Buchempfehlung

Gemeinsinn

Aleida / Jan Assmann: Gemeinsinn. Der sechste, soziale Sinn, C.H. Beck München ²2025, Gebunden 262 S. 25,-- €. ISBN9783406821868Dieses letzte Buch des hoch verdienten und oft geehrten Ägyptologen (er und seine Frau erhielten z.B. 2018 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels) erschien kurz nach seinem Tod am 19.2 .2024 und erlebte bereits seine zweite Auflage. Ein Zeichen dafür, dass das Autoren- und Ehepaar einen virulentenPunkt getroffen hat; so war in den zeitzeichen (August 2025) das Schwerpunktthema „Demokratie in Gefahr“ und im Vorwort des letzten Demokratiebuches von Julian Nida-Rümelin (Was Demokratie ausmacht. Und wie sie aus der Krise kommt 2025) trifft man im zweiten Satz desVorwortes auf die lakonische Feststellung, dass „die Demokratie als Staats- und Gesellschaftsform weltweit auf dem Rückzug ist“ (umgest.). Stichwort: Rechtsruck.Das Buch der beiden Assmanns kann man – vielleicht etwas überhöht gesagt - als Vermächtnis an die Menschheit sehen, auf jeden Fall aber als leisen, deutlichen und nachvollziehbaren Appell. Es ist zwar nur ein kleines, aber ein sehr überlegtes und kluges, dazuhin weit gespanntes Buch, ein mutiges Plädoyer für mehr Gemeinsinn. Im Rückgriff auf (Staats-)Philosophen, andere Denker:innen und Praktiker:innen gelebten Gemeinsinns revitalisieren sie dieses alte Wort – neuere, neueste Begriffe sind (gesellschaftlicher) Zusammenhalt, sozialer Kitt, gemeinsam statt einsam, Miteinander, Solidarität, Brüderlichkeit, Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe, Empathie und Respekt. Gemeinsinn im Kern seiner Bedeutung „umfasst, was allen gemeinsam ist“ und drückt aus, „was sich für alle gehört, von allen gefordert wird“ (vgl. die Wort- und Begriffsgeschichte auf S. 24-26).

Als „Fanal einer Weltrevolution“ heben die Verfasser fraternité hervor. Viel älter als die französische Aufklärung sei jedoch das jüdisch-christliche Liebesgebot (Lev 19,17f, Mark 12,29-31). Die Seiten 120-127 sind für mich ein Glanzstück des Buches. Denn sie ordnen die beiden genannten Bibelstellen ein und legen sie dann in universalem Horizont aus, denn z.B. in der Klimakrise gibt es Zukunft nur für alle oder für keinen. Im Zentrum des Assmann´sche Denkens scheinen jedoch die Menschenrechte, die Menschenwürde und die damit verbundenen Pflichten zu stehen. Zustimmend wird nämlich S. 190 der Rechtstheoretiker Christoph Möllers zitiert: Die Menschenrechte „bewegen sich an einer Kreuzung von Politik, Recht, Moral, vielleicht auch Religion.“

In ihrem sehr gut lesbaren Buch zeigen sie die persönlichen und vor allem kulturellen Rahmenbedingungen für Gemeinsinn auf und leisten im Ausloten historischer, philosophischer, sozialpsychologischer, literarischer und alltäglicher Dimensionen einen wichtigen Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie. Sie fragen nach den Grundlagen einer demokratischen und politischen Kultur und zeigen die Wirkungskraft von Gemeinsinn konkret an ermutigenden Beispielen von Schwimmbädern und Stolpersteinen bis hin zu Aufräumaktionen und Tafeln.

Abschließend möchte ich drei Bemerkungen machen: Eine kleine Bestätigung las ich bei Hildegard von Bingen, der mittelalterlichen Mystikerin. Sie redete einmal vom menschlichen Gemüt als einer Kraft, die „erwärmt und miteinander verbindet“.S. 195 wird im Sinne des Gemeinsinns in Erinnerung an die altägyptische Ma´at und Gandhi von der „Notwendigkeit des Ausgleichs von Ungleichheit“ geredet. Zu ergänzen ist der leider nicht berücksichtigte englische Philosoph JohnRawls, beispielsweise mit „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ (1971). Zum jüdisch-christlichen Impuls der Liebe lese man zur Vertiefung Matthias Konradt: Ethik im Neuen Testament (2022) und Michael Haspel: „Wer nicht liebt, steht vor dem Nichts“. Martin Luther Kings Spiritualität als Grundlage seines Kampfes gegen Rassismus und Ungerechtigkeit (2024).

Dr. Gerhard Maier

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