Neuigkeit

Buchvorstellung

Vorgestellt von Manfred Wussow:

Heinz Janssen, „… es geschah wegen des Zornes JHWHs“. Studien zu Ursprung und Rezeption der unbedingten Unheilsprophetie im Jeremiabuch. Beiträge zum Verstehen der Bibel, Band 41, Berlin: LIT Verlag 2020 (383 S., € 49,90)

Die Arbeit, eine Heidelberger Dissertation (2017), hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Motiv des „Zornes Gottes“ im Jeremiabuch nachzugehen, alle Texte auch eingehend zu untersuchen und die sprachliche Vielfalt darzustellen. Umfang- und detailreiche Studien, die etwa 300 Jahre Theologiegeschichte im Jeremiabuch entfalten, laden ein, ein „befremdliches“ Gottesbild und seine Kontextualisierung freizulegen, sich der Rede vom Zorn Gottes aber auch zu stellen. Der Verfasser, Pfarrer und Kirchenrat der Badischen Kirche, auch Herausgeber des „Heidelberger Predigtforums“, hat mit Bedacht ein Zitat von Julius Wellhausen voran gestellt: „Man darf überhaupt nicht von vornherein große Gesichtspunkte aufstellen; damit muß man aufhören, nicht anfangen. Ausgehen muß man vielmehr von einzelnen Anstößen, die sich bei der Exegese ergeben“ (1908).

Nach einer kurzen Einleitung und der Vorstellung des Vorhabens – die Forschungsgeschichte ist auf die Auslegungen verteilt – legt der Verf. 28 Texte aus, aufgeteilt in „Frühphase: 627/26 – 605/4 v.Chr.“ (6 Texte), „Mittlere Phase: 605/4 – 598/97“ (3 Texte), „Spätphase: 598/97 – 587/86“ (7 Texte), „Nach 587/86“ (9 Texte) und „5.-4./3. Jh.“ (3 Texte). Nach diesem Hauptteil (270 Seiten), schließt der Verfasser systematisch- wie praktisch theologische Reflexionen an (30 Seiten) und am Schluss „Zusammenfassung und Ausblick“. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis, ein Abkürzungsverzeichnis und ein Bibelstellenregister (mit Apokryphen und Qumran) runden das gelungene Werk ab. Jüdische Auslegungen des Jeremiabuches bzw. zum Motiv „Zorn Gottes“ sind – s. Literaturverzeichnis – unterbelichtet. In Anmerkung 1191 (S. 339) erwähnt der Verf., dass Anfang der 1970er Jahre zum Jeremiabuch noch ca. 350 Titel gezählt wurden, „zwanzig Jahre später waren es schon fast 3000“. Ende offen. Offen ist auch, ob überhaupt noch alle Titel erfasst werden können (Internetartikel oder –veröffentlichungen).

Erste Leseerfahrungen

Dass die Redeweise vom Zorn Gottes „schrecklich“ ist – „Schrecken“ ist JHWH ohnehin eigen – , interpretiert der Leser (heute) abwehrend. In der Einleitung zu seiner Dissertation stellt der Verf. jedoch die Schlüssel-Frage, ob nicht gerade dieses Theologumenon den „Untergang der Religion des biblischen Israel“ verhinderte „und die Überlebenden mit ‚über den Abgrund‘ trugen‘?“ (S. 12). Damit ist die enge Verklammerung dieses Motivs mit historischen Erfahrungen und Verwerfungen angesprochen, aber auch die durchaus „heilvolle“ Seite des Zornes Gottes. Es ist – auch – die Frage nach der Wirk- und Geschichtsmächtigkeit Gottes in Israel und im Reigen der Großmächte.

Der Titel „… es geschah wegen des Zornes JHWHs“ ist ein Zitat aus Jer. 52,3 (vgl. zur Übersetzung S. 210) und „wird zum Schlüssel für das Verstehen der nationalen, kulturellen und religiösen Katastrophen im 7. und 6. Jahrhundert, die den Staat des biblischen Israel auslöschten“ (S. 332). Zitat wie Titel pro-vozieren geschichtsphilosophische Rückfragen.

An den Anfang jeder Auslegung stellt der Verf. eine Übersetzung des Textes mit detaillierten und umfangreichen Erläuterungen (1 bis 5 Seiten), gefolgt von dem breiten Methodenspektrum der historisch-kritischen Auslegungskunst („Kontext, Abgrenzung, Form“, „Literarische Analyse“, „Zeitgeschichtliche Einordnung“ sowie jeweils eine „Zusammenfassung“. Diese Gliederung wird von Text zu Text auch angepasst bzw. erweitert. Bedeutsam und aufschlussreich sind die vielen intertextuellen Bezüge.

In seiner Arbeit plädiert der Verf. dafür, die Vielfalt des hebräischen Wortschatzes zur Geltung zu bringen: Schnauben, Schelten, Glut, Hitze, Aufwallung und Unmut (S. 15). Es sind „nicht weniger als sechs Nomina in verschiedenen Syntagmata und Kontexten“ (S. 332), die auch in der Gottesrede Nuancierungen und Differenzierungen ermöglichen. Von besonderer Bedeutung ist der Hinweis des Verf., in den Übersetzungen „Zorn“ nicht einfach mit „Gericht“ gleichzusetzen oder widerzugeben. „Zorn“ ist nicht „Gericht“, „Gericht“ nicht „Zorn“. Dem Verf. ist die „Körperdimension“ wichtig, die dem Zorn (Gottes) eigen ist (S. 338). Der Verf. hofft, „unter literar-, traditions- und redaktionsgeschichtlichen Gesichtspunkten vielleicht unterschiedliche theologische Konzepte aufzuspüren“ (S. 16), bescheidet sich aber in der „Zusammenfassung“ damit, „ das fest in der Auslegungstradition verankerte Wort ‚Zorn Gottes‘ … in seinen unterschiedlichen Kontexten“ wahrzunehmen und zu interpretieren (S. 331).

Anfangs ist die Rede vom „Zorn Gottes“ verbunden mit der sog. unbedingten Unheilsprophetie Jeremias, dann mit der „Sprache für ein geschütteltes und gebrochenes Volk“, schließlich mit geschichtstheologischen Deutungen, die bis in die Anfänge der Apokalyptik reichen und die Völkerwelt einschließen (S. 332f.). Was erzürnt Gott, was kränkt ihn? Was macht ihn „schnaubend“, „aufgewallt“ oder voller Unmut? Die Bandbreite reicht von Ungerechtigkeit bis Untreue ihm gegenüber, von falschen Sicherheiten und instrumentalisierten Verführungen. Es geht um den Willen des einen Gottes (dtn./dtr. Überlieferungskontext). Gottes Zorn hat eine Geschichte. Zu erinnern ist an die Brautmetaphorik, an eine verletzte „Liebesgeschichte“. Israel geht fremd, bleibt aber geliebt.

Sehr instruktiv ist die Übersicht über das Vokabular (S. 25f), in dem „sämtliche 61 Belege für das „Zorn Gottes“-Vokabular im hebräischen masoretischen Text des Jeremiabuches aufgeführt“ sind – „um der Übersicht willen in kanonischer Reihenfolge“ (S. 24f.). Die Belege verteilen sich auf Gerichtsworte gegen Juda und Jerusalem (66% aller Belege S. 27), in Heilsworten, in Gerichtsworten gegen Fremdvölker, in erzählenden Partien und in Visionstexten.

Werden formgeschichtliche Kriterien zugrunde gelegt, finden wir die Rede vom „Zorn Gottes“ in der Klage des Einzelnen, in der Volksklage, im Drohwort (Gerichtsankündigung), im Scheltwort (Gerichtsbegründung), im Mahnwort, im geschichtstheologischen Rückblick sowie im Gebet. „Die Zorn-Gottes-Formulierungen stehen immer in Verbindung mit dem JHWH-Namen bzw. dem entsprechenden Suffix“ (S. 27). Mit Verweis auf Gerhard von Rad hält der Verf. fest, dass Jeremia Schelt- und Drohreden zurücktreten lässt („auflöst“), um der Klage und dem Leiden Raum zu geben (S. 20).

Der Verf. legt 28 Texte [1]in 5 Phasen aus, unterschieden in Frühphase, Mittlere Phase, Spätphase, nach 587/86 sowie 5.-4/3. Jh. v. Chr. Wie und warum aber die Texte chronologisch so gereiht werden und was das für die Motiventwicklung bedeutet, bleibt undeutlich, auch, wie die Perioden abgegrenzt werden. Es fehlen Einleitungen / Abgrenzungen in die 5 Perioden sowie Brücken an den Übergängen. Hier tut sich ein Spannungsverhältnis zur methodischen Reflexion (S. 19) auf, nach der die ausgelegten Texte nach (fünf) formgeschichtlichen Kategorien angeordnet sind (Klage, Unheilsankündigung, Unheilsbegründung, Paränese, geschichtstheologischer Rückblick). Wie passen „Form“ und Periode zusammen? Was macht die Periode mit der „Form“? Wie sind die Texte in der Reihenfolge der Texte ein- und zugeordnet?

Drei Beispiele:

  • Die Rede vom Zorn Gottes begegnet in Jer 2,35aß zum ersten Mal und „setzt das Theologumenon sowie ein konkretes geschichtliches Geschehen voraus“ (den Untergang des Nordreiches 722/21 v. Chr.), weise aber auf Juda, dass sich in „fragwürdiger securitas“ wiege (S. 151). Der Verf. legt den Text als 10. (von 28) aus und ordnet ihn der Phase 3, der Spätphase zu (598/97 – 587/86). Jer. 2,29-35a35b-37 „… gehört wahrscheinlich zu den jüngsten Bearbeitungen im komplizierten Prozess der Tradierung der Prophetie Jeremias“ ( S. 148, s.a. Anm. 493).
  • Kanonisch am Ende des Buches steht Jer. 52,1-3. Das Kap. 52 wird in der Forschung sogar als späterer Anhang / Nachtrag gesehen (S. 213ff). Es ist ein Rückblick („Warum“, S. 202) und setzt die Katastrophe von 587 v. Chr. „und die Deportation eines großen Teils der Jerusalemer und judäischen Bevölkerung“ (S. 202) voraus. Der Verf. legt den Text als 20. (von 28) aus und platziert ihn in die Phase 4 „nach 587/86“. Der König Zedekia trägt die alleinige Verantwortung (Jer. 52,3a), „das Schlimmste von der Stadt Jerusalem und Juda abzuwenden“ (S. 212). Jer. 52,1-3 leitet den Abschluss des Jeremiabuches ein, um „das Ganze des Jeremiabuches zu deuten und die unbedingte Unheilsprophetie zu explizieren“ (S. 335). Eine Synopse bringt Jer. 52,1-34 mit 2. Kön. 24,18-25,30 und 2 Chr. 36,11-23 zusammen (S. 203f.).

Theologisch wird ein Höhepunkt erreicht, der nicht nur hoch reflektiert, sondern geschichtlich durchlitten ist. Es ist von einem „Beziehungsrahmen“ die Rede, „in dem sie sich“ (gemeint sind die Tradenten) „mit ihrem Volk Gott neu zuwenden. Das Volk setzt sich damit ins Unrecht und gibt Gott Recht“ (S. 212). Der Verf. spricht davon, dass die „geschichtstheologische Reflexion doxologisch vertieft“ wird (S. 212). Doch wann war ein solches ausgereiftes Verstehen möglich? Wie konnotiert?

  • Nach diesem „Abschlusstext“ legt der Verf. als 21. Text (von 28) Jer. 32,36-44 aus, eingeordnet in der Phase 4 (nach 587/86). Dabei greift er auf die Auslegung von Jer. 32, 26-35 zurück, die er in die Phase 3 (Spätphase 598/97 – 587/86) gelegt hat. Die Übergänge sind nicht zwingend. Warum aber folgt Jer. 32,36-44 dann Jer. 52,1-3?

Der Verf. arbeitet heraus, dass wir hier „ein aufschlussreiches seltenes Beispiel einer theologischen Gegenüberstellung von Zorn … und Treue Gottes…“ (S. 219) haben, nennt es aber auch „unvorstellbar“, „dass eine solche Theologie im Angesicht der Katastrophe oder unmittelbar danach formuliert werden konnte“ (S. 219).

Spannend ist die Beobachtung, dass die „Tradenten der Prophetie Jeremias“ die in Jer. 32,31 (Phase 3) gegebene Wortverbindung aufnehmen und zu einer Dreifachformulierung erweitern (Phase 4), „wodurch sie eine Steigerung in der Beschreibung des Zornes Gottes bewirken: Gottes Zorn hätte das ganze Volk, alle und alles vernichten können…“, doch die, die aus dem Exil zurückkehren werden, „sollen ihre Chance im vertrauten Land unter dem göttlichen Zuspruch eines ‚ewigen Bundes‘… ergreifen“ (. 219f.). Der unbedingten Unheilsprophetie wird ein „bedingungsloses Heilshandeln Gottes“ zugesagt. Sind die Exilierten bereits zurückgekehrt? Korrekturhinweis: Auf S. 218 muss es heißen: „Wie oben ( 2.16) zu Jer. 32 ausgeführt.

Es ist schwierig, als Leser den Wachstums- und Differenzierungsprozess in den 28 Auslegungen nachzuvollziehen. Sind „unterschiedliche theologische Konzepte aufzuspüren“ (S. 16)? Lässt sich etwas zur „umstrittenen Frage der Entstehung des Jeremiabuches“ (S. 334) erschließen? In allen Texten gibt es einen zeitlichen Abstand zwischen Erzählter Zeit und Erzählzeit, gleichzeitig aber auch eine gemeinsame Zeiterfahrung im Deutehorizont des Zornes Gottes. Die Auslegungen sind, jede für sich, eine Fundgrube! Verbunden sind sie jedoch nicht. Die „Zusammenfassung“, im Schlussteil der Arbeit, fasst die Textauslegungen kurz zusammen, wird aber In der jetzigen Architektur des Buches durch die systematisch-theologischen und praktisch-theologischen Reflexionen unterbrochen.

In seinem Ausblick formuliert der Verf: „Die oft in eine sprachlich komplexe Textgestalt eingewobene widerständige Rede vom Zorn Gottes bedarf außerdem einer Hermeneutik, die sich mit dem Aspekt der Gewalt und der vernichtenden ‚Gluthitze JHWHs‘ auseinandersetzt“ (S. 338). Perspektivisch gewendet: Wie viele Zornerfahrungen oder Zornwünsche haben es in das Gottesbild geschafft und konnten integriert werden? Der Verf. nennt die Rede vom Zorn Gottes „ein hochreflektiertes Theologumenon“ (S. 337). Die Frage ist eng verbunden mit der nach Nähe und Ferne Gottes[2].

Eine theologisch ausgereifte Schau von Zorn und Treue Gottes finden wir in der Auslegung von Jer. 32,36-44 „Heilvolle Sammlung“ (S. 217-220). „Gottes Zorn erfährt durch seine beständige Treue eine (zeitliche) Begrenzung“. Hier lassen sich auch Wortspiele beobachten (Jer. 32,23 / 32) und Zusammenhänge entdecken von Zu- und Abwendung Gottes. In der Kurzzusammenfassung des Promotionsvorhabens, veröffentlicht im Jahresheft der Theol. Fakultät Heidelberg, (Heft 12/2016/17), schreibt der Verf.: „Die Vielfalt der Versprachlichung und theologische Differenzierung erhellt, dass sich das Beunruhigende dieser Art und Weise, von Gott zu reden, mit keiner Systematisierung zähmen lässt.“ Dass auch die Exegese – historisch kritisch, kanonisch oder wie auch immer konnotiert – dem Jeremia und seiner großen Familie nicht alle Geheimnisse entlocken kann, ist Glücksfall und Desiderat in einem. In den „Leerstellen“ (W. Iser) warten noch große Entdeckungen auf geduldige LeserInnen und PredigerInnen.

Über den Tellerrand hinaus

In seiner Dissertation hat der Verf. auch über den Tellerrand geschaut und kurze Blicke in die Systematische und die Praktische Theologie gewagt. In der Systematisch-Theologischen Reflexion (S. 307-321) finden wir unter den Stichworten „Zorn und Gericht“, „Zorn und Sünde“, „Zorn und Gnade“, „Zorn und Erbarmen, „Zorn und Geduld“, „Zorn und Gesetz“, „Zorn und Liebe“, „Zorn und Heiligkeit“ v.a. Fragen an Karl Barth’s „Kirchliche Dogmatik“, einen Exkurs zu Klaus Koch „Zorn und Vergeltung“ sowie – interessanterweise – eine Annäherung an Julius Kaftan (1848-1926). Diese Beispiele reichen nicht, von „Dogmatiken aus Vergangenheit und Gegenwart“ (S. 321) zu sprechen, markieren aber ein weites Feld – und eine Leerstelle. Die bekannten großen Worte der Theologie „Gericht“, „Sünde“, „Gnade“, „Erbarmen“, „Geduld“, „Gesetz“, „Liebe“, „Heiligkeit“, „Vergeltung“, aber eben auch „Zorn“ bekommen mit Jeremia neue Konturen. Hier weiter zu denken, ist eine Aufgabe, die das Buch auch stellt. Nach Thomas von Aquin (1225-1274) ist die Zürnkraft sogar die Kraft des Guten.

Die Praktisch-Theologische Reflexion (S. 323-328) widmet sich dem Gebet (Sündenbekenntnissen und Beichtgebeten), dem Lied (Einziges Beispiel EG 146 „Nimm von uns, Herr, du treuer Gott, die schwere Straf und große Not“ S. 325) sowie der Predigt, jeweils allerdings nur 2 Seiten). Die Beispiele sind aus dem reichen Fundus der Geschichte, haben aber ihren Ort im Gottesdienst (längst?) verloren. Ob die „Vielfalt des hebräischen Vokabulars und eine entsprechende Übersetzung“ dazu anregen können, „die Inhalte homiletisch zur Sprache zu bringen“ (S. 327)? Kritisch vermerkt der Verf., dass „kein einziger (Text. M.W.) mit dem Theologumenon Zorn Gottes“ in den Perikopen zum Jeremiabuch aufgenommen wurde (S. 328). „Diese Heil ankündigenden Texte setzen aber die unbedingte Unheilsprophetie Jeremias voraus, die theologisch und homiletisch ihre Beachtung sucht“ (S. 328).

Spuren

Allerdings sind auch die Ausgangs- und Stimmungslagen heute nicht einfach vergleichbar mit der Situation Jeremias in einer katastrophalen Umbruchzeit, in der die Geschichte Israels umpflügt wird. Wirkungsgeschichtlich ist die Rede vom „Zorn Gottes“ durch „schwarze Pädagogik“ und „Gottesvergiftung“ (T. Moser) verbrannte Erde geworden. Martin Luthers Vorrede „über“ Jeremia wartet darauf, entdeckt und kritisch gelesen zu werden.[3]

Predigtgeschichtliche Analysen, wie etwa in Krisenzeiten, im Kirchenkampf der 30er Jahre und in der Katastrophe des „Untergangs“, Jeremia gepredigt wurde (auf Seiten der BK wie der DC usw.) sind über Ansätze nicht hinausgekommen. Die Vereinnahmung bzw. Vereinnahmbarkeit des Motivs „Zorn Gottes“ wäre abzuwiegen, gleichzeitig aber der Streit um wahre und falsche Prophetie fortzuführen. Die im Jeremiabuch geführten Auseinandersetzungen um Heils- und Unheilsprophetie sind nicht abgeschlossen[4].

Es gibt gerade in Krisen- oder auch in Hochzeiten – z.B. 1989 – die theologische Sehnsucht, Gottes Wirken zu identifizieren und zu lokalisieren, was argumentationstheoretisch in Aporien führt.

Wie in einem Gottesdienst achtsam und seelsorgerlich mit dem Theologumenon „Zorn Gottes“ – besonders in Verbindung mit Sünde – umgegangen werden kann, ist eine liturgische wie homiletische Herausforderung. Die sprachliche Vielfalt könnte den Äußerungen Gottes „menschliche“ Züge geben. Der Verf. zeigt in den Auslegungen auch das Ringen mit Gott – und das Ringen um Gott.

Ein heißes Eisen ist der sog. Sühntod / das Sühnopfer Christi in Verbindung mit einer historisch überaus wirkmächtigen Satisfaktionstheorie (Anselm). Der Vater stillt seinen Zorn … Der Verf. deutet kritische Rückfragen an (S. 321, 326) und wirbt dafür, „die durch die Exegese des Motivs Zorn Gottes sich ergebenden Fragehorizonte und Antworten in anderen theologischen Bereichen, besonders in der Dogmatik, Seelsorge und Homiletik, aufzunehmen“ (S. 338). Liturgik und Religionspädagogik sind wohl mitgemeint. Empirisch nachweisbar ist, dass der „Tag des Zorns“ Kirchen und Konzertsäle füllt („Requiem“). Die Musik vermag, den Schrecken darzustellen und aufzuhellen. Damit sind wir bei der Frage, ob und warum ein Prediger, eine Predigerin des Evangeliums sich mit dem Zorn Gottes beschäftigen muss – und das Buch des Verf. studieren sollte. Schauen wir in das überaus reiche Bibelstellenregister, finden wir auch Spuren, die in das NT führen (Mt.: 6 Stellen, Mk.: 3, Lk. 3, Joh. 2, Röm. 11, 2. Kor.: 1, Gal.: 2, Eph.: 4, 1. Thess.: 4, 1. Tim.: 2, Jak.: 1, Offenb.: 4 ). Den Verweisen nachzugehen, ist mehr als lohnend. Es ist ein Weg in die biblische Theologie.

Mit dem Theologumenon „Zorn Gottes“ setzen wir uns zunächst einer fremden Geschichte aus. Je tiefer wir in sie eindringen, umso größere Entdeckungen machen wir. Menschen machen tatsächlich „Zorn“- oder „Zürn“-Erfahrungen[5], die sie biografisch und gesellschaftlich auch mit Gott in Verbindung bringen. Einerseits als Leiderfahrung, andererseits als Hoffnungsschrei.

  1. Vermutlich versteckt sich in jeder Warum-Frage, die in Leiderfahrungen gestellt wird – auch in ausgesprochen rationalen Kontexten – eine Angst vor Zorn, die sich aber nie wirklich fassen lässt und kein Gegenüber (mehr) kennt. Solche Erfahrungen evozieren Beschwichtigungsstrategien, die eigene Realitäten setzen.
  2. Dass – als Hoffnungsschrei – Gott zornig sein soll – oder werden müsste, geht über menschliche Ohnmachtserfahrungen hinaus: Er ist, mit vielen Namen und Bildern, Garant einer Weltordnung (Schöpfung), die aus den Fugen gerät und von Menschen an den Rand des Ruin gebracht wird. Kann Zorn Hoffnung sein, Hoffnung Zorn werden?

Dass Menschen sich zu Richtern und Rächern aufschwingen, die im Namen Gottes zornig sind und dann – unbarmherzig – ihr Urteil vollstrecken, ist keine Freme. Die Rede vom „Zorn Gottes“ hat im Jeremiabuch korrigierende, nicht legitimierende Funktion.

Das Buch lädt ein, nicht nur Grundfragen zu stellen, sondern Freundschaft zu schließen mit Texten und Menschen – und ihnen Predigten, Unterrichtseinheiten oder Gesprächsabende zu widmen. Der Seelsorger, die Seelsorgerin werden im Jeremiabuch kundig in ihr Metier geführt. Anspruchsvolle und tiefschürfende Bibellektüren für PredigerInnen bietet das Buch auch.

Dass Gott nur gut sein kann, aber dann doch alles vermasselt – oder in allem auch untergeht, könnte ein paar neue / alte Gedanken gut vertragen. Immerhin hat Jeremia mit dem Theologumenon „Zorn Gottes“ Katastrophen überbrückt und gedeutet. Damit sind wir dann wieder am Anfang der Arbeit. Dem Verf. ist herzlich „danke“ zu sagen für eine fleißige, an-und aufregende Arbeit! Ich habe meinen Lieblingstext in diesem Buch übrigens schon entdeckt…

Manfred Wussow, Aachen

[1] Behandelt werden die Texte – in der Reihenfolge: Jer 6,9-15; 8,18-23; 11,15-17; 12,7-13; 15,15-18; 18,18-23; 7,16-19.20; 21,4-7; 23,19.20; 2,29-35a.35b-37; 4,5-8; 4,23-26; 7,29-31; 25,1-14; 17,1-4; 32,26-35; 4,3.4; 21,11f.; 36,1-8; 52,1-3; 32,36-44; 33,1-13; 25,15-38; 42,18-22; 44; 49,34-39; 10,17-22.23-35;10,1-16

[2] Vgl. die – zeitgleiche – Marburger Diss. (2017) von Elisabeth Krause-Vilmar, Nah ist und schwer zu fassen der Gott. Die ambivalente Beschreibung der Nähe Gottes in Jer20,7–18 und Ps 139, WMANT 157, Göttingen 2019.

[3] Vgl. Luthers Vorrede über den Propheten Jeremia (1532), in: Martin Luther. Vorreden zur Bibel, hrsg. Heinrich Bornkamm, Göttingen 4. Auf. 2005, S. 98ff., auch https://bildsuche.digitale-sammlungen.de/index.html?c=viewer&bandnummer=bsb00106053&pimage=68&v=100&nav=&l=de (02.08.2020)

[4] Vgl. Predigt Dietrich Bonhoeffers über Jer. 20,7 (21.01.1934), in: DBW 13 (London 1933-1935), Gütersloh 1994, S. 347 – 351.

[5] Meister Eckhart: „Die liebende Seele wird zornig von ihrer Selbsterkenntnis. Sie hat ein Antlitz empfangen gar kräftiglich und ist rot und zornig wegen dessen, was über ihr geblieben ist, das unerreichbar in Gott zurückbleibt, dass sie alles das nicht ist, was Gott von Natur ist, und dass sie alles das nicht hat, was Gott von Natur hat. http://www.zeno.org/Philosophie/M/Meister+Eckhart/Predigten,+Traktate,+Spr%C3%BCche/Traktate/7.+Vom+Zorn+der+Seele (02.08.2020)

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