Der Himmel hat sich aufgetan
Die Geburt Jesu bringt das himmlische Licht auf die Erde
Predigttext: Offenbarung / Apokalypse 7, 9-12 (13-17), Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984
9 Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, 10 und riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm! 11 Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Gestalten und fielen nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an 12 und sprachen: Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. (13 Und einer der Ältesten fing an und sprach zu mir: Wer sind diese, die mit den weißen Kleidern angetan sind, und woher sind sie gekommen? 14 Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind's, die gekommen sind aus der großen Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes. 15 Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen. 16 Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; 17 denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen des lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.)Exegetische und homiletische Überlegungen
Der Schauplatz der Vision des Sehers Johannes ist im Himmel. Dort feiern die Märtyrer einen ewig währenden Gottesdienst. Sie haben ihre Leiden auf Erden überwunden. Sie sind von Gott und dem Lamm, das Christus ist, im Himmel rehabilitiert und jubeln gemeinsam mit den Engeln. Es folgen wunderbare Bilder vom Heil: Es wird ihnen kein Mangel leiden, Christus leitet sie zu den Quellen des lebendigen Wassers. Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Die Vision des Johannes beinhaltet viele Bezüge zum ersten Testament. Gott ist bei seinem Volk gegenwärtig in der Schechina (vgl. 2. Mose 40,34), er wohnt bei ihnen, die Völker ziehen zu Gott, erkennen ihn als wahren Gott an und huldigen ihm. Vier Gestalten stehen Thron, d. h. der ganze Erdkreis, die ganze Schöpfung ist mit einbezogen. Die Vision bietet den Angefochtenen Trost. Die Apokalypse sollten wir nicht Sektierern überlassen. Die Hoffnung auf zukünftiges Heil kann echten Trost bieten in einer Situation, die aussichtslos erscheint. Die Sehnsucht nach Frieden und Heilung ist zu Weihnachten besonders groß. Besonders schmerzlich wird an den Feiertagen das Fehlen von Harmonie und Glück empfunden. Visionen einer besseren Welt müssen nicht billige Vertröstung sein. Sie droht nur dazu zu werden, wenn wir uns selbst damit rechtfertigen, nicht für eine gerechtere Welt eintreten zu müssen. Das Licht von Weihnachten „gibt“ schon jetzt „der Welt einen hellen Schein“. Die Offenbarung ist als Brief geschrieben. Die christlichen Gemeinden in Kleinasien sollen in der Verfolgungszeit gestärkt und getröstet werden. Jesus hat den Sieg davon getragen.. Lied: „Lobt Gott, ihr Christen allzu gleich“ (EG 27)Der Himmel hat sich aufgetan, die Geburt Jesu bringt das himmlische Licht auf die Erde. Das Licht, das am Anfang der Welt war, zeigt sich auf Erden in der Geburt des Heilands und wird sichtbar am Ende der Zeit, wenn das Himmelreich in seinem Glanz erstrahlt. Das Licht der Heiligen Nacht leuchtet den Menschen, die im Dunkeln sind. Immer haben Menschen Visionen von einer besseren Welt gehabt. Sie träumen von einer Welt, in der es keinen Hass, keine Gewalt gibt, keinen Hunger, keinen Durst, keine Unterdrückung, keine Ungerechtigkeit. Die Visionen von einer gerechten Welt treten verstärkt in Erscheinung, wenn die Wirklichkeit anders aussieht. Die Sehnsucht nach Frieden, Gerechtigkeit und Glück ist besonders groß, wenn all dies fehlt, wenn Menschen leiden. Der Wunsch nach Glück und Frieden lässt niemanden los.
Der Seher Johannes entwickelt eine Vision vom zukünftigen Himmelreich. Menschen stehen im Licht und Glanz Gottes. Ihre Trübsal ist verschwunden, sie feiern mit den Engeln einen himmlischen Gottesdienst. Johannes Er stammt aus einer christlichen Gemeinde in Kleinasien. Er verweigert den Kaiserkult, verehrte nicht die Statue des Kaisers, die in allen Städten des Reiches stand. Er gab Jesus und Gott allein die Ehre. Darum wurde von den Römern auf die griechische Insel Patmos verbannt. Dort schaut Johannes Bilder vom zukünftigen Himmelreich, sieht Gott und Christus auf dem himmlischen Thron, umgeben von Engeln. Er teilt seine Visionen den christlichen Gemeinden in Kleinasien mit, schreibt Briefe in seine alte Heimat an die bedrängten und verfolgten Gemeindeglieder. Er möchte sie im Glauben stärken und ihnen Trost zusprechen. Die Bilder vom zukünftigen Heil helfen, in der Bedrängnis standzuhalten. Es kommt eine Zeit, da wird sich das Blatt wenden. Da werden die, die jetzt Leid ausgesetzt sind, triumphieren. Märtyrer, die um des Glaubens willen bis in den Tod verfolgt werden, werden rehabilitiert. Sie werden zu höchsten Ehren erhoben, dürfen mit Gott, Christus und den Engeln im Himmel jubeln.
Johannes sieht eine große Schar, die niemand zählen kann, aus allen Völkern, die sich im himmlischen Thronsaal vor Gott und Christus versammeln. Die Völker kommen zu Gott. Damit nimmt Johannes Bezug auf Prophezeiungen im ersten Testament. Die Völker, die bisher Israel knechteten, werden zu Gott ziehen und ihm huldigen (Jesaja 60,1ff). So wie den Israeliten die Schau der zukünftigen Herrlichkeit bei Gott verheißen wird, wird auch den christlichen Gemeinden in der Anfechtung Gottes Heil zugesagt. War das auserwählte Volk Israel eine zählbare Größe, so schaut Johannes jetzt eine große Schar, die niemand zählen kann. Die Verheißung an Israel, die an Abraham erging, hat sich erfüllt. Johannes sieht die große Schar, wie sie vor Gott und dem Lamm tritt, angetan mit weißen Kleider und mit Palmzweigen in den Händen. Die weißen Kleider sind hier Symbol für Verklärung. Die Menschen sind der Erde enthoben und in neue Gewänder gehüllt. Die Palmzweige in ihren Händen sind ein Zeichen des Sieges und der Freude darüber, dass sie das Martyrium überwunden haben. Sie jubeln Gott und dem Lamm zu: Heil dem, der auf dem Thron sitzt und Heil dem Lamm!
Bei Heilrufen sollten wir hellhörig werden. In der Geschichte haben weltliche Herrscher für sich Heilsbekundungen in Anspruch genommen. Die römischen Kaiser verstanden sich als Heiland und Retter, in der jungen deutschen Vergangenheit wurden einem Verführer Heilsrufe zugejubelt. Christus ist der Heiland und Retter, nicht der Kaiser von Rom und andere Machthaber. Römische Kaiser verfolgten Christinnen und Christen in ihrem Reich, weil sie befürchteten, dass ihre Macht durch sie in Frage gestellt sei. In manchen Ländern sind Christinnen und Christen bis auf den heutigen Tag Verfolgung und Drangsal ausgesetzt. Herrscher spüren, dass von ihnen eine subversive Kraft ausgehen kann, die ihre Macht untergräbt. Mit Palmzweigen wurde Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem unter Jubelrufen empfangen. Er sollte ein anderer Heiland werden, als die Welt sich erhoffte. Er kam nicht mit Schwert und weltlicher Stärke, er kam in Armut und Niedrigkeit. Der Seher Johannes sieht bei Gott und dem Lamm Älteste und vier Gestalten stehen, umgeben von Engeln. Die vier Gestalten bezeichnen den ganzen Erdkreis. Die vier deutet auf die vier Himmelsrichtungen hin. Auch hier sind Bezüge aus dem ersten Testament. Vom Propheten Hesekiel erfahren wir Näheres. Er sieht in seiner Vision die vier Gestalten mit jeweils vier Gesichtern und vier Flügeln. Ein Gesicht sieht aus wie das Gesicht eines Menschen, eins wie das Gesicht eines Löwen, das dritte Gesicht gleicht einem Stier und das vierte einem Adler (Ezechiel 1,4ff). Mensch, Löwe, Stier und Adler werden in der Offenbarung den Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes zugeschrieben. Die vier Gestalten gehören zu Gott, sie stehen an seinem Thron.
Die Engel nehmen den Jubelruf der versammelten Schar auf und verstärken den himmlischen Lobpreis. Sie preisen Gott in einem siebenfachen Hymnus: „Lob und Ehre, Weisheit, Dank und Preis, Kraft und Stärke sei unserm Gott in Ewigkeit.“ Sie bekräftigen ihren Jubelruf mit einem zweifachen Amen! Das ist gewisslich wahr! Der Seher Johannes tritt in seiner Schau in einen Dialog mit einem der Ältesten. Der Älteste fragt ihn, wer die sind, die in weiße Gewänder gekleidet sind und woher sie kommen. Das ist eine rhetorische Frage. Der Älteste weiß es. Der Schreiber der Offenbarung will, dass es allen offenbar wird, und lässt ihn selbst die Antwort geben: „Sie sind aus der großen Trübsal gekommen. Sie haben ihre Kleider gewaschen, ihre Kleider sind hell geworden im Blut des Lammes.“ „Die aus der großen Trübsal kommen“ ist in der Apokalyptik ein feststehender Ausdruck für endzeitliche Bedrückung. Die frühen Christinnen und Christen leben in der Erwartung der Endzeit. Bevor das Reich Gottes kommt, kommt zuerst eine Zeit der Bedrückung. Verfolgung und Bedrängung spiegeln die Situation der frühchristlichen Gemeinden in Kleinasien. Sie deuten sie als Vorboten des nahe bevorstehenden Heils. So lassen sich Leiden besser durchstehen. Johannes will den Leidenden Trost zusprechen. Die Hoffnung auf das zukünftige Heil bei Gott, Christus und den Engeln im Himmel ist keine billige Vertröstung, sich mit ihrem Leiden abzufinden, sondern Hilfe und Stärkung, nicht zu verzweifeln oder sich aufzugeben. Die Leidenden und insbesondere die Märtyrer, die bis zum Tod an Christus festhielten, empfangen den Lohn ihrer Treue. Ihren Erniedrigungen auf Erden folgt eine Erhebung im himmlischen Thronsaal. Sie haben nicht nur Anteil an Jesu Leiden und Sterben, sondern auch an seiner Auferstehung. Darum die weißen Gewänder. Am Ostermorgen begegnen den Frauen am leeren Grab Engel in weißen Gewändern. Das Taufkleid ist weiß.
Die unzählige Schar in den weißen Kleidern dient Gott Tag und Nacht in seinem himmlischen Tempel. „Und Gott, der auf dem Thron sitzt wird bei ihnen wohnen.“ Gott wohnt bei ihnen. Wieder wird auf das erste Testament Bezug genommen. Gott wohnt bei dem Volk Israel auf ihrem Weg ins gelobte Land. Im heiligen Zelt, das die Isareliten mit sich führen auf ihrem Exodus, ist Gott gegenwärtig. Er wohnt im heiligen Zelt, Gott zeltet bei den Israeliten. Das gibt ihnen Schutz und Sicherheit. Johannes Schau schließt mit einem wunderbaren Bild. Die ehemals Leidenden werden nicht mehr hungern oder dürsten, sie werden nicht mehr schutzlos der sengenden Sonne oder Feuershitze preisgegeben. Das sind vermutlich Qualen gewesen, die die Drangsalierten ausgesetzt waren. Im himmlischen Thronsaal ist lauter Glanz und Licht. Christus ist das Lamm und zugleich der treue Hirte, der die Seinen weidet und zu Quellen des lebendigen Wassers führt, wie es in Psalm 23: „Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser“. Die Vision des Johannes endet mit der tröstlichen Verheißung, dass Gott alle Tränen von ihren Augen abwischen wird, ein Bild aus dem Jesajabuch (25,8 vgl. Offenbarung 21,3). Die Märtyrer genießen Gottes Schutz, auch wenn sie in der Gegenwart etwas Anderes erleben. Gegen alle widergöttlichen Mächte erhebt Gott sie zu Ehren. Das ist Trost und letzte Sinndeutung der Todesnot, die sie erwartet.
Warum dieser Bibeltext am zweiten Weihnachtstag? Weil sich der Himmel aufgetan hat und die Herrlichkeit Gottes offenbar wurde: im Kind in der Krippe und in der zukünftigen Heilswelt. Der zweite Weihnachtstag ist ein Gedenktag für den Märtyrer Stephanus, ein Christ, dessen Steinigung der Apostel Paulus mit zu verantworten hatte. Die erlöste Schar hat Grund zur himmlischen Freude. Johannes schaut einen Gottesdienst im Himmel. Was sich in der Vision des Johannes im Himmel abspielt, hat Erdung im Retter, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern. Ohne Weihnachten kein Himmelreich. Mit Weihnachten schließt Gott die Tür zum Paradies auf. „Der Cherub steht nicht mehr davor, Gott sei Lob, Ehr’ und Preis.