Neuigkeit

Die Wahrheit ist strittig - "Konziliares" Hören und Verstehen – Predigt im Gedenken an Jan Hus von Heinz Janssen

Vorbemerkung

Das diesjährige Gedenken an Jan Hus wird auf vielfältige Weise begangen. Das facettenreiche Konstanzer Konzil (1414-1418) bietet viele Themen, kirchen- und weltpolitische, die sich nicht allein auf Jan Hus beziehen. Aber für das Gedenken an den böhmischen Reformator ist ein Gottesdienst, möglichst mit Feier des Hl. Abendmahls, die angemessene Form. Das im Evangelischen Gesangbuch einzige auf Jan Hus zurück gehende Lied (68), soll in der Liturgie nicht fehlen. In meiner Predigt gehe ich darauf ein.

Diese Predigt fällt aus dem allgemeinen Rahmen unserer Predigtpraxis heraus. Sie bedenkt eine bedeutsame Person der Kirchengeschichte im Hier und Heute, nimmt Impulse auf, die von ihr in der Auseinandersetzung mit “Bibel, Kirche und Welt” ausgehen, und lädt zum Dialog ein. Sollten wir in homiletischer Hinsicht die Kirchengeschichte nicht stärker in unsere Predigten einbeziehen und dies nicht nur an besonderen Gedenktagen? Geschichte erinnern heißt nicht, im Rückblick stehen zu bleiben, sondern sie für die Gegenwart um einer guten Zukunft willen transparent werden zu lassen.

Für die Theologie(en) des Ersten Testaments ist die Geschichte nicht wegzudenken, und eine Predigt ohne sie ginge am Leben vorbei. Für das Zweite Testament kann im Hinblick auf Johannes 1,14 Entsprechendes gesagt werden. Solche Predigten, welche diese geschichtliche Dimension berücksichtigen, homiletisch zu gestalten, so dass das Kerygma nicht in der Historie versinkt, ist bestimmt keine leichte Aufgabe. Ich erhebe für meinen Versuch nicht den Anspruch, dass ich sie erfülle, und lade die Leserinnen und Leser darum ein, über das Thema nachzudenken und sich mit mir auszutauschen. Literaturempfehlung: Hus in Konstanz, Slavische Geschichtsschreiber, Bd. 3, hg. v. Günther Stökl, 1963. – Pavel Soukup, Jan Hus, 2014.

Predigt

Im ökumenischen Heiligenlexikon findet sich unter dem 6. Juli der Name Jan Hus (Johannes Huss). Die evangelische Kirche gedenkt an diesem Tag des böhmischen / tschechischen Theologen und Priesters, des begeisternden und für die Reform seiner Kirche leidenschaftlich werbenden Predigers. Der 6. Juli ist sein Todestag, der sich in diesem Jahr (2015) zum 600. Mal jährt. In Konstanz wird zur „600-Jahrfeier Konstanzer Konzil 1414-1418“ eingeladen. Jan Hus starb keines natürlichen Todes. Am 6. Juli 1415 wurde der Kirchenmann während des Konstanzer Konzils als Ketzer verurteilt, und er starb als Märtyrer in den Flammen eines Scheiterhaufens, draußen vor den Toren der Stadt. Er wurde nur 45 Jahre alt. Ein Mensch, der, wie viele vor ihm und nach ihm bis heute, um des persönlichen Glaubens willen das Leben lassen muss – Gott sei es geklagt. “Sanguis martyrorum semen ecclesiae” – dieser viel zitierte Ausspruch, dass “das Blut der Märtyrer der Samen der Kirche” sei, kann leicht missverstanden werden. Ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt seinen perfiden Missbrauch, wenn die Tötung anders Glaubender mit solchen oder ähnlichen Worten gerechtfertigt und ihr außerdem noch ein Sinn für die Überlebenden beigemessen wird. In seiner Predigt am Tag des Vollzugs des Todesurteils über Jan Hus begründete ein Bischof die Aktion u.a. mit einem Zitat aus dem Römerbrief: “Der Leib der Sünde soll zerstört werden”. Was für ein furchtbarer Umgang mit der Bibel und wofür sie herhalten muss!

I.

Schauen wir heute aus Anlass des Gedenkjahres auf das Leben von Jan Hus, auf sein Wirken im Dienst der christlichen Kirche, rufen wir uns seine theologischen und pastoralen Anliegen in Erinnerung und fragen nach Impulsen, die uns dieser „Streiter“ Jesu Christi geben kann. Jan Hus wurde um 1370 im südböhmischen Husinek (Hussinetz) in sozial armen Verhältnissen geboren. Nach Besuch der Lateinschule begann er an der noch jungen Prager Karls-Universität sein Studium, das er als „Magister Artium“ abschloss. Bald (1402 – 1412) lehrte er dort als Professor für Theologie und Philosophie, nachdem er Priester an der Bethlehemskapelle in der Prager Altstadt wurde (1402). Seine Predigten hielt er in der Volkssprache, dies war das „Alleinstellungsmerkmal“ der Kapelle. Sie wurde eigens dafür gebaut, um der Gemeinde das Evangelium in der Muttersprache zu verkündigen. Das Wort Gottes durfte nicht länger in fremder Sprache „gefesselt“ werden, die Gemeinde sollte es in ihren vertrauten Worten hören und verstehen können, nur so konnte es ihr zum „Brot“ werden und die Kirche zum „Haus des Brotes“, wie es im Namen Bethlehem anklingt. Den Sinn des Heiligen Abendmahls fasste Jan Hus in die Worte: „In Christo bleiben und ihn bleibend in sich haben…“

II.

Jan Hus lehrte und predigte Jesus Christus als das alleinige Haupt der Kirche. Er nahm dabei theologisches Gedankengut des Oxforder Theologen und Philosophen John Wiclif (~ 1328 -1384) auf. Vermittelt hatte ihm dieses der Gelehrte Hieronymus von Prag, der spätere Mitbegründer der „hussitischen“ Bewegung, auch er starb, knapp ein Jahr nach Jan Hus den Märtyrertod (30. Mai 1416). Wie bereits John Wiclif stellte Jan Hus den Primat des Papstes in Frage. „Zurück zur Bibel“ war seine Forderung an die Kirche seiner Zeit. Eine Kirche, die sich allein auf Jesus von Nazareth und sein Wort beruft und darauf baut. Ein zu jeder Zeit aktuelles Programm, möchte man einwenden und auf das reformatorische „Ecclesia semper reformanda“ hinweisen. Aber dieser Leitspruch zielt jeweils auf eine bestimmte Situation und Herausforderung. So war es damals dringend geboten, die Kirche zu „re-formieren“, sie in der Rückbesinnung auf ihre Anfänge zu gestalten. Jan Hus war sicher nicht der einzige, der sah, wie die Kirche von ihrem wesenhaften Kurs abglitt. Das Evangelium war durch materielles Besitzstreben und Verweltlichung der Kirche, Korruption und moralischen Verfall verdunkelt. Es war die Zeit des „Abendländischen Schismas“ (1378-1415): Im italienischen Rom und französischen Avignon regierten zwei Päpste. Die Kirche war gespalten, die Einheit gestört, die biblische Botschaft pervertiert. Reformbestrebungen von einzelnen Menschen und Gruppierungen, welche die Wunden sahen, wurden schon lange vor dem böhmischen streitbaren Theologen mit Gewalt zum Schweigen gebracht, eingekerkert und im schlimmsten Fall als Ketzer zum Tode verurteilt. Machterhalt um jeden Preis. Jan Hus suchte nicht die „hierarchische“ Einheit der Kirche, sondern die Einheit im Geist des Wortes Gottes, dafür erhob er seine Stimme.

Zunächst noch vom Prager Erzbischof zum Synodalprediger ernannt und dadurch mit umfassender geistlicher Autorität ausgestattet, formiert sich bald der Widerstand gegen den unbequemen Mahner. Es kommt zum Bruch mit seiner Kirche, zur Exkommunikation, zum Ausschluss aus der Prager Universität und zur Vertreibung aus Prag. Das Konzil in Konstanz sollte die Kirchenspaltung überwinden. Der römisch-deutsche König Sigismund hatte es einberufen und dazu Jan Hus unter Zusicherung freien Geleits eingeladen. Vom Konzil erhofft sich der von seiner Kirche Verachtete eine offene Diskussion seiner theologischen Erkenntnisse, bereit, sich auf Grund des Zeugnisses der Bibel korrigieren zu lassen und im Ringen um die Wahrheit zu lernen. Nur drei Verhandlungstagen werden ihm Anfang Juni 1415 zugestanden. Ein halbes Jahr lang musste er darauf warten. Seine Schriften zur Reform der Kirche, darunter sein Hauptwerk “De Ecclesia” (1413), soll der Kirchenkritiker, wie ein Jahrhundert später Martin Luther, widerrufen. Aber er weiß sich allein an sein Gewissen gebunden, seine einzige Autorität ist die Bibel, das “Gesetz Gottes”, wie sie John Wiclif nannte. Zu einer wirklichen Diskussion, geschweige denn zu einem Dialog, kommt es aber nicht. Stattdessen bekommt er die Macht zu spüren. Die Mehrheit der kirchlichen und weltlichen Machthaber will den Gottesmann nicht hören, er ist ein Störfaktor, muss beseitigt werden. Martin Luther hatte in Jan Hus einen wichtigen Wegbereiter gefunden.

Im Evangelischen Gesangbuch steht ein Lied, das auf eine lateinische Dichtung von Jan Hus (“Jesu, salvator optime”) zurück geht und seine ganz auf Jesus Christus konzentrierte Theologie spiegelt: “O lieber Herre Jesu Christ, der du unser Erlöser bist…“ Verfasser des deutschen Textes ist Michael Weisse. (Hören wir dazu einen Orgelchoral und lesen dabei, jede und jeder für sich, die acht kurzen Strophen)

Das Lied beschreibt den Weg Jesu zu unserer Erlösung, wie er unsere Not gesehen, Mensch wurde und uns den Weg zum (wahren) Leben gezeigt hat. Es mündet in die Bitte, Christus möge seine Gemeinde sammeln, sie mit seiner Lehre regieren, damit sie „die Seligkeit“, ihre eigentliche Bestimmung, erlange. In allem eigenen menschlichen Handeln bittet der Liederdichter Jesus um „dein Mühe und Arbeit“ für diesen Weg zur Seligkeit, zum wahren Glück. Kirche, die sich um Christus, den Kyrios, versammelt, eine von ihm gerufene und an ihm sich orientierende Gemeinschaft. Menschen, die füreinander da sind und einander helfen, dass Christus in ihnen und der Welt Gestalt gewinnt. Eine solche Kirche wünscht sich Jan Hus, in der Macht nicht Herrschen über Menschen bedeutet, sondern dazu beiträgt, dass die Welt das heilsame Brot, “Brot des Lebens”, genießen kann.

III.

Vielfältige Impulse gehen seit 600 Jahren vom Leben und Wirken des Jan Hus aus. Bis heute aktuell sind die Themen: Gewissensfreiheit, freie Meinungsäußerung, gegenseitige Achtung und Toleranz, Unerschrockenheit gegenüber Menschen und Demut vor Gott, eine Streitkultur in Fragen der Auslegung der Bibel, die auf Argumente und Dialog setzt statt auf gewaltsame Durchsetzung eigener Interessen, die Einsicht, dass kein Mensch über die ganze Wahrheit verfügt. Kirche als „Konzil“ der Verständigung, des gemeinsamen Ringens für eine Welt in Gerechtigkeit und Frieden, indem wir im Sinne der Jahreslosung (Römer 15,7) einander annehmen, wie Christus uns angenommen hat zu Gottes Lob. In Tschechien ist der 6. Juli Nationalfeiertag, in Konstanz, heute in der Hussenerstr. 64, steht ein Museum, das „Hus-Haus“. Bewahren wir die Anliegen des Jan Hus, tragen und denken wir sie weiter, auch mit seinem Lied (Gemeinde stimmt ein).

Zur Liturgie

Lieder

155 (Herr Jesu Christ) 68 (O lieber Herre Jesu Christ) 268 (Strahlen brechen viele)

Psalm 67 Epistel: Jeremia 9,22-23 Evangelium: Matthäus 7,12-21 bzw. Johannes 3,1-8

Eingangsgebet (aus: Heinz Janssen, “Meine Seele dürstet nach dir …” – Hinwendungen zum Ewigen, [2015, im Druck])

Gott, du hast den ersten Schöpfungstag durch dein Wort geschaffen, du hast Licht und Leben in diese Welt gebracht. Uns Menschen hast du beauftragt, deine Schöpfung zu gestalten und zu pflegen. Du hast uns befähigt, Worte zu formen, um miteinander zu sprechen und zu erfahren, wie wir einander helfen und füreinander da sein können. Aber wie oft trennen uns unsere Worte, wie oft säen wir damit Vorurteile, Hass und Feindschaft. Wir bitten dich: Sprich heute ein Wort zu uns, das unsere Worte inspiriert, einfühlsam macht, miteinander verbindet. Im Namen Jesu, deinem Mensch gewordenen Wort, rufen wir zu dir: Kyrie eleison.

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Heinz Janssen
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