Bereinigte Beziehung

Die Josefsgeschichte, eine Geschichte voller Irrungen und Wirrungen – Neid, Rache und Vergeltung haben nicht das letzte Wort

Predigttext: 1. Mose / Genesis 50, 15-21
Kirche / Ort: Melanchthonkirche, Johannes-Brenz-Kirche / 70734 Fellbach
Datum: 17.07.2011
Kirchenjahr: 4. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin i. R. Stefanie Schäfer-Bossert

Predigttext: 1. Mose / Genesis 50, 15-21 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

15 Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben. 16 Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: 17 So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten. 18 Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. 19 Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Statt? 20 Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. 21 So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Vorbemerkungen zum Predigttext

Eine gewisse Schwierigkeit mit unserer Perikope besteht darin, dass sie aus dem Abschluss einer langen Geschichte stammt, der Josefsnovelle (Gen 37 – 50, ohne Gen 38). So kann die Predigt diese nachskizzieren, um zum einen vorzustellen, auf was sich die Perikope bezieht. Zum anderen wäre damit die Kenntnis der Josefsgeschichte aufgefrischt. Deren große Stärke ist ja die narrative Aufnahme vieler bis heute hoch aktueller Themen wie Geschwisterneid und Streit, das Träumen, kaum klärbare Vorwürfe sexueller Übergriffe u. v. m. Für Skizzen der Josefsgeschichte unter verschiedenen Vorzeichen stehen im Internet, nicht zuletzt aus Heidelberg und Göttingen, ältere Predigtvorschläge bereit, die noch nicht an Aktualität verloren haben. Mich hat es von vornherein gereizt, auch diesen Teil vor allem aus sich selbst heraus als Impulsgeber zu vertiefen. Dass das auf Kosten des narrativen Kontexts der Josefsgeschichte gehen muss, ist unvermeidlich, kann aber lebensweltliche Zusammenhänge und Einstellungen auf- und in Bearbeitung nehmen. Eine solche ist die gängige Rezeption (deren Ursprung ich nicht feststellen konnte, LXX und Vulgata sind es keinesfalls) von Gen 50,20, die einen abgewandelten Wortlaut hat: „Die Menschen gedachten es böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“ Ich habe es mit der Internetsuchmaschine überprüft: Dies ist auch dort die weitaus häufigste Zitierweise, vor allem jenseits gezielter und genauer Auslegungen der Perikope. Hier halte ich es für homiletisch sinnvoll, nicht etwa das Vertraute exegetisch durchzustreichen, sondern vielmehr genau daran anzuknüpfen. Dass sich die Perikope so „christlich“ auslegen lässt, ohne ihr etwas überstülpen zu müssen, spricht für die enge Verbundenheit des Ersten Testaments mit dem Zweiten und gegen antitypische Abgrenzungsversuche. Eigens ausgeführt habe ich dies in der Predigt nicht und die Auslegung auch um des Flusses willen selten neutestamentlich belegt, sondern baue auf die direkte materiale Wirkung – und die christliche Liturgie.

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„Die Menschen gedachten es böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen“ – dieser Satz läuft als ein geflügeltes Wort um. Sie kennen ihn so wahrscheinlich? Wussten sie noch, wussten Sie schon, wo er herkommt? Ja, aus der biblischen Josefsgeschichte. Diese wird oft wegen ihrer Geschlossenheit und wegen auch anderer Qualitäten als „Novelle“ bezeichnet. Die Josefsnovelle hat alles, was eine gute Geschichte, was gute Literatur ausmacht: nicht nur sex and crime, Karriere und Knast, sondern auch alle erdenklichen Konfliktkonstellationen, handfeste Rivalitäten nicht zuletzt unter Geschwistern, kaum klärbare Vorwürfe sexueller Übergriffe (steckt hinter diesem Vorwurf seitens Potiphars Frau nun Anhalt oder nicht?!), und ein happy end, allerdings kein platt billiges, zuvor wird schon noch ein bisschen getrickst, gelitten und erzogen, und es braucht dazu mehrere Anläufe. Es lohnt sich und ich empfehle es Ihnen nun einfach als Sommerlektüre: Lesen Sie doch die Josefsgeschichte nach! In 1. Mose 37 beginnt sie, 1. Mose 38 ist eine dazwischen eingeschaltete andere Geschichte, und dann geht’s weiter mit 1. Mose 39 bis zum Ende des ersten Buch Mose. Die Josefsnovelle hat alles, was gute Literatur ausmacht, sie hat – Wäre es sonst gute Literatur? Wäre es sonst die Bibel? – sie hat sehr vieles, was das Leben ausmacht. Vielleicht mögen Sie sich auch die Muße gönnen, über einzelne Szenen und Themen etwas zu sinnieren. Wir werden dies hier nun mit dieser Schlussszene tun, die wir als Predigttext haben, und können dafür gleich bei dem geflügelten Wort bleiben, das so bekannt ist – und dann noch etwas genauer  auf die Bibelstelle schauen, wie es da steht und was da noch so steht.

Eine Geschichte voller Irrungen und Wirrungen kommt an ein gutes Ende, Neid und Niederträchtigkeiten, Rache und Vergeltung haben nicht das letzte Wort – das bündelt sich in diesem Schluss. Im Schluss einer Geschichte, in der Brüder den Bruder verkaufen. „Die Menschen gedachten es böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“  So wünschen wir uns sehnlich den Ausgang so mancher Geschichte, in der Menschen nichts Gutes im Sinn haben oder auch nur meinen zurückschlagen zu müssen. Das dürfte einer der Gründe sein, warum der Satz doch recht oft zu hören und zu lesen ist. Er besteht auf der Hoffnung, er besteht auf das Vertrauen, dass nicht menschliche Untaten das letzte Wort haben, sondern Gott. Die Botschaft von Kreuz und Auferstehung ist auch eine solche Geschichte und bekräftigt, begründet dieses Vertrauen.

„Die Menschen gedachten es böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“ Nein, das heißt nicht, leider nicht, dass sich alles Böse in Gutes wendet. Und das heißt schon gar nicht, dass Gott das Böse in seiner allwissenden Vorhersehung einbaut, um mit schwarzer Pädagogik Gutes herbeizuzwingen. Das heißt aber schon, dass unsere menschlichen Pläne nicht sicher aufgehen, selbst die unguten Pläne nicht – wie unser Sprichwort sagt: „Der Mensch denkt, Gott lenkt“. Das heißt ganz gewiss, dass wir Menschen, statt „böser“ Absichten, mit Gott das Gute hegen können und sollen, auch wenn uns das etwas abverlangt, so wie Jesus es unter anderem in der Bergpredigt tut. Letztendlich bedeutet das dann wohl auch, endlich die Vorstellung zu beerdigen, wir könnten auf dieser Erde „Das Gute“ in Reinkultur haben, völlig unkontaminiert. Die Trauerrede dazu dürfte dann aber um Himmels Willen nicht lauten: „Wenn wir das Gute nie völlig erreichen können – geben wir es auf“.

Geben auf. Uns. Die Versuche. Das Gute. Die Hoffnung. Womöglich gar noch: „Und uns dem Bösen anheim“. Das klingt dramatisch bis melodramatisch – aber es sind nicht nur die Satanisten, die diesen Schluss ziehen. Jedes Resignieren baut ein Bollwerk ab oder baut es zumindest nicht auf, um –  steigen wir aus dem Gut-Böse-Schema auch sprachlich aus und sagen, mit einem Stichwort unseres Predigttexts: – um das Lebensförderliche gegen das Lebensschädigende zu verteidigen. In unserer Psyche: Resignation verdunkelt sie. In unseren Beziehungen: Resignation gibt sie auf  und lässt sie damit absterben. In unserer Sorge um die Umweltzerstörung: Was wir tun, ist immerhin getan, und (womöglich noch wichtiger:) was wir lassen, hat bereits weiteren Schaden vermieden. Wenn wir  mit unserem Ersparten nicht Rüstung oder Ausbeutung unterstützen möchten: Es gibt Anlageformen und ganze Banken, die das ausschließen. Wenn wir an die Produktionsbedingungen unserer Waren denken, auf deren Auswirkungen auf die Arbeiter und Bäuerinnen: Es gibt lokale Vermarktung, und es gibt den fairen Handel.

Wenn wir also wieder einmal das, sicher nicht unberechtigte, Gefühl haben „die Menschen gedenken es böse zu machen!“, dann können wir dem, mit Gottes Hilfe, etwas entgegensetzen. Dazu ermutigt uns ja auch die Jahreslosung: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Röm 12,21). Freilich, alle unsere Bemühungen können nicht auf einen Schlag die heile Welt, „Das Gute“ herbeibringen, das sagen Bibel wie Lebenserfahrung fortwährend, wir leben weder im Paradies noch im Reich Gottes – aber unsere Bemühungen können,  und das tatsächlich ständig und beständig, etwas besser machen. Wie, bitteschön, soll Gott etwas „gut machen“, frischen Wind bringen, wenn wir die Segel gestrichen haben und uns treiben lassen?

Es gibt also nicht nur die Pole „Gott“ und „die Menschen“, was üblicherweise meint „die anderen Menschen“. Es gibt auch noch mich, in Beziehung zu Gott und anderen Menschen, und eigentlich geht es meist doch genau darum. Statt sich allzu ausgiebig in Grundsätzlichkeiten über „Gott“ und „die Menschen“ zu ergehen führt es fast immer weiter, sich an konkrete Situationen, Konstellationen und eben auch Personen zu halten. Unser Predigttext tut das, Josef tut das, unser geflügeltes Wort hat sich nämlich aus einem ganz persönlichen Satz des Josef entwickelt, an ganz konkrete Adressaten und mit ganz konkreten Situationen im Hintergrund: Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen“ (V 20). Die Gottesbeziehung, das Gottvertrauen hat Josef vieles durchstehen lassen, auch die schwierige Beziehung zu seinen Brüdern. Diese ist immer noch nicht so ganz geklärt, vor allem seitens der Brüder: In unserer Geschichte, in der Brüder den Bruder verkaufen, hängen später alle Hoffnungen, einer Hungersnot zu entkommen, von einem Mann ab, der sich als just dieser Bruder erweist und alle erlittene Bosheit vergelten könnte. Bislang hat er es nicht getan, sondern sich weitestgehend nobel gezeigt, aber vielleicht auch nur dem Vater zuliebe? Wird er seine Rache jetzt, nachdem der Vater gestorben ist, nachholen? Er tut es nicht. Josef lässt sich weder von Resignation noch von Rache regieren. Er weint sogar, als ihm solches unterstellt wird. Vielleicht auch, weil sich die Brüder immer noch hinter dem Vater verstecken. Vielleicht weint er aber auch aus Erleichterung, dass das alte Problem endlich an- und ausgesprochen wird, bevor es ihn doch noch in Vergeltungsgelüste treibt. Die sichere Wendung zum Guten, die wirklich bereinigte Beziehung statt eines unklaren, unsicheren Burgfriedens, sie kann erst kommen, als die Brüder ihr Fehlverhalten auf den Tisch bringen, es explizit als falsch benennen, und bereit sind, Konsequenzen zu tragen. Wo immer wir in der Rolle von Josefs Brüdern sind: Das braucht es zur Klärung! Fehlverhalten auf den Tisch bringen, es explizit als falsch benennen, und bereit sein, Konsequenzen zu tragen. Hören wir die Szene noch einmal.

(Wiederholung des Predigttextes)

Die Gewaltspirale ist durchbrochen, was die Brüder sich kaum vorzustellen wagten. Es geht um das, was Leben erhält. Um ein Leben-Können ohne Angst und Furcht, darum, dass Kinder versorgt sind, darum, dass statt Neid und Rache Freundlichkeit und Trost, Mut-Machen den Umgang bestimmen. Zur Nachahmung empfohlen – und das „Rezept“ wird uns ja ebenfalls in der Hauptfigur Josef mitgeliefert: Mit Gottvertrauen sein Bestes geben und sich nicht in erlittenem Übel einnisten. Die Hoffnung nicht aufgeben, sich selbst nicht aufgeben. Immer wieder ins Leben zurück auferstehen. Ganz so märchenhaft, dass man zum Vizekönig eines Riesenreichs wird, geht das für uns wohl nicht immer aus. Aber es ist sehr, sehr beziehungsförderlich – zu uns selbst, um Widrigkeiten zu überwinden und sich nicht von ihnen lähmen zu lassen, sich womöglich irgendwann für die eigenen Lähmungen selbst zu hassen. Zu anderen, denen wir im Kleinen wie im Großen mit dem Blick auf eine gemeinsame Zukunft begegnen können und nicht in einer vielleicht nicht geglückten Vergangenheit gefangen bleiben. Und zu Gott, wenn Gott nicht als Urheber meiner Probleme angeklagt wird, sondern Gottes Hilfe zu deren Überwindung angenommen. Auch wenn uns nie alles ganz gelingen wird – gedenken wir es gut zu machen.

 

 

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Ein Kommentar zu “Bereinigte Beziehung

  1. Pastor iR Heinz Rußmann

    “Über einzelne Szenen und Themen etwas sinnieren”, möchte Pfarrerin Schäfer-Bossert mit dem Predigthörer in ihrer Predigt. Tatsächlich kann man ja über den Text kaum anders predigen als den großen Rahmen und einzelne Stationen der Josefsgeschichte mit einzubeziehen. Die verschiedenen Betrachtungen in der Predigt sind jeweils sehr ansprechend. Überall geht es darum “das Lebensförderliche gegen das Lebensschädigende zu verteidigen”. Dass die “Josefs-Novelle” auch ein Erziehungs-Roman für Josef und seine Brüder ist, klingt an. Zum Schluss wird das bekannte Zentral-Thema schön umformuliert in: “Die Gewaltspirale ist durchbrochen”. Der Schlussabsatz bringt dann noch einmal eine Fülle der Aspekte bis zum “märchenhaften Vizekönig eines Riesenreichs”.

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