Wende
Die großen Wende-Bewegungen beginnen als persönliche Lebenswende von einzelnen Menschen
Predigttext: Matthäus 21, 28-32 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
28 Was meint ihr aber? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg. 29 Er antwortete aber und sprach: Nein, ich will nicht. Danach reute es ihn und er ging hin. 30 Und der Vater ging zum zweiten Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: Ja, Herr!, und ging nicht hin. 31 Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan? Sie antworteten: Der erste. Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr. 32 Denn Johannes kam zu euch und lehrte euch den rechten Weg, und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und obwohl ihr's saht, tatet ihr dennoch nicht Buße, sodass ihr ihm dann auch geglaubt hättet.Exegetische und homiletische Anmerkungen
Die Predigtperikope gehört zum mt Bericht über das Wirken Jesu im Tempel (Mt 21,12 – 23,39). Dieses Wirken wird von Anfang an als Auseinandersetzung Jesu mit den Würdenträgern im Tempel geschildert. Zu Beginn platziert Mt die Austreibung der Händler (Mt 21, 12-17), den Schluss bildet in Kap. 23 die Rede gegen Schriftgelehrte und Pharisäer. Die Frage nach der Vollmacht Jesu, die schon am erzählten ersten Tempeltag durch die Wundertätigkeit Jesu im Tempel (Mt 21,14) und die Davidsohnakklamation durch die Kinder provoziert wurde, wird am zweiten Tag Jesu im Tempel von den Hohenpriestern und Ältesten des Volkes explizit gemacht (Mt 21, 23). Mt erzählt von der Gegenfrage Jesu, die bereits auf Johannes den Täufer und dessen Vollmacht zurückverweist (Mt 21, 24-27). Bevor die Diskussion Jesu mit den Pharisäern und Sadduzäern in vier Streitfragen erzählt weitergeführt wird (Mt 22, 15-46: Frage nach Steuer, Auferstehung, höchstem Gebot und Davidssohnschaft), veranschaulichen drei Gleichnisse auf verschiedene Weise das Thema der Annahme und Verweigerung (Von den ungleichen Söhnen, Von den bösen Weingärtnern, Die königliche Hochzeit). Unsere Predigtperikope bildet den Auftakt dieser Gleichnisse. Das Gleichnis ist denkbar einfach: Die Aufforderung eines Vaters an jeweils eines seiner Kinder (teknon, jedoch werden die einzelnen Kinder im folgenden maskulin weitergeführt), heute in den Weinberg zu gehen und zu arbeiten, findet bei den Kindern eine unterschiedliche Reaktion. Der eine lehnt ab, bereut und geht dann doch. Der andere willigt ein und geht nicht. Auf die Frage Jesu, wer von beiden den Willen des Vaters getan habe, kommt von den Angesprochenen die erwartete Antwort: Der erste. Dieser erste Sohn ist also Identifikationsfigur für das Gleichnis. Hierauf baut m. E. die Antwort Jesu in V31b.32 auf. Von daher teile ich die Deutung des Gleichnisses nicht, wonach die Zöllner und Prostituierten dem ersten Sohn im Gleichnis entsprechen, die Priesterschaft und die Oberen aber dem zweiten, der zwar zustimmt, aber dann doch anders handelt (so etwa Lehming 262). Diese Interpretation scheitert meiner Meinung nach schon daran, dass die Oberen dem Täufer gar nicht zugestimmt haben (so deren Überlegung in V25b). In ihrer Ablehnung entsprechen sie vielmehr dem ersten Sohn im Gleichnis. Von der berichteten Interpretation des Gleichnisses durch Jesus in V31b.32 her scheint mir von daher folgende Zuordnung schlüssiger: Jesus nimmt den Typus des ersten, reuigen Kindes als Identifikationsfigur für die Zuhörer. Sie wurde als diejenige erkannt, die den Willen des Vaters im Gleichnis erfüllt hat. Die in V31b.32 daran anknüpfende Kritik ist die einer verpassten zweiten Chance (vgl. Lehming, 263). Den Ruf des Täufers auf den Weg der Gerechtigkeit haben alle gehört. Die genannten „Zöllner und Huren“ haben ihn aufgenommen und ihm geglaubt und ihr Leben verändert (Ihnen würde im Gleichnis ein Kind entsprechen, das Ja sagt und in den Weinberg geht und arbeitet.) Aber Jesu Gesprächspartner haben diesen Ruf des Täufers abgelehnt. Darin entsprechen sie dem ersten Sohn im Gleichnis. Doch anders als dieser zeigen sie keine Reue. Sie haben sich durch das Vorbild der „Zöllner und Huren“ nicht zur Reue bewegen lassen. Deshalb kommen diese vor ihnen in das Reich Gottes (V 31b). Für die Predigt scheint mir das Motiv der Reue entscheidend. Rhetorisch knüpfe ich an den Begriff der Wende an, der sowohl in nautischen als auch in politischen Zusammenhängen von großem Gewicht ist.Literatur
Georg Gäbel: Was heißt Gottes Willen tun? (Von den ungleichen Söhnen) Mt 21, 28-32, in: Kompendium der Gleichnisse Jesu, hg. v. Ruben Zimmermann, Gütersloh 2007, 473-478. Hanna Lehming: 11. Sonntag nach Trinitatis, Mt 21, 28-32, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe III, hg. v. Wolfgang Kruse, Eigenverlag 2004, S. 261-265. Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus, Bd. 3: Mt 18-25, Neukirchen 1997.Klar zur Wende!? Nach kurzer, hektischer Suche nach der richtigen Leine die Antwort des Vorschoters: Ist klar! Schon wird das Ruder herumgelegt und die Wende eingeleitet. So einfach mag es beim Segeln gehen. Die Abläufe sind verabredet. Die Kommandos kommen klar und deutlich. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten, und wenn das Team eingespielt ist, dreht das Boot elegant durch den Wind und nimmt auf neuem Kurs sofort wieder Fahrt auf. Im Leben sind Wenden meist etwas komplizierter. Ganz verschiedene Dinge können uns zum Anlass werden, unserem Leben eine neue Richtung zu geben. Neue Erfahrungen und Begegnungen mit anderen Menschen. Manchmal ein Wort, wenn es ins Wesen trifft. Aber bevor wir unser „Ist klar“ zurückgeben kann Zeit vergehen. Ist der neue Weg wirklich besser für mich und andere? Folge ich nur einem momentanen Gefühl? Wie stehe ich da gegenüber allen, die mich kennen? Werden sie meine Sinnesänderung verstehen und akzeptieren? Dann: Noch ein Unterschied zum Segeln. Keiner leitet für mich die Wende ein, wenn ich es nicht selbst tue. Ich kann mein „Ist klar!“, meine Bereitschaft haben, aber ich muss auch das Ruder herumlegen, sonst bleibt alles wie es ist.
Als Jesus den Tempel in Jerusalem betritt, da ist Spannung in der Luft. Am Tag zuvor war er schon einmal da und hatte die Händler vertrieben und den Geldwechslern ihre Tische umgekippt. Nun ist er wieder da und will gerade anfangen zu sprechen, da trifft er auf die Priesterschaft und die Führungselite des Tempels. Gleich konfrontieren sie ihn und fragen: Aus welcher Vollmacht tust du das? Jesus, Meister der Gegenfrage, gibt die Frage zurück: Woher war die Taufe des Johannes? War sie vom Himmel oder von den Menschen? Aus politischem Kalkül wollen die Oberen sich nicht festlegen. Wenn sie sagen: Johannes spricht nur aus sich selbst, dann hätten sie das Volk gegen sich, das Johannes für einen Propheten Gottes hält. Wenn sie sagen: Die Taufe und damit die Sendung des Täufers ist von Gott, dann würde Jesus antworten: Warum habt ihr ihm dann nicht geglaubt? Also legen sie sich erst gar nicht fest. Jesus sagt: Dann bekommt ihr von mir auch keine Antwort, aus welcher Vollmacht ich handle. Aber was ist eure Meinung darüber? Hören wir Worte aus dem Matthäusevangelium, aus dem 21. Kapitel.
(Lesung des Predigttextes)
Das Gleichnis, das Jesus erzählt ist so einfach wie klar: Zwei Kinder, ein Vater, ein gleich lautender Auftrag: Kind, geh hin und arbeite heute im Weinberg! Nun kommt es auf die Reaktion der beiden an. Der eine verweigert sich, bereut und geht dann doch hin. Der andere willigt ein, geht aber nicht. Wer von beiden hat den Willen des Vaters getan? Die Antwort liegt nahe: der erste. Denn bei dem Auftrag des Vaters ging es nicht um das Reden, sondern um das Tun. Aber vorbildlich sind beide nicht. Vorbildlich wäre gewesen, ja zu sagen und loszugehen und zu arbeiten. Wenn ich mich erinnere: Ich war auch nicht immer begeistert, wenn mich meine Mutter gebeten hat, abzuspülen oder die Wäsche aufzuhängen. Nein, ich mag nicht. Keine Lust. Oder eben auch: Ja, ja. Das Geschirr blieb dreckig und die Wäsche im Korb. Das Gleichnis ist ganz aus dem Leben gegriffen. Spannend wird die Geschichte erst durch die Wendung beim ersten Sohn. Er verweigert sich erst: Ich will nicht! Doch dann kommt die Wende. Er bereut. Er ändert seinen Sinn und geht los. Hierauf kommt es an. Hier liegt der Punkt, warum Jesus dieses Gleichnis den Menschen erzählt, die ihn da zur Rede gestellt haben. Hier liegt auch der Punkt, wo dieses Gleichnis uns ansprechen kann. Doch hören wir zuerst auf die Worte Jesu:
„Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren werden vor euch ins Reich Gottes kommen. Denn Johannes kam zu euch mit dem Weg der Gerechtigkeit, und ihr habt ihm nicht geglaubt; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und ihr habt es gesehen. Aber ihr habt dennoch nicht bereut und habt ihm auch dann noch nicht geglaubt“. (Mt 21, 31f, eigene Übersetzung) Wie ist das zu verstehen? Die Zuhörer sind wie der erste Sohn. Sie haben durch Johannes die Weisung des Vaters erhalten: Gott ruft euch auf den Weg der Gerechtigkeit. Sein Weinberg ist sein Volk. Verwirklicht Gerechtigkeit in meinem Volk! Dazu müsst ihr euer Leben verändern. Ihr selbst müsst umkehren und neu anfangen. Die Taufe ist das Zeichen dazu. Die Zuhörer Jesu, die alte Priesterschaft, sie sind wie der erste Sohn. Sie lehnen diesen Ruf des Täufers ab. Doch ist es der erste Sohn, der im Gleichnis den Willen des Vaters tut! Zwar nicht gleich. Zuerst lehnt er ab. Aber dann besinnt er sich. Darauf zielt auch die Deutung Jesu:
Menschen, von denen ihr nicht viel haltet, Zöllner, die verachtet sind, und Prostituierte, die haben den Ruf gehört und haben ihr Leben verändert. Und ihr habt es gesehen. Es hätte euch beschäftigen können. An ihnen hätten euch die Augen aufgehen können. Ihr hättet den Ruf neu hören und auch für euch selbst hören können. Ihr hättet wie der erste Sohn im Gleichnis bereuen können und dann hingehen und euch aufmachen für die Arbeit der Gerechtigkeit im Weinberg Gottes. Aber ihr habt euch nicht berühren lassen, wolltet euch auch dann noch nicht ändern. Das Gleichnis wird für mich an diesem Punkt spannend. Jesus hält den Etablierten seiner Religion vor, dass sie sich nicht haben umstimmen lassen. Und zwar durch das Beispiel der völlig Verachteten. Sie haben die Signale und Zeichen zur Wende nicht erkannt. Weil sie sie nicht dort vermutet hätten, wo sie tatsächlich geschahen.
Menschen haben ihr Leben geändert. Für einen Zöllner in der damaligen Zeit war das nichts weniger als seine ganze Existenz auf den Kopf zu stellen. Es war ja keineswegs ein so geachteter Beruf wie heute. Wer heute Grenzbeamter ist, das ist ja etwas ganz anderes. Ich habe neulich einen Mann gesprochen, von Beruf Zöllner, der sich beschwerte über den schlechten Ruf seiner Berufsgruppe in der Bibel. Aber zur Zeit Jesu waren Zöllner Kollaborateure mit der römischen Besatzungsmacht. Denn die Zöllner pachteten von Rom die Erlaubnis, die römischen Steuern einzutreiben. Und sie überschritten dabei meist die Tarife und wirtschafteten in die eigenen Taschen. Dazu kam, dass sie sich – nach strenger Auslegung der Reinheitsvorschriften – durch den Umgang mit den Römern ständig verunreinigten. Wenn sich also ein Zöllner in der damaligen Zeit auf den durch Johannes den Täufer gewiesenen Weg der Gerechtigkeit begeben wollte, musste er nicht nur seine Korruption, sondern seinen ganzen Beruf aufgeben. Es gab offenbar Menschen, die dazu bereit waren. Die durch die Begegnung mit Johannes oder auch mit Jesus ihrem Leben eine entscheidende Wende gegeben haben. Für die Etablierten erschienen solche Lebenswenden eher als Bedrohung denn als Beispiel. Sie haben es als Signal zur Wende nicht wahrgenommen, die Zeichen der Zeit verpasst. Dabei hätten sie die Chance gehabt. Sie hätten sich davon berühren lassen können und einen anderen Weg einschlagen. Das Erstaunliche: Manche großen Wendepunkte in der Geschichte fangen so an.
Denken wir an die Wende in der ehemaligen DDR. Es waren nicht zuerst die Oberen, die eine Veränderung wollten. Im Gegenteil. Aber manche haben dann doch gesehen, wie andere ihr Leben umgestellt haben. Ihre Meinung nicht mehr zurückgehalten haben. Und dafür auf die Straße gegangen sind. Das war etwas Bedeutsames. Und eine Erfahrung nicht nur für die Mutigen selbst, sondern auch für die, die es gesehen haben. Und sich dadurch haben bewegen lassen. Und so wurde aus einzelnen Lebenswenden eine Bewegung, die die „Wende“ brachte. Oder denken wir an eine andere Wende, die in diesem Jahr wieder viel in der Debatte ist. Die Energiewende. Nach der Atomkatastrophe 1986 in Tschernobyl waren es einzelne, die den Ausstieg aus der Atomkraft gefordert haben. Sich dafür eingesetzt haben. Doch diese Haltung hat sich in der Bevölkerung ausgebreitet. Ohne die Solar-Dach-Pioniere und die manchmal belächelten Ökos wären wir im Umweltschutz und in der Energiepolitik heute nicht so weit. Die neue Atomkatastrophe in Fukushima hat dann nur noch den Anstoß gegeben.
Eine Wende kommt nicht von allein, sondern braucht die Menschen, die ihrem Leben eine neue Richtung geben und andere durch ihr Beispiel anregen. Die großen Wende-Bewegungen beginnen als persönliche Lebenswende von einzelnen. So ist es auch mit der Bewegung, die von Jesus ausgegangen ist und bis heute Menschen auf den Weg der Gerechtigkeit und ein Leben in Verantwortung vor Gott ruft. Das Gleichnis Jesu von den beiden Söhnen verstehe ich als Mahnung, nicht argwöhnisch oder überheblich auf andere Menschen herunterzuschauen, die ihrem Leben einen neuen Sinn, eine neue Richtung geben. Ich begreife es als Aufforderung: Schauen wir genau hin. Nehmen wahr, was andere Menschen tun. Vielleicht gerade solche, von denen wir es am wenigsten erwartet hätten. Wie sie ihr Leben neu in die Hand nehmen. Und lassen uns davon berühren und zur eigenen Wende bewegen. Nicht immer ist der Ruf Gottes so deutlich zu hören wie beim Segeln. Hören wir genau hin.
Zur Wende im Leben durch Gottes Ruf ermutigt diese Predigt von Pfarrer Dr. Ellsiepen. Vorbildlich und erfreulich, berührend und gut strukturiert formuliert er seine Predigt und erhellt den Sinn von Jesu Gleichnis. Er beginnt überzeugend mit dem Wendemanöver beim Segeln und erzählt die Vorgeschichte des Predigttextes. Dann informiert er über das Gleichnis. Die Wende besteht darin, dass der eine Sohn bereut und dann losgeht , den Willen Gottes zu tun. Jesus wirft den Etablierten in der Religion vor, dass sie sich nicht umstimmen lassen. Ursprüngliche Nein-Sager zu Gottes Willen aber, Zöllner, Prostituierte und Sünder, sind durch Johannes den Täufer und durch Jesus umgekehrt. Die Wende braucht Menschen, die andere durch ihr Beispiel anregen. Auf unsere Zeit aktuell bezogen erinnert der Prediger an die Wende in der DDR und die Energiewende bei den Atomkraftwerken. Besonders gelungen ist der prägnante und überraschend knappe Schluss. “Lassen wir uns berühren und zur eigenen Wende bewegen. Nicht immer ist Gottes Ruf so deutlich zu hören wie beim Segeln.” Der Schlusssatz führt rhetorisch zurück an den Anfang, aber wirkt beim Hörer sicher lange nach.
Vielen Dank für diese Predigt! Habe sie gestern im Gottesdienst als Grundlage meiner Predigt verwendet und sehr positive Rückmeldungen bekommen. Vor Allem auch der Einstieg mit dem Segelmanöver hat das Thema “Wende” sehr anschaulich gemacht. Ich denke, diese Predigt geht nahe zu den Menschen und bringt dieses doch nicht ganz unkomplizierte Gleichnis anschaulich auf den Punkt.