Räume
Gottes Überlegenheit entspricht seiner Unterwerfung unter die Bedingungen von Raum und Zeit
Predigttext: 1. Könige 8,22-24.26-28 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
22 Und Salomo trat vor den Altar des HERRN angesichts der ganzen Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus gen Himmel 23 und sprach: HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen; 24 der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage. 25 Nun, HERR, Gott Israels, halt deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast: Es soll dir nicht fehlen an einem Mann, der vor mir steht, der da sitzt auf dem Thron Israels, wenn nur deine Söhne auf ihren Weg achthaben, daß sie vor mir wandeln, wie du vor mir gewandelt bist. 26 Nun, Gott Israels, laß dein Wort wahr werden, das du deinem Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast. 27 Aber sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen - wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? 28 Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, HERR, mein Gott, damit du hörest das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir: 29 Laß deine Augen offen stehen über diesem Hause Nacht und Tag, über der Stätte, von der du gesagt hast: Da soll mein Name sein.Gedanken zur Predigt: Die Erzähler dieses großen Geschichtswerks, zu dem die Königsbücher gehören, will Salomo in seiner Frömmigkeit und Weisheit groß machen, indem er ihn in seiner Demut gegenüber dem Höchsten darstellt. Der Tempel sei zu begrenzt, um Gott in seiner Fülle zu fassen. Anders als die griechische Metaphysik – sie denkt sich für das Göttliche eine Welt ohne die Bedingungen des Raums und der Zeit – ist für das jüdische Denken die Überlegenheit Gottes eher ein Vorgang: Gott überschreitet die Grenzen, die für uns unüberwindlich scheinen. Gott ist mehr als die Summe aller unserer Lebensräume und mehr als die Räume dieser Welt. Eindrückliche Beispiele dafür sind für mich Ex 3,14: Ich, Gott, werde immer schon dort sein, wo ihr erst noch hinkommt! Oder unser zentraler christlicher Bekenntnisgrund, Ostern: Gott überschreitet als der Lebendige und Leben Schaffende auch unsere härteste und endgültige Grenze, den Tod. Himmelfahrt gehört ja noch in unsere Osterzeit. Salomo zeigt: Angesichts der Unfassbarkeit Gottes zeigt noch der größte und in seiner Ausstattung stolzeste Tempel die menschliche Unfähigkeit, Gott einen Raum zuzuweisen. Da gerät leicht das andere aus dem Blick: Gott will Raum nehmen und Gott nimmt Raum. So hat unser Denken von Gott mindestens zwei Seiten: Gottes Überlegenheit entspricht seiner Unterwerfung unter die Bedingungen von Raum und Zeit.
Mir selber ist der Raum zum Bild geworden für mein, für unser Leben. Ein Raum ist gewöhnlich nach vier Seiten begrenzt. Durch diese Grenze kann ich diesen Raum gestalten, wird dieser Raum mein Raum. Unsere Begrenztheit ist die Bedingung für unsere Entfaltung, für unser Erleben, für unsere Lebensgestaltung. Ohne Grenzen könnte ich nicht ich werden.
So braucht auch Gott Räume. Je nach dem, wie wir Gott denken, braucht er selber sie vielleicht nicht, aber wir brauchen diese Räume für ihn. Wir können auch ihn nur erleben unter den Bedingungen der zeitlichen und räumlichen Grenzen. Dieser Raum wird in dem für das jüdische Denken so beliebten juridischen Denken Bund genannt, im ethisch-moralischen Sinn Barmherzigkeit – auch die Barmherzigkeit braucht Entfaltungsräume und Gott will sich vor allem als der barmherzige Gott unter uns entfalten. Es geht um meine Begegnung mit Gott bzw. dem Auferstandenen und umgekehrt um seine Begegnung mit mir. Der Auferstandene schickt seine Freundinnen und Freunde bekanntlich nach Galiläa, wo sie gelebt haben, wo sie miteinander unterwegs waren. In ihren Lebensräumen wird er als der Lebendige bei ihnen sein und sie begleiten.
Gebet
Gott, lass unsere Räume, nicht nur die gemauerten, auch die Zeiträume, Beziehungsräume, Entfaltungsräume und alles andere, zu deinen Tempeln werden, in denen du uns in Überlegenheit und Nähe begegnest – im Namen des Auferstandenen und mit uns Lebenden.
Ist das der ganze Text der Predigt? Sie kommt mir ungewöhnlich kurz vor, mehr wie eine 5-Minuten-Kurzandacht. Inhaltlich vermisse ich das tiefere Eingehen auf das Thema Himmelfahrt unseres Herrn; diesbezüglich geht die Predigt nicht über kleine Andeutungen hinaus.
Lieber Herr Singer,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Der Autor vermerkte in seinem Manuskript ausdrücklich, dass es sich nicht um eine ausgeführte Predigt handle, sondern um “Gedanken zur Predigt”. Dieser Hinweis fehlt in dem veröffentlichen Text, er ist jetzt nachgetragen.
Mit guten Wünschen grüßt Sie freundlich
Ihr
Heinz Janssen
Herausgeber und Schriftleiter
Heidelberger Predigtforum