt das Heute schneller zum Gestern werden. Sie peitscht uns unbarmherzig durch die Zeit und lässt uns rascher alt aussehen. Lernen wir wieder Zeit zu haben.
Da ist unsere Sorge, die uns schlaflose Nächte bereiten. Sie hat immer Einwände und Bedenken. Wird der Samen auch Frucht bringen, wird es eine gute Ernte werden? Wo aber bleibt die Gelassenheit, die dem Wachsen seine Chance gibt. Die Sorge hält unsere Gedanken gefangen. Sie nimmt uns die Freude am Leben. Sie verstellt uns den gelassenen Blick nach vorne. Die Sorge ist sehr anhänglich und raumfordernd. Sie kann uns nicht loslassen, darum müssen wir sie loslassen. Da ist unser Machbarkeitswahn, der uns einredet, dass wir alles selbst machen müssen. Hat der Boden überhaupt die Kraft, den Samen wachsen zu lassen? Wer soll die Arbeit tun, wenn ich das nicht in die Hand nehme. Nur wenn ich es selbst in die Hand nehme, ist es auch anständig gemacht. Als ob wir nicht schon genug zu tun hätten. Wie gut tut uns, manchmal nein sagen. Vor allem unserem Wohlbefinden. Weniger ist oft mehr. Nehmen wir den Druck von unserer Seele, überfordern wir uns nicht selbst, genießen wir ein wenig Leichtigkeit. Ach wie schön ist dieses Gleichnis, das Jesus hier erzählt. Schön, weil es eine so große Zuversicht ausstrahlt. Weil es unseren Blick einzig auf die Wirklichkeit Gottes lenkt. Weil in dieser Wirklichkeit Gottes die ganze Liebe zum Leben aufleuchtet: Wer sät, der wird auch ernten.
Vertrauen
Ein Mann aus Sung war sehr betrübt, dass sein Korn nicht recht wachsen wollte. Er versuchte daher, die Halme selbst in die richtige Höhe zu ziehen. Nach dieser Arbeit kam er ganz benommen heim und sagte zu seinen Leuten: Ich bin sehr müde, ich habe meinem Korn geholfen zu wachsen. Daraufhin lief sein Sohn hinaus, um sich dies anzusehen, fand aber alle Halme verwelkt.
Amy Chua, eine chinesischstämmige Mutter, hat in den USA und darüber hinaus eine heftige Debatte über die richtigen Erziehungsmethoden für Kinder ausgelöst. In ihrem Buch „Die Mutter des Erfolgs – Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte“ legt die als Tigermutter bezeichnete Autorin ihre strengen Methoden dar: Fernsehen, Videospielen, Basteln sind tabu. Sie lässt nie zu, dass sich ihre Töchter zum Spielen verabreden oder bei Freundinnen übernachten. Auch drohte sie schon mal alle Stofftiere zu verbrennen, wenn ein Musikstück nicht perfekt vorgespielt wurde. In der Tat liegt der Erfolgsdruck heute schon auf den Kleinen im Kindergarten. Eltern fordern viel von ihren Sprösslingen. Nicht wenige sind überfordert. Frühe Einschulung, verkürzte Schulzeit, erhöhte Leistungsanforderungen. Weniger Zeit zum Spielen und Selbstorganisieren, kaum mehr Freiräume, Verkümmerung von Fantasie und Kreativität. Was ist das Richtige für unsere Kinder? Drillen oder chillen?! Fordern oder verstehen? Die Halme selbst in die richtige Höhe ziehen (wie der Bauer aus Sung) oder einfach wachsen lassen (wie der Bauer in unserem Gleichnis) – im Vertrauen darauf, dass wer sät, auch ernten wird?
In der Einleitung zu ihrem Buch „Kirche im Reformstress“ schreibt die Autorin Isolde Karle: „Die Evangelische Kirche steht unter Druck. Die demografische Entwicklung, zurückgehende Mitgliederzahlen und Einbrüche bei den Kirchensteuereinnahmen zwingen die kirchlichen Organisationen seit Mitte der neunziger Jahre, sich mehr und mehr an monetären Gesichtspunkten zu orientieren. Die Kirche sieht sich genötigt abzuwägen und zu entscheiden, welche Bereiche kirchlichen Handelns weiter finanziert und als zukunftsfähig angesehen und welche vernachlässigt oder ganz von der kirchlichen Agenda gestrichen werden sollen.“ So ist ein gewisser Aktionismus ausgebrochen. Im falschen Glauben an die Machbarkeit. Strukturreformen haben stattgefunden. Die Frage der Finanzen haben sich in den Vordergrund gedrängt. Der Gottesdienstbesuch soll gesteigert werden. Neue Angebote gibt es. Um Mitglieder soll vermehrt geworben werden. Pfarrern und Pfarrerinnen wird immer mehr abverlangt. Ist das alles machbar oder bleibt es letztlich unverfügbar? Die Halme selbst in die richtige Höhe ziehen (wie der Bauer aus Sung) oder einfach wachsen lassen (wie der Bauer in unserem Gleichnis) – im Vertrauen darauf, dass wer sät, auch ernten wird?
Nein, es ist nicht alles plan- und kontrollierbar. Nicht um alles muss ich mich kümmern. Ich kann meine Begrenzung akzeptieren. Es entzieht sich so manches unserer Machbarkeit. Doch im Boden der Unverfügbarkeit reift der Samen unwiderstehlich gegen unsere Ungeduld, auch ganz ohne unser Sorgen. Das zu wissen, macht mich gelassen. Ich kann loslassen und mich dem Rhythmus des Lebens anvertrauen. Manches wird auch da ein gutes Ende nehmen, wo ich es nicht erwartet hätte. Wer sät, der wird auch ernten. Ich kann es getrost dem überlassen, dessen Liebe auch mich trägt und birgt. Gottes Wirklichkeit lässt mich immer wieder staunen.