Leihgabe, die zum Geschenk wird

Vielmehr, als wir denken, wird unser Leben vom Ende bestimmt

Predigttext: Lukas 12,42-48
Kirche / Ort: Pfeddersheim und Monsheim / Worms
Datum: 20.11.2011
Kirchenjahr: Letzter Sonntag des Kirchenjahres
Autor/in: Pfarrerin Dorothea Zager

Predigttext: Lukas 12,35+42-48 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Legt euren Gürtel nicht ab und lasst eure Lampen brennen! Seid wie Menschen, die auf die Rückkehr ihres Herrn warten, der auf einer Hochzeit ist, und die ihm öffnen, sobald er kommt und anklopft. Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt! Haltet euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet. Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr einsetzen wird, damit er seinem Gesinde zur rechten Zeit die Nahrung zuteilt? Selig der Knecht, den der Herr damit beschäftigt findet, wenn er kommt! Wahrhaftig, das sage ich euch: Er wird ihn zum Verwalter seines ganzen Vermögens machen. Wenn aber der Knecht denkt: Mein Herr kommt noch lange nicht zurück!, und anfängt, die Knechte und Mägde zu schlagen; wenn er isst und trinkt und sich berauscht, dann wird der Herr an einem Tag kommen, an dem der Knecht es nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt; und der Herr wird ihn in Stücke hauen und ihm seinen Platz unter den Ungläubigen zuweisen. Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel zurückgefordert werden, und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man um so mehr verlangen.

Eingangsgebet

Barmherziger Gott, Du hast uns heute eingeladen in Dein Haus. Wir sind gekommen, viele von uns aber mit schwerem Herzen. Heute brechen alte Wunden wieder auf und schmerzen neu. Wir denken an Menschen, die wir lieb hatten und die uns jetzt fehlen. Wir erinnern uns an das, was wir Schönes und Frohes mit ihnen erlebt haben. Wir danken Dir für diese Menschen, die ein wichtiger Teil unseres Lebens waren. Und wir danken Dir für alles, was sie uns gegeben haben. Uns fällt aber auch ein, was wir falsch gemacht haben und ihnen schuldig geblieben sind. Manches blieb ungesagt, ungetan und unvergeben. Herr, wir bitten dich dafür um Vergebung. Nun müssen wir sie loslassen und überlassen sie dir. Wir versuchen vertrauensvoll und ruhig zu sein; denn Dein Wille, dass wir leben sollen, kann auch durch unser Sterben nicht gebrochen werden. Sei du denen nah, die als Angehörige einsam und elend geworden sind. Lass sie deine Leben schenkende Kraft erfahren, wenn die Fragen sie plagen und sie in der Tiefe ihres Schmerzes unterzugehen drohen. Aber auch für uns selbst bitten wir dich, barmherziger Herr. Erinnere uns immer wieder daran, dass auch unsere Lebenszeit begrenzt ist. Lass uns nicht vergessen, dass alles, was wir schaffen, vergeht; dass allein deine Gnade in Ewigkeit dauert.  

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Eines spüren wir an diesem Morgen des Ewigkeitssonntags ganz besonders: Unser Leben ist vom Ende her bestimmt. Viel mehr, als wir denken. Achtundvierzig Menschen aus unserer Gemeinde sind im letzten Kirchenjahr gestorben. Viele Gemeindeglieder sind heute hier, deren Leben durch diesen Abschied geprägt und gezeichnet ist. Wir hören erneut den Namen des Menschen, den wir lieben. Versiegt geglaubte Tränen kommen wieder und die Erfahrung von Verlust und Schmerz, ja die Sehnsucht nach dem anderen, werden wieder lebendig. Vielmehr, als wir denken, wird unser Leben vom Ende bestimmt. Nicht nur vom Lebensende dieses einen Menschen, den wir lieben. Sondern dadurch auch von unserem eigenen Lebensende. In keinem Moment wird uns so bewusst, wie gefährdet und wie endlich unser Leben ist als in dem Moment der Trauer. Wenn ein Mensch geht, den wir lieben, wird uns unmissverständlich klar: Auch wir werden einmal gehen müssen. Zwingend kommt dann die Frage auf: Wie viel Zeit habe ich eigentlich noch? Wie viel Jahre sind mir noch vergönnt auf diesem schönen Planeten? Was mache ich aus dieser Zeit? Wie nutze ich sie am besten? Ernst Lange hat die alte lateinische Mahnung „Carpe diem“ – Nutze den Tag! – in eine weniger fordernde Formulierung umgewandelt: „Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens.“

Eines Tages werde ich meine Lebenszeit in Gottes Hand zurücklegen. Werde ich dann sagen können: Es war eine gute Zeit? Es war ein Kennzeichen der jungen christlichen Gemeinden von Anfang an, dass sie ihr Leben auch vom Ende her bestimmen ließen – und zwar von einem guten Ende und einer leuchtenden Zukunft. Von einem Ende, das sie nicht fürchteten, sondern auf das sie sich freuten. Die Christen lebten in der glühenden Erwartung eines neuen, ganz anderen Reiches Gottes: einer Welt der Erlösung, der Befreiung und des Lebens. Nur, ganz so umsonst – auch das war die tiefe Überzeugung der jungen Christenheit – gibt es auch dieses Reich Gottes nicht. Wenn die Fastnachter seit wenigen Tagen wieder singen „Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel, weil wir so brav sind …“ – da muss ich ihnen, auch als gebürtige Mainzerin, deutlich widersprechen. Nein, so einfach ist das nicht. Umsonst gibt es das Reich Gottes nicht! Hören wir, was Jesus selbst dazu sagt. Er sagt es in einem Gleichnis:

Ein Mensch bekommt sehr viel anvertraut. Zu treuen Händen geliehen: einen Hof, Knechte und Mägde, Geld, Essen und Trinken. Und der, dem das alles gehört, geht fort – für noch unbestimmte Zeit. Dem Menschen, dem soviel Vertrauen entgegengebracht wurde, bleiben nun zwei Möglichkeiten: Entweder lässt er alles schleifen, lebt nach der Devise: „Eigentlich gehört das jetzt alles mir! Wer weiß, ob mein Herr jemals wiederkommt.“ Er freut sich seines Lebens, genießt und schöpft aus den Vollen; isst und trinkt, vernachlässigt die Menschen, die ihm anvertraut sind, lässt Hab und Gut verkommen. Auf gut deutsch: er lässt seine Zeit sinnlos verstreichen und wird seiner Aufgabe nicht gerecht. Der Aufgabe: das anvertraute Gut behutsam und sorgsam zu pflegen. Oder aber er handelt so, als könne sein Herr jederzeit wiederkommen. Er verwaltet das Hab und Gut zuverlässig, gibt den Angestellten ihren gerechten Lohn, und nutzt die Zeit, um das Beste für Haus und Hof zu erreichen. Mit dem, was ihm in die Hände gelegt worden ist, geht er behutsam und sorgsam um, wissend, dass alles, was er hat, nicht ihm gehört. Beides wird Konsequenzen haben. Wenn der Herr nämlich kommt, dem alles gehört, werden beide gefragt werden: Wie bist Du mit dem umgegangen, was ich Dir anvertraut habe?

Der, der alles verschleudert und verplempert hat, wird alles verlieren. Am Ende wird er mit leeren Händen dastehen. Der, der sorgsam auf das geliehene Gut aufgepasst hat, dem wird es geschenkt, zum Eigentum gemacht. Was aber hat das nun mit uns zu tun? Mit unseren Fragen nach dem Leben und nach dem Lebensende? Mit unserer Trauer und unserer Sehnsucht?  Es geht um genau die Frage, die uns heute bewegt. Eines Tages werde auch ich meine Lebenszeit in Gottes Hand zurücklegen. Werde ich dann sagen können: Es war eine gute Zeit? Wie auch immer wir uns ein Ende dieses Lebens und dieser Welt vorstellen – als ein großes Endgericht über die Menschheit, oder als ein ganz persönliches Gegenüberstehen des Menschen gegenüber seinem Schöpfer –  wie immer wir es uns auch vorstellen – und auch die Bibel selbst malt von diesem Ende verschiedene Bilder – wie immer wir es uns auch vorstellen, dies eine beinhalten alle Vorstellungen: Wir werden gefragt werden:

Hast Du die Dir geschenkte Zeit gut genutzt?
Bist Du mit den Dir geliehenen Dingen sorgsam umgegangen – mit den Pflanzen und den Tieren, mit der Nahrung, dem Wasser und der Energie?
Bist Du mit den Dir anvertrauten Menschen behutsam begegnet? Liebevoll und geduldig?
Standest Du ihnen mit Respekt und Herzenswärme gegenüber? Hast ihre Hilferufe gehört?

Der Knecht, dem in Jesu Gleichnis ein ganzes Hofgut anvertraut wurde, das ist niemand anderes als ein jeder und eine jede von uns selbst. Und das Hofgut, das im Gleichnis dem Knecht vertrauensvoll in die Hände gelegt wurde, das ist nichts Geringeres als unser Leben. Ja, es ist wahr. Was für ein großes Vertrauen setzt Gott in uns, dass er uns soviel in die Hände gibt, damit behutsam und treu umzugehen. Und sein Vertrauen in uns ist groß. Er rechnet mit uns, mit unserer Zuverlässigkeit und mit unserem Gehorsam. Wir können uns entscheiden, genauso wie der Knecht im Gleichnis:

Wie will ich leben?
Welche Zukunft bestimmt mein Leben?
Bin ich bereit, die Verantwortung zu tragen, und das Vertrauen Gottes nicht zu enttäuschen? Diese Zukunft liegt uns klar vor Augen – der Tag, an dem unsere Zeit ein Ende haben wird und wir gefragt werden:
Hast Du die Zeit Deines Lebens gut genutzt?
Bist Du ein guter Sachwalter des Lebens gewesen – Deines eigenen und des Lebens dieser Welt?

Auch Lohn und Strafe, liebe Gemeinde, sollen heute nicht verschwiegen werden. Keiner von uns weiß, wann und wie genau das Gericht Gottes kommen wird – in der Bibel gibt es viele verschiedene Vorstellungen davon – auch weiß keine, ob die Strafe tatsächlich Schläge und der Tod mit dem Schwert sein wird, wie es in dem Gleichnis Jesu so drastisch beschrieben wird.  Eines aber haben alle biblischen Vorstellungen von der Ewigkeit gemeinsam: Wir werden, wenn wir Gottes Leihgaben unverantwortlich verschleudern und ausbeuten – sei es die Natur, seien es die Menschen an unserer Seite, sei es unser eigenes Leben – wenn wir es verschleudern, werden wir erleben, dass Gott uns sein Vertrauen entzieht. Die Gnade Gottes währt unser Leben lang, sie ruft und bittet und mahnt ein Leben lang zur Umkehr. Aber die Grenze unseres Lebens ist dann auch die Grenze der Möglichkeit zur Umkehr. Das Ende der Zeit, die uns zum Entscheiden zur Verfügung steht, ist auch das Ende der Gnade.

Wenn wir aber mit Gottes Leihgaben verantwortlich und liebevoll umgehen, d.h. die Natur behutsam bewahren, den Menschen an unserer Seite liebevoll und mit Herzenswärme begegnen und auch mit unserem eigenen Leben und unserer eigenen Gesundheit verantwortlich und behutsam umgehen, und unsere Tage nutzen, als wären es unsere letzten, dann wird Gott uns die Leihgabe Leben zum Geschenk machen, das uns niemand mehr nehmen kann. Dann wird der Tod, der uns heute noch so schmerzt und in Angst und Schrecken versetzt, seinen Schrecken verlieren. Er ist nämlich nicht einfach nur das Ende unseres Lebens, sondern der Eingang in das Leben. Also nicht Ende, sondern Anfang. Die Leihgabe Leben wird zum Geschenk. Wohl dem Menschen, der sein Leben von dieser Zukunft bestimmen lässt. Er ist ein Mensch, der in Verantwortungsbewusstsein lebt und damit in Vorfreude auf den Tag, an dem uns Gott die Leihgabe Leben zum Geschenk macht.

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Ein Kommentar zu “Leihgabe, die zum Geschenk wird

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    “Ganz umsonst gibt es das Reich Gottes nicht.” Pfarrerin Zager predigt eindringlich über den Skopus des außerordentlich schwierigen Predigttextes mit Strafen, Schlägen und “Vierteilungen”(s. Prof U. Wilckens, Übers. NT)für die Verantwortungslosen. Sehr ernst und bewegend fragt sie die Hörenden: Eines Tages werde ich meine Lebenszeit in Gottes Hand legen. Werde ich dann sagen können, es war eine gute Zeit? Zu Beginn bespricht sie kurz die Trauer über die verstorbenen Gemeindemitglieder, so wie es der Ewigkeitssonntag nahelegt. Dann aber folgt sie dem ernsten Bußton des Predigttextes. – Im Lübecker Exegese-Kreis am Mittwoch lehnten sechs Pastoren eine Predigt darüber mit Strafen wie in Stücke hauen und Schlägen ab. Sechs fanden wichtig, wie Pfarrerin Zager es auch sagt, dass wir nicht alle automatisch in den Himmel kommen. Sie ermahnt die Hörenden so feinfühlig, dass jeder und jede es nachdenklich akzeptieren kann, mit der Leihgabe des Lebens verantwortungsvoll und gut umzugehen. Der Schlußabsatz ist dann das reine Evangelium, die frohe Botschaft. Außergewöhnlich gut finde ich ihr Gebet zum Ewigkeitssonntag.

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