Glauben und heil werden

Verantwortungsvoll den Glauben leben

Predigttext: Markus 9, 15b-27
Kirche / Ort: Markuskirche Heidelberg / Evangelische Landeskirche in Baden
Datum: 16.10.2011
Kirchenjahr: 17. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Sabine Hannak

Predigtttext: Markus 9, 15b-27 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

15 Und sobald die Menge Jesus sah, entsetzten sich alle, liefen herbei und grüßten ihn. 16 Und er fragte sie: Was streitet ihr mit ihnen? 17 Einer aber aus der Menge antwortete: Meister, ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist. 18 Und wo er ihn erwischt, reißt er ihn; und er hat Schaum vor dem Mund und knirscht mit den Zähnen und wird starr. Und ich habe mit deinen Jüngern geredet, dass sie ihn austreiben sollen, und sie konnten's nicht. 19 Er aber antwortete ihnen und sprach: O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir! 20 Und sie brachten ihn zu ihm. Und sogleich, als ihn der Geist sah, riss er ihn. Und er fiel auf die Erde, wälzte sich und hatte Schaum vor dem Mund. 21 Und Jesus fragte seinen Vater: Wie lange ist's, dass ihm das widerfährt? Er sprach: Von Kind auf. 22 Und oft hat er ihn ins Feuer und ins Wasser geworfen, dass er ihn umbrächte. Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns! 23 Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst: Wenn du kannst – alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. 24 Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben! 25 Als nun Jesus sah, dass das Volk herbeilief, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein! 26 Da schrie er und riss ihn sehr und fuhr aus. Und der Knabe lag da wie tot, sodass die Menge sagte: Er ist tot. 27 Jesus aber ergriff ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf.

Zur Predigt

Anders als der vorgeschlagene Predigttext beginne ich bereits zwei Verse vorher, damit durch das Eintreffen Jesus die Vorgeschichte von seiner Verklärung mit in den Blick genommen werden kann. Meine Predigt nimmt folgenden Verlauf:
  1. Wut/ Enttäuschung Jesu
  2. Unser Glaube/ Unglaube
  3. Gottes letztendliches Heilshandeln
Die Hauptaussage der Predigt ist: Gott will, dass wir Verantwortung im Glauben und im Leben selbstständig übernehmen. Alle anderen möglichen Themen wie „Exorzismus“ oder „Heilung durch Beten“ lasse ich bewusst zur Seite, um die Predigt nicht zu überfrachten. In der Predigt nehme ich Bezug auf einen Vortrag von Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf, Leiter der Abteilung für Orthopädische Schmerztherapie, über sein nicht operatives, ganzheitlich orientiertes Konzept zur Behandlung von Patienten mit chronischen, orthopädisch bedingten Schmerzen im Rahmen des Heidelberger Pfarrkonvents am 29. September 2011.  

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Kennen Sie das, wütend und enttäuscht zu sein?  Kennen Sie das, wie diese Emotionen in Ihnen aufsteigen? Wie sie sich ausbreiten und Ihre Finger sich zu Fäusten zusammendrücken? Wie Ihr Blut in den Kopf schießt und Ihr Magen sich verkrampft? Kennen Sie das? Vielleicht; wenn jemand Sie angreift, eine kränkende Bemerkung über sie macht? Oder wenn etwas nicht so funktioniert, wie Sie das wollen? Wenn Sie es gut meinen und das Gute einfach nicht angenommen wird? In der Bibel gibt es auch eine Geschichte, die von Wut und Enttäuschung handelt, sie steht im Markusevangelium im 9. Kapitel.

(Lesung des Predigttextes)

Ich kann ihn mir vorstellen, wie er da inmitten seiner Jünger steht. Jesus. Er ist noch ganz benommen. Gerade erst ist er von dem hohen Berg zurückgekehrt. Dort hat etwas Seltsames stattgefunden. Seine Kleider sind ganz hell und weiß geworden. Elia und Mose sind ihm erschienen. kaum kommt er von diesem überirdischen Geschehen zurück, bricht der menschliche Alltag mit Wucht auf ihn ein. Die Menschen rennen auf ihn zu. Streit und Aufregung beherrschen die Szene. Jesus erkennt: seine Jünger können nicht helfen. Ich kann mir vorstellen, wie die Wut in ihm hoch kocht, wie die Enttäuschung an ihm zehrt. Ist auch ihm das Blut in den Kopf geschossen, haben sich ihm die Finger zu Fäusten geballt und sein Magen sich zusammengekrampft? „Oh Du ungläubiges Geschlecht – wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen?“ So bricht es aus ihm heraus.

So ein wütender, enttäuschter Jesus, das ist ein starkes Bild. Ich möchte verstehen, was da mit ihm los war. Denn mein erste Gedanke, dass er auf die Menschen wütend sei, der passt nicht zu Jesus – dem, der doch alle so annimmt, wie sie sind. Aber worauf richtet sich seine Wut dann? Ich glaube, Jesus erkennt, wie uneigenständig selbst seine Jünger sind. Sie schaffen es nicht zu heilen. Sie können ihre Kräfte nicht mobilisieren. Sie glauben nicht an sich. Stattdessen schauen sie auf Jesus. Darauf ist er wütend. Das enttäuscht ihn. So wird die Wut Jesu zum Wendepunkt unsrer Geschichte. Denn durch sie wird deutlich, was Gott eigentlich von uns will: Selbstständig und verantwortungsvoll unseren Glauben leben.

In der vergangenen Woche habe ich in der orthopädischen Klinik in Schlierbach einen ungewöhnlichen Vortrag über ganzheitliche Schmerztherapie gehört. Der Arzt vertrat die Meinung, dass chronische Schmerzen, wie z. B. Rückenschmerzen nur selten ein isoliertes gesundheitliches Problem sind. Sie seien oft auf eine tiefer liegende Ursache zurückzuführen und nicht durch Operationen oder andere medizinische Eingriffe zu heilen. Durch Einzel- und Gruppengespräche würde er sich darum mit seinen Patienten auf die Suche nach der eigentlichen Ursache der Schmerzen machen. Ein großer Bestandteil seiner Therapie sei der, den Glauben der Patienten an die eigene Genesung zu stärken. Dieser Ansatz weist die Macht der Ärzte in ihre Grenzen und überträgt dem Patienten eine eigene Verantwortung für seine Heilung. Schon vor über 2000 Jahren bekommt der Vater des kranken Jungen sinngemäß von Jesus zu hören: „Wenn Du Heilung willst, musst Du daran glauben. Nicht ich, Jesus, bin allein der Heilende. Es ist Dein Glaube, der die Heilung erst möglich macht.“

Liebe Gemeinde, die Geschichte von der Heilung des epileptischen Knaben ist ein leidenschaftlicher, ja wütender Appell, daran zu glauben, dass wir heil werden können. Gott hat uns gut gemacht. Seine Liebe wohnt in uns. Es ist ein Appell, auf das Stärkende Gottes in uns zu schauen und daraus dann zu handeln. „Alles ist möglich dem, der da glaubt.“ Was für Möglichkeiten öffnet uns das! Wenn wir vor einer schweren Prüfung stehen: Alles ist möglich dem, der da glaubt. Wenn ein Arbeitsplatzwechsel ansteht: Alles ist möglich dem, der da glaubt. Wenn wir in unsrer Trauer zu versinken drohen:

Alles ist möglich dem, der da glaubt. Wenn unser Körper nicht mehr mitmacht: Alles ist möglich dem, der da glaubt. Doch halt! Bevor wir jetzt abheben, schauen wir noch ein letztes Mal auf unsre Geschichte. Wer heilt schlussendlich den Jungen? Es sind weder die Jünger noch der Vater. Erst diese Tatsache macht die Geschichte zu einer guten Geschichte. Denn sie gaukelt uns nicht vor, alles zu können. Sie behält im Blick, wie schwer es uns fällt, beständig im Glauben zu bleiben.

Weil Jesus die Heilung vollzieht, wird klar: Mit unserem Glauben öffnen wir uns, um heil zu werden, aber ob es gelingt, liegt nicht mehr in unsrer Hand. Unser eigenverantwortlicher Glaube ist immer eingebettet in der alles umfangenden Liebe Gottes. Das schützt uns vor Selbstüberschätzung. Das nimmt uns aber auch die Last von den Schultern, alles selber tragen zu müssen. Auf diese Weise führt unsre Geschichte von der Wut und Enttäuschung Jesu hin zu seinem leidenschaftlichen Appell für einen eigenverantwortlichen Glauben. Ein Glaube, der Berge versetzen kann. Ein Glaube, der alles möglich macht. Ein Glaube, der jedoch nur durch Gottes liebendes Zutun seine Kraft hat.

 

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Ein Kommentar zu “Glauben und heil werden

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    So ein wütender Jesus, das ist ein starkes Bild, stellt Pfarrerin Hannak heraus und gebraucht selbst starke Worte. Mit unseren Erlebnissen als Wut-Bürger beginnt sie ihre Predigt. Worüber ist Jesus wütend? Die Jünger mobilisieren ihre Kräfte nicht, sondern schauen nur auf Jesus. Gott aber will, dass wir selbstständig unseren Glauben leben. Die psychosmatischen Ursache der Kranheit und der Heilung erklärt die Predigt mit dem Vortrag eines Arztes: “Ein großer Bestandteil der Therapie ist, den Glauben der Patienten an die eigene Genesung zu stärken”. Zum Schluß
    betont die Predigerin, dass diese Heilungsgeschichte ein Appell sei,auf das Stärkende Gottes in uns zu schauen und daraus entschieden zu handeln. “Alles ist möglich dem, der glaubt.” Er kann Berge versetzen.- Das Besondere der Predigt ist für mich, dass sie manchmal starke Worte findet, damit wir unseren Glauben an Heilung und Problembewältigung
    selbstständig leben. “Aber sie hebt nicht ab”. Der Glaube
    hat nur durch Gottes liebendes Zutun seine Kraft.- Wie beim
    Vortrag des Arztes verweist Eugen Drewermann auf 25 Seiten
    im zweiten Band seines Markus-Kommentars hin auf die
    psychosomatischen Ursachen dieser Krankheit. Der Vater,
    gefesselt zwischen Liebe, Angst und Ohnmacht verstärkt in
    einem langen Prozess den Agressions-Stau und -Abbau des
    Jungen. Jesus heilt durch Vertrauen und Gebet: Diesmal nicht
    “ein Bestürmen des Himmels, sondern ein vollständiges
    Versinken in die Obhut Gottes, ein Getragenwerden gegenüber
    dem Versinken in der Angst und Not.”

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