Getragen auf Adlerflügeln

Mit Mose und dem „wandernden Gottesvolk“ dem Leben nachspüren

Predigttext: 2. Mose / Exodus 19,1-6
Kirche / Ort: Hamburg
Datum: 28.08.2011
Kirchenjahr: 10. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastor Christoph Kühne

Predigttext: 2. Mose / Exodus 19,1-6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1Am ersten Tag des dritten Monats nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, genau auf den Tag, kamen sie in die Wüste Sinai.  2 Denn sie waren ausgezogen von Refidim und kamen in die Wüste Sinai und lagerten sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge.  3 Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen:  4 Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht.  5 Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein.  6 Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst. (Eigene Übersetzung aus der hebräischen Bibel) 1 Am Monat dem dritten, herausgezogen die Israeliten aus Ägypten// an diesem Tag kamen sie in der Wüste Sinai an. 2 Und sie waren aufgebrochen von Rephidim und kamen in der Wüste Sinai an und lagerten sich in der Wüste (Griechische Bibel, Septuaginta: und lagerten sich ...; entf) // und es lagerte sich dort Israel gegenüber dem Berg 3 Und Mose stieg empor zu Gott (Septuaginta: Berg Gottes) // und es rief ihn IHVH vom Berg aus (Septuaginta: aus dem Himmel) an: So rede zum Hause Jakobs und zeige es den Israeliten an: 4 Ihr, ihr habt gesehen, was den Ägyptern getan habe// und ich habe euch getragen (Septuaginta: wie) auf Adlerflügeln und ich habe euch zu mir gebracht 5 Und genau jetzt (und hier) - wenn hören ihr (mit Vergnügen) auf meine Stimme hört und ihr haltet meinen Bund// und ihr werdet sein mir ein Eigentum aus allen Völkern, denn mir (gehört) die ganze Erde 6 Und ihr, ihr werdet mir sein ein Königreich, dessen Bürger Priester sind und ein heiliges Volk (Goj)// Dies die Worte, die du sagen wirst den Israeliten.

Gedanken beim ersten Lesen

Als Erstes ist eine genaue Zeitangabe auffällig. Hier geht es nicht um  ein sagenhaftes Geschehen in grauer Vorzeit, sondern um ein historisches Datum. Auch versucht der Text, eine genaue Ortsangabe zu machen: Hier ist es "der Berg". Wie selbstverständlich steigt Mose auf den Berg, wo er Gott vermutet, und Gott spricht ihn an. Er appelliert an Erinnerungen des "wandernden Gottesvolkes", um dann Israel einen Exklusivstatus anzubieten. Mich rührt das Bild der göttlichen Adlerflügel an, auf denen ER Israel zu sich gebracht habe.

Exegetische Anmerkungen und Überlegungen zum Predigttext

Der Text ist gut erhalten. Die Griechische Bibelübersetzung (Septuaginta / LXX) hat einige Korrekturen angebracht, die den hebräischen masoretischen Text glätten. Die Redaktoren versuchen eine zeitliche und örtliche Präzision. Der Ort des Geschehens bleibt in dieser Perikope dennoch im Dunkeln. Bedeutsam ist die zweimalige pointierte Ansprache der Israeliten, Vv 4 und 6. Das Bild der "Adlerflügel" (V 4b) steht nur hier in der Bibel. Das Bild des Tragens durch Gott wird noch einmal in  Dt 1, 31 aufgenommen (dich ... Gott getragen hat, wie ein Mann seinen Sohn trägt) und dann Jes 46,4 (Ich will euch tragen, bis ihr grau werdet). V 5 wird das Hören betont: Die Israeliten sollen mit Freude auf Gott hören und seinen Bund (LXX: diathaekae;  Lateinische Bibelübersetzung Vulgata / V: testamentum) halten. Die Folge wäre ein Exklusivstatus vor den Völkern, der sich (V 6) in Gestalt eines "Priesterkönigreich", eines heiligen Volkes (beide Aussagen nur hier!) zeigen wird. Doch noch hat Mose dieses Angebot nicht seinem Volk vorgetragen. Was wird die Predigthörerinnen und Predigthörer interessieren und erreichen?  Ist es das "Gespräch" eines Menschen mit Gott auf dem Berg, in der Wüste, nach einem Exodus? Oder ist es das Bild der Adlerflügel, auf denen ER "die Seinen" zu sich bringt? Im Deutschen eine wundervolle Doppelbedeutung! Dann die Lust, auf Gottes Stimme zu hören und  "seinen Bund" wahr zu nehmen? Die Mitte und das Ziel des Textes ist das Angebot, Gottes Eigentum zu werden, exklusiv!? Damit verbunden wäre die Diskussion, wie man sich als "Priester" und "heilig" verhält. Betrachten wir Elemente der heutigen Zeit: Der arabische Frühling, die Finanzkrise in der ganzen Welt, Aufstand der Kinder und Jugendlichen, weltweite Wanderungen und "Auszüge", das Bedürfnis, frei zu sein von Normen, Pflichten und Regeln der "Alten Welt". Doch was liegt dann nach dem Exodus vor uns? Wer kann die Zukunft prognostizieren? Folgende Stichwörter legen sich nahe: Auszug aus Ägypten als Synonym für die Alte Welt und Zeit; Sehnsucht nach "Wüste", Einsamkeit, neuen Worten, einem "Neuen Bund"; Erinnerung daran, durch finstre Zeiten getragen worden zu sein, "von guten Mächten".

Lieder

„Lobe den Herren“ (EG 316), „Wohl denen“ (EG 295) „Von guten Mächten“ (EG 65) „In dir ist Freude in allem Leide“ (EG 398)

Liturgische Texte

Psalm 103 Lobe den HERRN, meine Seele Hebräer 3, 7f nach Ps 95, 7-11: Heute so ihr meine Stimme hört, verstockt euer Herz nicht!    

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Angesichts der heutigen Weltlage möchten vielleicht viele ausziehen, fliehen. Aber wohin? Es gibt viele Probleme und Fragen: Wie finde ich Arbeit? Wie wird sich die finanzielle Weltlage entwickeln? Muss man Gelder bunkern, um nicht irgendwann einmal mittellos dazustehen? Auch die Altersentwicklung sieht nicht gerade rosig aus. Bei den “Bremer Stadtmusikanten” finde ich den berühmten Satz: “Komm lieber mit! Etwas Besseres als den Tod findest du überall!”

Die Worte aus der Hebräischen Bibel,.dem 2. Buch Mose, stellen uns ein Israel vor Augen, das gerade den Auszug aus der “Alten Welt”, Ägypten, hinter sich hat. Die Flüchtlinge finden sich nicht im „Gelobten Land“, sondern in der Wüste wieder. Sie wissen, dass ihr Anführer, Mose, auf einen Berg gestiegen ist. Sie haben ihn lange mit den Augen begleitet, bis er in den Wolken verschwunden war. Mose wird demnächst wieder zurückkommen und ihnen von Gott erzählen. Er wird sie erinnern, “was Gott ihnen Gutes getan hat”: Erinnert Euch an die vielen Nackenschläge und Katastrophen, die ihr erlebt habt, an die Abschiede, die ihr genommen, die Enttäuschungen. Spürt nach, was euch all dies gelehrt hat, wie und wo euch diese Erfahrungen weitergebracht haben. Vielleicht haben sie euch auch noch mehr „geerdet“, diese Widerfahrnisse, die damals so schlimm waren. Vielleicht wundert ihr euch heute, wie ihr all dies durchstehen konntet. Vielleicht habt ihr euch getragen gefühlt “von guten Mächten”, von Menschen, die plötzlich neben euch standen, von “Zufällen”, die euch vor Schlimmerem bewahrten. Dieses Nachspüren und Nach-Denken, ob nicht vielleicht eine gute Absicht dahinter gestanden hat, ist für mich oft sehr wichtig und lebensrettend.

Das Angebot Gottes besteht darin, durch ein neues Hören in einen neuen “Bund” aufgenommen zu werden. So wird es Mose seinem wartenden Volk in der Wüste sagen. Er wird, vielleicht begeistert, seinen Flüchtlingen erzählen, dass ein neues Hören eine neue Gemeinschaft, eine neue Gesellschaft, eine neue Welt begründen wird. Später wird Jesus von Nazareth genau dies seinen Zeitgenossen mitteilen und wird bei ihnen für dieses neue Hören werben. Männer und Frauen, Arme und Reiche, “Heiden” und Juden, Fromme und Atheisten, alle werden zu ihm kommen und werden heil werden, gesund und “bereit für den neuen Tag”. Sie werden ein neues Ziel für ihr Leben sehen und den ersten Schritt darauf zu gehen. Es wird eine neue “Gemeinschaft der Heiligen” entstehen, äußerlich nicht von “den Anderen” zu unterscheiden. Aber ein neuer Geist der Freude wird sie beflügeln, auch “in allem Leide”. Bis heute!

Was können wir jetzt tun, wir, die wir vielleicht wie das Volk Israel in unserer Situation auf ein gutes Wort von Gott warten? Die wir vielleicht unsere eigene Wüstenerfahrung schon gemacht haben und nur noch weg wollen, weg aus diesem Ägypten der alten Zeit und Welt? Vielleicht gelingt es dem einen oder der anderen, mitten in der Woche einmal innezuhalten, “zu Gott hinaufzusteigen” und zu hören, was er dir sagen will. Erinnere dich an Mose auf dem Berg! Vielleicht erinnerst du dich an die vergangenen Tage, Wochen oder Monate und spürst nach, wo du dich im Leid getragen fühltest, geleitet und geborgen. Schreibe dies einmal auf! Vielleicht meditierst du das Wort Gottes an Mose, dass IHM die ganze Erde gehört mit all ihrer Zeit und ihrem Raum und dass du dich IHM überlassen kannst. Dass du das tust, was an Aufgaben und Verantwortung vor deinen Füßen liegt. Schließlich bedenke, dass du nicht allein vor Gott stehst, viele andere sind mit dir unterwegs; wie das Volk Israel gehörst du zum “wandernden Gottesvolk”, eine besondere “Gemeinschaft der Heiligen”, die nicht immer so heilig aussehen, reden und sich verhalten und dennoch mit dir unterwegs sind zum Gelobten Land. Jesus hat es gesagt und auch vorgelebt: In einer solchen Gemeinschaft ist ein neuer Geist lebendig, ein Geist der Freude, eine Atmosphäre des Zuhörens, eine „ruach“ des Lebens.

 

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2 Kommentare on “Getragen auf Adlerflügeln

  1. Gerhard Leiser

    Ansprechend! Half mir. Den alten Text gut aufbereitet. Dazu: Thema Israelsonntag wird nicht aufgenommen? Ob wir Deutsche auch ein besonderes Volk sind – mit einem Grundgesetz (= Bund?) “in der Verantwortung vor Gott” und einer durch Befreiung aus der Sklaverei besonderen Geschichte und Verpflichtung? Deshalb Lieder auch EG 395 “Vertraut den neuen Wegen (1989!), 145 “Wach auf, wach auf du deutsches Land”.

  2. Pastor iR Heinz Rußmann

    “Ein neues Hören wird eine neue Gemeinschaft, eine neue Gesellschaft, eine neue Welt begründen.” Das ist die Botschaft von Moses, das ist die Botschaft von Jesus. Das steht auch im Mittelpunkt der Predigt von Pastor Kühne zum Israelsonntag. Vorher malt der Prediger noch lebendig die Situation der Israeliten nach dem Auszug aus Ägypten in der Wüste vor Augen. Ganz zu Beginn fragt er aktuell, ob wir nicht auch gern wie die Israeliten ausziehen, weglaufen würden vor den vielen Problemen unserer Zeit?

    Mose ist in der Wüste zum Berg Sinai aufgestiegen. Danach hat er die Israeliten daran erinnert, was Gott “ihnen Gutes getan hat”. Sehr bewegend malt der Prediger aus, dass auch wir bei schlimmen Widerfahrnissen von Gottes guten Mächten beschützt worden sind. Wie oben schon angedeutet geht es im Kern darum, dass wir “durch ein neues Hören in einen neuen Bund mit Gott aufgenommen werden”. Der Schlußabsatz ist besonders anrührend, tiefsinnig, existentiell und gelungen. Verwunderlich finde ich nur im entscheidenden Schlußsatz das Wort ruach. Wird nicht jeder Nichttheologe dadurch irritiert ?

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