“Friede auf Erden”

„Weihnachten wird unterm Stern entschieden...“

Predigttext: Jesaja 9,1-6
Kirche / Ort: Karlsruhe und 79359 Riegel / Evangelische Landeskirche Baden
Datum: 24.12.2011 Heiligabend
Kirchenjahr: Christvesper
Autor/in: Pfarrerin Judith Winkelmann und Pfarrer Dr. Gernot Meier, Studienleitung Evangelische Akademie in Baden

Predigttext: Jesaja 9,1-6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freuen in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn daher geht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schuler; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.

Zu Kasus (I), Text (II), homiletische (III) und liturgische (IV) Überlegungen

I     Heilig Abend - die heterogene Mischung der Gottesteilnehmenden incl. einer sehr unterschiedlichen Teilnahmefrequenz machen aus diesem Kasualgottesdienst eine schwierige Aufgabe. Der Kirchengang gehört für viele an diesem Tag zum Festtagsritual dazu, und die Erwartungen richten sich darauf, dass es so ist wie immer. Denn  der Heilige Abend ist ein Ritual. Inwieweit die Gestaltung mit einer biblisch begründeten Festtagsgestaltung zu tun hat, ist sicher nicht nur milieuspezifisch sehr divergierend. Bei der Christvesper lässt sich eine Ausrichtung erkennen, die den Gottesdienst von den Familiengottesdiensten mit Krippenspiel an diesem Abend unterscheidet: Im Focus steht ein eigenes Bedürfnis der Erwachsenen, das schwer zu definieren ist. Aber neben der Tradition darf eine gewisse Ernsthaftigkeit, eine Sinnsuche im Festtagstrubel, die Suche an einem Mehrwert über das hinaus, was „unterm Baum entschieden“ wird oder auf dem Teller liegt sicher vorausgesetzt werden. Krippe und Kind stehen nun eher unter dem Fokus der Gotteskindschaft (vgl. Evangelisches Gottesdienstbuch 2001, 685). II      Die Perikope ist die atl. Lesung, sie zählt zu den eher bekannten Lesungstexten. Einige Exegeten verorten den Text in der dunklen Zeit der assyrischen Großmacht im 7./8. Jh.v.Chr., unter der das kleine Volk Israel leidet. Das Assyrische Reich hat den Traum von einem Staat Israel zerstört. Das in der Perikope anklingende prophetische Danklied besingt nun die Inthronisation eines neuen davidischen Königs (vgl. vgl. O. Kaiser, ATD 17, 1981, 197). Andere sehen den Text als das Ergebnis einer nachexilischen Redaktion (5./6. Jh.v.Chr.). Die anklingende Natanweissagung an David (2 Sam 7) und die Immanuelprophetie (Jes 7) seien hier miteinander zur messianischen Weissagung verschmolzen (vgl. W. A. M. Beuken, Jesaja 1-12, 2003, 239). In jedem Fall lässt sich in den Vv.1-4 die Relecture eines proph. Dankliedes erkennen, gefolgt von der Schilderung der Geburt des Königs in V.5 und einem Königsorakel in V.6. Der Text entwickelt eine proph. Perspektive über die real erlebten Machtverhältnisse hinaus. Die Vision wird als Verheißung bei jedem Lesen und Hören wiederholt und erneuert und verwandelt dadurch die Gattung der Relecture in einen Sitz im Leben. III      Damit holt der Text den Kasus ein. Denn gerade das Weihnachtsfest lebt von der alljährlichen Wiederholung der immer gleichen Botschaft in eine sich ständig verändernde Gegenwart. Eine Predigt kann hier ansetzen und danach fragen, was sich im letzten Jahr ereignet hat bzw. was anders geworden ist. Hier kann auf die persönlichen Veränderungen eingegangen werden, den Abschied von Menschen, zerbrochene Beziehungen, aber auch das neue Leben, die persönlichen Erfüllungen. Die Predigt bleibt nicht in der Klage hängen, sie greift den Ausblick des proph. Dankliedes auf einen weltunabhängigen König auf. Dieser kann über die Gegenwart hinausweisen und damit eine orthodoxen Festlegung auf das Bestehende vermeiden. Im Königsorakel eröffnet sich eine neue Friedensvision, die i.Ggs. zu dem weltlichen Paradox steht, durch Krieg Frieden herstellen zu wollen. Der Text bietet eine Fülle an Bildern zur Beschreibung des Friedens. Vor allem die künstlichen Doppelnamen weisen auf eine andere Art hin, Frieden zu schaffen. Diese können in Verbindung mit der luk. Christologie des Weihnachtsevangeliums in eine spannungsreiche Auflösung gebracht werden. Zunächst handelt es sich in beiden Texten um die Geburt eines Kindes. Doch Lukas schildert diese in der ärmlichen Umgebung des Stalls mit dem Besuch der Hirten als Randgestalten der Gesellschaft, später dem Wanderprediger, der am Kreuz einen elenden Tod stirbt. Anders beschreibt Jesajas die Geburt eines neuen Königs mit omnipotenten Doppelnamen. Indem diese Namen auf das Leben Jesu bezogen werden, wird ein neues Herrschaftskonzept deutlich. Denn Gott-Held kämpft nicht mit dem Schwert, sondern tut zärtliche Wunder. Ewig-Vater wird zu einem Kind, dessen Leben begrenzt ist. Der Friede-Fürst benimmt sich als Wanderprediger gar unfürstlich und der Wunder-Rat kann trotz aller Umsicht sich nicht selbst vor dem Tod am Kreuz bewahren. Hierin liegt die neue Friedensvision, die mit dem Kind geboren wird und die es bis heute einzuholen gilt. Den erwachsenen Gottesdienstteilnehmenden kann damit eine neue Perspektive auf das eigene Leben eröffnet werden: Nicht die Erwachsenen schaffen den Frieden für ihre Kinder, sondern ein Kind schafft den Frieden für die Erwachsenen, im Sinn der Jahreslosung 2012: Gott ist in den Schwachen mächtig. IV     Das Lied „Das Volk, das noch im Finstern wandelt“ (EG 20) nimmt den Predigttext auf. Es können einzelne Strophen gesungen oder als Orgelstrophe gehört werden. Als moderne Aufnahme der proph. Zeitdiagnostik kann das Lied „Sign O the times“ von Prince eingespielt werden, es kann mit seinen ungewohnten Klängen zum Ausdruck einer Zeitansage werden. Das Gedicht von Klaus Nagorni „Lied der Hirten“ (Ders., Der kleine Hirte. Eine Weihnachtsgeschichte, 2009) kann aufgenommen werden: Nicht bleiben Gehen Nicht wanken Stehen Nicht schweigen Sagen Nicht klagen Wagen Nicht nehmen Geben Nicht hetzten Leben (Anfügung der Verfasser: Nicht verschieben – Feiern - Diesen Abend und diese Nacht, in der uns ein Kind geboren wird, das heißt „Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst“).  

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„Das Volk, das noch im Finstern wandelt – bald sieht es ein großes Licht. Heb in den Himmel dein Gesicht und stehe und lausche, weil Gott handelt.“ (EG 20, 1) Weihnachten als Zukunftsvision! Zeichen erkennen und in die Zukunft auszuziehen, davon erzählt unser Predigttext. Aber Weihnachten ist auch in der Diskussion. Nicht nur, was man an diesem Geburtstagsfest anziehen soll, was es zu essen gibt, sondern: „Weihnachten wird unterm Stern entschieden. Ich bin doch nicht blöd!“ Mit diesem Slogan kontert die Evangelische Jugend der Bayrischen Landeskirche auf den Werbeslogan eines großen Konzerns. Weihnachten wird nicht „unterm Baum“, sondern dort entschieden, wo das göttliche Licht in die Dunkelheit fällt. Oder mit den Worten des Prophet Jesaja: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht…“ Gott wird Mensch. Dafür lohnt sich ein Geburtstagsfest, auf das wir uns vorbereitet haben, zu dem wir jedes Jahr wieder in die Kirche gehen. Auch dann und gerade dann, wenn es ein schweres Jahr war. Auch dann und gerade dann, wenn wir glückliche Neuanfänge erlebt haben. Auch dann und gerade dann, wenn wir uns um Menschen sorgen. Auch dann und gerade dann, wenn uns der Arbeitsplatz, die Schulden, unüberschaubare Aufgaben oder Krankheit den Schlaf rauben.

„Die ihr noch wohnt im Tal der Tränen, wo der Tod den schwarzen Schatten wirft: Schon hört ihr Gottes Schritt, ihr dürft euch jetzt nicht mehr verlassen wähnen.“ ( 20,2)

Weihnachten feiern wir trotzdem, sogar dann, wenn uns gar nicht danach zumute ist. Der Prophet Jesaja beschreibt ein großes Licht, gerade für die Menschen, die sich in der Dunkelheit fühlen. Wir hören hier einen Text, der sich auf das kleine Volk Israel bezog. Das Volk selbst litt unter Unterdrückung, Gewalt und Ungerechtigkeit durch die Macht der Assyrer. Es  wünschte sich einen König, einen Retter, der es aus den Klammern der Großmacht erlöst. Der Prophet kündigt einen neuen König an, der ganz anders ist als alle vorher. Seine Vision lässt Bilder aufleuchten, wonach sich die Menschen sehnen. Sie jubeln. Sie ernten wie die Menschen, deren Felder von Minen geräumt sind. Sie teilen ihre Beute wie Menschen, die miteinander nach einem ausbeuterischen Regime wieder soziale und gerechte Strukturen aufbauen. Die Jochstangen auf den Schultern, die Stecken und Peitschen der Antreiber – Symbole der Sklavenarbeit – sind zerbrochen. Jeder Mensch kann wieder selbst über sich bestimmen und hat ausreichend zum Leben. Die Soldatenstiefel und Soldatenmäntel werden verbrannt, denn niemand braucht sie mehr zu tragen. Niemand braucht mehr in den Krieg zu ziehen.

„Er kommt mit Frieden. Nie mehr Klagen, nie Krieg, Verrat und bittre Zeit! Kein Kind, das nachts erschrocken schreit, weil Stiefel auf das Pflaster schlagen.“ (20,3)

Einfach Frieden. Dieses zärtliche Gebilde, von dem wir oft nur in Bildern reden können. Sie beschreiben, wonach Menschen sich sehnen. Frieden ist stetige Herausforderung, Unrecht zu Fall zu bringen. Doch schnell bin ich dabei, die Ursache für  Unrecht bei den andern zu suchen. Am schwierigsten scheint es zu sein, Frieden mit sich selbst zu finden, sich anzunehmen mit seiner Geschichte dieses Jahres, dem Beruf, dem Aussehen, einfach mit seinem ganzen Leben.

„Die Liebe geht nicht mehr verloren. Das Unrecht stürzt im vollem Lauf. Der Tod ist tot. Das Volk jauchzt auf und ruft: >>Uns ist ein Kind geboren!<<.“ (20, 4)

Wenn ich meinem Mitmenschen vertraue, ohne zu argwöhnen oder neidisch zu sein. Wenn wir aufhören, Staaten und Völker nur als Absatzmärkte, Steueroasen, Wirtschaftsmächte oder Entwicklungsländer zu sehen. Frieden ist auch Frieden mit Gott, wenn ich aufgehört habe, ihn meinen Vorstellungen anzupassen.. Die Frage bleibt, wie kommen wir zu diesem Frieden?

„Man singt: Ein Sohn ist uns gegeben, Sohn Gottes der das Zepter hält, der gute Hirt, das Licht der Welt, der Weg die Wahrheit uns das Leben.“ (20, 5)

„Es begab sich aber zu der Zeit…“ – der Evangelist Lukas entwirft im Weihnachtsevangelium keine Zukunftsvision wie der Prophet Jesaja. Stattdessen erzählt er eine Geschichte, die schon geschehen ist. Da ist ein Kind geboren worden, ganz unscheinbar in einer ärmlichen Umgebung, da kommen die Randgestalten der Gesellschaft, die Hirten zu Besuch. Soll das der neue König sein, den Jesaja angekündigt hat? Der König, der Israel retten und der ganzen Welt Frieden bringen soll, gezeichnet durch Doppelnamen als Bilder seiner Allmacht? Die besondere Qualität des neuen Königs wird erkennbar, wenn wir Jesaja und Lukas zusammenbringen. Er ist ein Gott-Held. Aber er kämpft nicht mit dem Schwert, sondern tut zärtliche Wunder. Ewig-Vater nennt Jesaja ihn, obwohl er ein Kind ist, dessen Leben nicht ewig, sondern genauso begrenzt ist wie das unsrige. Als Friede-Fürst benimmt sich der spätere Wanderprediger unfürstlich. Sein Hofstaat rekrutiert sich aus Fischern, Zöllnern, Frauen, Menschen mit allen möglichen Krankheiten. Als Wunder-Rat gilt er als umsichtiger Herrscher. Aber vor dem Tod am Kreuz kann er sich anscheinend nicht bewahren. Dieser König ist mächtig und ohnmächtig zugleich. Mächtig, um das, was in diese Welt groß zu sein scheint, seiner Macht zu entheben. Ohnmächtig, um deutlich zu machen, dass mit weltlicher Macht, mit Gewalt und Krieg kein Frieden zu machen ist. Dieser König ist Mensch wie wir und gleichzeitig nicht von dieser Welt. Sein Ziel ist keine Hegemonialmacht, keine positive Bewertung seiner Herrschaft durch irgendwelche Ratingagenturen. Er hat keine weltlichen Ziele wie wirtschaftliche oder politische Macht. Sein Ziel ist nur Frieden, diesen erreicht er gerade dadurch, dass er die Macht hat, auf die Macht zu verzichten.

„Noch andre Namen wird er führen: Er heißt Gottheld und Wunderrat und Vater aller Ewigkeit. Der Friedefürst wird uns regieren.“ (20, 6)

Wir sind Teil seines unfürstlichen Hofstaates, Teil einer Kirche, mit der man sich keinen Ruhm und keine Ehre verdient, aber wie Jesaja, wie Jesus, unbequem auffällt. Jedem einzelnen Menschen scheint sein göttliches Licht, es hat die Dunkelheit durchbrochen hin zu einem neuen Leben, mit einer Vision, mit einem Ziel, mit einer Hoffnung auf Frieden.

„Dann stehen Mensch und Mensch zusammen, vor eines Herren Angesicht, und alle, alle schaun ins Licht und er kennt jedermann mit Namen.“ (20, 8)

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Ein Kommentar zu ““Friede auf Erden”

  1. Chr. Kühne

    Die Autoren beschreiben sehr schön Weihnachten als ein Ritual, das trägt. Die Predigt ist voll von Bildern, wie unsere Erde sein kann: Jesaja hat sie geschaut, Jesus hat sie gelebt mit den Jüngern, mit uns, als seinem “unfürstlichen Hofstaat”, mit der Kirche. Vielleicht kann die Gegenwart des Friedens Gottes – wie im Weihnachtsevangelium verheißen – noch bewusster und klarer in Anspruch genommen werden.

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