Sehnsucht nach Mehr

Irdisches Sicherheitsdenken und himmlisches Vertrauen

Predigttext: Markus 10,17-27
Kirche / Ort: Schornsheim / Udenheim (Rheinhessen)
Datum: 23.10.2011
Kirchenjahr: 18. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Kurt Rainer Klein

Predigttext: Markus 10,17-27 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)  

17 Und als er sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?  18 Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein.  19 Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.«  20 Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.  21 Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!  22 Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.  23 Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!  24 Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen!  25 Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher ins Reich Gottes komme.  26 Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden?  27 Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.

 Hinführung

Die Perikope „Der reiche Jüngling“ findet sich auch bei Matthäus (19,16-26) und Lukas (18,18-27). Es geht in dieser Perikope um den Ruf in die Nachfolge, die sich einzig und allein auf das Vertrauen zu Gott gründet. Einer fragt Jesus: „Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“ Da es Jesus um das Heute und Hier geht, übersetze ich „ewiges Leben“ mit „gelingendes Leben“. Dies trifft viel eher die Frage des heutigen (jungen) Menschen und verdeutlicht, dass Nachfolge kein Zukunftsprojekt ist, sondern eine das jetzige Leben beeinflussende Entscheidung. Jesus, der die Anrede „guter Meister“ mit der Begründung: „Niemand ist gut als Gott allein“ zurückweist, stellt dem Frager die Gebote Gottes der zweiten Tafel der zehn Gebote vor Augen. Die Antwort des Fragers: „Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf“, zeigt, dass er sein Leben auf die Einhaltung des Gesetzes gebaut hat, um Gott zu gefallen und ein gelingendes Leben zu führen. „Eines fehlt dir noch!“ sagt Jesus. „Gehe hin und lass los, was dich hindert, mir nachzufolgen!“ Das kann Vieles sein. Hier ist es konkret Hab und Gut eines Mannes, der viel davon hat. „Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon.“ Denn er verließ sich lieber auf sein eigenes Tun (Halten der Gebote), seine Leistung (von Jugend an), seine Erfolge (konkret sein Hab und Gut), sein Erreichtes (angestrebtes gelingendes Leben), anstatt loszulassen, sich Gott ganz und gar anzuvertrauen, Jesus ohne irdische Sicherheiten nachzufolgen. Jesus macht deutlich, dass wer viel mit sich herumschleppt, was immer das sein mag, sich zum Kamel aufbläht, das nicht durch das Nadelöhr in Gottes Reich gelangt. Das ist kein abschließendes Urteil über den Fragenden, der traurig davon ging. Die Geschichte endet offen und trotzdem im fiktiven happy end: „Alle Dinge sind möglich bei Gott!“ Mag sein, dass jener Mensch irgendwann die Erfahrung macht, dass seinen Besitz Rost und Motten fressen, das Dach überm Kopf einstürzt, sein Land verwüstet wird oder man ihm seinen Besitz mit Gewalt abnimmt und er begreift: Es war Nichts. (Letzter Satz nach Luise Rinser, Mirjam, S. 116)

Loslassen

Die schlechten Erinnerungen Die zerbrochenen Beziehungen Die quälenden Gedanken Die missglückten Gespräche Die verlorenen  Zeiten  Die enttäuschten Hoffnungen Die unversöhnlichen Haltungen Einfach loslassen und offen werden -  im Vertrauen auf Gott -   für neue Erfahrungen. Text: Kurt Rainer Klein  

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Das Leben läuft. Alles ist im grünen Bereich. Man ist mit Gott und der Welt im Reinen. Es gibt wahrlich keinen Grund zum Klagen. Doch mischt sich eigenartiger Weise in die vorhandene Zufriedenheit der Gedanke: ´Was könnte ich dafür tun, dass mein Leben noch ein bisschen besser wird?!´  So ging es auch einem Menschen vor zweitausend Jahren Er konnte mit sich zufrieden sein. Aber etwas sagte in ihm, dass es da noch mehr in seinem Leben geben könnte. Da wandte er sich an Jesus mit der Frage: “Guter Meister, was muss ich tun, damit mein Leben gelingt?”  Für diese Frage gibt es heute unzählige Ratgeberbücher. Sie versprechen mir allerlei: wie ich gesünder leben kann, glücklicher werde, selbstbewusster auftrete, mir weniger Sorgen machen muss. Die Unsicherheit in dieser Frage, wie das Leben gelingen kann, ist groß. Das zeigt die Fülle der Ratgeberbücher. Ob sie wirklich helfen oder nur noch mehr verunsichern, bleibt dahingestellt. In einer kompliziert und unübersichtlich gewordenen Welt gibt es keine einfachen Antworten. Gerade weil sich unsere Welt so vielfältig und komplex zeigt, ist unser Streben nach Sicherheit noch größer geworden. Je mehr Möglichkeiten sich uns erschließen, desto genauer sehnen wir uns nach der richtigen Antwort. Es muss passen, wie wir heute sagen.

Jesus widerspricht dem Fragenden. “Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein.” Damit erteilt Jesus jedem Perfektionismus eine Absage. Gelingendes Leben ist für Jesus etwas anderes als ein perfektes Leben. Ein perfektes Leben wird es auf Erden niemals geben. Ein gelingendes Leben ist schon eher möglich. “Du kennst die Gebote”, sagt Jesus, und zählt einige davon auf: “Du sollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht falsch Zeugnis reden, niemanden berauben; ehre Vater und Mutter”. Haben wir diese Gebote immer und überall gehalten?! Niemand ist perfekt, gewiss. Aber wo diese Gebote ernst genommen werden, kann das Leben gelingen. “Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf”, erklingt die Antwort. Wir staunen nicht schlecht! Wer sicher sein will, kann sich an den Geboten orientieren. Sie sind ein Maß, das uns das Gelingen oder Verfehlen widerspiegelt. Wir begegnen hier einem Menschen, der sich sicher ist, die Gebote von Kindesbeinen an gehalten zu haben. Aber er will mehr.

Jesus spürt diese gewisse Sehnsucht nach Mehr bei diesem jungen Mann. Ist es doch der Wunsch perfekt zu sein, der diesen Menschen umtreibt?! Nun hat er schon alle Gebote gehalten und könnte mit sich und der Welt zufrieden sein. Er will aber mehr als das. Ein Moment der Stille tritt ein. Jesus sieht ihm in die Augen und tief in seine Seele. Er zögert einen Moment. Es heißt: Jesus gewann ihn lieb! In diese Stille hinein mischt sich unsere Frage, was dies nun zu bedeuten hat. Weiß Jesus schon im Voraus darum, was der junge Mann so gleich antworten wird?! “Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!” In diesem Augenblick verschlägt es uns die Sprache. Doch nicht nur uns. Vor allem dem, dessen Frage war, was er tun muss, damit sein Leben gelinge. Er findet kein Wort mehr, das ihm über die Lippen käme, weil ihm mit einem Male alle Sicherheit genommen ist. “Loslassen”, sagt Jesus. Lass los, was dir scheinbar Sicherheit in deinem Leben gibt, aber nichts wert ist. Lass los, was dir zwar Freiheit vorgaukelt, dich aber in Gedanken bindet und knechtet. Lass los, was dir gelingendes Leben verspricht, dich aber zum Perfektionismus verführt.

Wenn wir darauf schauen, was wir wohl am wenigsten loslassen wollen, werden wir erkennen, was unser Schatz ist und woran unser Herz hängt. Das mag Geld und unser Besitz sein. Das kann unser Suchtverhalten ausweisen. Das mögen unsere Ängste und Sorgen sein. Die Erfahrung lehrt uns, dass unser Hab und Gut “Motten und Rost fressen” können. Man kann sich verspekulieren und auf das falsche Pferd setzen. Die Arbeitskraft kann verloren gehen und die Gesundheit dahin sein. Naturkatastrophen können schlagartig alles zerstören. Die Erfahrung lehrt uns, dass jegliche Art von Sucht in die Abhängigkeit treibt. Ob Spiel- oder Putzsucht, ob Internet- oder Alkoholsucht, ganz gleich, welcher Sucht wir zu verfallen drohen, sie wird uns nicht in die ersehnte Freiheit führen. Die Erfahrung lehrt uns, wie Ängste und Sorgen einen im wahrsten Sinne des Wortes zerfressen können. Meistens sind unsere Sorgen unbegründet und gehen ins Leere. In unserem Innern aber hinterlassen sie Wüsten, auf denen schwer etwas Fruchtbares gedeiht.

Damit wir Jesus nicht falsch verstehen: Jesus hat weder etwas gegen Reichtum noch etwas gegen reiche Menschen. Er sieht aber, dass jeglicher Besitz dazu verführt, unser Leben darauf zu bauen und darauf zu vertrauen, dass wir selbst unser Leben zum Gelingen bringen. Darum ruft Jesus zum Vertrauen auf Gott auf. Es geht ihm weniger um den Verzicht auf Besitz, als vielmehr darum, dass wir all unser Vertrauen auf Gott setzen. Nur so werden wir wirklich frei, loszulassen, was uns ängstigt und schadet. Wer auf Gott vertraut, wird frei von dem Gedanken, sein Glück selbst schaffen zu müssen. Der wird frei, sich etwas schenken zu lassen, um Glück zu empfinden. Wo immer wir loslassen, werden wir offen dafür, uns neu beschenken zu lassen. Jeden Tag werden wir aufs Neue entscheiden müssen: Lassen wir die Sorgen an uns nagen oder vertrauen wir auf Gott. Suchen wir unser Glück im Perfektionismus oder lassen wir uns die glücklichen Momente schenken. Bauen wir unser Leben auf das Sichtbare oder werden wir frei von solchen Zwängen.

Jener Mensch, dem es die Sprache verschlagen hat, geht traurig davon, “denn er hatte viele Güter”, heißt es. Die Geschichte ist damit nicht zuende. Er braucht noch Zeit, um irdisches Sicherheitsdenken gegen himmlisches Vertrauen abzuwägen. Auch wenn es leichter ist, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als ein Reicher ins Reich Gottes kommt, ist es, wie Jesus sagt, bei Gott nicht unmöglich. Denn – und auch hier ist unser Vertrauen gefordert – bei Gott sind alle Dinge möglich. Wir dürfen es Gott getrost zutrauen. Dass er uns die Sorgen nimmt und ruhig schlafen lässt, uns Gelassenheit gibt und Frieden schenkt, unser Vertrauen stärkt und uns die Tür zum Reich Gottes öffnet, unser Leben gelingen lässt. Sie kennen bestimmt die Geschichte von “Hans im Glück”?! Hans im Glück macht sich nach sieben Jahren treuen Dienstes bei seinem Herrn auf den Weg zu seiner Mutter. Zum Dank erhält er einen Klumpen Gold für seine treuen Dienste in sieben Jahren. Unterwegs nun tauscht er diesen Klumpen Gold gegen allerlei Nützliches ein. Zuerst tauscht er das Goldstück gegen ein munteres Pferd. Das Pferd dann gegen eine Kuh. Die Kuh für ein junges Schwein. Das Schwein gegen eine fette Gans. Die Gans für einen Wetz- und einen Feldstein. Als dann sein letzter Besitz, der Wetzstein und ein Feldstein, in den Brunnen gefallen waren, „dankte er Gott mit Tränen in den Augen, dass er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihn auf eine so gute Art von den schweren Steinen befreit hätte, die ihm allein noch hinderlich gewesen wären”. “So glücklich wie ich”, rief er aus, “gibt es keinen Menschen unter der Sonne.” Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war.

 

 

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Ein Kommentar zu “Sehnsucht nach Mehr

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Eine schöne und stimmige Predigt. Sie ist sehr gut und textnah aufgebaut. Schon mit der aktualisierten Eingangsfrage nach dem “gelingenden Leben” wird ein wichtiges Thema angesprochen. Der Mann im Text ist zwar reich und rechtschaffen und hält Gottes Gebote. “Aber er will mehr.” Jesus fordert ihn auf, loszulassen, was nur scheinbar Sicherheit gibt, aber nichts wert ist. Das Loslassen und sein Glück bei Gott finden, erläutert der Prediger zum Schluss mit dem Märchen von Hans im Glück.

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