Ja und Amen
Im Advent wird uns verstärkt bewusst, wie viele Menschen sich einem Nein gegenüber sehen, gegen dieses Erleben steht Gottes Ja
Predigttext: 2.Korinther 1,18-22 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe. Gott ist´s aber, der uns fest macht samt euch in Christus und der uns gesalbt und versiegelt und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat.Exegetische und homiletische Überlegungen und Entscheidungen
„Apologie des Paulus“, „Mit dem Rücken zur Wand“, „Verteidigungsrede“ sind typische Termini, auf die man in der exegetischen und homiletischen Literatur bezüglich der Kompilation des 2. Korintherbriefes trifft, der wahrscheinlich um 54/55 n. Chr. geschrieben wurde. Er bildet einen Ausschnitt aus einer wechselvollen Geschichte von Besuchen und Briefen, Missverständnissen und Ringen um Anerkennung. Kurz vor der Perikope erläutert Paulus, dass seine Reisepläne nun andere sind, als er bisher bedacht hat und er nicht wie im 1. Kor 16,5 ff angekündigt bei der Gemeinde vorbeikommen kann. Dass die Veränderung eines Reiseplanes mit einem Rekurs auf eigene Glaubensvorstellungen, die Zuverlässigkeit und Aufrichtigkeit verbunden wird, zeigt deutlich sein Bemühen um Fremd- und Eigenpositionierung. Kaja Kriener schreibt in den „Predigtmediationen im christlich-jüdischen Kontext“: „Ein wunderschöner Text, der in nuce die Grundlage jeder neuen Dogmatik im christlich jüdischen Gespräch bilden sollte: Mit der Geburt des Sohnes, in Jesus Christus unterstreicht Gott alle (!) seine Zusagen. Gottes Verheißungen werden neu in Kraft gesetzt. Das ist dann neben anderem das Ende jener Substitutionslehre, die die Verheißungen an Israel auf die Kirche als das neue Volk Gottes übergehen lässt! Hier wird bestätigt, ins Recht gesetzt, „was der alten Väter Schar, höchster Wunsch und Sehnen war“ (EG12). In Christus setzt Gott auf das Ja auf all seine Verheißungen, Versprechen und Zusagen“. (Kriener, K.: 3. Sonntag am Advent; 2. Kor 1, 18 -22, in: Deeg, A. u.a.: Predigtmeditationen im christlich - jüdischen Kontext, Wernsbach 2011, S.22) Der 4. Advent. Noch nicht Weihnachten, aber schon ein bisschen. Massen Dominosteine und gebrannte Mandeln sind schon vertilgt worden. Weihnachtspost liegt noch. Für viele Menschen beginnt die letzte Arbeitswoche. Viele Pfarrerinnen und Pfarrer haben diesen Sonntag vor dem Gottesdienstmarathon des Weihnachtsfestes predigtfrei. Der Predigtext kurz nach dem Briefanfang: Dicht und deutlich. Wahrscheinlich wurde die Redewendung „Ja und Amen“ in diesem Kontext entwickelt. Fest und Zuverlässig, Ja und Amen. Den Terminus Amen hört man in jedem Gottesdienst z. B. als Akklamation. Interessant, ist, dass er meist unübersetzt bleibt. Man merkt dem Text an, dass Paulus in der klassischen Frage gefangen bleibt, dass sich Aufrichtigkeit nicht kommunizieren lässt. Genauso wenig wie Geselligkeit oder u. a. Paulus ist in dem gefangen, was in der Soziologie verkürzt gesagt als Differenz zwischen Information und Mitteilung beschrieben wird. Nach meinem Eindruck „hängt“ Paulus genau in dieser Schleife. Verständlichkeit, Wahrheit, Richtigkeit und Aufrichtigkeit sind nach manchen Theorien mit sog. Geltungsansprüchen verbunden. Die müssen von allen angenommen werden, die in der Kommunikation sind - so gelingt Kommunikationen - oder auch nicht. Dann geht das „Geeier“ los. Hier möchte ich bei der Predigt ansetzen. Die Perikope der Reihe IV trennt deutlich den Text vom Kontext. Dies mag durch eine theologische Entscheidung für diesen speziellen Textteil und dessen theologische Aussage gerechtfertigt sein. Das Emplotment fällt aber dadurch gänzlich weg. Dies führt zu Problemen: Die Veränderung von Reiseplänen wird mit einer Legitimationsfigur in der Perikope bearbeitet. Diese mag überzogen sein, stellt aber den „Druck“ deutlich dar, der auf Paulus und seinen Kollegen wohl gelastet hat. Kaum jemand würde heute in einem Authentifizierungsgeschehen die Schwurformel rezipieren: Gott ist mein Zeuge... Ja bitte, so glaubt mir doch... ich wäre doch gerne gekommen. So etwas tut man höchstens in großer, sehr großer, Not oder angesichts einer Anklage und dem damit aufgebauten Verteidigungsdruck. Rezeptionsgeschichtlich wurde in theologischen Entwürfen aus diesem Text der Aspekt des eindeutigen Ja Gottes für uns Menschen in den Gottesverheißungen herauspräpariert. Dieser Aspekt ist sicherlich wichtig und das Proprium des Gottesdienstes „die nahende Freude - das Ja Gottes zu uns Menschen in Jesus Christus“ besonders bedacht. Vor allem, weil der Lobgesang der Maria und somit das Einbrechen des verheißenen Jesus in die Welt noch deutlicher wird. Das Kind kommt - Gott kommt - da kann man im mit Freude sagen „Ja und Amen“. Die Schönheit dieses Gedankens unterliegt aber auch der Gefahr, zu vereinfacht zu sagen: Bei uns Menschen gibt es „ja, nein, vielleicht, sich nicht festlegen“, aber bei Gott nur ein Ja. Diese Kausalkette mag seine Befürworter und Liebhaber finden. Ich bleibe bei der Verantwortung der Kritiker, der Enttäuschten, die, die es immer schon gewusst haben, man hätte sie nur fragen müssen. Die, die alles besser wissen, besser können usf... – uns selber. Und doch gehören wir aufgrund der Taufe zusammen. Zum Glück. Sonst wären wir diejenigen, die mit unserer Besserwisserei alleine bleiben würden.„Sag bitte, ich komme nicht,“ ruft er mir zu. „Ich kann nicht. Was nützt es, wenn ich dann nur rumhänge und mich an keinem Gespräch beteilige.“
„Aber wir hatten es doch abgemacht und du hast es versprochen.“
„Ja ja.“
„Was heißt hier ja ja, und nun ist es nein nein. Kann man dir denn gar nicht mehr trauen? Wie stehen wir nun vor den anderen da?“
„Du kannst auch alleine gehen.“
„Ich wollte aber mit dir zusammen gehen!“
„Ich weiß. Es geht aber nicht!“
„Es geht nicht, es geht nicht. Ich verstehe das nicht. – (Pause) Und was nun?“
„Vergiss es. Ich bleibe zuhause.“
Liebe Gemeinde, manchmal ist es schwer, eine Absage zu akzeptieren. Vor allem dann, wenn ich mich darauf gefreut habe. Oder wenn man sich noch nicht so lange kennt. Wenn ich noch nicht genau weiß, wie ich den anderen einschätzen soll. Dann bleibt so manches ungesagt im Raum stehen. Plötzlich mischt sich in mein Vertrauen eine gewisse Skepsis. Kann der andere wirklich nicht? Warum will er mir nicht sagen, was ihn hindert? Ist ihm der Termin nicht so wichtig? Will er mir etwas verschweigen? Soll ich etwas nicht wissen? Oder ist er ganz anders, als ich eigentlich dachte? Der Phantasie sind in solchen Momenten keine Grenzen gesetzt. Vor allem dann, wenn ich enttäuscht bin, wenn mir dieses Treffen ein großes Anliegen ist. Es ist dann gar nicht so leicht, zu sich selbst zu sagen: Ich fange nicht an zu spekulieren. Ich stelle nicht die Beziehung in Frage. Sondern ich vertraue darauf, dass der andere seine Gründe hat, warum er so nebulös bleibt. So zu reagieren, zeugt von einer großen inneren Selbstgewissheit und Gelassenheit. Aber nicht immer haben wir diese.
Doch die Situation kann sich auch umdrehen. Ich selbst kann nicht. Und auch wenn ich wollte, kann ich dem anderen den Grund nicht sagen. Da schwingen viele ungeklärte Dinge bei mir selbst mit, so dass eine Erklärung zu kompliziert wäre. Da hängen Dritte mit drin, deren Namen ich nicht nennen möchte. Da spielen eigene Ungereimtheiten eine Rolle, die ich selbst noch nicht in Worte fassen kann. Ich kann nur sagen: Ich kann nicht. Doch weil ich Angst habe, der andere könnte dies als eine Ablehnung auffassen, beginne ich mich zu rechtfertigen, beginne ich, um die Beziehung zu werben, denke ich mir alle möglichen Argumente aus, nur um zu sagen: Unserer Beziehung ist nicht in Gefahr. Grundsätzlich stehe ich zu dir, auch wenn dir mein Verhalten momentan fremd und unverständlich erscheinen mag. Vor genau diesem Dilemma steht Paulus. Im seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth hat er ihnen versprochen, dass er sie besuchen kommt. Doch nun kann er nicht. Die Reaktionen folgen prompt. Argwohn in der Gemeinde, ob seine Lehre überhaupt dem Zeugnis Gottes entspricht, ob er überhaupt glaubwürdig ist. Die Phantasien in der Gemeinde sprudeln und ziehen immer weitere Kreise. Plötzlich sieht sich Paulus gezwungen, sich nicht nur für sein Nichtkommen zu entschuldigen, sondern er muss sich und seine Botschaft auch noch rechtfertigen. So entsteht sein zweiter Brief an die Gemeinde. Er schreibt:
(Lesung des Predigttextes).
Damit verteidigt sich Paulus in alle Richtungen. Denen, die immer sagen, er meine etwas Anderes, als er gesagt habe, wiederholt er: In Jesus ist Gottes Ja erschienen. Denen, die Verständlichkeit fordern, schreibt es eindeutig. Die, die Wahrheit wollen, verweist er auf die Gottesverheißung. Den Nörglern in der Gemeinde macht er klar: Wir stehen zu unserem Wort, auch wenn wir jetzt nicht kommen. Den Zweiflern macht er klar: Das Ja Gottes gilt. Paulus holt in gewisser Weise zu einem „Rundumschlag“ aus in der Hoffnung, allen, die an seiner Glaubwürdigkeit zweifeln, ein für alle mal den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ausschlaggebend ist für ihn dabei das Ja Gottes für uns Menschen. Dieses Ja ist, wäre ich eine Mathematikerin, ein eineindeutiges Ja. Dieses Ja Gottes ist nämlich nicht irgendein Ja. Es ist auch kein halbes Ja. Es ist auch kein Vielleicht. Dieses Ja Gottes wird durch Jesus Christus zu einem eineindeutigen festgelegten Ja. In seinem Sohn Jesus Christus haben wir sein uneingeschränktes Ja erlebt, ohne Kompromisse, ohne Anbiederei, ohne Angst, ohne Nachgeben, sondern glaubwürdig bis in den Tod.
Auf dieses eineindeutige Ja Gottes beruft sich Paulus. Nicht auf sich selbst. Er selbst ist auch nur ein Mensch wie alle anderen auch. Wenn er das Ja nur auf sich selbst beziehen würde, dann wäre die Kritik der Korinther vielleicht sogar gerechtfertigt. Aber es geht ihm gar nicht um sich selbst. Es geht ihm um Gott, um Jesus Christus. Sie haben wahrhaftig eine ganz andere Qualität. Ob das damals für die Korinther einleuchtend war? Ob sie Paulus seine Argumentation abgenommen haben? Wir wissen es nicht. Aber viele, die später diesen Brief gelesen haben, fanden ihn so gut, dass sie ihn aufbewahrt, tradiert und mit anderen verbunden haben. Die Worte des Paulus müssen auf die Menschen damals eine große Wirkung gehabt haben. Welche Wirkung haben sie auf uns, fast 2000 Jahre später, zwei Wochen vor Weihnachten? Wir können uns der Relevanz dieser Worte annähern, wenn wir sie unserer menschlichen Realität gegenüberstellen. Wo erleben wir ein Ja, ein Nein, ein Vielleicht?
Im Advent wird uns verstärkt bewusst, wie viele Menschen sich einem Nein gegenüber sehen. Nein, du gehörst hier nicht her. Nein, dies ist nicht deine Heimat. Nein, du bist hier nicht willkommen, geh dahin, wo du herkommst, wo du hingehörst. Viele von denen, die ein solches Nein, eine solche Ablehnung hören, hören dies nicht zum ersten Mal. Schon dort, wo sie herkommen, wurde ihnen gesagt: Nein, deine Gedanken sind hier unerwünscht. Nein, die Minderheit, der du angehörst, hat hier keinen Platz. Nein, deine Arbeitskraft will hier keiner. Gegen dieses Erleben steht Gottes Ja. Es ist das Ja, das Maria und Josef in der Fremde, in Bethlehem erleben. Zuerst hören auch sie das Nein. In jedem Krippenspiel schüttelt der Wirt vehement den Kopf. Aber dann erfolgt das Ja der Engel, das Ja der Hirten, der Könige. Das Kind kommt zur Welt, weil Gott Ja zu ihm gesagt hat. Ja, das ist mein geliebter Sohn. Nichts kann dieses Ja zum Menschen Jesus Christus umstoßen. Bis heute wiederholen wir dieses Ja in jeder Taufe, die wir feiern. Dieses Ja gehört allen Menschen, vor allem denen, die sonst nur immer ein menschliches Nein hören.
Auch im Advent sterben Gemeindeglieder. Die Angehörigen haben erlebt, wie die Verstorbenen immer schwächer wurden. Wie ihnen wortwörtlich die Lebenskraft ausging. Manchmal können wir solch ein Sterben als eine Erlösung deuten. Aber gleichzeitig ist Sterben auch immer ein Bruch mit dem Leben, ein Nein zum Leben. Da wird uns etwas genommen, was unbedingt dazugehörte, woran unser Herz hing, unsere Erinnerungen, unsere eigene Geschichte. Dann die Frage: Was wird das für ein Weihnachtsfest, wenn er, wenn sie nicht mehr dabei ist? Gegen dieses Erleben steht Gottes Ja. Das Ja, ich bin bei dir, auch in deiner Trauer und deinem Leiden. In Jesus Christus habe ich das menschliche Leiden, die Todeserfahrung, selbst durchgemacht. Aber Gott sagt auch: Der Tod ist nicht das Ende. In Jesus Christus habe ich den Tod überwunden. Du wirst sehen. Etwas unvorstellbar Neues wartet auf Dich.
Im Advent wird uns bewusst, wie sehr unser menschliches Ja an Bedingungen geknüpft ist. Ja, du kannst das haben, wenn du dafür bezahlst. Wenn du einen Gegenwert zum Tausch anbieten kannst. Kindern wird gesagt: Wenn du brav bist, dann… Als Erwachsene versuchen wir, den Konventionen zu entsprechen, damit … Wir erleben uns laufend in einer Bringschuld. Gottes eineindeutiges Ja ist bedingungslos. Und das ist die absolute Ausnahme in unserer Welt. Gottes Sohn ist uns verheißen, ganz unabhängig davon, was wir leisten, wie wir uns verhalten. Weihnachten widerfährt uns, es geschieht mitten unter uns. So wie Maria es erlebt hat mit ihrer Schwangerschaft. Sie hat sie nicht gewollt, sie hat sie nicht gesucht, sie ist ihr widerfahren, passiert. Aber sie hat damit erlebt, dass ihr Leben allein durch Gott einen Wert bekommen hat, den sie sonst nie bekommen hätte. Gottes Ja kommt uns entgegen. Das ist unglaublich tröstlich.
Die bevorstehende Geburt Jesu ist das große Ja Gottes zu uns Menschen. “Das ist unglaublich tröstlich”. So beschließen die Autorin und der Autor ihre Predigt. Denn das Ja Gottes überdeckt die vielen Neins, unter denen wir Menschen leiden und die in der Predigt gut ausgearbeitet werden. Das einleitende Gespräch könnte vielleicht dahin präzisiert werden, dass weniger ein klares Nein verletzt als vielmehr ein uneindeutiges Jein oder Vielleicht. Dann werden Phantasien freigesetzt und Misstrauen geschürt! Die Predigt nimmt schon ein wenig Weihnachten vorweg, wenn sie die
Heilige Familie dem Nein der Krippenspiele ausgesetzt zeigt. Sehr schön im letzten Teil der Predigt das “Fiat mihi” (“mir geschehe”) der Maria zum lebenschaffenden Ja Gottes! Die Verbindung des Ja Gottes zum Menschen mit der Besuchsabsage des Paulus an die Gemeinde ist vielleicht etwas hoch
gegriffen und könnte plausibler gestaltet werden, indem das
grundsätzliche Ja des Paulus seiner Gemeinde gegenüber
betont wird – als adventliche Haltung von Erwartung und
Freude: “Der Herr kommt”.