Gottesbild und Gotteserfahrung

Gottes auf Heil und Heilung zielendes weltumspannendes Handeln braucht kein großes Aufgebot.

Predigttext: 2. Könige 5,1-19a
Kirche / Ort: Heidelberg
Datum: 22. Januar 2012
Kirchenjahr: 3. Sonntag nach Epiphanias
Autor/in: Kirchenrat Pfarrer Heinz Janssen

Predigttext: 2. Könige 5,1-19a (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 Naaman, der Feldhauptmann des Königs von Aram, war ein trefflicher Mann vor seinem Herrn und wert gehalten; denn durch ihn gab der HERR den Aramäern Sieg. Und er war ein gewaltiger Mann, jedoch aussätzig. 2 Aber die Kriegsleute der Aramäer waren ausgezogen und hatten ein junges Mädchen weggeführt aus dem Lande Israel; die war im Dienst der Frau Naamans.  3 Die sprach zu ihrer Herrin: Ach, daß mein Herr wäre bei dem Propheten in Samaria! Der könnte ihn von seinem Aussatz befreien. 4 Da ging Naaman hinein zu seinem Herrn und sagte es ihm an und sprach: So und so hat das Mädchen aus dem Lande Israel geredet.  5 Der König von Aram sprach: So zieh hin, ich will dem König von Israel einen Brief schreiben. Und er zog hin und nahm mit sich zehn Zentner Silber und sechstausend Goldgulden und zehn Feierkleider  6 und brachte den Brief dem König von Israel; der lautete: Wenn dieser Brief zu dir kommt, siehe, so wisse, ich habe meinen Knecht Naaman zu dir gesandt, damit du ihn von seinem Aussatz befreist.  7 Und als der König von Israel den Brief las, zerriß er seine Kleider und sprach: Bin ich denn Gott, daß ich töten und lebendig machen könnte, daß er zu mir schickt, ich solle den Mann von seinem Aussatz befreien? Merkt und seht, wie er Streit mit mir sucht! 8 Als Elisa, der Mann Gottes, hörte, daß der König von Israel seine Kleider zerrissen hatte, sandte er zu ihm und ließ ihm sagen: Warum hast du deine Kleider zerrissen? Laß ihn zu mir kommen, damit er innewerde, daß ein Prophet in Israel ist.  9 So kam Naaman mit Rossen und Wagen und hielt vor der Tür am Hause Elisas.  10 Da sandte Elisa einen Boten zu ihm und ließ ihm sagen: Geh hin und wasche dich siebenmal im Jordan, so wird dir dein Fleisch wieder heil und du wirst rein werden.  11 Da wurde Naaman zornig und zog weg und sprach: Ich meinte, er selbst sollte zu mir herauskommen und hertreten und den Namen des HERRN, seines Gottes, anrufen und seine Hand hin zum Heiligtum erheben und mich so von dem Aussatz befreien. 12 Sind nicht die Flüsse von Damaskus, Abana und Parpar, besser als alle Wasser in Israel, so daß ich mich in ihnen waschen und rein werden könnte? Und er wandte sich und zog weg im Zorn. 13 Da machten sich seine Diener an ihn heran, redeten mit ihm und sprachen: Lieber Vater, wenn dir der Prophet etwas Großes geboten hätte, hättest du es nicht getan? Wieviel mehr, wenn er zu dir sagt: Wasche dich, so wirst du rein!  14 Da stieg er ab und tauchte unter im Jordan siebenmal, wie der Mann Gottes geboten hatte. Und sein Fleisch wurde wieder heil wie das Fleisch eines jungen Knaben, und er wurde rein. 15 Und er kehrte zurück zu dem Mann Gottes mit allen seinen Leuten. Und als er hinkam, trat er vor ihn und sprach: Siehe, nun weiß ich, daß kein Gott ist in allen Landen, außer in Israel; so nimm nun eine Segensgabe von deinem Knecht.  16 Elisa aber sprach: So wahr der HERR lebt, vor dem ich stehe: ich nehme es nicht. Und er nötigte ihn, daß er es nehme; aber er wollte nicht.  17 Da sprach Naaman: Wenn nicht, so könnte doch deinem Knecht gegeben werden von dieser Erde eine Last, soviel zwei Maultiere tragen! Denn dein Knecht will nicht mehr andern Göttern opfern und Brandopfer darbringen, sondern allein dem HERRN.  18 Nur darin wolle der HERR deinem Knecht gnädig sein: wenn mein König in den Tempel Rimmons geht, um dort anzubeten, und er sich auf meinen Arm lehnt und ich auch anbete im Tempel Rimmons, dann möge der HERR deinem Knecht vergeben.  19 Er sprach zu ihm: Zieh hin mit Frieden!

Vorbemerkungen zur Predigt

Kontext der Erzählung 2. Könige 5,1-19 von der wunderbaren Heilung des Naaman, eines syrischen Herrführers, sind die Elischa-Erzählungen in 2. Könige 2 – 13. Historisch weist die Perikope in die Zeit der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Aram/Syrien und dem Nordreich Israel (vgl. 1. Könige 20; 22*; 2. Kön 6,24ff.). Das Verhältnis beider Staaten war äußerst gespannt. Aram schien gerade Israel überlegen zu sein, was die empfindliche Reaktion des israelitischen Königs (V. 7) in gewisser Hinsicht erklärt. Die Erzählung umschreibt die heilende Wirkung, die von dem israelitischen Propheten Elischa ausgeht. Sie erweist ihre Kraft über nationale und religiöse Grenzen hinaus. Quelle dieser Kraft ist der Gott Israels. Das biblische Israel hat in dieser Erzählung seine vielschichtigen Erfahrungen mit Gott, dem Königtum und der Prophetie verarbeitet. Auffällig ist der universale Aspekt: Der Gott Israels ist Gott für alle Völker, ein heilsamer und heilender Gott, Heil und Heilung kommen allein von ihm. Die Möglichkeiten weltlicher Machthaber sind begrenzt. Eine Besonderheit der Erzählung besteht darin, dass sie weniger von einem Handeln Elischas als von der Aufforderung an die betroffene Person zu „gehen“ (V. 10). Nicht die eng mit Gott verbundene Person ist die eigentlich Handelnde, sondern der sich nach Hilfe sehnende Mensch wird zum Handeln aufgefordert, das ihm die erhoffte Heilung bringen wird. Mehr als ein Nebenzug in der Erzählung ist die Erwähnung der beiden Frauen, der Frau des Naamans und deren israelitische Sklavin: Beide veranlassen Naaman zu seinem Weg der Heilung und neuen Gotteserfahrung. Bibelhermeneutisch erhellend ist der Vergleich mit der Erzählung im Zweiten Testament von einem (syrischen, in römischem Dienst stehenden) Hauptmann von Kapernaum (Matthäus 8,5-13). In beiden Bibelgeschichten geht es um Krankheit, Heilung und Glauben, und beide verkündigen einen universalen, für alle Völker heilsam wirkenden Gott. Psychologisch aufschlussreich erscheint die Reaktion des Königs von Israel: „Merkt und seht, wie er Streit mit mir sucht!“ (V. 7a). Ein sprechendes Beispiel für gestörte Kommunikation. Der israelitische König kann nicht hören, nicht wahrnehmen, was sein Gegenüber ihm eigentlich sagen will. Statt dem (sachlichen) Anliegen Aufmerksamkeit zu schenken, reagiert er überempfindlich, verdächtigt seinen Nachbarn, als ob dieser nichts anderes im Sinn hätte, als eine passende Gelegenheit zu finden, um noch Öl in das Feuer des ohnehin schon gespannten Verhältnisses zu gießen.

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Gesundheit ist ein unbezahlbar hohes Gut. „Hauptsache gesund“, ist ein oft ausgesprochener Wunsch; dieser Ausspruch muss nicht in Frage gestellt werden. Gute Wünsche füreinander bei besonderen Anlässen schließen ebenfalls meist den Wunsch für Gesundheit ein. Viele haben Krankheit im persönlichen Umfeld erlebt und erfahren, wie auf einmal sich alles verändert. Da ist die Hoffnung auf ärztliche Hilfe wichtig wie jede Möglichkeit, die helfen könnte.  Wenn alle ärztliche Kunst nichts mehr ausrichtet, kann nur noch ein Wunder alles zum Guten wenden. Darauf hoffte auch der an einer Hautkrankheit leidende syrische Heerführer Naaman. Den entscheidenden Hinweis, der den kranken Naaman wieder hoffen lässt, bekommt er durch eine israelitische junge Frau, sie stand als Kriegsgefangene im Hause Naamans als Sklavin im Dienst von dessen Ehefrau. Sie kennt den in Samaria, der Hauptstadt des Nordreiches Israel, lebenden Propheten, Elischa, und sie traut ihm zu, dass er Naaman helfen und heilen kann.

Selbst in einer bedrängenden Lebenssituation, geprägt von der Feindschaft zweier Staaten, deren Opfer die junge Israelitin geworden ist, bringt die junge Frau  für einen Menschen Hoffnung, der vom Leben nichts mehr erwartet. Obwohl Naaman sie als Sklavin hielt und ein Feind ihres Volkes war, äußert die junge Frau keinen Gedanken der Rache wie: ‚Soll er doch auch leiden’, keinen Gedanken an Genugtuung wie: ‚Jetzt hat es auch ihn erwischt’ oder: ‚Jetzt kann er anderen Völkern nicht mehr schaden’. Die junge Frau lässt sich allein von der Not eines Menschen leiten, nicht davon, ob jemand Freund oder Feind ist. In der Sorge um die Gesundheit Naamans sucht sie den Kontakt mit dessen Frau, ihrer Herrin.

Das unglaubliche Ansinnen der jugendlichen Israelitin wird noch dadurch hervorgehoben, dass der König von Israel von dem Vorgesetzten Naamans, dem aramäischen Nachbarkönig, gebeten wird, den Kranken zu heilen: „Bin ich (denn) ein Gott, dass ich tot und lebendig machen könnte?”  Diese Reaktion des israelitischen Königs kann als eine Absage an die Vergötterung menschlicher Macht und Machthaber, auch als eine Absage an die Käuflichkeit von Gesundheit verstanden werden; sie zeigt außerdem, wie wenig selbstverständlich eine gelingende Kommunikation ist. Wie schwer ist es, aufeinander zu hören, sich in sein Gegenüber einzufühlen und wahrzunehmen, was der andere Mensch wirklich von mir will. Wie schnell kommt es zu Verdächtigungen. „Er will nur Krieg“, sagt der israelitische König. Unvorstellbar, der andere will nur geheilt werden. Unvorstellbar, wenn die Person einem anderen Volk angehört? Unvorstellbar, wenn dieser Mensch einen anderen Glauben hat? Unvorstellbar?

Elischa, der Gottesmann, lässt dem König sagen, Naaman solle zu ihm kommen. Voller Erwartung begibt sich Naamann zum Haus Elischas. Seine Enttäuschung ist groß, als lediglich ein Bote des Propheten erscheint und dem Fremden sagen lässt, er solle sich siebenmal im Jordan waschen, dies bringe ihm die ersehnte Heilung. Zornig zieht Naaman weg, hatte er doch den prophetischen Heiler persönlich erwartet und dessen rituelle Praktiken. Seine Diener können ihn gerade noch davon abhalten, wieder abzureisen. Es gelingt ihnen, Naaman dazu zu bewegen, das Wenige zu tun, was der Prophet ihm gesagt hat und das „Gesundheitsbad” im Jordan zu nehmen. Das Bad wirkt, und die Heilung bewirkt eine neue Lebenssicht.  Nahm sich der Prophet zurück, weil es nicht um sein Tun, nicht um seine Heil- und Wunderkraft, ging, sondern um Gottes heilsames Wirken, wofür er Vertrauen wecken wollte? Im richtigen Augenblick stehen ihm die junge Israelitin und die Diener des Hilfesuchenden zur Seite. Auf ganz unspektakuläre Weise kommt es so zu einer persönlichen Erfahrung Naamans mit dem Gott Israels. Gottes auf Heil und Heilung zielendes Handeln braucht kein großes Aufgebot.

Der Fluss bekommt in der Prophetenerzählung symbolische Bedeutung. Das Wasser wäscht rein. Veraltetes, Verkrustetes, schwemmt es fort, vielleicht die Dickhäutigkeit des abgebrühten, erfolgreichen Kriegsherrn. Das fließende Wasser symbolisiert Bewegung, den guten Fluss der Dinge; das siebenmalige Untertauchen in das Wasser das Untertauchen mit Leib und Seele, des ganzen Menschen mit seinen Ängsten und Hoffnungen.
Die Geschichte von der Heilung des fremden Naaman regt an, sich mit Gottesbildern, auch mit dem eigenen Gottesbild, zu befassen. Der Gott Israels überschreitet die Grenzen von Nationen und Religionen. Im Hinblick auf diesen weltumspannenden Gottesgedanken sei in Erinnerung an Martin Luther King jr. aus seinem berühmten fingierten „Brief des Apostels Paulus an die amerikanischen Christen“ zitiert; dort heißt es, auf die Kirche bezogen: „Laßt mich ein Wort über die Kirche sagen. Ich muß euch wie so viele andere daran erinnern, daß die Kirche der Leib Christi ist. Wenn die Kirche ihrem Wesen treu bleiben will, darf sie weder Trennung noch Uneinigkeit kennen. Ich höre, daß es bei euch Protestanten über 250 verschiedene Denominationen gibt. Aber schlimmer ist noch, daß manche von ihnen behaupten, allein im Besitz der Wahrheit zu sein. Ein so enges Sektierertum zerstört die Einheit des Leibes Christi. Gott ist weder Baptist noch Methodist, weder Presbyterianer noch Episkopaler. Gott steht über unseren Konfessionen. Das müßt ihr wissen, wenn ihr wahre Zeugen Christi sein wollt“.

Naaman wurde gesund – und um eine Gotteserkenntnis reicher. Blieb für ihn noch die Frage, wie er seine neue Gotteserfahrung mit seinen anderen religiösen Pflichten im Dienst des syrischen Königs verbinden könnte. Dass ihn dies jetzt nicht beschäftigen musste, signalisierte ihm die Antwort des Propheten: „Zieh hin mit Frieden”. Jesus von Nazareth meint diesen heilsamen, Menschen und Völker über alle nationalen, kulturellen und religiösen Grenzen verbindenden Gott, wenn er den Glauben eines Nichtisraeliten seinem Volk vor Augen stellt und sagt (Lukas 13,29): „Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes”.

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Ein Kommentar zu “Gottesbild und Gotteserfahrung

  1. ph. ran

    Naaman wollte nur eins: seinen eigenen Vorteil, seine Heilung sich erkaufen mit Geld. Der Prophet Elisa war nicht käuflich und die Schrift zeigt uns in dieser Situation, wie auch allgemein, was nicht möglich ist und sich nicht mit dem Glauben vereinbaren lässt. War das Bekenntnis des geheilten Naamans („nun weiß ich, dass kein Gott ist in allen Landen außer in Israel“) wahrhaftig, wenn er den Propheten um Vergebung bittet, dass er seinen König in den Tempel Rimmons begleitet und an dem bisherigen Kult teil nimmt? Kann man wirklich von einer „Bekehrung“ Naamans sprechen, vergleichbar mit dem Hauptmann von Kapernaum (Evangelium zum letzten So. n. Epiphanias), der ohne Geld kommt und allein mit der Bitte für seinen todkranken Knecht? Leben nicht beide Gestalten – Naaman und der Haupmann – in uns?

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