Neues von Gott?
Philipp David u.a., Neues von Gott? Versuche gegenwärtiger Gottesrede, wbg academic Darmstadt 2021, gebunden 153 S., 25,– €, ISBN 9783534405404
Martin Buber sagte in „Ich und Du“ (1923) vom Wort Gott, dass es „das beladenste aller Menschenworte“, aber eben darum auch „das unvergänglichste und unumgängliste“ Wort sei. Ob er das heute, im Zeitalter einer abnehmenden Bedeutung des Christentums in Europa (2022 war insofern ein markantes Jahr, als zum ersten mal die Mehrheit der Deutschen ohne kirchliche Bindung lebte; vgl. die Stichworte Säkularisierung und Individualisierung und S. 121f) genauso sagen würde? Die Fülle der Gottesbücher der vergangenen Jahrzehnte (exemplarisch sei an Zahrnts gleich neun Bücher zum Thema Gott) verebbte. Wenn heutzutage von Gott geredet und geschrieben wird, dann meist und vor allem im Kontext der religiösen Vielfalt, speziell dem biblisch-kirchlichen Bild von Gott und dem Verständnis von Gott im Koran / Islam.
Natürlich kommen Theologie und Kirche an Gott nicht vorbei. Wie und warum sollten sie auch?! Schließlich ist Theologie Rede von Gott. (S. 9) Ein Zeugnis dessen ist das hier anzuzeigende Buch, dessen fünf Texte „in einem [neuen, jüngeren, bisher nicht in Erscheinung getretenen] Arbeitskreis Systematische Theologie entstanden sind“ (S. 9 umgest.) und fünf Versuche gegenwärtiger Rede von Gott präsentieren. Im folgenden seien sie vorgestellt, zum Schluss sodann ein Resümee gezogen.
Philipp David (Systematik/Ethik in Gießen) geht vom Tod Gottes nach Auschwitz aus und verfolgt das post-traditionelle, nachmetaphysische Denken, teils auch in den USA. Gegenüber dogmatischen und ideologischen Positionen sucht er eine Lösung in der seines Erachtens at.lichen Weisheit nach Koheleths alltagstauglichem Erfahrungs- und Orientierungswissen. Ob das aber genügt?
Anne Käfer (Direktorin des Seminars für Reformierte Theologie in Münster) untersucht in ihren „Notizen zur Gottesbeziehung“ die Frage der Gottesbedürftigkeit des Menschen, und zwar auch dann, wenn Gott in der einen oder anderen Form geleugnet wird. Und wenn ein Mensch alle seine Bedürfnisse befriedigt hat! Hier hört man Augustins berühmtes Dictum („unser Herz ist unruhig…“) nachklingen; Käfer zitiert es S. 45. Ohne auf den Akt der Rechtfertigung einzugehen, stellt sie – gut reformatorisch – in ihrem Schlusssatz fest, dass Gott in seiner befreienden Liebe „das Geschöpf gewürdigt hat, noch ehe es nach Sinn und Anerkennung fragte.“ (S. 57)
Malte Dominik Krüger (Marburg) geht es um die Geschichte und vor allem die Gegenwart der Trinitätslehre. Er sucht und findet, so sagt er es S. 78, drei Hinweise: einen linguistischen, sodann vom Personenbegriff ausgehend und drittens von der Metaphorik her. Zentral ist jedenfalls die Christologie: „Gott zeigt im christlichen Glauben ein menschliches Gesicht, und zwar in Jesus, der in und mit seiner Auferstehung gleichsam definitiv auf der Seite Gottes zu stehen kommt, dass Gott christlich nur durch ihn bzw. in seinem Bild erkennbar ist.“ (S. 64)
André Munzinger (Kiel) stellt die Grundthese seines Beitrages gleich vornedran: „Der Gott des Christentums ist der Inbegriff von verlässlicher, aber verletzbarer Letztwirklichkeit, die im reflexiven Vertrauen Kontur erhält.“ (S. 101) Die Reflexion ist niemals abgeschlossen, sondern schließt einen geschichtlichen Prozess mit ein. “Die christliche Theologie denkt [dabei] von der Menschwerdung Gottes her und rekonstruiert sie als notwendige Differenzierung in Gott.“ (S. 112)
Christian Polke (Göttingen) geht es, von Feuerbach her (Nicht Gott schuf den Menschen, sondern der Mensch schuf Gott) und Bultmann („Will man von Gott reden, so muss man offenbar von sich selbst reden.“) weiterführend um die Bedeutung des personalen Gottesgedankens. Auf dem Hintergrund einer fundamentalen Sprachlosigkeit der jüngeren Generation in puncto Gott fragt er – so der Titel seines Beitrags: „Welchen Sinn hat es, heute (noch) personal von Gott zu reden?“ Konkret also: Wer ist mein / unser Gott? (S. 139) Es ist also auch das persönliche Zeugnis gefragt – mMn ein guter Schluss im Kontext der denkerischen Bemühungen.
Insgesamt stellen die fünf Beiträge ein kleines Kaleidoskop gegenwärtigen systematisch-theologischen Gott-Denkens dar, deren Vorzüge u.a. darin bestehen, dass alle Beiträge von sehr ausführlichen Literaturhinweisen begleitet sind. Man bekommt also Literaturhinweise in Hülle und Fülle. Was mir negativ auffiel, ist das weithin mMn zu statische Verständnis von Gott und dass alle fünf zu sehr von theologisch Gegebenem ausgehen. Das ist ihre Stärke, und zugleich ihre Schwäche. Sprich: Inhaltlich fehlen mir pneumatologische Akzente und damit verbunden das Bewusstsein eines dynamischen Gottesbildes, wie es das Stichwort vom lebendigen Gott zum Ausdruck kommt. Ein philosophisch denkender Vertreter wäre etwa Alfred North Whitehead mit seinem Denken in Prozessen oder Günter Thomas („Gottes Lebendigkeit“ 2019 und „Im Weltabenteuer Gottes leben“ 2020). Beide werden leider nirgendwo auch nur beiläufig erwähnt.