Starke und Schwache

Einander annehmen

Predigttext: Römer 15,4-13
Kirche / Ort: Trinitatiskirche / Berlin-Charlottenburg
Datum: 11.12.2011
Kirchenjahr: 3. Sonntag im Advent
Autor/in: Pfarrer Mag. theol. Ulrich Hutter-Wolandt

Predigttext: Römer 15,4-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

4 Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben.  5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, daß ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß,  6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.  7 Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.  8 Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind;  9 die Heiden aber sollen Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht: »Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.«  10 Und wiederum heißt es: »Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!«  11 Und wiederum: »Lobet den Herrn, alle Heiden, und preist ihn, alle Völker!«  12 Und wiederum spricht Jesaja: »Es wird kommen der Sproß aus der Wurzel Isais und wird aufstehen, um zu herrschen über die Heiden; auf den werden die Heiden hoffen.«  13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, daß ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.

Exegetische (I.) und homiletisch-theologische (II.) Impulse

I.    Der Römerbrief ist eine Zusammenfassung der paulinischen Theologie. Der vorliegende Predigtabschnitt behandelt die Frage im Rahmen der Auseinandersetzung „Starke und Schwache in der Gemeinde“: Wie geht man mit diesen beiden Gruppen um, wie nehmen wir einander an? Konkret ging es Paulus um das Essen oder Nicht-Essen von Götzenopferfleisch, ein Thema, das heute keine Rolle mehr spielt, damals aber „Stein des Anstoßes“ in der stadtrömischen Gemeinde war. Bereits in Röm 14,1 taucht das Thema „Annehmen“ auf, und dieses Thema wird dann in Röm 15,7 wieder aufgegriffen. Schon in 14,1 ermahnt Paulus zur gegenseitigen Annahme, was er in 15,7 wiederholt. Die Gemeindesituation in Rom um das Jahr 57 n. Chr., als der Römerbrief von Paulus geschrieben wurde, kann aus soziologischen wie aus ethnischen Gründen als plural angesehen werden. Es gab damals nicht d i e christliche Gemeinde in Rom, auch keinen Gemeindeverbund, sondern wie Peter Lampe herausgearbeitet hat, eine je nach Stadtteilen kleinere oder größere Ansammlung von Hausgemeinden. Die unterschiedlichen Ethnien spielten in Rom aber nicht die entscheidende Rolle, sondern eher die Polarisierung in den Gemeindegruppen, wie wir sie in Kap. 14f. vorfinden, wo von den Starken und Schwachen die Rede ist. Es gab offensichtlich Spannungen innerhalb der römischen Christen, doch wie die Starken und die Schwachen genauer einzugrenzen oder gar zu bestimmen sind, wird aus diesem Abschnitt des Röm nicht deutlich. Vielleicht ist deshalb zu verstehen, warum die Bearbeiter der Perikopenordnung den Predigttext nicht mit V. 1 beginnen lassen, sondern erst mir V. 4. Starke und Schwache könnten auch nach neueren exegetischen Erkenntnissen auf dem Hintergrund des römischen-griechischen Schulwesens gelesen werden: Als „Schwache“ galten demnach die einfachen Menschen, die kaum oder gar keine Schulbildung hatten und als „Starke“ die Fortgeschrittenen, die bereits des Lesens und Schreibens kundig waren. Die ersten vier Verse beleuchten die ethische Fragen: unser menschliches Verhalten wird durch Überlegungen bestimmt: Wie stehe ich mit meinem Tun vor anderen Menschen da, wie präsentiere ich mich selbst vor anderen. V. 5f formuliert die Alternative zum selbstgefälligen Denken, denn es droht in den stadtrömischen Gemeinden die Eintracht vor allem im gottesdienstlichen Miteinander zu zerbrechen. Paulus hat Angst, dass der gemeinsame Lobgesang in der Dissonanz der Stimmen und Stimmungen der stadtrömischen Gemeinde untergeht. In V. 7 geht es nicht nur um Toleranz, um das Aufnehmen in eine Gemeinschaft oder Gemeinde. Es geht nicht um Duldung, sondern um Entgegenkommen und Achtung, und dies alles darf auch etwas kosten. In V. 8 wird dies noch unterstrichen, denn die Treue Gottes zu seinen Verheißungen an das Haus Israel hat Jesus Christus zum Diener an den Juden werden lassen. Diesem Volk hat Gott seine ganze Liebe und Mühe zu teil werden lassen. Auch die Nichtjuden können am Lob Gottes für sein Volk Israels teilnehmen, was Paulus in V. 9 als Ausdruck eines besonderen, erneuten freien Handelns deutet. Er kann dafür Belege aus dem Ersten Testament anführen (vgl. V. 9-12). Der Predigttext schließt mit einem Gebetswunsch (V.13) ab. Dieser Gebetswunsch richtet sich an den Gott, der den Menschen auch in ausweglosen und schwierigen Situationen Hoffnung schenkt. Paulus erbittet von diesem Gott der Hoffnung eine Stärkung der Gemeinden. Denn weil Gott unsere Hilfe und Hoffnung ist, darum kann er den Menschen Hoffnung schenken. Damit diese Hoffnung in den Gemeinden lebendig bleibt, bedarf es der Kraft des Heiligen Geistes. II.   Die Predigt sollte darauf bedacht sein, nicht nur die Gruppe oder Gemeinde anzusprechen, sondern den Einzelnen. Denn es muss mir immer wieder persönlich zugesprochen und gesagt werden, dass ich von Gott in Jesus Christus angenommen bin. Wird dies nicht gesagt, fehlt mir der eigentliche Impuls, andere Menschen anzunehmen und mit ihnen zusammen das Gotteslob anzustimmen. Wenn Gott mich angenommen hat, darf und kann ich mich auch selber annehmen, Ja zu mir sagen. Dieses Ja Gottes braucht meine Antwort im „Amen“, „ja so geschehe es“, nur so kann ich froh werden und anderen mit meinem Ja der Gottesliebe begegnen. Der Predigttext macht es nicht einfach, einen Predigtschwerpunkt in diesem dritten Adventssonntag zu finden. Ein Zugang wäre die liturgische Struktur V.5f und V. 13, in denen sich zwei liturgisch geprägte Gebetswünsche finden. Sie liefern die wesentliche Stichworte des Predigttextes: die einmütige Gesinnung zum Lobe Gottes (V. 5f) durch das Heilswerk Gottes in Jesus Christus und Frieden und Freude im Glauben zu größerer Hoffnung durch den Heiligen Geist (V. 13). Die Predigt am 3. Adventssonntag kann nicht alles ausblenden, was die Menschen in diesen Tagen erledigen müssen: die Vorbereitung auf das Weihnachtsfest, das Kaufen von Geschenken, um anderen eine Freude zu machen. Wir bereiten uns in der Adventszeit auf das Kommen Jesu im Stall von Bethlehem vor. Mit seinem Kommen hat sich Gott zu uns auf den Weg gemacht, um uns seine Liebe zu zeigen, wurde er uns Menschen ganz nah, eine Nähe, die wir manchmal nur schwer aushalten können. Dieses Kommen Gottes zu uns an Weihnachten hat Auswirkungen auf unser Leben und Zusammenleben: Es geht darum, dass wir uns gegenseitig annehmen, dass wir Gott loben, weil er der Urgrund aller menschlichen Hoffnung ist. Daraus folgt gegenseitige Annahme, Lob Gottes und das Wachsen der Hoffnung. Wir dürfen Gott in allem, was wir tun, an uns selbst und an anderen, loben. Gerade in der Zeit des Wartens auf Gottes Ankunft ist es wichtig, die altvertrauten Loblieder unserer Gesangbücher zu singen. Denn das Singen öffnet uns neue Perspektiven im Mit- und aneinander. Außerdem nimmt es unseren Gottesdiensten die „Verkopfung“ und lässt den Gottesdienst noch stärker als etwas Gemeinsames und im guten Zinzendorfschen Sinn als Herzensangelegenheit erleben.

Lieder

„Wie soll ich dich empfangen“ (EG 11) „O komm, o komm du Morgenstern“ (EG 19) „Mit Ernst ihr Menschenkinder“ (EG 10) „Wir sagen euch an“ (EG 17,1-3)

Eingangsgebet Manche von uns sehen froh und glücklich auf die letzte Woche zurück. Manche von uns sind mit traurig in diese Kirche gekommen. Dir, Gott, ist nichts verborgen. In deiner Gegenwart können wir aufatmen, bei dir finden wir Ruhe für unsere Seele.

Meditation

Lichtkraft Aus dem Himmel eine Erde machen aus der Erde einen Himmel Wo jeder aus seiner Lichtkraft einen Stern ziehen kann (Rose Ausländer, in: Arno Schmitt, Bind deinen Karren an die Sterne. Liturgisches Werkbuch zu Advent und Weihnachten, Jahreswechsel und Epiphanias, Gütersloh 2010, 106)

Literatur

Klaus Berger, Gottes einziger Ölbaum. Betrachtungen zum Römerbrief, 2.Aufl., 1999; Klaus Haacker, Der Römerbrief als Friedensmemorandum, NTS 36/1990, 25–31; Peter Lampe, Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten, Tübingen, 2.Aufl., 1989; Eduard Lohse, Der Brief an die Römer, Göttingen 2003; Eckart Reinmuth, Paulus. Gott neu denken, Leipzig 2004; Heinrich Schlier, Der Römerbrief, Freiburg, 2.Aufl., 1979; Nelio Schneider, Die »Schwachen« in der christlichen Gemeinde Roms. Eine historisch-exegetische Untersuchung zu Röm 14,1–15,13, Diss. theol. Wuppertal 1989; Ulrich Wilckens, Der Brief an die Römer, 3. Teilband Röm 12–16, Neukirchen-Vluyn 1982; Peter Stuhlmacher, Der Brief an die Römer übersetzt und erklärt, Göttingen 1989; Oda Wischmeyer (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, Tübingen 2006.

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Haben Sie schon alles gekauft und alles besorgt für das bevorstehende Weihnachtsfest? Im Radio höre ich heute Morgen: Noch 13 Tage bis Heiligabend, der Endspurt ist eingeleitet: Festtagsbraten kaufen, Tannenbaum besorgen, funktioniert die elektrische Weihnachtsbaumbeleuchtung, haben wir genug Weihnachtsbaumkerzen im Haus? Fragen über Fragen 13 Tage vor Heiligabend. Überdecken diese Fragen nicht das Wesentliche des kommenden Weihnachtsfestes? Hindern sie uns, zum Grund vorzudringen oder brauchen wir geradezu diesen Stress vor Weihnachten? Dann höre ich manchen schon stöhnen „Ach, wenn es doch endlich vorbei wäre!“ Dabei hat das Christfest doch noch gar nicht angefangen.

Gottlob, es ist Sonntag, und wir kommen hier im Gottesdienst zur Ruhe. Am heutigen dritten Adventssonntag stimmen wir mit Paulus in das Gotteslob ein. Die Adventszeit ist eine innere Vorbereitungszeit, ähnlich der Passionszeit, deshalb hängen in unserer Trinitatiskirche in der Adventszeit Paramente in der liturgischen Farbe violett. Sind wir bereit, Jesus aufzunehmen? Viele Kinder in unseren Gemeinden sind jetzt damit beschäftigt, ihre Rollen für das Krippenspiel einzuüben. Das ist ihre Art, sich auf die Geburt Jesu vorzubereiten. Der Predigttext macht wie das heutige Evangelium deutlich, dass wir uns vorbereiten sollen.

(Lesung des Predigttextes)

An die kleinen Christengemeinden in Rom schrieb der Apostel Paulus diesen Brief. Seine Botschaft: Jesus Christus ist für Juden und Heiden, für Judenchristen wie für Heidenchristen, gestorben und auferstanden, darum sind sie alle angenommen. Darum ruft sie Paulus auf, einander anzunehmen. Gott kommt in einem Kind zu uns. Er lässt uns zu Kindern Gottes werden und damit zu Schwestern und Brüdern. In unseren Gemeinden soll davon etwas ausstrahlen. Wir müssen die Menschen nicht in „Kirchgänger“ und „Nicht-Kirchgänger“ einteilen. Gott hat alle Menschen angenommen, darüber dürfen wir uns freuen. Unsere Vorurteile und Hemmschwellen können wir beiseite zu räumen. So kann dieser dritte Adventssonntag ein Anstoß sein, auf andere Menschen zuzugehen und uns dabei von der Menschenfreundlichkeit Gottes bestimmen zu lassen. Gibt es eine „Melodie“, auf die sich alle, die Älteren und die Jüngeren, einstimmen können? Lasst uns davon bei offenen Türen reden und so mit dem Lob beginnen, das dann aus den Kirchenmauern auch nach außen dringt. Dabei mag uns ein Text mit dem Titel „Er“ von Lothar Zenetti (in: Sieben Farben hat das Licht, Mainz 1981, 60f.) helfen:

Er lehrte uns die Bedeutung und Würde
des einfachen unansehnlichen Lebens
unten am Boden

unter den armen Leuten
säte er ein
seine unbezwingbare Hoffnung

Er kam nicht zu richten sondern aufzurichten
woran ein Mensch nur immer leiden mag
er kam ihn zu heilen

Wo er war
begannen Menschen freier zu atmen
Blinden gingen die Augen auf

Gedemütigte wagten es
zum Himmel aufzuschauen
und Gott ihren Vater zu nennen

sie wurden wieder Kinder
neugeboren
er rief sie alle ins Leben

Er stand dafür ein
dass keiner umsonst gelebt
keiner vergebens gerufen hat

dass keiner verschwindet namenlos
im Nirgends und Nie
dass der Letzte noch heimkehren kann als Sohn

Er wurde eine gute Nachricht
im ganzen Land ein Gebet
ein Weg den man gehen

ein Licht
das man in Händen halten kann
gegen das Dunkel

Ein Mensch wie Brot
das wie Hoffnung schmeckt
bitter und süß

Ein Wort das sich verschenkt
das sich dahingibt wehrlos
in den tausendstimmigen Tod

an dem wir alle sterben
Ein Wort
dem kein Tod gewachsen ist

das aufersteht und ins Leben ruft
unwiderstehlich
wahrhaftig dieser war Gottes Sohn.

 

– Professor Dr. Gustav Adolf Benrath zum 80. Geburtstag –

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Ein Kommentar zu “Starke und Schwache

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Eine ausführliche Predigtvorbereitung mit gründlicher Bibelauslegung führt dazu, dass diese Predigt ganz erfreulich sowohl das Zentrum des Textes als auch des Adventssonntags und die Adventsstimmung sehr gut trifft. Sehr passend am Schluss das Jesus-Gedicht von Zenetti, das man gern hört bzw. sich ausdruckt und aufbewahrt.

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