Tätige Liebe

Ringen um ein zeitgemäßes Christusbild

Predigttext: Kolosser 1,24-29
Kirche / Ort: Johanneskirche / Johannes-Diakonie 74821 Mosbach
Datum: 6. Januar 2012
Kirchenjahr: Epiphanias
Autor/in: Pfarrerin Birgit Lallathin

Predigttext: Kolosser 1, 24 – 29 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Nun freue ich mich in den Leiden, die ich für euch leide, und erstatte an meinem Fleisch, was an den Leiden Christi noch fehlt für seinen Leib, das ist die Gemeinde. Ihr Diener bin ich geworden durch das Amt, das Gott mir gegeben hat, dass ich euch sein Wort reichlich predigen soll, nämlich das Geheimnis, das verborgen war seit ewigen Zeiten und Geschlechtern, nun aber ist es offenbart seinen Heiligen, denen Gott kundtun wollte, was der herrliche Reichtum dieses Geheimnisses unter den Heiden ist, nämlich Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit. Den verkündigen wir und ermahnen alle Menschen und lehren alle Menschen in aller Weisheit, damit wir einen jeden Menschen in Christus vollkommen machen. Dafür mühe ich mich auch ab und ringe in der Kraft dessen, der in mir kräftig wirkt.

Exegetische (I.) und (II.) homiletische Vorüberlegungen

I.   Das Predigtwort im Kolosserbrief stellt den Prediger / die Predigerin vor besondere Herausforderungen: In welchem Kontext schrieb, vermutlich ein Jünger und Nachfolger des Paulus im kleinasiatischen Missionsgebiet des Paulus Brief und Paränäse? Kolossä liegt/ lag  am Schnittpunkt großer Handelswege im hellenistisch geprägten Ostteil des Römischen Reiches. Mächtige und bedeutende Städte, reich durch Handel und Austausch von Gütern zwischen Ost und West waren bewohnt von einer multikulturell entwickelten Bevölkerung. Kulturelle Einflüsse aus Ost und West, einheimische vor allem Fruchtbarkeitskulte, und internationale Religionen und Weltanschauungen synkretistischer Natur prägten die Kultur im Lykostal. Seit einer eigenen Reise – auf den Spuren des Paulus – dorthin vor wenigen Monaten ist mir der Charakter dieser erstaunlich modernen  Vielvölkerlandschaft gut verständlich geworden. Die  sich eng miteinander austauschenden frühen Gemeinden an der Handelsstraße (Kolossä, Laodizea, Hierapolis), in Blickweite zueinander liegend (Philadelphia ist nicht weit) standen einer Vielzahl von Gottesvorstellungen gegenüber. Sie waren ein Fremdkörper  im Gefüge, da ihr Christusbild sich grundsätzlich von der Göttervorstellung ringsum unterschied. Götter in menschlicher Gestalt gab es im Hellenismus häufig, aber ein gescheiterter Gottessohn und Gott musste den Meisten unverständlich bleiben. Die Botschaft der paulinischen Mission: „Wir verkünden Christus den Gekreuzigten“ und „Lass dir an meiner Gnade genügen, meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2.Kor. 12,9) war den vom Leben Geschlagenen, den Verlierern im glänzenden Römischen Reich verständlich und tröstend, einer breiten Masse war diese Religion nur ein Ärgernis. Auch innerhalb der Gemeinden setzten sich wohl zunehmend in der Generation nach Paulus gnostische Gruppen durch, mit denen sich der Verfasser des Kolosserbriefes auseinandersetzt und (scheinbar) paulinische Theologie in Erinnerung ruft. Er kennzeichnet  Christus als „Bild“ Gottes und meint damit nicht Abbild, sondern Seinsweise, eine Hypostase. Durch die Übernahme eines älteren Christushymnus in Kol 1, 15 – 20, der deutlich gnostische Züge trägt, verwandelt er das paulinische Christusbild, das z. B. im Kor die Gemeinde als Leib Christi versteht, in eine kosmische Vorstellung, die Christus als Haupt und die Kirche als Leib Christi versteht. Damit nähert er sich den synkretistischen gnostischen Gottesbildern, obwohl er die Einzigartigkeit des Christusbildes betonen will. Der Verfasser des Kolosserbriefes ringt um ein mit seiner Zeit verträgliches Christusbild. Steht bei Paulus selbst  die Naherwartung als große Hoffnung der leidenden Welt im Vordergrund, so ist bei seinem offensichtlichen Schüler der Blick auf die Welt und die Überwelt gerichtet, wird Christus, „unter der Hand“ sozusagen, doch zu einem kosmischen Heilsbringer. „Die  Parole lautet: Suchet, was oben ist. Kol. 3.1“ ( H. Conzelmann, A. Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament, S. 236)  „…aber die grundlegenden Aussagen der Theologie des Paulus bleiben auch im Kol gültig: Ort des Glaubens ist die Welt, christlicher Glaube ist nicht spirituale Überwindung der Welt, sondern weltliche Existenz in der Liebe. Christliches Leben ist Leben in der Freiheit, die nicht isolierte Freiheit vom Bruder, sondern mitmenschliche Freiheit zur Liebe ist.“ (Conzelmann/ Lindemann, Arbeitsbuch S. 237) II.   Erstaunlich modern erscheint das Ringen um ein zeitgemäßes Christusbild. Welchen Christus verkünden heutige Predigerinnen und Prediger? Setzen sie sich antimodernistisch von religiösen Zeitströmungen ab und konservieren ein ewiges, unwandelbares statisches Christusbild? Oder hören sie die Anfragen unserer Welt, die, wie ich in einer Tageszeitung (RNZ, 27.12.2011) las, sich in Zukunft stärker asiatischer, vermehrt spiritueller, stark sich vermischende, synkretistische Züge tragen wird, weg von einer vorherrschenden Amerikanisierung der Welt  und deren Werten? (Von Europa war da schon gar nicht mehr die Rede!) Christliche Verkündigung darf ihr Wesen nicht verleugnen, nicht aufgeben. Aufgabe heutiger Homiletik ist nicht nur die Beantwortung der Frage: Welcher Christus ist der Richtige?, sondern auch: Welcher Christus wird von heutigen Menschen verstanden? Sehen wir in der Nachfolge Christi auf unsere Welt, sehen wir, im Bonhoefferschen Sinne, eine radikale Diesseitigkeit und Verpflichtung zum diakonischen Handeln und Denken. Ist Christus Mensch gewordener Gott, so ist es Aufgabe der Christinnen und Christen, gottgleich menschlich zu leben, „Mach es wie Gott, werde Mensch“ stand auf einer an mich gerichteten Weihnachtspostkarte (Quelle unbekannt). Als Pfarrerin seit nahezu 12 Jahren in der Diakonie, der Johannes-Diakonie in Mosbach, und zeitweise in der Gefängnisseelsorge tätig, erlebe ich immer stärker, wie wichtig das Wort der annehmenden und tätigen Liebe Gottes in Jesus Christus in dieser Welt und ihren Fürchterlichkeiten ist. „Wenn du Gott sehen willst, musst du die Seite wechseln“, diese Textzeile aus der Rockballade „Hymn“ von Barclay James Harvest, auch wenn das Lied schon 35 Jahre alt ist, erscheint mir als moderner Aufruf, der Offenbarung Christi in dieser Welt diakonische Taten folgen zu lassen. Christus, als Gemeinde existierend, das soll m. E. mit dem Wort Kolosser 1,24 -27 gepredigt werden.

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„Christus – welcher Christus?“ Es muss eine vielfältige und verwirrende Welt gewesen sein, in der die ersten Christengemeinden lebten. Gottesvorstellungen ganz unterschiedlicher Art, Tempel für römische, griechische, orientalische Gottheiten – Vieles prallte in den Großstädten des römischen Reiches aufeinander, verwirrend, verführerisch, faszinierend. Wo die Kulturen besonders heftig aufeinander stießen, im Gebiet der heutigen Türkei, warben die Kulte am intensivsten, wie auf einem Markt. Dorthin war auch der Apostel Paulus gereist, er hatte in den imponierenden großen Handelsstädten eine rege Missionstätigkeit entfaltet. Er predigte Christus, den Gekreuzigten, den Auferstandenen.

„Christus – welcher Christus?“ Ein Sohn Gottes, der ein Mensch wie jedermann war, gescheitert vor Gott und der Welt – sollte dieser der erwartete Christus sein?, so fragten sich viele, und oft machten sie sich über eine solche Verkündigung lustig. Doch fanden Paulus, seine Mitarbeiter Mitarbeiterinnen auch Menschen, die ihre Botschaft dankbar annahmen. Es waren meist Menschen auf der Schattenseite des Lebens. Wo Menschen den mit leidenden, den mit liebenden Gott erlebten, taten sie sich zu Gemeinden zusammen. Sie erfuhren von Paulus und anderen Missionaren von der Kraft spendenden Macht des Sakraments der Tischgemeinschaft mit Jesus Christus. Im Brotbrechen und gemeinsamen Kelch schöpften die Schwachen Kraft und lebten in vorbildlicher Gemeinschaft.

„Christus – welcher Christus?“ Mit der Zeit wurde ihre Umgebung aufmerksam auf die tapfere kleine Gemeinschaft, deren Leben so vieles auf den Kopf stellte, was anderen wichtig war. Christus wurde erlebt, als leibhaftige Gemeinde. Jesus Christus, als Gemeinde existierend, so empfahlen sie sich auf dem großen Markt der religiösen Möglichkeiten. Vorstellungen von kosmischen Gottheiten, die Himmel und Erde vereinigen, die segnend  eine Schutzmacht himmlischen Ausmaßes waren, solche Gottesbilder kannten die Menschen der damaligen Zeit. Aber hier, bei diesem Christus, als Gemeinde existierend, da war noch etwas Entscheidendes anders. Paulus und seine ihm nachfolgenden Missionare nutzten die publizistischen Möglichkeiten ihrer Zeit, Reden, Briefe, Versammlungen auf öffentlichen Plätzen. Was hätten sie zu Möglichkeiten gesagt, wie wir sie heute haben? Auch in unserer Zeit suchen verschiedenste Wertvorstellungen, Gottesbilder und Lebensregeln nach Anhängern, wollen überzeugen. Die Missionare passten die Vorstellungen der jüdischen Welt der griechisch-römischen an, verwendeten Bilder und Ausdrücke, die die Leute kannten, um Christus zu lehren, der als Gemeinde lebt. Ungewohnt für traditionelle Ohren. Aber muss nicht jede Zeit ihre Sprache finden, manchmal ungewohnte Bilder nehmen, um das Besondere klar zu machen?

Eines meiner Lieblingslieder ist so eine ungewohnte Form, das Alte neu zu sagen: Schon nicht mehr ganz neu, entstanden 1977, ein Klassiker der Rockmusik, ungewohnt in Sprache und Form ein großer Hymnus auf Jesus Christus. „Hymn“, von Barclay James Harvest. “Wenn du Gott sehen willst, musst du die Seite wechseln“, so die Aussage (Videoclip, Quelle: You Tube, Songtexte.com, Danamoole). Schon oft haben wir dieses Stück in der Johannes- Diakonie zu „unserer“ Musik gemacht. Mit der Mitarbeiter Band zu festlichen Anlässen, zum Beispiel Heimbewohner – Weihnacht, habe ich es selber gesungen. Christus – welcher Christus wird hier verkündet?  „Die Täler tief und die Berge so hoch – wenn du Gott sehen willst, musst du die Seite wechseln. Du stehst da, mit dem Kopf in den Wolken, versuch nicht zu fliegen, du könntest nicht mehr herunter kommen. Versuch nicht, zu nah zu Gott zu fliegen, du könntest nicht wieder herunter kommen. Jesus kam aus dem Himmel zur Erde, die Leute sagten, es sei eine Jungfrauengeburt gewesen. Er erzählte großartige Geschichten von Gott, dem Herrn, und sagte, er sei unser aller Retter. Dafür aber töteten wir ihn, nagelten ihn hoch. Er erstand wieder als ob er uns fragte „Warum nur?“ Dann stieg er in den Himmel, als ob nur Gott uns erheben könnte, als ob wir nur in Gott fliegen könnten. Die Täler so tief und die Berge so hoch – wenn du Gott sehen willst, musst du die Seite wechseln.“ Christus wechselt die Seiten. Wenn wir Gott sehen wollen, müssen auch wir die Seite wechseln. Runterkommen, so wie er im buchstäblichen Sinne „herunter gekommen“ ist.

Christus als Gemeinde existierend, das kann nur diakonische Gemeinde sein. Gemeinde Jesu Christi lebt und liebt. Sie schwebt nicht über den alltäglichen Dingen der Welt, sie geht in ihnen auf, verwandelt den Alltag in Gottes Gegenwart. Sie sieht hin, wo tätige Hilfe gebraucht wird. Sie quatscht nicht über Behinderungen, sondern lebt mit Menschen, erkennt eigene Behinderungen und weiß, was es bedeutet, behindert zu leben, behindert zu werden. Gemeinde Jesus Christi geht mit, sie prescht nicht voran und hängt andere ab, sie hält Schritt, sie lebt gemeinsam statt einsam. Gemeinde Jesu Christi hat keine Vorbilder bei den Reichen, Schönen und Erfolgreichen, sie hat einen, dessen Bild sie mitten in der Welt ist: Jesus Christus. Können wir dann Antwort geben, wenn wir gefragt werden: „Jesus Christus – welcher Christus?“

 

 

 

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Ein Kommentar zu “Tätige Liebe

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    “Mach es wie Gott, werde Mensch.” Dieser Satz des Angelus Silesius steht im Mittelpunkt der ausführlichen Predigtüberlegungen und der Predigt von Pfarrerin Lallathin. Der anspruchsvolle Predigtext wird dadurch verständlich und tiefsinnig aufgeschlossen. Der Verfasser des Kolosser-Briefs erlebte damals, dass im Religions-Mischmasch seiner Zeit Menschen sich in Gemeinden zusammentaten, welche durch Christus den mitleidenden und mitliebenden Gott erlebten. Die Botschaft von einem leidenden Gott erntete damals meistens Spott. Zur Verkündigung zogen die Christen auch kosmische Gedanken zur Hilfe. Der auferstandene Christus wird zu einem universalen Heilsträger, einem kosmischen Christus, der in der Gemeinde seinen spirituellen Leib hat und auch heute existiert. Mit einem Rocksong erklärt Pfarrerin Lallathin, dass der zu Gott auferstandene Christus immer wieder “herunter kommt” zu den Schwachen. Gemeinde kann deswegen nur diakonische Gemeinde sein. Eine schöne und plastische Predigt.

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