Geliebt
Taufe - Staunen über eine überwältigende Entdeckung
Predigttext: 5. Mose / Deuteronomium 7,6-12 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
6 Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind. 7 Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern –, 8 sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat er euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten. 9 So sollst du nun wissen, dass der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, 10 und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen. 11 So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust. 12 Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat.Hurra, es sind Ferien! Während einige Orte wie ausgestorben wirken, sind andere überfüllt. Ein buntes, quirliges Leben. Was die Zählung angeht, ist dieser Sonntag, Ende Juli, der 6. Sonntag nach Trinitatis, eher langweilig. Man sagt ihm nach, er gehöre zur festlosen Zeit. Verglichen mit Advent, Weihnachten, Ostern stimmt es auch fast – zumindest geht einem auf, warum Menschen auf die Idee gekommen sind, eine ganze Reihe von Sonntagen festlos zu nennen… Aber wie Zahlen und Daten täuschen können! Der 6. Sonntag nach Trinitatis ist ein Festtag ganz nach meinem Herzen und ein Gottesgeschenk dazu. Es ist der Sonntag, der jedes Jahr, wenn auch versteckt und eingereiht, von der Taufe erzählt. Von meiner Taufe, von Ihrer Taufe. In einem Lied von Jürgen Werth wird ein festlicher Ton angeschlagen:
Vergiss es nie: Dass du lebst, war keine eigene Idee,
und dass du atmest, kein Entschluss von dir.
Vergiss es nie: Dass du lebst, war eines andern Idee,
und dass du atmest, sein Geschenk an dich.
Vergiss es nie: Niemand denkt und fühlt und handelt so wie du,
und niemand lächelt so, wie du’s grad tust.
Vergiss es nie: Niemand sieht den Himmel ganz genau wie du,
und niemand hat je, was du weißt, gewusst.
Vergiss es nie: Dein Gesicht hat niemand sonst auf dieser Welt,
und solche Augen hast alleine du.
Vergiss es nie: Du bist reich, egal ob mit, ob ohne Geld
Denn du kannst leben! Niemand lebt wie du.
Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls, keine Lust der Natur,
ganz egal, ob du dein Lebenslied in Moll singst oder Dur.
Du bist ein Gedanke Gottes –
Ein genialer noch dazu.
Du bist du.
Vergessen? Vielleicht habe ich mein Leben gar noch nie aus einer solchen Warte gesehen. Manchmal fühle ich mich nur wie eine Nummer. Ich bin austauschbar. Wenn ich es nicht mehr bringe, stehen andere bereit – sie scheinen nur zu warten. Darum kann ich mir keine Schwäche erlauben. Ich muss oben bleiben. Ich rede mir ein: das darfst du nicht vergessen. Immer wieder heißt es in dem Lied: Vergiss es nie. Aber der Ton ist anders. Ein cantus firmus, ein Grundakkord – oder einfach nur ein roter Faden. Eine kleine Anleitung, das eigene Gesicht, die eigenen Augen, die eigenen Gedanken gern zu haben. Das Lächeln einmal bewusst wahrzunehmen, Gefühle anzunehmen – und die eigene Art, den Himmel zu sehen. Was mir an diesem Lied so gut gefällt, ist das Zutrauen, dass ich ein Gedanke Gottes bin, ein genialer noch dazu! Was einer aus seinem Leben macht – oder hat machen können – erscheint hier nicht einmal am Rande. Von Verdiensten ist nicht die Rede. Überhaupt: alles, was unter Menschen als „groß“ und „bedeutend“ gilt, ist hier wie vergessen. Nur das Staunen, eine überwältigende Entdeckung: Du bist Du. Überhaupt: Das Staunen. Das Staunen darüber, dass ein Mensch, dass Menschen geliebt sind. Ihr habt es längst gemerkt: das Lied „Vergiss es nie“ ist ein Liebeslied. Hier wird ein Mensch in seinem Lächeln – schön.
Ich muss jetzt an die Worte aus dem 5. Buch Mose denken: „Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern –, sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat.“ Wir sehen Gott ins Herz. Wir werden zu Zeugen seiner Zuwendung. Sein Volk ist ihm heilig. Ihm bewahrt er auch seine Treue. Unabhängig von den Irrwegen, unabhängig auch von der Schuld. Dabei ist es Israel selbst ein Rätsel, wie es zu dieser Ehre kam. Erwählt zu sein, mochte gar, gelegentlich, wie ein Fluch erschienen sein. In Schicksalsstunden – es hat zu viele von ihnen gegeben – war die Angst ständiger Begleiter. Auch der Hass. Sogar der Tod. Es ist in der Gemeinschaft der Völker nicht leicht, als ein auserwähltes Volk zu bestehen. Schon gar nicht, immer wieder auch darauf angesprochen, daran gemessen zu werden. Hier wird in wenigen Worten eine große Geschichte von einem kleinen Volk rekapituliert. Ohne Jahreszahlen zwar, aber mit Erinnerungen, die leben, die Jahrhunderte überdauern, die von einer Generation zur anderen gehen. Es ist die Zusage Gottes, über alles geliebt zu sein und eben „heilig“. Was daraus folgt, kommt in wenigen Worten zu uns: „du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott“.
Ich weiß, wie schwer wir uns mit dem Wort „heilig“ tun. Es klingt ausgrenzend, es kann sogar weh tun. In der Regel haben wir auch gleich moralische Maßstabe und Verdikte zur Hand. Immer mit dem Hintergedanken, den Heiligen, den Möchtegern-Heiligen, die Maske vom Gesicht zu ziehen. Aber „heilig“ heißt nur, zu dem zu gehören, der selbst „heilig“ ist – und seine Heiligkeit in der Liebe erweist. Schien Heiligkeit Himmel und Erde zu trennen, Gott und Menschen gar von einander zu lösen – jetzt wird es klar und rein: In der Liebe ist Gott heilig, in der Liebe sind wir Menschen heilig, in der Liebe gehören wir zusammen: Gott und Menschen. Dabei schlüpfen wir nicht in Schuhe, die uns zu groß sind. Wir sind Teil einer großen Geschichte von dem Kleinen. Ich möchte jetzt am liebsten von dem Auszug aus Ägypten erzählen. Auf dem Weg in das gelobte Land hat Israel Gott kennengelernt, allerdings: sich auch. Das ist eine lange Geschichte. Es ist auch die Geschichte einer großen Liebe. Trotz Wüste, trotz Irrwegen, trotz goldenem Kalb. Am Ende bleibt das Staunen, das Staunen darüber, dass es Liebe gibt – und dass ich geliebt bin – und dass ich lieben kann.
(PredigerIn verlässt die Kanzel und geht zum Taufbecken. Die Osterkerze wird entzündet. Die Gemeinde wird eingeladen, zum Taufbecken zu gehen)
Wir haben uns an das Taufbecken gestellt. Es ist ein schöner Ort in unserer Kirche. Hier werden junge und ältere Menschen getauft, Kinder und Erwachsene. Hier wird Gottes Liebe in besonderer Weise sichtbar. Hier hören wir Jesu Wort:
„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker:
Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes
und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.
Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“
Die Liebe Gottes zu seinem Volk Israel hat weite Kreise gezogen. So weit, dass wir heute hier an diesem Taufbecken stehen. So weit, dass ich getauft bin. Dass ich es verdient habe, glaube ich nicht, aber dass ich geliebt bin, macht mich richtig groß. Ich darf auch sagen: macht mich heilig.
„Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls, keine Lust der Natur,
ganz egal, ob du dein Lebenslied in Moll singst oder Dur.
Du bist ein Gedanke Gottes –
Ein genialer noch dazu.
Du bist du.“
Der 6. Sonntag nach Trinitatis ist ein Festtag ganz nach meinem Herzen und ein Gottesgeschenk dazu. Es ist der Sonntag, der jedes Jahr, wenn auch versteckt und eingereiht, von der Taufe erzählt. Von meiner Taufe, von Ihrer Taufe. Johann Jakob Rambach schrieb 1735 das Lied: „Ich bin getauft auf deinen Namen“ (EG 200). Lasst uns dieses Lied, hier, an diesem Ort, singen.