„Noch eine kleine Weile“ – Gottes verändernde Kraft

In jeder Krise steckt die Chance zum Neuanfang

Predigttext: Johannes 16,16 (17-19) 20-23
Kirche / Ort: Nünschweiler
Datum: 15. Mai 2011
Kirchenjahr: Jubilate (3. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrerin Anke Andrea Rheinheimer
Predigttext: Johannes 16,16 (17-19) 20-23 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984) 16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. 17 Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater? 18 Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet. 19 Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen? 20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden. 21 Eine Frau, wenn sie gebiert, so [a] hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. 22 Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. 23 An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch:  Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben

Exegetische und homiletische Anmerkungen:

Der Predigtabschnitt dieses Sonntags ist Teil der sog. Abschiedsreden Jesu in Joh 13-17. Die Jünger zeigen sich angesichts der Ankündigungen Jesu über seinen bevorstehenden Tod verständnislos, d. h. die typische Situation des „johanneischen Missverständnisses“ tritt ein.  Jesus will den Jüngern auch in seiner dritten Abschiedsrede Zukunftshoffnung und eine zeitlos gültige, eschatologische Existenzerfahrung vermitteln. Hier in Johannes 16 geschieht das durch einen sehr konkret- innerweltlichen, ganz leiblich-körperlichen Vergleich, nämlich im Bild vom Geburtsschmerz einer Frau, der sich in die Freude über das neugeborene Kind verwandelt wird. So wie in diesem im Wortsinn „aufdeckenden“, offenbarenden apokalyptischen Bild wird sich auch die Traurigkeit im Abschiedsschmerz von Jesus verwandeln in die Freude neuer, ewiger Gemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn. Von Ostern her dürfen wir wissen: Im Tod liegt Leben; im Untergang Neubeginn, die Hoffnung auf eine verwandelte Existenz durch die Kraft der Auferstehung. Auf das menschliche Leben bezogen: In der Krise liegt die Chance zum Neuanfang. Die vorliegende Predigt lädt die Zuhörer und Zuhörerinnen ein, die ermutigende, österliche Botschaft aus dieser Abschiedsrede Jesus im Johannesevangelium mitten in ihr alltägliches Leben, in ihre persönliche Situation, hineinsprechen zu lassen. Wir dürfen uns davon mitten in den Krisenzeiten unseres Lebens ermutigen und trösten lassen, in allen bangen Zwischenphasen und Ängsten um die Zukunft. Sie schenkt uns Hoffnung und Zuversicht, eine innere Stärke und Freude, die niemand uns nehmen kann. Mit den Worten aus dem Johannes-Kommentar von Siegfried Schulz: „Der Tag des Wiedersehens wird somit zu einer jederzeit gültigen Existenzerfahrung des Jüngers in der Welt, die alle Fragen verstummen und die Freude vollkommen machen wird“ ( S. 206).

Literatur

Bultmann, Rudolf, Das Evangelium des Johannes, KEKNT, 2. Abtlg., 19. Aufl., Göttingen 1968. - Schulz, Siegfried, das Evangelium nach Johannes, NTD 4, 12. Aufl., Göttingen 1972 (= Nachdruck Berlin1975).

Lieder

„Jesus ist kommen, Grund ewiger Freud“ (EG 66) „Meinem Gott gehört die Welt“ (EG 408)

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„Noch eine kleine Weile“ – siebenmal kommt diese Wortkombination in den wenigen Sätzen unseres Predigttextes vor. Eine „kleine Weile“. Eine kleine Weile der Trennung bis zum Wiedersehen; eine kleine Weile des Nicht-Sehens bis zum Wieder-Sehen-Können; eine kleine Weile des Nichtverstehens bis zum Verstehen; eine kleine Weile der Traurigkeit bis die Angst und der Schmerz in Freude verwandelt werden. Eine „kleine Weile“. Wie viele solcher „kleinen Weilen“ erleben auch wir in unserem Menschenleben? Wie viele „kleine Weilen“ haben Sie, liebe Gottesdienstteilnehmerinnen und Gottesdienstteilnehmer, wohl schon erlebt und ausgehalten? „Kleine Weilen“, die uns in diesen konkreten Lebenssituationen unendlich lange und quälend vorgekommen sind.

Zwischen Hoffen und Bangen

Eine „kleine Weile“ – ein Zwischenstadium, wo manches noch ungeklärt ist, wo wir noch nicht klar sehen können, was werden wird, wo wir uns Gedanken darüber machen, wie sich manche Dinge in unserem Leben wohl entwickeln werden. Unsicher, unruhig und bange kann uns das machen, denn das können mitunter ganz lebensentscheidende Dinge sein, die in der Schwebe hängen: der spannende Moment, ob die Bewerbung für eine bestimmte Stelle, einen bestimmten Ausbildungs- Studien- oder Arbeitsplatz Erfolg hatte; das Fiebern, ob eine Prüfung erfolgreich bestanden ist, ob das Prüfungsergebnis ein Weiterkommen sichert oder man durchgefallen ist; oder das Hoffen und Bangen bis ein ärztlicher Untersuchungsbericht fertig ist, eine abschließende Diagnose gestellt ist; oder die Zeit des Wartens auf eine Antwort, die Antwort eines anderen Menschen, einer Behörde, einer Firma, von der für uns persönlich einiges in der Zukunft abhängt. Eine „kleine Weile“ – von außen betrachtet Zeit wie jede andere Zeit, aber für den Menschen, der selbst in der Situation steht, mitunter ein quälend langes Zwischenstadium. Eine Zeit zwischen Hoffen und Bangen, die uns große Geduld und Nervenstärke abfordert, weil für uns der Blick in das Dahinter verstellt ist, weil wir gedanklich nicht über die Schwelle blicken können, nicht wissen, was uns erwartet.

Wenn uns dann jemand wohlmeinend trösten will und sagt “Es ist ja nur eine kleine Weile, habe einen Moment Geduld, dann wirst du sehen, was kommt! Warte es ab, es wird sich zeigen, was werden wird!“,  dann fällt uns das trotzdem schwer und die Ermutigung tröstet uns nur bedingt. Eine „kleine Weile“, die kann manchmal eben gefühlt „unendlich“, quälend lange sein. Und das kann jemand, der von außen auf unser Leben blickt, nicht verstehen. Wir Menschen empfinden Zeit auf ganz verschiedene Art und Weise. Und unter bestimmten Umständen, in bestimmten Situationen des Lebens, kann eine „kleine Weile eine Ewigkeit“ sein. Unser Predigttext zieht einen sehr ungewöhnlichen, aber doch lebensnahen und dadurch auch überaus treffenden Vergleich. Er vergleicht das Warten im Zwischenstadium mit dem Geburtsschmerz einer Frau, also der Zeit höchster Not und größten Schmerzes bis der kleine Mensch zur Welt gebracht ist. Nicht zufällig begegnet uns hier im Johannesevangelium dieses Bild von den Geburtswehen. Denn es ist ein im eigentlichen Wortsinn „apokalyptisches“, d. h. „aufdeckendes“, offenbarendes Bild. Ein Bild für die Verwandlung von Schmerz in Freude, von höchster Not in größte Dankbarkeit wie bei der Geburt eines Kindes. Jesus verwendet dieses Bild, um seine Jünger zu trösten, die sich auch in einem Zwischenstadium befinden. Hier, in den sog. Abschiedsreden, muss Jesus seinen Jüngern großen Schmerz ankündigen, den Schmerz der Trennung, die Traurigkeit des Auseinandergehens, der verschlüsselte Hinweis auf seinen Tod.

Trennungsschmerz

Aber er möchte seinen Jüngern zugleich auch begreiflich machen, dass dieser Schmerz der Trennung, die Traurigkeit des Auseinandergehens, so schmerzlich und ängstigend sie auch für die Jünger sein mögen, doch nicht das Endgültige und Letzte sind. Jesus sagt ihnen: „Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen“. Für die Jünger ist es ein Rätsel, was er damit meint. Sie sprechen untereinander: „Was bedeutet das, was er sagt: noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet“.  Weil sie nicht wissen, was Jesus meint, fragen sie ihn, und Jesus wird konkreter in seiner Antwort: „Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden“. Jesu Tod steht bevor, und damit der Schmerz der Trennung, auf den Jesus seine Jünger vorbereiten will: „Ihr werdet weinen und klagen“, sagt er seinen Vertrauten, die im Grunde nicht wahrhaben wollen, dass Jesus sie verlassen könnte, dass er nicht mehr bei ihnen sein wird. Jesus spricht das Auseinandergehen und die Traurigkeit des Getrenntwerdens ohne Beschönigung an.

Aber er möchte ihren Blick zugleich auch weiter lenken, über die Schwelle des Todes hinaus, auch wenn die Jünger das jetzt noch nicht sehen und begreifen können. Jesus sagt zu ihnen: „Ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden… ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wieder sehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen“. Sie sehen nur die absolute Grenze des Todes, vor die Jesus sie muss. Das wird sie in Ängste, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Untröstlichkeit stürzen. Für sie bleibt es zunächst ein Rätsel, von was für einer Verwandlung, die noch aussteht, Jesus spricht.

“Schwere Geburt”

Vom Ganzen des Evangeliums her wissen wir, als heutige Leser und Leserinnen des Johannesevangeliums: Es ist die Verwandlung von Karfreitag zu Ostern, die Jesus meint, es ist die österliche Gewissheit, dass sich die Traurigkeit über das Kreuz in die Freude über die Auferstehung verwandeln wird. Die Jünger werden im Schmerz der endgültigen Trennung von Jesus nicht verharren müssen. Es kommt der Ostermorgen, die Auferstehung, die neue Gemeinschaft mit Jesus, der dann anders, durch die Kraft Gottes verwandelt, der Welt und damit auch seinen  Jüngern gegenwärtig sein wird. Die Osterbotschaft ist der Grund für die Freude und Hoffnung, in die sich die Traurigkeit der Jünger im Angesicht von Kreuz und Grab verwandeln kann. Allein sie können nicht begreifen, dass Jesus sterben muss. Um wie viel schwerer ist für sie dann der zweite Schritt zu glauben, dass sich der Schmerz der Trennung in die Freude einer ganz neuen, anderen Gemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn verwandeln kann. Für die Jünger bleibt die „kleine Weile“ ein Rätsel, vor dem sie fragend stehen. Erst im Nachhinein, erst nach Ostern und nach Jesu Himmelfahrt, konnten sie begreifen, was Jesus in seiner Abschiedsrede meinte, die sie so ratlos machte. Im Nachhinein entschlüsselt sich die Rede von der „kleinen Weile“, dem Zwischenstadium, dass unter Schmerzen, durch Wehklage und Traurigkeit hindurch etwas Neues entsteht. Manche Wahrheiten erschließen sich uns Menschen erst im Nachhinein; manche Lebensrätsel, vor denen wir stehen, lösen sich erst im Durchgang durch die Zeit, im Durchleben der Zwischenzeiten, im Durchstehen von manch „schwerer Geburt“, wie wir das auch im Volksmund mit dem gleichen Sprachbild sagen. Manche „kleine Weile“, die uns ein Höchstmaß an Geduld und Nervenstärke abverlangt, bringt schlussendlich etwas Neues hervor, das unseren Schmerz in Getröstetsein, unser Bangen in Erleichterung, unsere Traurigkeit in Freude verwandelt oder in ein Akzeptieren und Integrieren des Unabänderlichen in das eigene Leben.

Vertrauen

Was wir aus diesem Abschnitt aus Jesu Abschiedsreden aus dem Johannesevangelium für uns und unser Leben mitnehmen können, ist: Nicht, dass es irgendwann keine offenen Fragen mehr in unserem Leben geben wird; nicht, dass es keine bangen Zwischenstadien mehr gibt, Situationen, in denen wir auf das Dahinter warten, das wir aber noch nicht sehen können. Nicht, dass es keine Lebensrätsel und –fragen mehr für uns geben wird. Das alles verspricht uns Jesus nicht. Aber mit uns geht die Hoffnung, dass die „kleine Weilen“ der Bangigkeit, Unsicherheit, Verzweiflung, der inneren oder äußeren Not, die wir als Menschen durchleben müssen, in Gottes Zeit aufgehoben sind und wir sie mit ihm an der Seite durchleben und damit nicht allein und verlassen sind. Mit uns geht das Vertrauen, dass unser Gott verwandelnde Kraft hat, schicksalswendende, lebensverändernde Kraft. In jeder Krise steckt die Chance zum Neuanfang.  Mitten aus dem, was dunkel und finster war, kann neues Licht hervorbrechen. Im Tod steckt Leben; im Untergang Kräfte zum Neuanfang; im Ende ein neuer Anfang. Diese Hoffnung hilft, mit den Krisen und Unsicherheiten in unserem Leben umzugehen. Sie kann helfen den Schmerz von mancher Trennung, der wir im Leben ausgesetzt sind, auszuhalten und Traurigkeiten zu überwinden, die unser Leben beschwerten und verdunkelten.

Die „kleinen Weilen“ unserer Krisen und bangen Lebensphasen scheinen für uns oft nicht enden zu wollen, aber sie sind doch aufgehoben bei Gott, im Meer seiner Zeit, in dem Verwandlung, neue Bewegung möglich ist. Gott, der lebensspendende  Kraft hat, lässt seine Auferstehungskräfte an uns Menschen wirken, mitten im Leben wie auch am Ende unserer Zeit. Gott, der uns dazu ermutigen will, unser Leben immer wieder neu zu sehen. Gott, der uns in der Gemeinschaft mit Jesus Christus, unserem auferstandenen Herrn,  eine Freude schenkt, die uns niemand wieder wegnehmen kann, so wie uns das im Predigttext zugesagt wird: „Euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen“. Oder wie es in unserem nächsten Lied  so wunderbar in Musik und Text gegossen ist: „Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude“. Nehmen wir diese ermutigende Botschaft mit uns in unseren Alltag.  In Momenten der Traurigkeit und Verzweiflung möge sie uns trösten und innerlich stärken. Lassen wir sie an uns wirken zu unserem Trost und zu unserer Freude.

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Ein Kommentar zu “„Noch eine kleine Weile“ – Gottes verändernde Kraft

  1. Pasror iR Heinz Rußmann

    Eine Weile führt die Predigt ein in die “eine kleine Weile warten”-Thematik. Sehr plastisch erinnert Pfarrerin Rheinheimer zu Beginn die Hörer/innen an die vielen alltäglichen, aber auch lebensentscheidenden Situationen, in denen wir eine Weile oft quälend lange warten müssen. Diesem Thema folgt sie in der ganzen Predigt konzentriert und tröstlich. Kern des Trostes ist der Vergleich Jesu von seinem Tod und seiner Auferstehung mit einer Geburt. Auch eine Schwangere muss mit Schmerzen eine Weile warten, bis neues Leben beginnt. Ihr Baby erlebt die Geburt wie den Durchgang durch eine Art Tod, um dann zu leben. Ebenso “wird sich die Traurigkeit über das Kreuz verwandeln in die Freude über die Auferstehung”. Die Predigerin tröstet mit dem “Vertrauen, dass unser Gott verwandelnde Kraft hat, schicksalswendend, lebensverändernd”. Dabei gelingen der Pfarrerin bis zum Ende originelle Formulierungen: “Gott, der lebenspendende Kraft hat, lässt seine Auferstehungskräfte an uns Menschen wirken”. – Zum Bild der Geburt möchte ich auf einen Gedanken von Teilhard de Chardin hinweisen: Gott arbeitet schon immer mit Geburtswehen. Die ganze Heilsgeschichte der Bibel und die Evolution ist bisher nicht kontinuierlich, sondern in Stufen und mit Geburtswehen vorangeschritten. Schöpfung, Entstehung der Erde, des Lebens, des Menschen, Geburt von Jesus und seine Auferstehung usw. erfolgten immer nur in überrraschenden Schritten. Teilhard sagt ähnlich wie Paulus in Römer 8, dass die Leiden unserer Zeit nur Geburtswehen sind zur endgültigen Vollendung mit Jesus bei Gott.

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