Bibelauslegungen zur Ehre Gottes

Keine Predigt über ein und den selben Bibeltext wird der anderen gleichen, aber alle wollen sie helfen, den Text zu verstehen

Predigttext: Johannes 5,39-47
Kirche / Ort: Paulusgemeinde / Ettlingen (Evangelische Landeskirche in Baden)
Datum: 26.06.2011
Kirchenjahr: 1. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Kira Busch-Wagner

Predigttext: Johannes 5,39-47 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

39 Ihr sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie ist's, die von mir zeugt;  40 aber ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben hättet.  41 Ich nehme nicht Ehre von Menschen;  42 aber ich kenne euch, daß ihr nicht Gottes Liebe in euch habt.  43 Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer kommen wird in seinem eigenen Namen, den werdet ihr annehmen.  44 Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander annehmt, und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht?  45 Ihr sollt nicht meinen, daß ich euch vor dem Vater verklagen werde; es ist einer, der euch verklagt: Mose, auf den ihr hofft.  46 Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben.  47 Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?

Hinführung zum Predigttext

Der 1. So. n. Trinitatis bildet die Scharnierstelle vom Festtag der Dreifaltigkeit zu den Fragen nach dem Leben der christlichen Kirche. Es geht um den Zusammenhang christlicher Antwort auf die Rettungstag und Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Entsprechend fragen bei der bisherigen Perikopenordnung das Evangelium Lk 16,19-31 (die Lazarusgeschichte) und die Epistel 1 Joh 4,16b-21 (Gott ist Liebe) nach dem Zusammenhang von Gottesliebe und Menschenliebe. Mit dem Predigttext der III. Reihe allerdings wird die Frage nach der Hermeneutik gestellt. Woher wissen wir über diesen Zusammenhang? Welchen Zugang haben wir zur Schrift und wie legen wir sie aus? Die Literatur zur Stelle beschäftigt sich häufig mit der Zeit- und Situationsbedingtheit johanneischer Christologie und der mit ihr verbundenen Abgrenzung vom damaligen Judentum durch die christliche Gemeinde in ihrer gefährdeten Minderheitensituation, um von einer unhistorischen, judenfeindlichen und ungerechten Interpretation weg zu kommen. Was aber wird als frohe Botschaft verkündet? In Jesus begegnet uns, bestätigt von seinem Wirken gemäß der Sendung des Vaters, ein authentischer Ausleger der Thora. (Der johanneische) Jesus versteht sich in einer Linie mit Mose, nicht im Widerspruch zu ihm. Der Christus, der Gesalbte Gottes, ist das lebendige Wort Gottes. Schrift und Christus verweisen aufeinander „zum Leben“ (hebr. „l'chaiim“). Die Liebe zu Gott (vgl. Einheitsübersetzung) besteht darin, Gott die Ehre zu geben steht. Es gilt aber auch, die Liebe Gottes zu seinen Kindern (so in der Lutherübersetzung zu verstehen) gegenseitig in Kraft zu setzen, auch das gibt ihm die Ehre, ruft ihm von der Erde in Korrespondenz zu den himmlischen Wesen das „Heilig, heilig ...“ zu (vgl. dazu Trinitatis). Um die hermeneutische Fragestellung leichter erfassen zu können, lautet mein Vorschlag, den Evangelienausschnitt umfassender zu wählen, nämlich Joh 5, 31-47.      

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Welchen Zugang haben wir zur Bibel und wie legen wir sie aus? In den meisten evangelischen Kirchen wird heute über den Abschnitt aus dem Johannesevangelium gepredigt. Keine Predigt wird der anderen gleichen, wie auch kein Gottesdienst dem andern gleicht. Aber wollen sie nicht alle Christus bekennen, davon erzählen, wie sich uns der biblische Gott durch ihn zuwendet? Das Vertrauen zu Jesus speist sich aus all dem, was uns über ihn durch die Evangelisten, durch Paulus und durch die ganze Tradition der Bibel und der Kirche überliefert ist. Ein anderes Wort für solches Vertrauen ist „Glaube“. Ich möchte Sie einladen, anhand einer rabbinischen Anekdote aus der talmudischen Diskussion darauf zu hören, was Überlieferung, Vertrauen und Glaube bedeuten (Babylonischer Talmud, Traktat Menachot aus der 5. Ordnung der Mischna, aus Kodaschim, Folio 29b). Es geht darin um Mose und die Thora.

Als Mose auf den Sinai steigt, findet er Gott, den Heiligen, wie er als ein gewissenhafter Thoraschreiber sitzt und die Buchstaben der Thora mit Häkchen verziert. Mose ist hoch erstaunt. Was macht Gott da? Gott erklärt ihm: Viele Generationen später wird einer kommen, nämlich der große Gelehrte und Bibelkenner Rabbi Akiba, der wird aus jedem einzelnen Häkchen viele Halachot, Gebote, herauslesen. Gott stellt sein Wort, stellt Schrift zur Verfügung, darüber hinaus noch die Verzierungen. Jedes Häkchen oder ein einzelnes Jota wird seinen besonderen Sinn entfalten. Die Auslegung wird über die Schrift hinausgehen, sie wird vielfältig sein und sich gleichwohl rückbeziehen auf die Schrift. Schließlich sind die Häkchen auf den Buchstaben der Thora Zierde des Wortes Gottes. – Diese Geschichte weiß um die Bedeutung der Auslegung. Gott selbst hat Leerstellen hinterlassen, die später neu zu füllen sind. Gott selbst hat den Umgang mit der Schrift und ihre vielfältige Auslegung ermöglicht. Ohne Jesus, ohne sein Lehren, wüssten wir davon nichts. Ohne den Sohn wüssten wir nichts vom Vater; wüssten wir nichts von der Schrift, nichts vom ewigen Leben, nichts von der Ehre, die Gott vor aller Menschenehre zukommt. Deswegen antwortet im katholischen Gottesdienst die ganze Gemeinde freudig und dankbar auf die Lesung des Evangeliums: Lob sei dir, Christus. Doch lassen Sie uns hören, wie die Geschichte von Mose am Sinai weitergeht.

Mose hört durch Gott von einem kommenden Lehrer und Schriftgelehrten. Er will mehr von ihm wissen. Da ermöglicht ihm Gott, ins Lehrhaus des Rabbi Akiba zu gehen und dem Schriftausleger persönlich zu begegnen. Auch der große Schriftgelehrte Mose, der die Thora aus Gottes Händen empfing, darf noch einmal (dazu) lernen. Mose setzt sich bescheiden in die hinterste Reihe und versteht erst einmal überhaupt nichts von dem, was vorn verhandelt wird. Bei einer bestimmten Argumentation meldet sich einer der Jünger des Rabbi Akiba und fragt seinen Lehrer: Meister, woher hast du das? Rabbi Akiba seinerseits verweist auf den großen Vorfahren, auf den Lehrer und Befreier Israels und antwortet: Das ist ein Gebot des Mose vom Sinai. Mose ist glücklich und beruhigt. Wenn Rabbi Akiba sich auf ihn bezieht, auf die Schrift, die er aus Gottes Hand empfing, dann ist es gut. Jetzt ist Mose ist bereit, dem Nachgeborenen zu vertrauen. Er akzeptiert ihn als einen rechten Ausleger der Schrift, als einen wahren Zeugen. Die Geschichte lädt entsprechend auch alle späteren Leser des Talmud ein, darauf zu vertrauen: Was Rabbi Akiba und all die anderen fragten, diskutierten, auslegten und worüber sie stritten – in all dem beziehen sie sich auf Mose am Sinai, auf die Worte der Schrift, wie Gott selbst sie seinem Volk anvertraut hat. Die rabbinische Diskussion zu Mose und Rabbi Akiba wurde erst lange nach Jesus aufgeschrieben, und doch zeigt sie das geistige Umfeld, in dem die Evangelien geschrieben wurden. Auch der Evangelist Johannes stellt uns Jesus als einen authentischen Ausleger der Schrift vor Augen. Er bekennt Jesus als den Sohn des Vaters, der Gott die Ehre gibt und sich wie Mose auf Gottes Wort bezieht.

Unser Predigtabschnitt beginnt mit der Frage Jesu nach einer Zeugenaussage, die ihn bestätigt. Am Ende sind es Jesu eigene Taten selbst, die ihm Zeugnis geben und seine Worte bestätigen, und es ist Gott selbst, der für ihn eintritt – so, wie in der rabbinischen Geschichte Gott für Rabbi Akiba gegenüber Mose eintritt. Ich meine, wir sind nicht weniger herausgefordert, Jesu resignierender Einschätzung seiner Zuhörer etwas entgegenzusetzen, indem wir mit ihm Gottes Ehre suchen, einzig und allein Gottes Ehre.

 

 

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