Neuigkeit

„Es ist ein Ros entsprungen"

Neapolitanische Krippe

„Es ist ein Ros entsprungen von einer Wurzel zart, wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art und hat ein Blümlein bracht mitten im kalten Winter wohl zu der halben Nacht…“

Dieses Lied gehört zu den schönsten Weihnachtsliedern. An keinem Weihnachtsfest darf es fehlen. Der Komponist der Melodie ist nicht mehr bekannt; bekannt sind nur der Entstehungsort, Köln, und das Kompositionsjahr, 1599. Populär und weltberühmt wurde bald der vierstimmige Chorsatz, den der am Wolfenbütteler Hof als Organist und Kapellmeister tätige Michael Praetorius, der bedeutendste Komponist seiner Zeit, zehn Jahre später (1609) schrieb. Ebenso wenig wie der Komponist der Melodie ist der Verfasser des Liedtextes bekannt, zumindest der ersten beiden Strophen; diese datieren in die Jahre 1587/88 und sind in Trier entstanden. Die 3. und 4. Strophe fanden sich im Jahre 1844 bei Fridrich Layritz, wobei es sich wahrscheinlich nicht um einen eigenen Text, sondern um die Bearbeitung einer älteren Vorlage handelt.

Die 1. Strophe bezieht sich auf eine prophetische Verheißung aus dem Jesajabuch: „Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist Gottes, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht Gottes“. Der pophetische Text, dem das Weihnachtslied nachgedichtet ist, gehört zu den sogenannten „messianischen Weissagungen“; dabei geht es um die prophetische Ankündigung eines von Gott eingesetzten Königs. Weil die Einsetzung des Königs durch das Ritual der Salbung geschah, wurde er „Gesalbter“ genannt. Zu den wichtigsten Aufgaben des Königs gehörte es, dass er sich für Recht und Gerechtigkeit einsetzte und für das Recht der Armen eintrat. Von ihm heißt es bei Jesaja weiter: „Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören…“. Nicht Augenschein und Vordergründigkeit, nicht Hörensagen und Gerüchte, werden seine Rechtsprechung bestimmen. Diesem König geht es zutiefst darum, den Menschen gerecht zu werden und dafür zu sorgen, dass ein Mensch dem anderen gerecht werde.

Die Ankündigung eines solchen Heil und Hilfe bringenden Königs nimmt die Menschen in ihrer Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden wahr. Wie viel Hoffnung hatte das biblische Israel auf ihre Könige gesetzt, angefangen mit Saul, David und Salomo. Nach den enttäuschenden Erfahrungen mit ihren Königen wuchs verständlicherweise das Verlangen, die Sehnsucht nach einem neuen Davididen aus dem gleichen Stamm Isais, aus dem einst der große David geboren wurde. „Weisheit und Verstand“, „Rat und Stärke“, „Erkenntnis und Gottesfurcht“ sollten die Kennzeichen des angekündigten Königs sein; sie kommen aus der Kraft des Geistes Gottes, der auf ihm „ruhen“, ihn erfüllen und aus der heraus er handeln wird. Aus dem „Reis“, dem aus dem Wurzelstamm Isais aufbrechenden „Zweig“, wird in der Lieddichtung eine „Rose“, ein „Blümlein“ aus zarter Wurzel, das „mitten im kalten Winter“ aufblüht. Davids Herkunft von seinem Stammvater Isai bzw. „Jesse“ wird mit einem blühenden Garten verglichen, den eine wunderschöne Blume schmückt. Der „kalte Winter“ kann als Umschreibung für menschliche Kälte, Lieblosigkeit, Hass und Feindschaft verstanden werden. Aber Gottes Handeln für die Menschen lässt sich durch die Herzenskälte der Menschen nicht aufhalten. Gott bringt Farbe, Licht und Wärme in die „Eiszeit“, in der Menschen einander erfrieren lassen können.

„Und hat ein Blümlein bracht mitten im kalten Winter wohl zu der halben Nacht“. Die Mitte der Nacht ist nicht länger ein Zeitpunkt für Resignation, sondern sie wird zum Anfang eines neuen Tages. Das Morgenlicht bricht an. Die verschlossene Blüte öffnet sich. Es wird schön. Die prophetische Ankündigung hatte Wärme in die Kälte gebracht, Licht ins Dunkel, Farbe in das Grau des Alltags. Die Menschen, die diese wunderbare Botschaft mit großem Staunen vor über zweieinhalbtausend Jahren zum ersten Mal hörten, mussten zur Kenntnis nehmen, dass sie mit der alltäglichen Wirklichkeit noch lange nicht übereinstimmt, vielmehr in größter Spannung zu ihr steht. Aber die Spannung, die sie empfanden, veränderte ihre Sicht und Lebenseinstellung. Ihr Leben wurde richtig spannend, und sie gaben sich nicht mehr zufrieden mit dem, was sie vorfanden. Die Botschaft von dem kommenden Messias und seinem Friedensreich wurde für sie zu einer Vision der Hoffnung. Diese lehrte, auf die kleinen Zeichen im Alltag zu achten. Sie ermutigte, solche auch selbst zu setzen, damit „zu der halben Nacht“, mitten in der Nacht, die ganze Aufmerksamkeit schon auf den Morgen gelenkt werde. Für die ersten christlichen Gemeinden wurde die prophetische Ankündigung eines Messias so etwas wie eine Sprachhilfe, um auszusagen, was sie durch die Verkündigung Jesu, seine Art zu Leben, sein Leiden, sein Kreuz und Tod bis hin zur Auferstehung in das österliche Leben erfuhren:

„Das Blümlein, das ich meine, / davon Jesaja sagt, / hat uns gebracht alleine / Marie, die reine Magd; / aus Gottes ewgem Rat / hat sie ein Kind geboren, / welches uns selig macht“. Jesus wird hier in der 2. Strophe mit dem „Blümlein“ in Verbindung gebracht, das der Prophet Jesaja ankündigte, geboren von Maria, aus Gottes ewigem Ratschluss, das „selig“, glücklich macht, mit wahrem Leben erfüllt. Gottes ewiger Rat ist seine beständige und verlässliche Zuwendung zu den Menschen.

„Das Blümelein so kleine, / das duftet uns so süß; / mit seinem hellen Scheine / vertreibt’s die Finsternis. / Wahr’ Mensch und wahrer Gott, / hilft uns aus allem Leide, / rettet von Sünd und Tod.“ Dieses Blümlein verbreitet, wie es die 3. Strophe umschreibt, einen süßen Duft; er ist nicht greifbar, jedoch wohltuend und alles durchdringend. Die Farbenpracht und das Licht sind Ausdruck der Freude, leuchten in das Dunkel menschlichen Elends, „hilft uns aus allem Leide, rettet von Sünd und Tod“.

„O Jesu, bis zum Scheiden / aus diesem Jammertal / laß dein Hilf uns geleiten / hin in den Freudensaal, / in deines Vaters Reich, / da wir dich ewig loben; / o Gott, uns das verleih!“ In der 4. Strophe wendet sich der Dichter mit einer Bitte an Jesus. Die Beschreibung des wunderbaren Geschehens lässt er in ein Gebet münden. Er weiß Jesus bei Gott. Die letzte Strophe wird damit zum Glaubensbekenntnis, dass Jesus in der Einheit mit Gott und dem Heiligen Geist die Menschen auf dem Weg in das himmlische Reich führt und leitet.

Kirchenrat Pfarrer Heinz Janssen, Evangelische Landeskirche in Baden

(Obiger Text findet sich ähnlich in: Heinz Janssen, Gottes Wort und Menschenwort. Lesen – Hören – Weiter sagen, Saarbrücken 2012, S. 341-345.)

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