„Werdet klug!“

In der Gegenwart ein richtiges Verhältnis zu seiner Vergangenheit und zu seiner Zukunft finden

Predigttext: Lukas 16,1-9
Kirche / Ort: Christuskirche / Karlsruhe
Datum: 13.11.2011
Kirchenjahr: Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres
Autor/in: PD Pfarrer Dr. Wolfgang Vögele

Predigttext: Lukas 16,1-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

 „Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. Der Verwalter sprach bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und fragte den ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? Er sprach: Hundert Eimer Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. Danach fragte er den zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Er sprach: Hundert Sack Weizen. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig. Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte; denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts. Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.

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Seit Monaten hantieren europäische Politiker mit Rettungsschirmen, Hebelwirkungen und Schuldenschnitten. Sie verschieben Staatsanleihen, kitten marode Rentensysteme und retten notdürftig die Stabilität des Euro. Die Aktienmärkte reagieren nervös und in Bevölkerung macht sich der Eindruck breit, als würden Politiker und Manager diese Krise des europäischen Finanzsystems nicht mehr beherrschen. Nostalgiker sehnen sich nach den alten Währungen D-Mark, Drachme und Franc zurück. In diese finanzpolitische Aufregung und Hilflosigkeit passt die Geschichte, die Jesus erzählt, wie der Prägehammer auf die Geldmünze. Zwischen Milliarden an Staatsanleihen und den Schuldscheinen für hundert Eimer Öl besteht nur ein  Unterschied in Menge und Wert.

Jesus erzählt von einem Kriminalfall, den die Polizei dem Dezernat für Wirtschaftskriminalität zuordnen würde. Allerdings ist Jesus kein Kommissar und kein Staatsanwalt: An Ermittlungsergebnissen und Strafverfolgung ist er nicht interessiert. Es ist schwer, aus dieser Geschichte schlau zu werden. Einem leitenden Angestellten, Vertreter des mittleren Managements drohen Kündigung und Arbeitslosigkeit. Um seine Bilanzfehler zu vertuschen, lässt er Schuldscheine fälschen, und sein Chef, der Besitzer des Gutes, wird um Teile seines Eigentums geprellt. Das wäre nicht weiter der Rede wert, wenn nicht zweierlei ins Auge fallen würde. Der Erzähler dieses Gleichnisses stellt seinen Jüngern sonst moralische Ansprüche, zum Beispiel von Feindesliebe, die weit über das alltäglich Selbstverständliche hinausgehen. Derselbe Erzähler lobt ausdrücklich den ungetreuen Verwalter, der sich nicht einmal an das alltäglich Selbstverständliche hält. Er hat klug gehandelt, sagt Jesus. Will der Bergprediger plötzlich das Loblied auf einen Straftäter in weißem Kragen und Aktenkoffer singen?

„Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.“ Seine Klugheit soll auf die Hörer der Geschichte überspringen. Jesus rüttelt an den Routinen und Gewohnheiten der Menschen, um sie zu durchbrechen: Seid klug und habt Mut, fürchtet euch nicht, öffnet die Augen, streift die Verzweiflung ab und geht dem Reich Gottes entgegen. Die Geschichte vom ungerechten Haushalter ist ein Gleichnis. Jesus erzählt Gleichnisse, um die Menschen für Gottes Reich zu begeistern. Dieses Reich ist so wunderbar und herrlich, so unvorstellbar, dass man es nicht mit Worten beschreiben kann. Um seinen Anhängern trotzdem eine Vorstellung davon zu geben, nimmt Jesus Gleichnisse zur Hilfe. Gleichnisse sind vielversprechende Erzählungen aus dem Alltag. Sie beschreiben, wie das Reich Gottes einmal aussehen wird. „Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.“ Klugheit ist das entscheidende Stichwort, deswegen singt Jesus das jubelnde Hohelied auf den kaltblütigen Ganoven. Es wäre ein Fehler, die Geschichte als Anleitung zur Bilanzfälschung zu verstehen, man kann damit keine europäische Finanzsicherungspolitik betreiben. Die Botschaft lautet nicht: Kopiert den Verwalter in seiner Untreue! Die Botschaft lautet: Werdet klug wie dieser Verwalter! Wenn Sie in Ihrer Bibel nachschauen, werden Sie dieses Gleichnis unter der Überschrift „Der ungerechte Verwalter“ im Lukasevangelium finden. Aber das ist eigentlich irreführend. Sicherlich veruntreut der Verwalter das Geld und den Besitz seines Chefs. Aber viel wichtiger ist die Klugheit, die Jesus an ihm entdeckt. Darum sollte die Überschrift besser lauten: Das Gleichnis vom klugen Verwalter.

Werdet klug! heißt die Botschaft des Gleichnisses. Worin besteht die Klugheit des Verwalters? Sein reicher Arbeitgeber hat ihm eine Frist gesetzt, innerhalb derer er zum Vorwurf der Untreue Stellung nehmen kann. Jetzt überlegt er genau, was zu tun ist, denn er hat allen Grund zur Sorge. Die Zukunft sieht düster aus, denn er wird jetzt unausweichlich mit den Folgen seiner schlimmen Fehler in der Vergangenheit konfrontiert. Ihm droht die Entlassung. Wer wird einem Verwalter, der nicht vertrauenswürdig ist und keine Referenzen aufweisen kann, einen neuen Arbeitsvertrag geben? Der Verwalter befürchtet mit Recht, dass er in der Zukunft an den Folgen der Vergangenheit zu leiden haben wird. Was also soll er tun? Betteln mag er nicht, dazu ist er zu stolz. Als Totengräber arbeiten mag er auch nicht, denn dazu fühlt er sich zu schwach. Darum entschließt sich, die Frist, die ihm noch bleibt, energisch zum Handeln zu nutzen. Genau darin entdeckt Jesus die weitreichende Klugheit des Verwalters, die er so wortreich lobt. Er nutzt die Gegenwart aus, um seine Zukunft zu retten. Er nutzt die verbleibende Frist, um die Schatten der Vergangenheit wettzumachen.

Das ist die Klugheit eines Christenmenschen, dass er in der Gegenwart ein richtiges Verhältnis zu seiner Vergangenheit und zu seiner Zukunft findet. Jeder Christ steht vor dieser Aufgabe. Der ganovenhafte Verwalter zeigt in seiner Klugheit einen Lebensweg des Glaubens. Damit will ich nicht sagen: Wir sind alle Ganoven wie die Hauptfigur aus Jesu Gleichnis. Aber an ihm kann man erkennen, wie Menschen sich auf ganz unterschiedliche Weise von ihrer Vergangenheit festnageln lassen und sich damit den Blick auf die befreiende Zukunft des Reiches Gottes versperren und vermiesen lassen. Menschen leiden – auf je verschiedene Weise – an ihrer Vergangenheit, und Verbiegungen, die sich so ergeben haben, verstellen den Blick in die Zukunft. Heute ist Volkstrauertag. 1939 ist von Deutschland ein Krieg ausgegangen, der Millionen von Menschenleben forderte. Deshalb gedenken wir heute der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Diese Opfer an Menschenleben bedeuten eine Schuld, die durch keine menschliche Tat wieder gut zu machen ist. Wir geben diesen Opfern die Ehre, indem wir diese Vergangenheit nicht verdrängen, sondern in Erinnerung behalten. Wir schulden es den Opfern, daran zu arbeiten, dass ein Unrechtsstaat, der die ganze Welt mit Krieg und Leid überzog, sich nicht wiederholt. Wir gedenken dieser Opfer in Gebet und Fürbitte, denn sie leben auch in der Erinnerung des Gottes, der verheißen hat, alle Tränen abzuwischen und Gerechtigkeit zu schaffen.

Vergangenheit lässt sich nicht abstreifen wie eine Schlangenhaut im Frühjahr; sie gehört zu jedem Menschen mit allen glücklichen und fröhlichen Ereignissen, aber auch mit den Versäumnissen und Fehlern. Wie der Verwalter macht sich jeder Mensch Sorgen um das, was auf ihn zukommt. Jeder hat Angst davor, dass ihn die Fehler aus der Vergangenheit in der Zukunft einholen. Sorgen um die Zukunft, Angst um die Vergangenheit – beides hemmt die Seele des Menschen, beides macht kleinmütig, verzweifelt und schwach. Beides tötet Hoffnung und Freude. Genau darin besteht die Klugheit des Verwalters und die Klugheit eines Christenmenschen: Sie überwinden Lähmung und Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Sie leugnen die Vergangenheit nicht, und doch leben sie schon in der Gegenwart aus der Hoffnung auf Gottes Reich. Das Reich Gottes ist der Inbegriff dieser Zukunft. Wir werden darin nicht mit den Fehlern der Vergangenheit konfrontiert, sondern begegnen der Gegenwart des barmherzigen Gottes. Christen leugnen die Vergangenheit nicht. Es gibt eine schlimme Tendenz, Ereignisse aus der Vergangenheit, die mit eigener Schuld und Fehlverhalten verbunden sind, einfach zu leugnen, zu verdrängen, zu beschönigen, zu verharmlosen. Das Beschönigen macht das Leben in der Gegenwart vermeintlich einfacher. Aber das, was ich verdränge, könnte ja doch einmal – wie auch immer – in der Zukunft auf mich zurückschlagen. Niemand kann seine Vergangenheit ungeschehen machen. Er kann sie zwar beschönigen oder verharmlosen, aber er bezahlt einen hohen Preis dafür, denn letzten Endes betrügt er sich selbst.

Es lohnt nicht, die Vergangenheit zu verdrängen. Verdrängung schiebt begangene Schuld nur beiseite, aber sie kann diese Schuld nicht aufheben. Vergangenheit darf nicht geleugnet werden, schon gar nicht von Christenmenschen. Aber Christen leben  auch aus ihrer Zukunftshoffnung. Genauer müsste man sagen: Nur aus der Hoffnung auf die Zukunft heraus können Christen mit ihrer Vergangenheit leben. Manche Menschen leben nur in der Zukunft. Sie haben sich eine Utopie ausgedacht darüber, wie die Welt sein sollte. Sie leben jetzt schon, als ob diese Utopie schon Wirklichkeit geworden wäre. Aber das ist im Grunde nichts anderes als Schwärmerei. Ein Schwärmer lebt allein aus der Zukunft, um die Gegenwart zu vergessen. Er verwechselt beides miteinander. Christen dagegen orientieren sich an der Klugheit des Verwalters, der aus seiner miesen Vergangenheit eine gelungene Zukunft macht.

Das ist der Kern christlicher Klugheit: Sie bringt Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in das richtige Verhältnis. Aber da ist noch ein wichtiger Unterschied zwischen einem Glaubenden und dem klugen Verwalter. Der Verwalter stellt seine Zukunft selbst her, und er scheut dabei nicht die kriminelle Tat, um die schlechte Vergangenheit in gute Zukunft umzumünzen. Christen dagegen lassen sich ihre Zukunft schenken. Christliche Zukunft ist geschenkte und bestimmte Zukunft; sie lässt sich nicht herbeizwingen, aber sie lässt sich in einen ganz bestimmten Begriff fassen. Christen hoffen auf Gottes Reich, auf jene gewaltige Veränderung, welche die Verhältnisse dieser Welt vollständig verwandeln wird. Sie hoffen auf den, der in Gleichnissen von Gottes Reich erzählt hat, auf Jesus Christus, der in seinem Kreuz die Sünden der Welt auf sich genommen hat. Die Verzweifelten leben nur aus dem Gestern; ihre Gegenwart wird von der Vergangenheit überschattet, so dass sie nur noch Dunkelheit und Belastung erkennen. Die Schwärmer leben nur aus dem Morgen; ihre Gegenwart wird von der Zukunft so hell angestrahlt, dass sie blind werden für Hindernisse und Verwerfungen der Gegenwart. Es kommt darauf an, die Verzweifelten aus der Vergangenheit und die Schwärmer aus der Zukunft zurückzuholen.

Jesus hat den Verwalter für seine Klugheit gelobt. Seine Klugheit besteht darin, dass er die Gegenwart, die Frist zwischen Zukunft und Vergangenheit, verständig und bedacht genutzt hat. Wir Christen leben in einer Gegenwart, in der die Schatten der Vergangenheit noch sichtbar sind und nicht verdrängt werden, in der aber auch die hellen Strahlen der Zukunft des Reiches Gottes schon erblickt werden können. Was die Vergangenheit angeht, so leben wir aus der Vergebung, aus der Gewissheit, dass Gott in Jesus Christus barmherzig auf uns zukommt. Was die Zukunft angeht, so leben wir aus der Hoffnung, aus dem Glauben, dass Gottes Reich kommt und dass in ihm alles Elend der Welt aufgehoben wird und endlich Gerechtigkeit herrscht. Was die Gegenwart angeht, so leben wir im Übergang – zwischen Verzweiflung und Hoffnung, zwischen Angst und Vertrauen, zwischen Zuversicht und Furcht. Wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott uns immer wieder hinein nimmt in diese große Bewegung aus der Vergangenheit in die Zukunft, aus der Verzweiflung hinein in das Reich Gottes. Dies erkannt zu haben und darauf zu vertrauen, das ist die Klugheit der Christen, die wir am Beispiel des ungerechten Verwalters lernen können. Darum war diese Predigt – wie Jesu Gleichnis – das Loblied auf einen klugen Ganoven.

www.wolfgangvoegele.wordpress.com

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Ein Kommentar zu “„Werdet klug!“

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    “Das Loblied auf einen kleinen Ganoven”- damit endet diese überaus interessante und ermutigende Predigt. Pfarrer Dr Vögele beginnt seine Predigt mit der aktuellen Finanzkrise und sieht Parallelen von Politikern und Managern heute zum ungerechten Haushalter. Es ist aber zuerst schwer, aus dieser Geschichte schlau zu werden. Will Jesus Loblieder singen auf Straftäter mit weißem Hemd und Aktenkoffer? Ganz überzeugend fragt der Prediger nach der vom Herrn gelobten Klugheit des ungetreuen Verwalters. Dieser nutzt seine Gegenwart und Vollmacht aus, um seine Zukunft zu retten. Das ist nach Jesus auch die Klugheit eines Christen. Am Volkstrauertag denken wir an unsere schreckliche Vergangenheit besonders im Zweiten Weltkrieg. Wir sollen sie nicht – wie unsere persönliche Schuld- verdrängen, aber uns auch nicht übermäßige Sorgen machen um die Zukunft. “Nur aus der Hoffnung auf die Zukunft heraus können Christen mit ihrer Vergangenheit leben.” Im Schlußabsatz wird das bekräftigt: Wir leben aus der Vergebung durch Christus, was die Vergangenheit angeht. Im Blick auf die Zukunft vertrauen wir auf Gottes Reich.- Ergänzen möchte ich, dass der Text keine Anweisung für brave Bürger heute ist, weil jeder reiche Mann zur Zeit Jesu von den Römern abhing und das alttestamentliche Zinsverbot sicher nicht beachtet hat. Jesus zeigt den Armen und uns, das es darum geht, klug und flexibel die Chancen des Lebens zu nutzen.

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