Zeichen?
Jesus veranstaltet keine Schauwunder, das ist nicht seine Art
Predigttext: Matthäus 12,38-42 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
38 Da fingen einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern an und sprachen zu ihm: Meister, wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen. 39 Und er antwortete und sprach zu ihnen: Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden, es sei denn das Zeichen des Propheten Jona. 40 Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein. 41 Die Leute von Ninive werden auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona. 42 Die Königin vom Süden wird auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, um Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.Vorbemerkungen
Meine Predigt ist unkonventionell. Sie steht in der Tradition der emblematischen Predigt. Diese erlebte im Zeitalter des Barock einen ihrer predigtgeschichtlichen Höhepunkte. Lutherischen Predigern des 17. Jh. – man denke etwa an Valerius Herberger (Autor von EG 523) – war es ganz selbstverständlich, in ihrer Verkündigung auf Embleme Bezug zu nehmen. Embleme sind keine beliebigen, sondern es sind geprägte Bilder, die in der Regel eine lange Tradition haben. Viele stammen aus den Zeiten der antiken Kirche. Embleme bestehen meistens aus drei Teilen, einer Überschrift, einem Bild und einer Unterschrift/Erklärung. In den 1960er Jahren unterzogen sich die Germanisten Arthur Henkel und Albrecht Schöne der Mühe, Embleme aus zahlreichen frühneuzeitlichen Emblembüchern zusammenzutragen zu einem Panorama der europäischen Emblematik. Das Buch erschien unter dem Titel "EMBLEMATA, Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts" (1996 als günstige Taschenausgabe bei J.B. Meltzer in Stuttgart/Weimar wieder gedruckt). Es ist m. E. eine noch heute brauchbare Predigthilfe ganz eigener Art. Ein verbreitetes Sinnbild in den Emblembüchern des 16. und 17. Jh. war der Schmetterling. Seit alters her ist er ein Sinnbild für Tod und Auferstehung. Er wurde noch in anderen, teilweise konträren Zusammenhängen emblematisch zur Geltung gebracht (etwa als Sinnbild für verderbliche Lust, für gefährliche Kriegsbegeisterung, für die Befreiung von Begierden, für die verwandelnde Kraft der Liebe oder für den Hochmut der Emporkömmlinge). In der Predigt konzentriere ich mich auf die zuerst genannte Verwendung, also auf den Schmetterling als Sinnbild für Tod und Auferstehung. Anknüpfungspunkt für das Schmetterlingsemblem im Predigttext ist das Jonazeichen, das Jesus auf sich anwendet. Das Jonazeichen ist ein recht rätselhaftes Jesuswort. Jesus antwortet mit ihm auf die Zeichenforderung der Schriftgelehrten, die ihn umgeben und ihn in teilweise kontroverse Gespräche verwickeln. Zielt das Zeichen auf die Bußpredigt Jesu, auf seine Auferstehung am dritten Tag oder auf die endzeitliche Erscheinung des Menschensohns? Ich entscheide mich für die zweite Option. Einen lokalen Anlass für die Verknüpfung des Predigttextes mit dem Schmetterlingsemblem gibt eine zeitgleich in unserer Kirche stattfindende Ausstellung von mexikanischen Totenmasken, die von einem mexikanischen Maler namens Ricardo Vera (Chido) geschaffen wurden. Unter dem Titel "Miquiztli Papalote" präsentiert er Totenmasken in Kombination mit Schmetterlingen, die in dieser Konstellation Bezug nehmen auf das in der altmexikanischen Kultur verankerte Totengedenken (vergleichbar unserem Totensonntag). Dieses Totengedenken ist kein stilles und getragenes wie bei uns, sondern ein festlich-lebendiges, bei dem es darum geht, den Lebenden Angst und Furcht vor dem Tod zu nehmen sowie den als noch gegenwärtig gedachten Geistern der Verstorbenen feierliche Reverenz zu erweisen. Es handelt sich um einen Brauch, der von der UNESCO in die Liste der schützenswerten immateriellen Kulturgüter aufgenommen wurde. Die Bilder von Ricardo Vera stammen aus einem mir fremden kulturellen Kontext. Mit der Tradition der europäischen Emblematik haben sie zunächst nichts zu tun. Dennoch fiel mir die skizzierte Verbindungslinie auf. Der Künstler selbst war ganz überrascht, dass es diese Verbindung von Tod und Auferstehung mit dem Schmetterlingsmotiv auch in der europäisch-christlichen Tradition gibt. Eine merkwürdige interkulturelle Korrespondenz gibt es da zwischen der europäischen Emblematik und altmexikanischen Traditionen. Die Predigt beginnt mit einer Bezugnahme auf die Bilder in der Kirche.Bunte Bilder. Sehr dekorativ. Eine fremde Bildwelt tritt mir entgegen. Die Bilder stammen aus Mexiko. Zu sehen sind auf ihnen Schmetterlinge. Jeweils in der Mitte sieht man Köpfe. Mit stilisierten Augen, Nasen und Mündern. Augen wie Blumen, Nasen wie Pyramiden. Münder wie Zäune. Bei diesen Köpfen handelt es sich um Totenköpfe. Gestaltete Totenköpfe. Viele sind auf den ersten Blick nicht als Totenköpfe zu erkennen. Die Bedeutung dieser Bilder erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Was haben Totenköpfe und Schmetterlinge miteinander zu tun? Denken Sie einmal zurück an Ihren Biologieunterricht: Der Schmetterling. Ein ganz eigenartiges Insekt. Er geht aus einer Raupe hervor. Er legt wieder Eier. Aus diesen schlüpfen Raupen. Ist die Raupe geschlüpft, kriecht sie umher. Gut angepasst an ihre Umwelt ist sie, damit sie nicht von größeren Tieren gefressen wird. Die Raupe kriecht auf Blätter. Dort frisst sie sich satt. Das sind die beiden Hauptbeschäftigungen der Raupe. Umherkriechen und Fressen. Daneben häutet sich die Raupe mehrfach. Nach einiger Zeit verpuppt sie sich. Legt eine Mumienhaut um sich. Verklebt ihre Gliedmaßen. Sieht schließlich leblos aus. Die Raupe. Für eine bestimmte Zeit. Unbeweglich. Wie tot. Doch in der Puppe: Da ist was los! Da brodelt das Leben. Da entwickelt sich ein schöner Schmetterling. Noch unsichtbar für die Welt außerhalb. Aber von Tag zu Tag schöner werdend. Bunte Farben werden angemischt. Flügel werden bereitet. Vielfältige Muster und Verzierungen werden entworfen. Eines Tages ist es dann soweit: Die Puppe bricht auf. Hervor kommt ein bunter Schmetterling. Er holt Luft. Pumpt Blut in die noch leeren Adern. Spannt die Flügel weit auf. Glättet die Flügel. Der Schmetterling startet zu seinem ersten Flug. Hin und her schwingend erkundet er tanzend die Lüfte.
Unendlich viele Arten von Schmetterlingen gibt es. Weltweit sind 180000 Arten identifiziert. Jährlich kommen neue Arten hinzu. Alle mit einem eigenen Muster auf den Flügeln. Oft Farbenprächtig. Die unendliche Vielfalt in der Zeichnung der Schmetterlingsflügel allein – ein Wunder. Ein Augenschmaus. Denken Sie etwa an das Tagpfauenauge. Es erfreut unser Auge, unser Herz. Die Welt der Schmetterlinge gibt uns vielfältig Anlass, Gott als den Schöpfer dieser Schmetterlingswelt zu preisen. Doch Schmetterlinge sind mehr als ein Augenschmaus. Sie sind auch ein wichtiges Kapitel im Buch der Natur. Wenn man vom Buch der Natur spricht, geht man davon aus, dass Gott sich uns nicht nur im Buch der Bibel offenbart hat. Es gibt noch dieses zweite Buch. Der Zusammenhang zwischen beiden Büchern: Das Bibelbuch macht mit dem Wort Gottes uns bekannt. Es offenbart, dass Gott uns lieb hat. Dass Gott zu uns kommt. Ganz nahe zu uns. In Jesus. Das Buch der Bibel entfaltet, was Gott uns schenkt und was er von uns will. Das Buch der Natur nun bringt uns das, was in der Bibel steht, zur Anschauung. In der Natur können wir sehen, was in der Bibel steht. Können wir sinnlich erfahren, was Gott in der Bibel sagt. Wie das funktioniert, möchte ich am Beispiel der Schmetterlinge deutlich machen. Der Werdegang des Schmetterlings – von der Raupe bis zur Puppe – setzt ein bekanntes Jesuswort ins Bild. Ein Wort, das im Evangelium nach Matthäus, Kapitel 12,38-42, zu finden ist. Schriftgelehrte stehen da um Jesus herum. Sie fragen ihn dies und das. Die meisten von ihnen sind interessiert an dem, was Jesus sagt. Wollen genau wissen, ob es stimmt, dass Jesus der Messias ist. Einige von den Schriftgelehrten wollen einen sichtbaren Beleg dafür, dass Jesus der Messias ist. Sie fassen sich ein Herz und fordert Jesus auf mit den Worten: “Meister, wir möchten gerne ein Zeichen von dir sehen” (V.38). Aber Jesus veranstaltet keine Schauwunder. Das ist nicht seine Art. Jesus antwortet den Schriftgelehrten vielmehr:
(Lesung Predigttext, V.39-42).
Jesus spricht hier vom Zeichen des Jona. Drei Tage und Nächte tot sein. Verschlungen von der Dunkelheit. Abgeschnitten von der Außenwelt. Und dann nach diesen drei Tagen: ein neues Leben. Das hat der Prophet Jona erlebt, ganz real, indem er von einem Walfisch geschluckt und dann wieder ausgespuckt wurde. Das Jonageschick – das erlebt auch Jesus selbst. Er stirbt. Liegt im Grab. Und am dritten Tag steht er auf aus dem Tod. Vergehen und neu Erstehen. Sterben und Auferstehen. Jesus nennt diesen Zusammenhang das Zeichen des Jona. Das Werden der Schmetterlinge bildet vor unseren Augen diesen Vorgang ab. Was Jesus den Schriftgelehrten als Zeichen anbietet, das führt uns der Schmetterling vor. Von der Raupe über die Puppe bis hin zum Falter malen uns Schmetterlinge den Zusammenhang von Tod und Auferstehen, malen uns Schmetterlinge das Zeichen des Jona vor Augen. So funktioniert das Buch der Natur. Es macht das Wort der Bibel anschaulich. Von Alters her sind Schmetterlinge ein Sinnbild für Sterben und Auferstehen. Aus diesem Grund sind auf den Bildern hier in der Kirche Totenmasken mit Schmetterlingen kombiniert. Wie auf einer Theaterbühne nämlich spielen uns Schmetterlinge vor, was mit Jesus geschehen ist. Sie spielen vor, was mit uns geschehen wird in der Nachfolge Jesu. Zunächst das Leben als Raupe. Ein mühsames Leben ist das Raupenleben. Ständig bedroht. Raupen sind ja deshalb (meistens) grün, damit sie auf den Blättern, wo sie herumkriechen, von ihren Fressfeinden nicht so schnell gesehen werden. Mühsam und bedroht. So war auch das Leben Jesu. Er hatte keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen konnte. Er wurde bedroht von Menschen, die nicht begriffen, wer in Jesus zu ihnen kam. Auch im Umfeld unseres Predigttextes ist davon die Rede, dass einige von denen, die um Jesus herumstanden, ihm nach dem Leben trachteten. Ein mühsames und bedrohtes Raupenleben. Das hat Jesus geführt. Das führen auch wir. “Sorgt nicht für morgen…“, sagt Jesus an anderer Stelle im MtEv (6,33). Machen wir uns nichts vor: Das sorgenfreie Leben auf der Überholspur gelingt niemandem von uns. Mühsam ist das Leben auf die eine oder andere Weise immer. Ebenso bedroht. Krankheiten können uns befallen. Naturkatastrophen ereignen sich. Überwältigen uns. Reißen uns fort. So wie in Japan. Man stelle sich nur vor: Japan ist ein absolutes Hightechland. Dennoch: Nur zehn Minuten lang. Alles, was sich Menschen zu ihrem Schutz ausgedacht haben, wird weggespült. Wird zerstört. Gegen die Kräfte der Natur gibt es für uns Menschen keinen absoluten Schutz.
Mühsam und bedroht ist unser Raupenleben bis zum Tod. Aber mit dem Tod ist nicht alles aus – trotz gegenteiliger Meinungen. Der Tod ist vielmehr wie eine Verpuppung. Eine Verwandlung. Der Tod ist leblos und starr. Keine Frage. Aber der Tod ist der Durchgang zu einer anderen Form des Lebens. Jesus macht es uns vor. Jonamäßig steigt er nach drei Tagen aus der Dunkelheit wieder ans Licht. Steht aus dem Grab auf. Kommt zurück ins Leben; doch nicht so, wie er gegangen ist. Sondern ganz verändert. Der auferstandene Jesus hat keinen irdischen Leib mehr, sondern einen Auferstehungsleib. Jesus kehrt ja nicht zurück in ein ganz normales biologisches Leben. Er führt seit seiner Auferstehung ein ganz neues Leben. Ein Leben vor Gott. Ein Leben in einem schwerelosen Leib. Ein Leib wie ein Schmetterling. Nicht mehr raupig am Boden. Sondern leicht und bunt. Hin und her durch die Lüfte tanzend. Auch uns blüht das. Durch die Verpuppung des Todes werden auch wir neu zum Leben erwachen. Ganz verändert. Zu einem Leben in Leichtigkeit. In Buntheit und Freude. Lassen wir uns daran erinnern, dass der Tod nicht das Ende ist. Dass wir vielmehr mit Jesus in ein neues Leben auferstehen werden. Lassen wir uns daran erinnern in unseren Gottesdiensten. Oder beim Lesen im Buch der Natur. Im Kapitel Schmetterlinge. Oder beim Betrachten der Bilder hier in unserer Kirche. Denn zu bedenken ist, was Heinrich Böll einmal so zur Sprache brachte: „Wenn die Raupen wüssten, was einmal sein wird, wenn sie erst Schmetterlinge sind, sie würden ganz anders leben: froher, zuversichtlicher und hoffnungsvoller“. Diese Zeilen von Böll heißen doch: Wenn die Christen sich daran erinnern: Der Tod ist nicht das Letzte. Ein neues Leben erwartet uns. Ein Leben im himmlischen Freudensaal kommt auf uns zu, ein Leben, das sich von den ganz realen Bedrohungen dieses Lebens nicht einschüchtern lässt. Bitten wir Jesus darum, dass er uns diese Hoffnung einpflanze.
Originell verbindet Pfarrer Dr. Bitzel das Schmetterling-Symbol mit dem Predigttext. Jesus hatte sein Sterben und Auferstehen mit Jona im Bauch des Fisches verglichen. Der Prediger ergänzt beide Bilder wunderschön durch die Verpuppung der im Alltag zum Überleben -wie wir- gestressten und armen Raupe zum phantastisch schönen Schmetterling. Das alte Symbol der Verpuppung zum Auferstehungsleib in Gottes ewigem Reich wird noch verstärkt durch die Bildwelt aus Mexiko. Zur Schmetterling-Symbolik empfehle ich das faszinierende Buch des nordelbischen Propstes Peter Godzik: Was weiß die Raupe schon vom Schmetterling?