Karfreitag – ein Tag der Liebe Gottes
Nichts von unserer menschlichen Logik und Machtphantasie bei Gott, Gott stirbt in Jesus für uns
Predigttext: Lukas 23,33-49 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. 34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. 35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. 36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig 37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! 38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. 39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! 40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein….Vorbemerkungen
Der Karfreitag bringt uns moderne Menschen alle Jahre wieder in Verlegenheit. Wenn man einem Erfolgsautor wie Klaus-Peter Jörns Glauben schenken darf („Notwendige Abschiede"), so glaubt eine erhebliche Zahl von Pfarrerinnen und Pfarrern im Bereich der EKD nicht mehr daran, dass Jesus am Kreuz für unsere Sünden gestorben ist und uns mit Gott versöhnt hat. Behauptungen in dieser Richtung sind Predigenden, die sich der liberalen Jesusforschung verpflichtet fühlen, ein Ärgernis. Diese Verlegenheit des Kreuzes ist m. E. eine christologische Verlegenheit. Sie geht darauf zurück, dass man die altkirchliche 2-Naturen-Lehre nicht mehr nachvollzieht und so das biblische Zeugnis von Jesus Christus verkürzt mit erheblichen theologischen Konsequenzen. Reduziert man nämlich Jesus allein auf seine menschliche Natur, ist sein Tod am Kreuz der Tod eines Menschen, der für eine ohne Zweifel gute Sache stirbt, weil er sich nicht kompromittieren lässt von einer auf Machterhalt und innere Ruhe fixierten politischen Führung. Behauptet man unter dieser Prämisse, der Mensch Jesus habe für die Sünden der Welt Satisfaktion geleistet, entwirft man ein Bild von Gott, das dem einer archaischen Gottheit entspricht und vom biblischen Befund nicht gedeckt wird. Ein Gott nämlich, der ein Menschenopfer verlangt zur Befriedigung seines Zorns ist einer, der sich in der Religionsgeschichte vielfach, in den Schriften des Alten und des Neuen Testamentes aber nirgendwo findet. Zu Recht zieht man auf Seiten derer, die in Jesus nur einen guten Menschen sehen, die Konsequenz, dass die Rede von der Versöhnung am Kreuz eine solche ist, die fallen gelassen werden muss. Hält man hingegen an der altkirchlichen 2-Naturen-Lehre im Blick auf die Person Jesu Christi fest, geht man also davon aus, dass im Menschen Jesus Gott selbst in unsere Erde gekommen ist – eine Annahme, die biblisch breit belegt ist (vgl. in unserem Text V. 43, wo Jesus mit Gaben und Vollmachten ausgestattet wird, die Gott vorbehalten sind, wie zu lesen ist bei Francois Bovon: Das Evangelium nach Lukas (= EKK III/4). Neukirchen-Vluyn/Düsseldorf 2009, S. 470) –, dann ergibt sich folgender Befund: Der Tod Jesu am Kreuz ist nicht nur der Tod eines Menschen namens Jesus von Nazaret, sondern es ist ebenso der Tod Gottes selbst. Konzediert man diesem Kreuzestod eine satisfaktorische Dimension, dann wird Gott nicht mehr durch ein blutiges Menschenopfer versöhnt, sondern dadurch, dass er sich selbst für uns in den Tod gibt, um uns mit sich zu versöhnen. Menschliche Satisfaktionskonzepte werden auf diese Weise ad absurdum geführt, oder modern gesprochen: einer grundlegenden Relektüre unterzogen. Versöhnung durch Genugtuung geschieht nun nicht mehr als ein Opferritual coram Deo. Vielmehr bezeichnet „Versöhnung" einen Vorgang, der mit der Niederkunft Gottes in diese Welt beginnt (Weihnachten) und über ein karges irdisches Leben hin zum gewaltsamen Tod führt (Karfreitag). "Versöhnung" ist: Gott such uns auf, um uns wieder zu sich zurück zu ziehen. Gott lebt ein menschliches Leben bis zum Ende, allein um uns Menschen nahe zu kommen und um uns Menschen mit sich in Gemeinschaft zu bringen und so zu versöhnen. Nicht erst am Kreuz, sondern bereits in der Krippe, bei der Predigt und den Wundern Jesu findet Versöhnung zwischen Gott und Mensch statt. Das Kreuz Jesu ist der Kulminationspunkt der Versöhnung Gottes, weil es deutlich macht, dass Gottes Willen zur Versöhnung bis zum Äußersten geht. In Jesus stirbt Gott an Kreuz, ist aber nicht tot im biologischen Sinne, sondern nutzt nach traditioneller Sicht der Dinge die Zeit zwischen Tod und Rückkehr ins Leben (Ostern) dazu, die Pforten der Hölle aufzustoßen und die im Reich der Todes gefangenen Menschen wieder zurück ans Licht zu holen. Vor dem Hintergrund dieser traditionellen theologischen Position, die biblisch breit belegt ist, wird die klassische protestantische Passionstheologie, die uns Heutigen in der Regel nur noch in den Chorälen des 16.-18. Jh. begegnet, erst verständlich. Sie macht auch begreifbar, weshalb der Karfreitag der höchste evangelische Feiertag ist: handelt es sich doch um den Kulminationspunkt des Versöhnungswillens Gottes, um den Höhepunkt seiner Gnade. Der Karfreitag ist insofern in der Tat ein Feiertag im eigentlichen Sinn, weil uns an ihm die Gnade und Versöhnungsbereitschaft Gottes geballt entgegentritt. Die Rede vom Karfreitag als höchstem Feiertag hat also nichts mit der genauso viel bemühten wie nicht zutreffenden evangelischen Freudlosigkeit zu tun. Sie wird nur vor dem Hintergrund der gerade skizzierten traditionellen Passionstheologie begreiflich.Christian Thielemann, der berühmte Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, berichtete neulich im Zeitmagazin folgendes Erlebnis: „2003″, sagt er, „dirigierte ich das Brahms-Requiem in Dresden. Ein Konzert zum 13. Februar, dem Beginn des Bombardements von Dresden. Das Orchester tritt auf, der Dirigent und die Solisten kommen, man verbeugt sich, aber es passiert überhaupt nichts. Am Ende dasselbe. Nur minutenlange Stille. Mir wurden die Knie weich, und ich bekam Angst, dass ich umfalle. Mir läuft noch heute ein Schauer über den Rücken, wenn ich davon erzähle”. Vom 13. bis zum 15. Februar 1945 wurde Dresden in vier nächtlichen Angriffswellen von der britischen und der amerikanischen Luftwaffe in Schutt und Asche gelegt. Unzählige Menschen kommen elend ums Leben. Unschätzbare Kunstschätze versinken in den Flammen. Die Stadt Dresden erinnert an diese Katastrophe jedes Jahr am 13. Februar. Die Stille, die Christian Thielemann am Konzertpult so intensiv erlebte – diese Stille zeigt uns: Es gibt eine Welt jenseits des Applauses, jenseits des Jubels, jenseits des Erfolges. Und diese Welt ist eine dunkle Welt. Ist eine Welt der Zerstörung, eine Welt des Todes. Eine Welt freilich, die von Menschen gemacht ist. Die Katastrophe des zweiten Weltkrieges nämlich war keine Naturgewalt.
Die Stille nach dem Konzert in Dresden: Sie hebt den Vorhang auf. Den Vorhang der Zivilisation. Sie gibt den Blick frei auf diese Abgründe des Todes. Auf eine Welt versponnener Ideologien. Auf eine Welt, wo besessene Mörder massenhaft Unschuldige umbringen. Eine Welt des Schreckens, der Angst, der Bedrohung tritt uns entgegen in der Stille. Weiche Knie kann man da schon bekommen, wenn der Blick frei ist auf diese Unterwelt. Weiche Knie. Doch schauen wir auf den Zusammenhang, in dem Christoph Thielemann diese weichen Knie bekommen hat. Das deutsche Requiem von Brahms. Ein Musikstück, das den Sterbetrost der Bibel zur Sprache bringt. Ein Stück, das uns mit großartiger Musik nahe bringt: Der Tod ist nicht das letzte. Der Tod ist nicht das Ende von allem. Auch wenn es uns so erscheint: Die Offenbarung Gottes spricht eine andere Sprache. Sie bietet Hoffnung in der Dunkelheit. Sie hält Trost bereit für diejenigen, die im Angesicht des Todes weiche Knie und zittrige Augenlieder bekommen. „Selig sind die Toten, die in Christus sterben, von nun an. Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach.” Mit diesem Vers aus der Offenbarung des Johannes endet das Requiem von Johannes Brahms. Selig sind die Toten. Weil da, wo sie hinkommen, da ist Jesus. Durch den Tod hindurch gelangen sie zu dem, dem sie bereits im Leben angehört haben. Durch den Tod hindurch gelangen sie zum Leben. Zu einem Leben, in dem endlich Frieden herrscht. Und Ruhe von aller Arbeit und Mühe.
Wie kommt der Seher Johannes in seiner Apokalypse dazu, so etwas zu behaupten? “Selig die Toten, die in Jesu Namen sterben.” Woher kommt das? Unser Predigttext bringt genau das zur Sprache. Wer sich zu Jesus bekennt, gelangt durch den Tod hindurch ins Paradies. Einer der Übeltäter, die mit Jesus gekreuzigt werden. Nicht der freche, der Jesus lästert. Der andere. Der seinen Kompagnon zurecht weist mit den Worten: „Wir sind zurecht zum Tode verurteilt worden. Wir haben empfangen, was unsere Taten verdienen; Jesus aber hat nichts Unrechtes getan”. Sagt er. Und dann, an Jesus gewandt: „Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst”. Auf diese Bitte antwortet Jesus ganz knapp: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein”. Ohne Umschweife, ganz deutlich macht Jesus deutlich: Von mir wirst du durch den Tod nicht getrennt. Wenn du dich zu mir bekennst, dann kann dir der Tod nichts anhaben. Über den Tod hinaus geht die Gemeinschaft mit mir. Ich bin bei dir. Ich geleite dich durch den Tod hindurch. Ich nehme dich auf in mein Paradies. Wenn du gestorben bist. Selig sind die Toten, die in Christus sterben, von nun an. Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach.
Diejenigen, die um das Kreuz Jesu herumstehen, bekommen von diesem Gespräch zwischen Jesus und den einen Übeltäter nichts mit. Sie stehen nur da und schauen. „theorein” steht da im griechischen Original. „theorein” heißt „schauen” auf Deutsch. Das Wort Theorie kommt von diesem griechischen Wort „theorein” her. Auch wir heute stehen am Kreuz und schauen. Im Schauen entwickeln wir verschiedene Theorien über den Tod Jesu am Kreuz. Eine Theorie lautet: Der Mensch Jesus stirbt am Kreuz. Der Arme. Hat sich für eine gute Sache eingesetzt. Und endet jetzt wie viele andere, die sich auch für gute Sachen einsetzen. Jesus ein friedfertiger Kämpfer für eine gute Sache. Sein Tod zeigt, wie gut die Sache ist. Denn Jesus stirbt für sie. Darum müssen auch wir uns für diese gute Sache einsetzen. Das zeigt uns das Kreuz. Ziemlich dünn ist das, was diese Theorie unter dem Kreuz erkennt. Ganz fern liegt ihr die alte Rede davon, dass Jesus am Kreuz gestorben ist für unsere Sünden. Anhänger dieser Theorie rufen: Weg damit! Bleibt uns weg mit dem Sühnetod Jesu. Das passt nicht zu unserem Gott. Der verlangt doch keine blutigen Menschenopfer. Ein solches Menschenopfer wäre es doch gewesen, wenn der Mensch Jesus gestorben wäre für unsere Sünde. Gott tötet doch niemanden, damit er Genugtuung leistet für unsere Sünden! Gott ist doch ein ganz lieber.
In der Tat: Wäre Jesus nur ein Mensch wie wir, dann bedeutet die Aussage „Jesus ist für unsere Sünden gestorben”: Jesus ist ein blutiges Kultopfer zur Befriedigung der Rachegelüste einer orientalischen Gottheit. Die Theorie, der gute Mann Jesus stirbt für eine gute Sache, zeigt, dass man unter dem Kreuz lange stehen kann, lange schauen kann, und dennoch nicht viel versteht. Vielleicht weil man das Gespräch zwischen Jesus und dem einen Übeltäter, der mit ihm gekreuzigt wurde, nicht hört. Oder überliest. Dem einen Übeltäter verspricht Jesus das Paradies Gottes. Ein Mensch könnte das einem anderen Menschen nicht versprechen. Jesus muss also mehr sein als nur ein Mensch. Eine andere Theorie, die sich bildet, wenn man unter dem Kreuz Jesu steht und schaut, ist diese: Jesus hat anderen geholfen, warum hilft er sich jetzt nicht selbst? Eine naseweise Theorie ist das, zugegeben. Aber sie ist so alt wie die Überlieferung von der Kreuzigung selbst. Sie versucht auf logischem Wege nachzuweisen, dass Jesus am Kreuz nichts weiter war als ein Mensch. Denn wäre er ein Gott, würde er sich jetzt befreien und seine Widersacher vernichten können. Das geschieht offenbar nicht. Also ist es mit Jesus nicht weit her.
Doch schauen wir näher hin: Die gerade skizzierte Theorie geht auf eine Machtphantasie auf unserer Seite zurück. Wir hätten gerne, wenn wir zu Unrecht am Kreuz hängen, dass himmlische Heere dazwischen gehen. Und diejenigen vernichten, die uns nachstellen. Im Triumphzug runter vom Kreuz. Es allen zeigen! Das wäre nach unserem Geschmack. Doch der Geschmack Gottes ist ein ganz anderer. Nichts von unserer menschlichen Logik und Machtphantasie bei Gott. Er stirbt in Jesus. Für uns. Die dritte Theorie unter dem Kreuz: Sie bewegt sich auf einem sehr niedrigen Niveau. Die Soldaten formulieren sie. Die spotten zunächst grob herum. Dann geben sie Jesus einen Becher Essig. Eigentlich eine Wohltat. Wasser mit Essig war ein beliebtes Erfrischungsgetränk bei römischen Legionären. Doch die Soldaten meinen es nicht gut mit Jesus. Sie verspotten ihn nach dem Essig weiter. Sie verspotten ihn, indem sie eine Tafel anfertigen. Eine Tafel, die sie über dem Kreuz aufhängen: Jesus Christus, König der Juden. So steht es auf der Tafel. Die Soldaten lachen. Lachen über ihre Schmähschrift, die die Schande des Kreuzes noch vergrößern soll. Doch wie das so ist, wenn unser Theorieniveau im Angesicht Gottes sinkt: Die groben Soldaten mit ihrer Schmähschild bringen eine tiefe Wahrheit zum Ausdruck. Nämlich die: Jesus ist tatsächlich der König. Der Juden und der Welt. Jesus Christus herrscht als König. Alles ist ihm untertänig. Singen wir zurecht. Wir wissen das von den bösen Buben. Verkehrte Welt.
Dann die sechste Stunde. Es wird dunkel. Die Sonne verliert ihren Schein. Der Vorhang im Tempel reißt entzwei. Jesus stirbt. Geht aus dieser Welt. Steigt hinab in die Welt der Schatten. In die Welt der Toten. In die Welt der Opfer menschlicher Gewalt. In die Welt der Opfer menschlicher Ideologien. Dort begibt sich Jesus hin. Nachdem er verstorben ist. Er geht hinab ins Reich der Toten. Um die Gefangenen von dort zu befreien. Ans Licht hervor zu führen. Ans Licht und in die Ruhe Gottes. Mit einem Wort: Ins Paradies Gottes. Dorthin, wo derjenige gelangt ist, der neben Jesus gekreuzigt wurde. „Selig sind die Toten, die in Christus sterben, von nun an.” Wenn Jesus nicht am Kreuz gestorben wäre. Wenn in Jesus nicht Gott in den Tod gegangen wäre. Für uns. Wir hätten keine Hoffnung darauf, dass wir durch den Tod ins Paradies Gottes gelangen. Unser Karfreitag. Ein Tag der Gnade. Ein Tag der Liebe Gottes.