Neues Lied

Die Kinder sind das Wichtigste und die Mitte unserer Gesellschaft und die Zukunft auch unserer Kirche

Predigttext: Matthäus 21, 14-17
Kirche / Ort: Auferstehungskirche / Konstanz-Litzelstetten )
Datum: 22.05.2011
Kirchenjahr: Kantate (4. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer Dr. Christof Ellsiepen

Predigttext: Matthäus 21, 14-17 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

14 Und es gingen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel und er heilte sie. 15 Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien: Hosianna dem Sohn Davids!, entrüsteten sie sich 16 und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus antwortete ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen (Psalm 8,3): »Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«? 17 Und er ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und blieb dort über Nacht.

Exegetische und homiletische Anmerkungen

Die Predigtperikope gehört zum ersten Tag Jesu in Jerusalem, der im MtEv, 21,1-17, erzählt wird. Die Erzählung über den Einzug Jesu nach Jerusalem wird an die einer Blindenheilung (20,29-34) angeschlossen und ist über die Akklamation Jesu als Davidssohn damit verbunden (20,30f und 21,9). Jesus geht nach Mt dann sofort in den Tempel hinein, wo von der Austreibung der Händler berichtet wird. Noch im Tempel finden dann erneut Heilungen statt und in der Auseinandersetzung mit den Hohenpriestern und Schriftgelehrten wird mit dem Ruf der Kinder erneut an den Einzug und die Blindenheilung angeknüpft. Der Umgang Jesu mit dem Feigenbaum, der von der Perikopenordnung als Option angeboten wird, scheint mir eine eigene allegorische Deutung des Geschehens (vgl. dazu Dober). Ich konzentriere mich daher ganz auf den Hosianna-Ruf der Kinder, um auch thematisch die Predigt mit dem Proprium des Sonntags und dem Wochenspruch aus Ps 98,1 zu verbinden.

Literatur

H. M. Dober, Kantate Mt 21,14-17(18-22), in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe III, hg. v. W. Kruse, Eigenverlag 2004, S. 161-166. – U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Bd. 3: Mt 18-25, Neukirchen 1997, S.175-196.

Lied

„Lob Gott getrost mit Singen“ (EG 243)

zurück zum Textanfang

Singet dem Herrn ein neues Lied! Nach dem Wochenpsalm hat der heutige Sonntag seinen Namen: Kantate! Singet! Der Chor hat uns zu Beginn schon darin eingestimmt. Singet dem Herrn ein neues Lied. Es ist nicht wenig, dem Herrn ein neues Lied zu singen. Singet, heißt es. Wann tun wir das schon? Wer in einem Chor ist, der oder die singt. Regelmäßig. Ein Ort, seine Stimme hören zu lassen und sie selbst im Zusammenklang mit anderen Stimmen zu hören. Ausgelassen und frei miteinander singen. Denn Musik ist die Stimme der befreiten Seele. Wenn mir nicht nach Singen zumute ist, dann will ich es auch nicht tun. Aber manchmal nimmt mich die Musik mit und ich löse mich durchs Singen. Meine Seele wird frei und ich kann singen. Manche singen ihren Kindern am Bett zum Einschlafen. „Der Mond ist aufgegangen“ und „Müde bin ich geh zur Ruh“ oder „Lalelu, nur der Mann im Mond schaut zu“. Bei Pop- und Rockkonzerten wird bei bekannten Liedern mitgesungen. Auch in der Schule singen wir mit Kindern und Jugendlichen, manchmal mit viel Schwung und Instrumenten und aus voller Kehle, und hier in der Kirche singen wir.

Ein Gottesdienst ohne Lied? In unserer Tradition unvorstellbar. Das Sprichwort „Singe, wem Gesang gegeben“ zählt hier übrigens nicht. In der Kirche können und dürfen alle mitsingen. Auch wenn es nur ein verhaltenes Mitbrummen ist oder ich nicht jeden Ton genau treffe. Macht nichts. Die anderen und die Orgel ziehen mich mit. Es kommt nicht so sehr darauf an, wie ich mein Lied singe als vielmehr wem ich es singe. Dem Herrn, heißt es. Auch das ist nicht wenig. Für wen singen wir? Zum Geburtstag wird gesungen, fast überall: ein Ständchen. Viel Glück und viel Segen. Oder happy birthday. Dem Geburtstagskind zu Ehren. Oder es wird der Liebe wegen gesungen. Schon im Mittelalter standen die Minnesänger unter den Fenstern der Angebeteten und sangen. Noch heute sind die meisten Lieder im Radio Liebeslieder. Nicht jeder nennt sein Lied wie Elton John Your Song, aber ganz viele versichern, dieses Lied nur für die Liebste, nur für den Liebsten zu singen. Für wen singe ich?

Für wen erhebe ich meine Stimme? „Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing“, sagt das Sprichwort und erinnert, dass wir manches von uns geben, was nicht aus freier Einsicht gesagt und getan wird, sondern um damit andere zu beeindrucken oder milde zu stimmen. Noch einmal: Für wen erhebe ich meine Stimme? Für mich selbst? Meine Interessen durchzusetzen? Manche tun es zuwenig und merken erst spät, dass ihr Leben von anderen bestimmt wird. Vieles würden sie gerne anders tun und können es nicht mehr, weil sie ihre Stimme zu oft nicht für sich selbst erhoben haben. Andere sind es gewohnt, sich nur für sich selbst einzusetzen und ihre Interessen obenan zu stellen. Ihr Lied wird für die anderen oft nicht nur langweilig, sondern meist auch bedrohlich. Von beidem ist es gut zur Mitte zu kommen, weg von zu wenig und zu viel Eigeninteresse. Um Abstand zu gewinnen und Achtung für sich selbst. Kann ich mein Lied dem Herrn singen? Wenn ja, was für ein Lied singe ich für Gott?

Ein neues Lied, heißt es. Neu, neu, neu. Ganz nach dem Gesetz der Mode. Die ewige Wiederkehr des Neuen. Wie soll es bloß zu guten Liedern kommen, wenn wir dauernd nur nach Neuem suchen? Klar geht es mir selbst als Pfarrer nicht anders. Immer suche ich nach einem neuen Lied, für die Konfirmanden, für den Gottesdienst, für die Schule. Jedem Chorleiter geht es wohl so: Immer auf der Suche nach neuen Sätzen, neuen Kompositionen, eben nach neuen Liedern. Wir können nicht immer nur das Gleiche singen. Aber doch ist das Wort neu hier sicher kein Ruf nach dem Überbordwerfen der Tradition. Denn neu bedeutet bei einem Lied nicht das Gleiche wie bei einem Auto: Ein ganz altes Lied kann neu sein für mich. Wenn ich den gregorianischen Choral für mich entdecke, dann ist das für mich eine ganz neue Erfahrung, obwohl die Form Jahrhunderte alt ist. Wer zum ersten Mal den Rhythmus des Gospel miterlebt, für den ist das ein neues Lied. Obwohl auch die Gospelmusik längst nichts Neues mehr ist in der Kirche. Ein neues Lied singen, das hängt ganz eng mit den Menschen zusammen, die es tun. Was für die einen ein alter Zopf ist, kann für die anderen eine neue Offenbarung werden. Als Jesus nach Jerusalem hereinkam, war das für viele Menschen ein neuer Anfang. Hören wir Worte aus dem Matthäusevangelium.

(Lesung des Predigttextes)

Hosianna dem Sohne Davids! Das ist der Ruf mit dem Jesus schon vor den Toren Jerusalems begrüßt wurde, als er dort von der Menge des Volks erwartet wurde. Mit Palmzweigen und Kleidern auf dem Weg und eben mit dem Willkommensruf: Hosianna dem Sohne Davids. Nun schreien es die Kinder heraus und das mitten im Heiligtum. Es ist ein Lied, das den alten Gottesdienst stört, das Gefühle verletzt. Hosianna, ein altes hebräisches Wort, das übersetzt „Hilf doch!“ heißt, war längst zum allgemeinen Huldigungsruf für Könige geworden. Jetzt wurde Jesus damit angerufen. Schon das gibt Anstoß. Aber die Kinder rufen nicht nur Hosianna. Sondern Hosianna dem Davidssohn. Wer sich so nennt, setzt sich mit dem erwarteten Messias gleich, mit dem Gesalbten, der Gottes Herrschaft auf Erden aufrichten wird. Jetzt reicht es, denken sich wohl die Tempelverantwortlichen. Erst hatte Jesus die Käufer und Verkäufer von Opfertieren, die Geldwechsler und Taubenhändler mit Gewalt aus dem Tempel gejagt, dann nimmt er sich der Blinden und Lahmen an, und nun kommt mit dem Ruf der Kinder die nächste Provokation. Das kannst du doch selbst unmöglich gut heißen.

Hörst du nicht, was sie sagen, stellen die Hohenpriester und Schriftgelehrten den Unruhestifter zur Rede. Doch, ich höre es, antwortet Jesus. Es ist gut so. Es steht so in unserer Heiligen Schrift. Im achten Psalm. Habt ihr es nicht gelesen? Dass Gott aus Kindermund gelobt wird? Damit lässt Jesus sie stehen und geht. Heraus aus dem Tempel, heraus aus Jerusalem. Geht auf Abstand. Eine kurze Szene. Was kann sie, liebe Gemeinde, für uns bedeuten? Das eine: Kinder gehören zu Jesus dazu. Die Kinder mochten ihn. Sonst wären sie ihm nicht gefolgt vom Stadttor bis in den Tempel, um ihm das Begrüßungslied hinterher zu rufen. Das Erstaunliche dabei: Die Kinder nehmen nicht irgendeine Schmährede oder einen Spottnamen auf, den sie Jesus nachrufen. Nein, sie jubeln auf ihre Weise weiter, was sie gehört haben von der Menge am Stadttor: Hosianna dem Sohn Davids! Jesus schickt sie nicht weg. Ihr Hosianna-Ruf ist kein störendes Geschrei, sondern gültiges Gotteslob. Können wir Jesus in dieser Haltung folgen? Die Kinder sind das Wichtigste und die Mitte unserer Gesellschaft und die Zukunft auch unserer Kirche. Das wird oft gesagt. Aber gilt uns das Kindervertrauen wirklich als vorbildlich? Ihre Lieder, die sie daherträllern sind sie einem Luther- oder Paul-Gerhardt-Lied als Gotteslob vergleichbar? Sie sind es. Sicher nicht von der musikalischen und textlichen Dichte und Ausdruckskraft, obwohl es auch sehr schöne und ausdrucksstarke Kinderlieder gibt.

Das Lob Gottes richtet sich nicht nach dem Maß der künstlerischen Gestaltung. Wichtig ist die Haltung derer, die es singen. Dass es von Herzen kommt. Da haben Kinder uns Erwachsenen manchmal durchaus etwas voraus. Wenn wir das ernst nehmen, können wir eigentlich nicht mehr vom Erwachsenengottesdienst als Hauptgottesdienst sprechen, neben dem es dann auch noch Kindergottesdienst gibt. Denn in beiden Gottesdiensten wird Gott gelobt, ganz gleich, welches Alter die Menschen darin haben. Liebe Gemeinde, die Szene im Tempel kann uns noch etwas dazu sagen. Denn die Kinder im Tempel haben gar keinen eigenen, separaten Gottesdienst. Sie sind mitten dabei. Sie singen im Tempel ein neues Lied. Sie stören damit die hergebrachte Ordnung. Es wird nicht immer so sein, dass das Neue von der jungen Generation, das Alte und Hergebrachte von der älteren Generation getragen wird. Neu kann auch ganz Altes sein, wenn es von Menschen neu entdeckt und, das ist das Entscheidende, mit innerer Beteiligung und Offenheit angeeignet wird. Umgekehrt sind auch angeblich neue Formen nicht davor gefeit, starr und exklusiv zu werden. Dann gehören sie eigentlich schon auf die Seite des Alten. Hier sind die herkömmlichen Unterscheidungen also viel flüssiger als es auf den ersten Blick scheint. Aber immer wird es Hoffnungsträger geben, die, wie die Kinder um Jesus herum, das Neue und Unerhörte aufnehmen und weitertragen. Zugleich wird es Bedenkenträger geben, die sich an der alten Ordnung festhalten, die sie gewohnt sind, und reflexartig gegen alle Neuerung ihre Einwände vorbringen.

Manchmal stehen wir auf der einen, manchmal auf der anderen Seite. Wichtig scheint mir, dass wir vor lauter Bedenken uns nicht vor dem Neuem verschließen, das uns das Herz für Gott auf neue Weise aufschließen kann. Umgekehrt, dass wir das Neue nicht aus Unruhe und Ungeduld suchen, weil wir es nicht schaffen, stehen zu bleiben und den Wert des Überlieferten wahrnehmen. Dass wir nichts Altes singen, weil es immer schon so war, und nichts Neues, nur weil es neu ist. Wichtig ist, dass wir unser Leben darin ausdrücken können. Lebendig. Immer neu. Dann werden wir nicht stehengelassen, sondern können selber zu Hoffnungsträgern Gottes werden. In diesem Sinne, liebe Gemeinde: Singet dem Herrn ein neues Lied!

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.