Rogate – Ruf zum Gebet
Beten als Ausdruck des Glaubens, der Hoffnung und Freiheit
Predigttext: Lukas 11,5-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
5 Und er sprach zu ihnen: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; 6 denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, 7 und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen, und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. 8 Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, soviel er bedarf. 9 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. 10 Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. 11 Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete? 12 oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete? 13 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!Gedanken zum Predigttext und Kasus
Beten heute „....unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und Tun des Gerechten unter den Menschen.“(Gedanken zum Tauftag von D. W. R., Mai 1944, in „Widerstand und Ergebung“ von D. Bonhoeffer) Beten ist eine christliche Lebensäusserung. Jesus hat sie selbstverständlich geübt, sich zum Beten zurückgezogen. Für seine Jünger war es offensichtlich schwer zu beten. Sie fragen und bitten: „Herr, lehre uns beten.(Lk11,1) Und Jesus gibt ihnen das Vaterunser als allumfassendes Gebet. Und erzählt ihnen Gleichnisse, die mit Alltagsszenen zum nichtnachlassenden Gebet ermutigen, nach dem Rückschlussprinzip vom Geringeren auf das Größere hindeuten. Die Verse 5-8 und 11-13 sind die Gleichnisse vom bittenden Freund und vom Vater, der um Brot und Ei gebeten wird. Zur Mission sind diese Gleichnisse nicht geeignet, denn sie setzen einen schon vorhandenen, wenn auch geringen, Glauben an Gott voraus. Sie ermutigen „nur“, diesen Gott auch als potentiellen Geber guter Gaben in Anspruch zu nehmen. Sonntag „Rogate“ Das anbetende, nichts wünschende Gebet (orare) unterscheidet sich vom bittenden Gebet (rogare). Mir scheint, letzteres ist verbreiteter, als man annimmt. Damit hängt dann natürlich auch die Trauer, Müdigkeit, Hoffnungslosigkeit zusammen, die eintritt, wenn nicht geschieht, worum man Gott gebeten hatte. Es ist sozusagen ein negativer Gottesbeweis. Es ist sinnlos zu einem Gott zu beten, ihn um etwas zu bitten. Er hört ja nicht, vielleicht ist er sowieso nur ein Phantom.. Da hinein will Jesus mit den Gleichnissen Hoffnung machen und Mut wecken, zu bitten um Lebensnotwendiges. Dass dieser Lebensäusserung des Glaubens ein Sonntag im Kirchenjahr gewidmet ist, zeigt die Wichtigkeit und Notwendigkeit des Betens. Homiletische Überlegungen Wenn auch heute betende Menschen kaum noch in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten wie vielleicht vor 100 Jahren, so ist doch die Sache genau noch so zentral im Glauben wie zu Jesu Zeiten. Das 7-Bitten-Gebet, das Vaterunser, enthält alles, was ein Gebet ausmacht und ist immer richtig, wenn es einem die Sprache verschlagen hat oder man aus anderen Gründen keine eigenen Worte findet. Am Vaterunser entlang kann man beten lernen. Einer, der betet, ist sich seiner „schlechthinnigen Abhängigkeit“ (Schleiermacher) bewusst. Vielleicht ist die Einsicht darein, die grösste Hürde für glauben und beten. Jesus ermutigt zum Bitten. Im Grunde sagt er: Ihr müsst nicht darben – ihr müsst wagen zu bitten. Gott wird euch nicht abweisen. Er ist wie ein guter Freund, wie ein Vater, der seinen Freund, seine Kinder nicht wegschickt oder ihnen Giftiges gibt, wenn sie ihn um Lebensnotwendiges bitten. Ihr müsst nicht untergehen, nur weil ihr zu stolz seid, um Hilfe zu erbitten. Vielleicht ist es der Stolz, der manche Menschen in die Katastrophe rennen lässt, statt Gott zu bitten. Lied: „Von guten Mächten“ (EG 65)Manchmal sagt jemand: „Ich bin wunschlos glücklich.“ Vielleicht ist das jemand, der sich abgewöhnen musste, Wünsche zu haben und nun die grosse Bescheidenheit an den Tag legt. Nur bei längerem Überlegen fallen doch Wünsche ein, vielleicht welche, wo man nicht weiss, an wen man sie richten soll oder die einem zu unbescheiden vorkommen. Der Sonntag Rogate ist das letzte Überbleibsel der drei Bitttage vor Himmelfahrt, an denen Bittprozessionen stattfanden, wo um gutes Wetter, schöne Zeit und reiche Ernte gebeten wurde. Diese Bitttage sind um 500 in Gallien entstanden. In der säkularisierten modernen Zeit sind dann die Arbeiter mit ihren Bitten, ihren Forderungen an die Arbeitgeber, an die Regierung in Demonstrationen auf die Strasse gegangen, sozusagen die Prozessionen der Neuzeit. Im Predigtabschnitt von den verschiedenen bittenden Menschen werden wir ermuntert, unsere Bitten vorzubringen. Jesus ermutigt seine Zuhörenden mit drei Beispielen, dies zu tun: mit der Geschichte vom bittenden Freund, der um Mitternacht anklopft, dem Aufruf: Bittet, so wird euch gegeben, und dem Gleichnis vom Vater, der den bittenden Sohn nicht abweist.
Haben Sie schon einmal überlegt, beim Nachbarn Zucker, Mehl o.ä. zu borgen, weil Sie vergessen hatten, es aus der Kaufhalle mitzubringen und sie nun geschlossen hat? Da gehen einem doch eine Menge Gedanken durch den Kopf: Belästigst Du sie nicht etwa? Was wird sie von dir denken? Wird sie das gewünschte haben? Dann muss ich ja zugeben, dass ich auch einmal etwas vergessen habe, und dass mir gerade jetzt das Wichtigste fehlt. Trotzdem gehe ich hin, weil ich hoffe, die Angefragte kann mir helfen, und sie ist ja auch hilfsbereit. Eine Menge guter Vorgaben, aber auch das Eingeständnis des eigenen Bedürfens, der eigenen Unvollkommenheit sind zu diesem Schritt notwendig. Die Gleichnisse Jesu sagen: Wie es zwischen Menschen zugeht, so ist es auch zwischen Gott und Mensch. Nämlich:
– Bitten ist eine konkrete Form des Glaubens. Ich vertraue, dass Gott meine Gebete hört und antworten wird.
– Bitten ist eine konkrete Form der Hoffnung, dass Gott auch hier und heute der Ansprechpartner für unsere Lebensäusserungen, unsere Bedürfnisse ist.
– Bitten ist ein Schritt in die Freiheit. Ich finde mich nicht ab mit dem begrenzten Lebensraum, mit den Einschränkungen, die so normal zu sein scheinen.
– Bitten ist ein Geschehen der Liebe. Wer im Namen Jesu bittet, glaubt an die Liebe Gottes, an die Nächstenliebe, die Selbstliebe und wie sich alles bedingt.
Dietrich Bonhoeffer hat im Mai 1944 in seinen Gedanken zum Tauftag von D. W .R. , was dann 10Jahre später in „Widerstand und Ergebung“ erschienen ist, geschrieben: „…unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und Tun des Gerechten unter den Menschen.“ Am 9.April 1945 39jährig gehenkt, weil er ein Verschwörer gegen Hitler war, ein Verschwörer aus christlichem Gewissen. Seine Gebete um Rettung aus dem Gefängnis, um Weiterleben und Heiraten dürfen, sind nicht in Erfüllung gegangen. Aber sein Glauben an Gott blieb ungebrochen, und wie berichtet wurde, ist er Gott ergeben gestorben. Seine Gebete um Bleiben in Gottes Hand sind erhört worden. “Nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheissungen erfüllt Gott, d.h. er bleibt der Herr der Erde, er erhält seine Kirche, er schenkt uns immer neuen Glauben, legt uns nicht mehr auf, als wir tragen können, macht uns seiner Nähe und Hilfe froh, erhört unsere Gebete und führt uns auf dem besten und geradesten Wege zu sich.“ So schrieb er im August 1944 in der Haft. Das gilt für ihn und uns und ist das beste Plädoyer für glaubendes Gebet.
Sehr erhellend und prägnant sind die Predigtüberlegungen von Pfarrerin Bürger. Interessant der Unterschied von orare und rogare und ihre These, dass für viele das Bittgebet ein negativer Gottesbeweis ist. Der Hauptteil der relativ kurzen Predigt ist sehr erleuchtend und schließt das Predigtthema auf. Die Bonhoeffer-Zitate am Schluß zeigen, dass er wie wenige andere bedeutende Christen wunderbare Worte zum Gebet prägnant formuliert hat.