Eingeladen
Entscheidungsfreiheit - Es gibt viel Überraschendes
Predigttext: Matthäus 22,1-14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Und Jesus fing an und redete abermals in Gleichnissen zu ihnen und sprach: 2 Das Himmelreich gleicht einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete. 3 Und er sandte seine Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit zu laden; doch sie wollten nicht kommen. 4 Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet und alles ist bereit; kommt zur Hochzeit! 5 Aber sie verachteten das und gingen weg, einer auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft. 6 Einige aber ergriffen seine Knechte, verhöhnten und töteten sie. 7 Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an. 8 Dann sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren's nicht wert. 9 Darum geht hinaus auf die Straßen und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr findet. 10 Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und die Tische wurden alle voll. 11 Da ging der König hinein, sich die Gäste anzusehen, und sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Gewand an, 12 und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Er aber verstummte. 13 Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus! Da wird Heulen und Zähneklappern sein. 14 Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.Exegetische (I.) und homiletische (II.) Bemerkungen zum Predigttext
I. Das Gleichnis vom großen Festmahl gehört zur Q-Überlieferung. Die Zürcher Evangeliensynopse nennt es das „Gleichnis vom großen Abendmahl“. Damit wird ohne Grund ein eucharistischer Sinn nahegelegt. Dieselbe Überschrift findet sich in der Lutherbibel bei Lk 14,15-24, allerdings nur aufgrund des redaktionell überleitenden Verses 15. Mt 22,1-14 finden wir dort als „königliche Hochzeit“ apostrophiert, was der matthäischen Bearbeitung des Q-Stoffs entspricht. Alles umgreifend spreche ich vom „großen Festmahl“. Matthäus folgt dem markinischen Aufriss hinsichtlich des Aufenthalts Jesu in Jerusalem weitgehend. Vor dem kontextuellen Hintergrund legt sich die Vermutung nahe, dass Matthäus mit diesem Gleichnis den Übergang der Heilsverheißungen von den ablehnenden Juden auf die (Juden- und Heiden-) Christen verkündigen will. Entspricht das dem ursprünglichen Sinn in einer hypothetischen Q-Form? Der Q-Form gehörten die vv 6-8 nicht an. V 7 ist deutlicher Reflex auf die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 und deren matthäische Deutung. Vv 6 und 8 liegen im Lichtkegel von v 7. Vv 9 und 10 schließen an v 5 an, mit entsprechender Überleitung wie etwa v 8a. Ob „Böse und Gute“ in v 10 ursprünglich ist, wird der synoptische Vergleich ergeben. V 11ff hat sich schon als Sondergut erwiesen – mit einer interessanten theologischen Komponente. Matthäus kennzeichnet das Gleichnis als Himmelreichsgleichnis. „So verhält es sich mit dem Himmelreich …“ alias „mit dem Reich Gottes“. Reich-Gottes-Gleichnisse beantworten die Frage nach Gott. „So verhält es sich mit Gott …“ Gott ist nicht zu denken ohne Bezug zu meinem Leben. Bei Lukas ist schlicht von einem „Mann“ die Rede, der „ein großes Gastmahl“ veranstaltet. Das ursprüngliche Gleichnis nimmt bei Matthäus allegorische Züge an. Allerdings scheint Matthäus ursprünglicher fortzusetzen: Eine doppelte Einladung an die gleiche Zielgruppe („die Geladenen“ v 3 und v 4), bevor eine letzte Einladung an eine andere Zielgruppe („die auf der Straße“ v 9) ergeht. Bei Lukas sind es drei Einladungen an drei verschiedene Zielgruppen (v 17ff; v 21f; v 23). Die Mt-Version zeigt deutlich den werbenden Charakter des „Königs“/Gottes (Extraeinladung) und darin auch wie bei Lukas die Freiheit, die Gott dem Menschen gibt, auf sein Werben zu reagieren. Die eingeladenen Gruppen tragen lukanisches Kolorit: Die Erstgeladenen erinnern an die - bei Lukas erweiterte – Gruppe derer, die sich im Blick auf die Nachfolge entschuldigen (Lk 9,57-62), die Zweitgeladenen sind die sozial Unterprivilegierten, für die Lukas ein besonderes Herz hat. Die Drittgeladenen entsprechen den Zweitgeladenen bei Matthäus, allerdings schießt „Böse und Gute“ bei Matthäus über. Dieser Zusatz liegt im Lichtkegel von vv 11ff und ist daher matthäische Einfügung. Vv 11 und der Zusatz „Böse und Gute“ erschließen sich von v 14 her. V 14 unterscheidet zwischen Berufenen und Auserwählten. Was zunächst wie eine göttlich sanktionierte Elitebildung klingt, hat in Wahrheit mit der Freiheit des Menschen und der Freiheit Gottes zu tun. Eine Q-Originalversion lässt sich nicht mehr erstellen, wohl aber lassen sich eine gewisse Affinität zu Q sowie typische redaktionelle Einfärbungen erkennen. Die theologische Aussage von Q könnte lauten: Gott wirbt um dich. Er lädt dich ein zu einem festlichen Leben mit ihm. Du bist frei, dich zu entscheiden. II. Welchem theologischen Skopus soll die Predigt folgen: Dein Leben sei ein Fest mit Gott; lass dich einladen(Q)? Deine Freiheit und Gottes Freiheit (Mt)? Ich entscheide mich für den Q-Skopus. Er steht für „einladendes Evangelium“, „einladende Kirche“. Das will ich verkündigen. Zugleich aber will ich die Mt-Perikope textlich nicht auf Q reduzieren, sondern ganz zur Geltung kommen lassen. Meine Predigt soll die Einladung Gottes weitergeben, unser Leben mit ihm zu feiern. Darin stehe ich in der Nachfolge Jesu. Es gibt viel Überraschendes, was nicht vorhersagbar ist. Das muss als Antwort über allem stehen. Trotz des einladenden Evangeliums enthält der Mt-Text ärgerliche Anstöße: Stadtzerstörung und Rauswurf des underdressed man. Auch sie werde ich benennen und zugeben, dass ich mit ihnen meine Probleme habe. Liedempfehlung: „Leben im Schatten - Gott lädt uns ein zu seinem Fest“ (s. Internet)
Es hat nun schon eine Tradition, dieses Fest. Es dauert drei Tage. Ich meine unsere Pilgertour, die wir seit 2006 jährlich an einem Wochenende im Juni durchführen, immer zwei Etappen – das sind rund 40 km – auf dem Pilgerweg von Loccum nach Volkenroda. In der Tat, es ist ein Fest; und wer schon einmal mitgemacht hat, der kann das bestätigen. Manche, die auch dieses Jahr wieder dabei sind, waren anfangs, als ich sie ansprach, skeptisch. Die Idee zu pilgern sei interessant. Man habe davon schon gehört. „Aber ob das was für mich ist, weiß ich nicht.“ Dabei blieb es dann; doch nicht bei allen. Jemand, der sich überreden ließ, gestand mir hinterher: „Ich war ja erst etwas skeptisch, aber jetzt bin ich dankbar, dass ich mitgemacht habe und das alles erleben konnte.“ Sie werden diese Erfahrung mit mir teilen können, egal von welcher Seite Sie es betrachten: ob von der Seite des Werbers oder von der Seite des/der Geworbenen. Werbe ich für eine Sache, kann ich diese nur zum Teil „rüberbringen“; der Rest ist erfahrbar nur für den, der mitmacht. Der/die Geworbene wird bekennen: Die Schönheit dieses „Festes“ kann man gar nicht recht in Worte fassen, man muss es einfach erleben. Jesus wirbt auch für ein Fest. Wir wollen hören, wie Jesus seine Jünger damals eingeladen hat, sich auf Gott, den Gastgeber des Festes, einzulassen und mit ihm das Fest des Lebens zu feiern. Wir dürfen dabei auch eine Einladung an uns hören.
(Lesung des Predigttextes)
Schade! So ein bisschen ist jetzt unsere Festesfreude getrübt. Was ist das für ein unmenschlicher König, der den Mann in seinem zerrissenen Gewand rauswirft: „Zur Hölle mit ihm!“ Einladende Kirche habe ich bisher immer anders erlebt. Was ist das für ein König, der Rache übt an ein paar militanten Feinden und ihre Stadt niederbrennen lässt? Soll ich mir so den gerechten Gott vorstellen? Oder soll vielleicht gesagt werden: Wenn Gott zu seinem Fest einlädt, dann meint er es ernst. Es geht ihm um uns, um unser Leben, und das zu suchen, ist eine ernste Sache. Gott lädt dich und mich zum Fest des Lebens ein. Lass dich darauf ein – wie bei der Pilgertour auf eine unbekannte spirituelle Erfahrung. Dann wirst du die Freude des Festes erleben; dein Leben bekommt einen neuen Glanz; du wirst Gott erfahren. Komm und sieh! Ich kann dir im Einzelnen nicht sagen, was dich erwartet. Gott wird es dich und mich erleben lassen. Ein Fest ist immer voller Überraschungen. Gott lädt ein zum großen Fest, „doch sie wollten nicht kommen“. Ich finde mich unter ihnen wieder. Gott lässt mir die Freiheit, mich zu entscheiden. Er wiederholt seine Einladung. Das wahre Leben kann so nah sein.
Gott lässt sich nicht entmutigen. Er lädt weiterhin zu seinem Fest ein. „Geht hinaus auf die Straßen und holt zusammen, wen ihr trefft: Gute und Böse, Rechtschaffene und Übeltäter, Redliche und Taugenichtse. Sie sollen das Fest des Lebens erfahren.“ Sie kamen und machten die Erfahrung: Ich bin nicht mehr der Gute oder der Böse, der Rechtschaffene oder der Übeltäter, der Redliche oder der Taugenichts; ich bin das, was ich in Gottes Augen bin: Gast an seinem Tisch. Liebe Gemeinde, vielleicht gehören wir zu denen, die Gott von der Straße ruft. Das Fest des Lebens mit Gott kann sofort beginnen. Komm, feiere mit und gib dem Gastgeber die Ehre! Deine Freiheit, in der du dich entscheidest zu kommen, ist dein Feierkleid.
Ein einladender Predigttext – aber mit zwei ärgerlichen Anstößen: Stadtzerstörung und Rauswurf eines Hochzeit-Gastes. Nach sehr gründlicher Exegese entscheidet sich Pastor Dr. Scholz für den einladend erfreulichen Skopus des Text-Anteils aus der Quelle Q. Sehr konzentriert, geradlinig und überzeugend malt er dem Hörer das Zentrum des Evangeliums vor Augen: die nachhaltige Einladung Gottes an uns zum Fest des Lebens. Zur Veranschaulichung verknüpft der Prediger sie mit seinem Werben für das spirituelle Erlebnis eines Pilgerwegs von Kloster Loccum nach Volkenroda.
Bemerkenswert ist, dass die beiden beunruhigenden und irritierenden Seiten des Predigttextes (s.o.) nicht übergangen, sondern angesprochen und interpretiert werden. Gott geht es um dass entscheidende Thema, ob unser Leben gelingt. Deswegen ist seine Einladung so wichtig, und deswegen nimmt er unsere freie Entscheidung für oder gegen sein Fest sehr ernst.
Als zusammenfassender Schlußsatz ist der vorletzte Satz sehr geeignet: “Komm, feiere mit und gib dem Gastgeber die Ehre!” Die Predigt ist überaus gut aufgebaut und verständlich und lädt zum Feiern des Evangeliums ein.