Wohltuende Stimme
Ein hoher christlicher Anspruch alleine genügt nicht, es müssen Taten folgen – ja, aber immer nur aktiv sein zu wollen für andere, überfordert
Predigttext: Lukas 10,38-42 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
38 Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. 39 Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. 40 Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, daß mich meine Schwester läßt allein dienen? Sage ihr doch, daß sie mir helfen soll! 41 Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. 42 Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.Zum Gottesdienst
Sonntag Estomihi in den Schul-Ferien wird eine Gemeinde versammeln, die „Schwarzbrot“ braucht für den Weg, der mit dem Wochenspruch beschrieben wird, und die Aufforderung zur Selbstverleugnung nach Mk 8,31-38 genauso einbezieht wie „das Sitzen zu Jesu Füßen“ nach Lk 10,38-42 im Haus von Maria und Martha. Deshalb empfehle ich den Wochenspruch als Begrüßung: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben steht durch die Propheten von dem Menschensohn (Lk 18,31). Psalm: 31 (mit dem Vers, der dem Sonntag seinen Namen gegeben hat). Gebet: Barmherziger Gott, wir kommen zu dir an diesem Sonntag, um einzustimmen in das Lob deiner Schöpfung. Wir kommen mit unserem Dank und mit unseren Ungereimtheiten. Wir bringen, was uns erfreut hat in der vergangenen Woche und was wir erlitten haben. Lass uns gemeinsam hören und den Weg mitgehen, den Jesus uns gebahnt hat bis zum neuen Leben. Frei und offen hat Jesus unterwegs über sein Leiden gesprochen, er konnte die Wahrheit sagen, weil er die Wahrheit lebte. Da wir uns hier versammelt haben in seinem Namen, bitten wir dich auch für uns: Sprich uns frei, mache uns wahrhaftig, öffne unsere Ohren, stärke unsere Seele. Lesung: Markus 8,31-38 Wochenlied: „Lasset uns mit Jesus ziehen“ (EG 384)Einkehr
Selbstverleugnung als Lebensziel – wer das heute predigt, dem fällt nicht nur Petrus ins Wort. Es ist sympathisch und menschlich, dass Petrus seinem Herrn nach dessen Leidensankündigung widersprechen will. Diese Woche ist Aschermittwoch, wir stehen also heute am Anfang der Passionszeit. Wir erinnern uns der Leidenszeit Jesu, und im Evangelium des Sonntags Estomihi steht die heimlich gestellte menschliche Frage des Felsenmannes Petrus: Kann man das Leiden nicht verhindern? Jesu Antwort ist eindeutig: Der Menschensohn muss leiden. Damit meint er nicht nur sich selbst, sondern auch uns. So gehen wir wie jedes Jahr den Weg nach Jerusalem mit. Vieles bleibt uns geheimnisvoll und unverständlich, aber indem wir uns mit dem widerständigen und geraden Weg Jesu auseinandersetzen, versuchen wir, göttliche und menschliche Wege besser zu verstehen. Wir lassen Jesus weiterziehen oder wir nehmen ihn mit seinem Wort und mit seinem Geist bei uns auf. Manche Frage stellt sich neu, wenn wir sie frei und offen und wahrhaftig mit Jesus bedenken. Manche Aufgabe wird mit Jesus zugleich gewichtiger und leichter. Prioritäten werden klarer, Beziehungen verändern sich, manche Sorge erübrigt sich. Der heutige Predigttext nimmt uns mit in eine Szene der Gastfreundschaft. Jesus kehrt auf dem Weg nach Jerusalem bei Freunden ein, es ist diesmal nicht das Haus des Zöllners Zachäus, es ist das Haus zweier Schwestern.
(Lesung des Predigttextes)
Die Hände in den Schoß legen?
Warum widerspricht Jesus der Martha? Hat sie nicht ganz Recht, die Mithilfe ihrer Schwester Maria einzufordern? Sollte er sie nicht ermutigen, sich Hilfe zu holen? Kann sich Marta nicht auf das Gebot der tätigen Nächstenliebe berufen, das Jesus doch selbst gelehrt hat? Die Nächstenliebe ist doch der Teil des Gebotes, der bei allen Schwierigkeiten, die wir bei der Ausführung haben, doch allgemeiner befürwortet wird, auch über die Grenzen der christlichen Kirchen hinaus. Ja, man kann wohl sagen, dass die tätige Nächstenliebe und die christliche Diakonie im Allgemeinen als das wichtigste Erkennungszeichen der Kirche angesehen wird. Ohne sie hätten Christen in der Gesellschaft einen schweren Stand, aber mit ihr wird Kirche auch für andere Zeitgenossen notwendig. Die Diakonie rechtfertigt sozusagen das Fortbestehen der Kirche. Aber Jesus sagt: Etwas anderes tut Not! Es kann doch nicht der Wille Gottes und damit der Wille Jesu sein, dass wir wie Maria die Hände in den Schoß legen, wo Hilfe nötig wäre? Müssen wir nicht genau wie Martha fragen, warum nicht alle mithelfen, nicht nur bei der Krankenpflege und ähnlichen alten diakonischen Aufgaben der Gemeinde, sondern auch bei den neuen Problemen und Aufgaben unserer Gesellschaft?
Es fällt uns nicht schwer, den Vorwurf der Marta nachzuvollziehen, es ist ja der Vorwurf, den wir nicht nur selbst vorbringen, sondern auch ständig zu hören bekommen, nicht nur als Christen: Da sind vereinsamte Menschen um dich herum, warum tust du nichts dagegen? Da gibt es Aktionen für die Armen, warum hilfst du nicht mit, wenigstens mit deinem Geld? Warum engagierst du dich nicht mehr für die Eingliederung Zugezogener, warum kümmerst du dich nicht mehr um deine Verwandten, Enkel, Nachbarn, wenn schon nicht um Asylanten und Ausländer, warum tust du nichts gegen dies und das? Solche Anfragen sind meistens nur allzu berechtigt, wie wir wissen. Eins aber ist Not, antwortet Jesus der Maria, Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden, so endet diese Geschichte auf dem Weg nach Jerusalem. Da sitzt die Maria, tut nichts und sagt nichts, ruht sich sozusagen auf ihrer guten Gesinnung aus und lässt andere arbeiten, das ist schon ärgerlich! Und Jesus nimmt sie auch noch in Schutz!
Hören und verändern
Doch schauen wir uns den Zusammenhang dieser ärgerlichen Geschichte an. Der Evangelist Lukas hat das nämlich sehr geschickt arrangiert: Er erzählt ja auch das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, und zwar hat er diese eindeutige Auslegung des Liebesgebotes unmittelbar vor die Einkehr Jesu im Hause der Maria und Marta gestellt. Das Gebot der Nächstenliebe kenne ich, hatte da einer zu Jesus gesagt, aber, so fragt er weiter und will sich damit selbst rechtfertigen, wer ist denn mein Nächster? Dann erzählt Jesus von dem Menschen, der unter die Räuber gefallen ist, und vom barmherzigen Samariter und fragt wie ein geschickter Lehrer so zurück, dass die Antwort ganz einfach wird: Du musst mit den Augen eines Hilfsbedürftigen schauen, dann wird die Sache ganz klar: Wer ist sein Nächster? Natürlich der Barmherzige! Geh hin und tue desgleichen! – So ist das bei geschickten Lehrern. Wer gut zuhört, dem wird das Schwierigste einfach. Ändere die Sichtweise, sagt der kluge Lehrer, und deine Frage wird theoretisch! Das also steht vorher geschrieben. Jetzt schauen wir uns auch an, was nach unserem Predigttext steht, nach Jesu Einkehr bei Maria und Marta. Auch da macht Jesus seinen Jüngern etwas theoretisch sehr Kompliziertes ganz einfach: Die schwierige Sache des Redens mit einem Gott, den man nicht sehen und nicht beweisen und nicht begreifen kann, greift er einfach auf, indem er uns das Unser Vater lehrt. Mittendrin in diesen beiden pädagogischen Stücken vom Dienen und vom Beten, von unserer Beziehung zu Menschen und unserer Beziehung zu Gott, hören wir von den beiden ungleichen Schwestern.
Marta ist mehr eine Aktive, sozusagen eine Krankenschwestertype, die tüchtige Gastgeberin, die andere eine Kontemplative, aber auch wissbegierige, die sich selbstverständlich als Jüngerin und Schülerin platziert und damit alle antiken Rollenerwartungen sprengt. Die eine schweigt, die andere redet, die eine will Worte empfangen, die andere Brot geben. Die eine hört, die andere will verändern. Das ist ein ziemlicher Gegensatz zwischen Marta und Maria, da geht es nicht nur um die Verteilung der Hausarbeit, da geht es um das Zentrum des Christentums! Aber Maria und Marta wohnen unter einem Dach, sie gehören zusammen, die Empfangende und die Gebende. Oft genug sind es nicht einmal zwei getrennte Personen, sondern wir tragen diesen schwesterlichen Gegensatz mit uns selbst aus: Wir beklagen uns wie die Marta bei uns selbst, dass wir nicht mehr schaffen und angreifen, dass wir unglaubwürdig sein könnten, dass wir überfordert sind, Hilfe brauchen, keine Kraft mehr haben. Wir streiten uns auch unter dem Dach unserer gemeinsamen Kirche wie Maria und Marta. Wir versuchen uns gegenseitig zu aktivieren. Nur stille halten und Recht haben reicht nicht, es müssen auch Taten folgen. Immer wird die Stimme der Marta durchdringen, sie hat ja so Recht, der hohe christliche Anspruch alleine genügt nicht, es müssen Taten folgen, wir brauchen mehr Diakonie, wir brauchen mehr Liebe, alle müssen mithelfen, und wir tun nicht genug!
Kraft schöpfen
Aber wo wir Jesus einlassen, da sitzt er als Mittler zwischen uns, wie zwischen streitenden Schwestern, die doch zusammengehören. Er gibt uns eine neue Hausordnung, und er sagt zu den Martas und Marias unter uns:
Du kennst mein Gebot, und du sollst es auch tun. Doch ich bin nicht zu dir gekommen, um dir noch mehr Mühe zu machen. Ich weiß, du hast viel Sorge und Mühe und bist sehr gefordert. Aber das soll dich nicht von mir wegreißen. Ich will, dass du bei mir einen Stammplatz hast, den du immer wieder aufsuchst, um neue Kraft zu bekommen. Ich will die Stimme sein, die trotz all der anderen Stimmen durchdringt bis zu dir, frei und offen und wahrhaftig, ich will, dass du bei mir das Beten lernst und das Vertrauen zu einem Gott, den du als deinen liebenden Vater um alles bitten darfst. Ich will dir damit etwas geben, was dir niemand und nichts auf der Welt nehmen kann: dass du zu mir gehörst und dass du durch mich mit deinem Schöpfer und deinem Lehrer vertrauensvoll reden kannst. Ich begleite dich sogar dahin, wohin kein Mensch dich begleiten kann, wo kein Mensch es aushält, in dein Sterben, in deine Enttäuschungen, in deine Angst, in deine Einsamkeit. Und wenn du bei mir still wirst, dann hörst du auch die Stimme deines Nächsten wieder genau so wie ich sie höre.
Kleiner Katechismus
Liebe Gemeinde, wir haben nun auf dem Weg nach Jerusalem eine Weile neben Maria gesessen und die Szene mit Jesus in unserem Herzen bewegt, im Rücken das Gebot der Nächstenliebe, vor uns die Chance des Betens, und da haben wir durch die Worte des Evangelisten Lukas den heilsamen Zusammenhang für das Liebesgebot gehört. Wir haben so etwas wie den kleinen Katechismus des Lukas vernommen für den Weg nach Jerusalem: Der lukanische Katechismus besteht aus drei Stücken, die das Gebot der Nächstenliebe in den rechten Zusammenhang stellen: 1.Diene dem, der es nötig hat. 2. Höre in all deinem täglichen Tun und Sorgen auf deinen Herrn, auch wenn andere oder du selbst dich anklagen, er will dich nicht verurteilen, sondern er will dir Ruhe geben und dich vom ermüdenden Aktivismus weg auf das hin konzentrieren, was du nötig brauchst. 3. Bringe alles, was dich bewegt vor Gott, deinen himmlischen Vater, er hört dich. Kurz: Diene den Menschen, höre auf Christus, bete zu Gott, diese drei.
Amen.
“Ich begleite dich… in deine Angst und Einsamkeit. Und wenn du bei mir still wirst, dann hörst du auch die Stimme deines Nächsten wieder genau so wie ich sie höre”, sagt Jesus im Höhepunkt dieser Predigt. Mit diesem Satz verbindet Pfarrerin Löhr den “Krankenschwester-Typ” der Martha mit dem kontemplativen Typ der Maria. Zwischen diesen beiden – für Christinnen und Christen bis heute typischen Typen – “sitzt Jesus als Mittler zwischen uns”. Jesus, so die Predigerin, gibt uns eine neue vermittelnde Hausordnung. Kurze Zusammenfassung am Schluß der interessanten und farbigen Predigt: “Diene den Menschen, höre auf Christus, bete zu Gott, diese drei”.