Gemeinschaft, die trägt

Leben in der Nähe und unter der Gegenwart Gottes

Predigttext: Johannes 21, 1-14
Kirche / Ort: Stadtkirche Sinsheim
Datum: 1.05.2011
Kirchenjahr: Quasimodogeniti (1. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Dekan Hans Scheffel

Predigttext: Johannes 21,1-14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Der Auferstandene am See Tiberias 1 Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so: 2 Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. 3 Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. 4 Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. 6 Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. 7 Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. 8 Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. 9 Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. 10 Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! 11 Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. 12 Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. 13 Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch die Fische. 14 Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.

Exegetische und homiletische Hinführung

Die alte Frage, ob Johannes 21 Anhang ist oder zum Evangelium konstitutiv dazugehört, ist für die Predigt nicht ausschlaggebend. Es wird die dritte Ostergeschichte erzählt. Maria hat den Auferstandenen wahrgenommen durch den Gruß, die Jünger am selben Tag am Abend erlebten ihn, und Thomas konnte seine Fragen stellen. Jetzt sind sieben Jünger am See, wahrscheinlich am Abend. Sie gehen fischen. Die alltägliche Arbeit ist für die sieben der Ort, an dem sie den Auferstandenen wahrnehmen und mit dem Lieblingsjünger entdecken: „Es ist der Herr!“ Alltag und Arbeit sind nun die Motive, die ich für die Predigt aufgenommen habe. Das trifft sich gut: Quasimodogeniti ist ein Sonntag nach dem Fest, und der Alltag hat die Menschen wieder. Dieses Jahr fällt er auf den 1. Mai, den Tag der Arbeit. Bei allen alltäglichen Erfahrungen, die manchmal den Glauben erschweren, gibt es die Entdeckung, dass der Auferstandene da ist und begleitet. Menschen entdecken die Nähe des Auferstandenen.

Lieder

„Erschienen ist der herrlich Tag“ (EG 106,1-5) „Christ ist erstanden“ (EG 99) „Jesus Christus, unser Heiland“ (EG 102,1-3) „Die güldne Sonne“ (EG 449,1+4+12) „Wir wollen alle fröhlich sein“ (EG 100,1+4+5)

Psalm

116 (EG 762) Literatur Michael Meyer-Blank, nach Ostern und doch, Pastoraltheologie 2011/2, S. 240ff. Silke Harms, Quasimodogeniti, Dt. Pfrbl., 3/2011 S. 149

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Der erste Sonntag nach dem Osterfest mit dem herrlichen Osterjubel „Der Herr ist auferstanden“ fällt in diesem Jahr auf den 1. Mai, den Tag der Arbeit. Der Alltag hat uns wieder, so empfinden heute viele. Fast schon eine Woche arbeiten die Einen. Die Anderen kehren heute aus den Ferien zurück, und morgen beginnt für sie wieder der Arbeitsalltag. Heute denken wir berechtigt an die tägliche Arbeit und dabei auch an die gesamtgesellschaftliche Problematik, die sich mit der Arbeit verbindet. Glücklicherweise ist zurzeit die Zahl der Arbeitslosen nicht so sehr das Problem, dafür aber müssen wir umso mehr um gerechte Löhne kämpfen. Faire Löhne, gute Arbeit und vor allem soziale Sicherheit für alle, die Arbeit haben und suchen, ist und bleibt eine Herausforderung unserer Gesellschaft. Ja, der Arbeitsalltag hat uns wieder. Damit verbinden wir sehr unterschiedliche, auch ganz persönliche Eindrücke. Für manche ist die Arbeit etwas sehr angenehmes, andere wiederum sehen in ihr Last und Druck, so dass man am liebsten am Montagmorgen schon den Freitagnachmittag sähe. Denn mit dem Alltag verbinden wir doch so gerne Druck und Langeweile, Ärger und Verletzung im Betrieb.

Aber auch außerhalb unserer Arbeit haben wir seit Ostern schon viel erlebt. Da war ich auf dem Friedhof, weil ein geliebter Mensch verstorben ist. Der alte Zwist mit dem Nachbarn ist schon wieder aufgeflammt. Der ständige Kampf mit den Kindern, dass die Zimmer aufgeräumt werden müssen, hat diese Woche auch schon wieder Kraft und Nerven gekostet. In der Weltpolitik hat sich seit Ostern wenig geändert. Die Kriege in Syrien und Libyen belasten sehr. Die Frage der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernenergie drängt auf eine klare Antwort, die aber von uns allen eine Änderung unserer Lebensweise erfordert. Kurz: Ostern ist vorbei und der Alltag mit Arbeit und dem Üblichen hat wieder begonnen.

Auch auf der Ebene des Glaubens sind die schönen Ostergottesdienste vorbei und die normalen sind wieder angesagt. „Ihn habt ihr nicht gesehen, und habt ihn doch lieb!“, so haben wir in der Schriftlesung aus dem 1. Petrusbrief gehört. Es ist doch so: wir haben den Auferstandenen nicht leibhaftig gesehen und doch glauben wir an ihn, haben ihn lieb, weil wir denken, dass er uns Hilfe und Orientierung gerade im Alltag geben kann. Gegen alle Erschlaffung im Alltag bringt der Glaube den wichtigen Impuls, dass die Gerechtigkeit siegen wird. Wir haben ihn nicht gesehen und doch halten wir mitten im Alltag die festliche Erfahrung des Ostermorgens fest, weil sie unser ganzes Leben bestimmen will und uns stärkt, den Alltag hoffnungsvoll zu leben. Der Normalfall ist wieder da. Das ist für unsere Ostergeschichte, die wir eben gehört haben, der Ausgangspunkt. Sie setzt beim Alltag an und macht uns ganz anschaulich deutlich, dass der gekreuzigte Auferstandene im Alltag erkannt und wahrgenommen wird, ja, noch mehr, dass der Auferstandene im Alltag stärkt und eine Gemeinschaft schafft, die von Hoffnung auf ewiges Leben getragen ist.

Da sind sie, die sieben Jünger, zusammen nach Ostern. Simon Petrus ist der, der voller Eifer sich für Jesus und seine Sache einsetzte und ihn dann doch verriet. Thomas, der Zweifler und Nachfrager ist dabei, ebenso wie der große Bekenner und „Israelit ohne Falsch“ Nathanael. Jakobus und Johannes stehen da und erinnern sich vielleicht an den Tag, an dem sie die Ehrenplätze bei Jesus beanspruchten. Und dann sind noch zwei da, deren Namen nicht genannt werden. Sieben Jünger sind es, ganz unterschiedlich und ganz verschieden in ihren Charakteren. Es ist für mich sehr eindrucksvoll, dass die christliche Gemeinde von Anfang an ganz unterschiedliche Menschen hatte. Auch bei uns sind verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und aus verschiedenen Familien vertreten. Auch ich bin einer von ihnen. Wie verschieden sie sind, an diesem Tag verbindet sie die alltägliche Frage: „Was tun? Was ist jetzt dran zu tun?“

Herausgefordert sind sie alle – zutiefst. Der Gekreuzigte ist auferstanden, aber wie ist diese Botschaft im Alltag zu leben? Petrus ergreift die Initiative und geht seiner alltäglichen Arbeit nach, die er von Kindesbeinen an gelernt hat. Er ist Fischer, und darum geht er fischen. Die anderen schließen sich dieser Arbeit an und fahren mit dem Boot hinaus auf den See. Der Ertrag ihrer Arbeit war mehr als bescheiden. In dieser Nacht fingen sie nichts. Es ist nicht leicht, mit dem Gefühl umzugehen, umsonst gearbeitet zu haben. Wer sich einsetzt, arbeitet und am Ende nur feststellen kann „umsonst“, der ist traurig, mitunter sogar bitter. Auf das Ganze gesehen gibt es zwei Grundformen von menschlichen Handlungsweisen. Die einen sind eher positiv gestimmt und finden auch noch etwas Gutes, wenn sie umsonst gearbeitet haben. Die anderen sind eher negativ gestimmt. Da ist das halbvolle Glas stets halbleer. Sie werden von Skepsis und Sorge beherrscht, alles ist gegen sie gerichtet. Gewiss möchten alle Menschen, wenn sie die Wahl hätten, zu den positiv gestimmten Menschen gehören; aber hier haben wir keine Wahl, es sei denn, dass ganz wesentliche und gute Gründe uns die positive und hoffnungsvolle Sicht ermöglichen.

Meine Erfahrung ist, dass sich die Sorgen nicht abstellen lassen, wie man mit dem Herausnehmen des Zündschlüssels den Fahrzeugmotor abstellt. Wohl aber können die Sorgen in einem anderen Licht erscheinen, wenn Menschen da sind, die einem beistehen, die einen beruhigen und helfen, das Problem sachlich anzuschauen und sich nicht unnötig in Aufregung, Angst und Wut hineinzusteigern. Wer weiß, wie die Jünger damals reagierten, als sie die ganze Nacht nichts fingen? Ihr Erleben jedenfalls war, dass mitten im Alltag einer dastand und ihnen einen hilfreichen Impuls gab. Sie erkannten ihn nicht. Sie folgen ihm und werfen das Netz nach seiner Beschreibung aus. Dann geschah das Schöne: Sie konnten die Netze nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. Jetzt dämmert es dem Lieblingsjünger: „Es ist der Herr!“ Klar, nur so kann es sein. Petrus wird wieder aktiv und zieht sich an und schwimmt ans Ufer, die anderen kommen mit dem Boot und bringen die 153 Fische an Land. 153 Fische – eine große Zahl – und es wird angeregt, dass wir zählen und beim Zählen entdecken, was genau sichtbar ist. Im Zählen gewinnt das Unklare, das Diffuse Struktur und Form.

Jesus, der Auferstandene, hat schon das Feuer gemacht, damit das Mahl zum Frühstück bereitet werden kann. „Kommt her und haltet das Mahl, es gibt Frühstück!“ Obwohl die Jünger wussten, dass es der Herr ist, hat keiner gewagt, ihn zu fragen. Es bleibt nicht in der Schwebe, ob es der Herr ist, denn sie wussten es, denn im Akt des Erlebens ist es eindeutig klar, dass der Auferstandene da ist und sie zum Mahl einlädt. Jesus erweist sich bei ihnen nach Ostern als der Gegenwärtige, in dem die Jünger ihre Arbeit als Fischer wieder aufgenommen haben. Gerade im Alltag, gerade in der Arbeit zeigt sich der gekreuzigte Auferstandene und richtet auf, in dem er nach nicht erreichtem Erfolg Mut macht, die Netze nochmals auszuwerfen. Im Alltag begegnet uns der Herr und er begleitet uns.

Woran aber merken wir, dass es der Herr ist, wenn er uns im Alltag begegnet? Wann dämmert es uns wie damals dem Lieblingsjünger: „Es ist der Herr!“? Meines Erachtens gibt es gute Kennzeichen, den Auferstandenen zu erkennen. Dietrich Bonhoeffer hat im Geburtstagsbrief an seinen Freund Eberhard Bethge am 21. August 1944 das Wesentliche geschrieben: „Noch einmal habe ich mir die Losungen vorgenommen und darüber etwas meditiert. Es kommt wohl alles auf das „in Ihm“ an.  … Was ein Gott, so wie wir ihn uns denken, alles tun müsste und könnte, damit hat der Gott Jesu Christi nichts zu tun. Wir müssen uns immer wieder sehr lange und sehr ruhig in das Leben, Sprechen, Handeln, Leiden und Sterben Jesu versenken, um zu erkennen, was Gott verheißt und was er erfüllt. Gewiss ist, dass wir immer in der Nähe und unter der Gegenwart Gottes leben dürfen und dass dieses Leben für uns ein ganz neues Leben ist, …gewiss ist, dass im Leiden unsre Freude, im Sterben unser Leben verborgen ist, gewiss ist, dass wir in dem allen in einer Gemeinschaft stehen, die uns trägt. … Für mich ist es oft eine große Hilfe gewesen, am Abend an alle die zu denken, deren Fürbitte ich gewiss bin.“

Soweit die Mut machenden Worte Dietrich Bonhoeffers an seinen Freund, mit denen er ihm hilft, die Fundamente klar zu legen, auf denen er leben kann. Eindeutig erscheint uns Christus, der Auferstandene, wenn wir den Blick auf das Ganze einer Sache richten und uns von falscher Eitelkeit und egoistischem Eigennutz befreien. Dann wird das Geschehen der Gemeinschaft gefördert und Gerechtigkeit tritt an die Stelle von Unrecht, Wahrheit an die Stelle von Lüge, auch von Selbstlüge, die einen das Leben mitunter sehr schwer macht. Manchmal sind es auch kleine Zeichen der Hoffnung, die uns den Auferstandenen mitten im Alltag nahebringen, so wie mir mein Nachbar, der katholische Kollege, eine Osterkerze schenkte. Dabei ist mir klar geworden, dass die Ökumene lebt und wir alles tun müssen, damit wir in Christus eins werden, weil der gekreuzigte Auferstandene die Einheit schon geschaffen hat. Für uns gilt mitten im Alltag unseres Lebens: Und doch entdecken wir den Auferstandenen da, wo wir sind, auch wenn es manchmal düster und traurig aussieht. Denn er selbst tritt uns entgegen und verheißt uns, dass das Leben stärker ist als der Tod. In diesem Begegnen mit dem Auferstandenen wächst unter uns die Gewissheit: „Es ist der Herr!“

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Ein Kommentar zu “Gemeinschaft, die trägt

  1. P.iR Heinz Rußmann

    “Die schönen Ostergottesdienste sind vorbei.” In diesem Jahr treffen ganz tiefsinnig der Sonntag nach Ostern, der 1. Mai-Feiertag und ein Predigttext zusammen, in der Jesus als Auferstandener den Jüngern bei ihrer alltäglichen Arbeit, beim Fischfang, begegnet. Nur vor Jahrzehnten lagen beide Termine so eng beieinander, und erst in Jahrzehnten gibt es wieder diese Nähe. Thema der Predigt ist dazu passend, dass der Auferstandene den Jüngern bei der Arbeit, beim Kampf um gerechte Löhne und im Alltag begegnet. “Gegen alle Erschlaffung im Alltag bringt der Glaube den Impuls, dass die Gerechtigkeit siegen wird.” Die Jünger hatten zuerst bei ihrer Arbeit keinen Erfolg. Beim überraschenden großen Fischzug erkennen sie Jesus. “Im Alltag begegnet uns der Herr und begleitet uns. Woran merken wir, dass es der Herr ist ?” Dazu zitiert Dekan Scheffel einen Text von Dietrich Bonhoeffer. Christus erscheint uns, wenn Gerechtigkeit an die Stelle von Unrecht tritt, Wahrheit an die Stelle von Lüge und kleine Zeichen der Hoffnung den Auferstandenen uns mitten im Alltag nahebringen. Es fällt auf, dass in der überzeugenden Predigt von Dekan Scheffel das Wort Liebe nicht auftaucht, stattdessen das Wort Gerechtigkeit, aber das passt sehr gut zum 1. Mai und dass Jesus den Jüngern im Arbeitsalltag begegnet.

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