Schöpferischer Pfingstgeist
Alles, was Menschen planen, muss sich am Schöpfungsauftrag orientieren und in Frage stellen lassen
Predigttext: 1. Mose 11,1-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. 2 Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. 3 Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, laßt uns Ziegel streichen und brennen! - und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel 4 und sprachen: Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. 5 Da fuhr der HERR hernieder, daß er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. 6 Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. 7 Wohlauf, laßt uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, daß keiner des andern Sprache verstehe! 8 So zerstreute sie der HERR von dort in alle Länder, daß sie aufhören mußten, die Stadt zu bauen. 9 Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder.
Literatur: Gerhard von Rad, ATD 2/4, 1967, z. St.. - Claus Westermann, BK I/1, 3Aufl.; 1983, z. St. - Martin Buber, Franz Rosenzweig, Die fünf Bücher der Weisung, 31968. - Martin Buber, Der Glaube der Propheten, 21984 (S. 125. „Nicht als kennte der Autor die Etymologie von Bab-ilu, Gottestor, nicht; er stellt ihr die seine als die wahre entgegen“). – Online: „Liste der höchsten Bauwerke der Welt“. - „Turm zu Babel“ (wikipedia).
Menschliches Streben
Das höchste Gebäude der Welt ist der Buri Chalifa in Dubai am Persischen Golf. Es wurde im Jahre 2010 erbaut und ist 828 m hoch. Der Eiffel-Turm in Paris aus dem Jahre 1889 hat eine Höhe von 300 m. Der Artikel „Turmbau zu Babel“ aus dem Wikipedia-Lexikon sagt aus, dass der Turm zu Babel, vor etwa 3500 Jahren errichtet, seit 1913 archäologisch nachgewiesen ist. Er hatte eine Grundfläche von ca. 91 qm und eine Höhe von ca. 91 m. Menschen können also heute fast zehn Mal so hoch bauen wie damals im Zweistromland, im heutigen Irak. Angesichts eines solchen Stufenturmes wurde die biblische Urgeschichte geschrieben. Der Predigttext führt uns den Anfang und das Ende der menschlichen Maßlosigkeit vor Augen. Vier Motive stehen hinter dem Bau des Turmes, von dem das 1. Buch Mose erzählt.
Motive
Einmal (1) geht es um eine wichtige technische Erfindung. Die Menschen lebten am Euphrat in der weiten Ebene dieses Flusses. Hier waren keine Steinbrüche, aus denen sie Steine für ihre Häuser und Tempel brechen konnten. Die weichen, in der Sonne gebrannten Lehmziegel, reichten ihnen nicht mehr. Da erfanden einige von ihnen, wie man aus Lehm harte Ziegel brennen und sie dann mit Mörtel fest verbinden kann. Auf einmal ist es möglich, Bauwerke mit vielen Stockwerken zu errichten. So entstanden dort die Stufen-Türme. Dann (2): Aus der Begeisterung über diese neuen Möglichkeiten ergab sich Ruhmsucht. Mit dem Turm wollten sie sich „einen Namen machen“. Man sollte überall und zu allen Zeiten von ihnen reden. Sie wollten etwas ganz Besonderes sein. Zum dritten (3): Der Turm sollte eine Spitze haben, die bis an den Himmel reicht. Jetzt wo sie so gewaltige Dinge bauen können, fordern sie Gott heraus. Was sie hingekriegt hatten, ließ unter ihnen das Gefühl aufkommen: Wir brauchen uns weder vor Naturgewalten noch vor überlegenen Göttern zu fürchten. Zum vierten (4): Diese Menschen hatten zugleich Sorge und Angst um ihren Zusammenhalt. Wir wollen diesen Turm bauen, „denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder“.
Die Geschichte vom Turmbau zu Babel, eine der Urgeschichten der Bibel, macht vier Motive offenbar, die hinter der großen Leistung des Baus dieses Turmes stehen: eine technische Erfindung, menschliche Ruhmsucht, Maßlosigkeit gegen Gott und allzu menschliches Sicherheitsbedürfnis. Alles, was Menschen planen, ausführen und erreichen, muss sich fragen lassen: Handeln hier Menschen nach dem Gebot aus der Schöpfungsgeschichte: „Machet euch die Erde untertan!“ (1. Mose 1, 28) und: Gott setzte den Menschen in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte“ (2,15) oder handeln sie wie die Menschen beim Turm zu Babel? Als Hitler und sein Architekt Albert Speer in Berlin gigantische Bauwerke zum Ruhm der Deutschen planten, welche Motive hatten sie da? Als Otto Hahn und seine Mitarbeiter im Jahre 1938 zum ersten Mal einen Atomkern spalteten, was trieb sie da, und was bedeutete das für das Wohl der Menschen? Jetzt, wo wir uns in unserem Land daran machen, der Atomkraft Ade zu sagen, muss diese Frage noch einmal neu gestellt werden. Heute werden die Gene der Menschen, Tiere und Pflanzen immer tiefer erforscht und manipuliert. Ist das zum Wohle der Menschen und ihrer Mitgeschöpfe, oder gereicht es ihnen zum Wehe? Wenn die Produktionsmittel der Wirtschaft, die Massenartikel des Konsums und die Kapitalströme der Banken immer ungehemmter rund um die zu einem globalen Dorf gewordene Erde verschickt werden, was bewegt die Menschen, die diese Globalisierung schüren? Jemand sagte: „Das Undenkbare wird gedacht; das Unsägliche wird gesagt, und das Unmögliche wird gemacht“. Originalton der Bibel hier in 1. Mose 11: „Nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben.“ (V. 6) Die uralte Geschichte vom Turmbau zu Babel, geschrieben angesichts der ersten Stufentürme an Euphrat und Tigris, erfüllt sich unter den technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Moderne noch einmal ganz anders. Wie gesagt: Vier Motive stehen dahinter: eine technische Erfindung, Ruhmsucht, Überschreitung der von Gott gesetzten Grenzen und das urmenschliche Sicherheitsbedürfnis.
„Babylonisches Herz“
Damit sind wir beim 2. Teil der Geschichte, in der erzählt wird, wie Gott auf dieses Handeln reagiert. Es heißt hier: „Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten.“ Die Menschen wollten einen Turm bauen, der bis an den Himmel reicht. Aber Gott musste sozusagen eine Lupe nehmen und sich herabbeugen, um zu sehen, was da unten geschieht. Er stellt die Maßlosigkeit fest, die die Menschen ergriffen hat, und weiß: Er kann die Menschen nicht so weiter handeln lassen, wie sie es tun. Darum greift er ein, verwirrt ihre Sprache und zerstreut die Menschen in alle Länder. Von hier an steht der Name „Babel“ und „Babylon“ in der ganzen Bibel für Verwirrung, Zerstreuung und einen von Menschen angerichteten Taumel. Menschen jagen nach maßlosen Forschungszielen, Machwerken und globalen Vernetzungen. Zugleich wachsen die augenfälligsten Gegensätze in der Weltbevölkerung Jahr für Jahr. Ich kenne den Spruch: „Das große Babel ist nur ein Scherz, wollt es im Ernst so groß und maßlos sein wie unser babylonisch Herz“. Die Geschichte vom babylonischen Turm schließt mit einem gnadenlosen Gottesgericht über die Menschen.
Pfingsten
Aber Gott hat noch einmal ganz anders auf den Bau des Turmes von Babel reagiert. Der babylonischen Sprachverwirrung in 1. Mose 11 steht das Sprachenwunder am 1. Pfingsttag in Apg 2 gegenüber. Gott, der Vater Jesu Christi, hat sich über die zerstreuten Menschen und über die Irrungen und Wirrungen seiner Geschöpfe erbarmt.
Eine kleine Geschichte: Ein Vater geht mit seinen beiden Söhnen im Wald spazieren. Vor einem Ameisenhaufen bleiben sie stehen. Einer der Söhne nimmt einen Stock, sticht kräftig in den kunstvoll aufgebauten Ameisenhaufen hinein und wühlt darin herum. Der Vater stellt ihn zur Rede: Ist dir klar, dass du dies mit viel Mühe von den Tieren aufgebaute Werk zerstört hast? Der Sohn ist betroffen. Er möchte sich entschuldigen und wieder gut machen, was er angerichtet hat. Aber da ist das Problem: Wie kann er sich als großer Mensch den kleinen Ameisen verständlich machen? Gott im Himmel hat seinen Weg gefunden, unter uns Menschen zu heilen, was mit unserem Herumstochern und Herumwühlen zerstört wurde. Er wurde Mensch wie wir. Er hat in Jesus für uns und mit uns gelitten. Durch seinen Geist sorgt er dafür, dass Menschen ihm gegenüber das Herz aufgeht.
Am Pfingstfest damals in Jerusalem, (vielleicht) in einer der Hallen des Tempelsm, geschah ein imponierendes Sprachenwunder: Menschen ganz verschiedener Herkunft erleben das Wirken des Geistes, verstehen einander und staunen über das wunderbare Handeln Gottes. Petrus bekommt den Mut, Menschen in Jerusalem auf ihre Schuld am Tode Jesu anzusprechen und verkündigt den auferweckten Christus. Der Kreis der Jünger sammelt sich wieder, mit ihm bildet sich das neue Gottesvolk der Kirche. Der Heilige Geist bringt Menschen dazu, dass ihnen der Name Jesu wichtiger wird als der eigene Name. Er führt Menschen aus der Gespaltenheit ihrer Gefühle und aus verworrenen Beziehungen heraus, sodass sie neu zu einer Liebe „von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt“ (Mt 22,37) Gott und den Menschen gegenüber fähig sind. Der Geist ruft Menschen, die auf gigantische, maßlose Ziele aus waren, in „die eine, heilige, christliche und apostolische Kirche“ (Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel), in eine konkrete Gemeinschaft von Christenmenschen.
Wo der Geist Gottes wirkt, da werden Menschen in ihrem Innersten bereit, Gott zu loben, mit welchen Liedern auch immer, und seinen Namen anzubeten. Wo der Geist wirkt, da entdecken Menschen, wie sie die Balance finden zwischen einem erfüllten Ehe- und Familienleben, ihren Spitzenleistungen im Beruf, gelebter Mitverantwortung in Staat und Gesellschaft und einem engagierten Mitmachen in der christlichen Gemeinde. Wo der Geist Gottes wirkt, da lernt man es, sich – trotz aller Katastrophen und Gottesgerichte – die Augen für Gottes Verheißungsgeschichte öffnen zu lassen und zu staunen. Dann tun sich die Linien auf, die sich von dieser Urgeschichte aus grauer Vorzeit über die Pfingstgeschichte in der Urgemeinde zu uns heute bis hin zu dem neuen Jerusalem, in dem Babylon endgültig überwunden ist, ziehen, so dass wir nur staunen können. Das schafft der Geist von Pfingsten.