„Aber ich bin doch schon da“

Advent – worauf warten wir?

Predigttext: Lukas 1,67-79
Kirche / Ort: Heddesheim
Datum: 02.12.2012
Kirchenjahr: 1. Sonntag im Advent
Autor/in: Pfarrer Dr. Herbert Anzinger

Predigttext:  Lukas 1,67-79  (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

67 Und sein Vater Zacharias wurde vom Heiligen Geist erfüllt, weissagte und sprach:

68 Gelobt sei der Herr, der Gott Israels!
Denn er hat besucht und erlöst sein Volk
69 und hat uns aufgerichtet eine Macht des Heils
im Hause seines Dieners David
70 – wie er vorzeiten geredet hat
durch den Mund seiner heiligen Propheten –,
71 dass er uns errettete von unsern Feinden
und aus der Hand aller, die uns hassen,
72 und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern
und gedächte an seinen heiligen Bund
73 und an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham,
uns zu geben,
74 dass wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde,
75 ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang
in Heiligkeit und Gerechtigkeit
vor seinen Augen.

76 Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen.
Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest
77 und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk
in der Vergebung ihrer Sünden,
78 durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes,
durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe,
79 damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes,
und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.

Exegetische und homiletische Vorbemerkungen

Das „Benedictus“ des Zacharias ist ein Lobpsalm in zwei Teilen, die durch zahlreiche Leitmotive miteinander verknüpft sind. Der erste allgemeinere Teil (Lk 1,68-75) lobt Gott unter Aufnahme alttestamentlicher Wendungen und Bilder dafür, dass er sein Volk besucht und aus der Hand seiner Feinde befreit hat. Der zweite Teil (Lk 1,76-79) ist ein Preislied auf die Geburt Johannes des Täufers. Vermutlich ist der Psalm im Schülerkreis des Johannes entstanden und von Lukas sekundär mit christlich überarbeiteten Täuferlegenden zur Geburtsgeschichte Johannes des Täufers verbunden worden (F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas, EKK III/1, 96ff). Durch diese Adaption wird der ursprüngliche Sinn der zweiten Strophe modifiziert: Gilt Johannes der Täuferbewegung als Wegbereiter Gottes, so erscheint er in christlicher Sicht als Vorläufer Jesu. Zugleich wird die Hoffnung auf Befreiung Israels aus Feindeshand spiritualisiert zur Erwartung einer endzeitlichen Sündenvergebung „durch die herzliche Barmherzigkeit Gottes“ wie sie in der Person Jesu Gestalt gewonnen hat. In ihm und durch ihn ist Gott zu Besuch gekommen.

Die Adventszeit eröffnet das neue Kirchenjahr mit einer Phase der Besinnung, die der Einstimmung auf das an Weihnachten zu feiernde Kommen Gottes in diese Welt dient. Sie schwankt zwischen dem Bewusstwerden eines Mangels und der Vorfreude auf die Fülle, wobei der Schwerpunkt früher wohl eher auf ersterem lag und die Adventszeit deshalb als Zeit der Buße, der Umkehr begangen wurde. Vordergründig scheint heute die Adventszeit dagegen ganz auf die freudige Erwartung der Weihnachtszeit mit ihren (Konsum-)Versprechungen getrimmt zu sein. In dem Unbehagen daran thematisiert sich insgeheim aber auch die Diskrepanz zwischen dem Glauben an das in Jesus (Parusie I) schon gekommene Heil und der noch ausstehenden Vollendung (Parusie II). So oder so will der Erste Advent in die rechte Erwartungshaltung einstimmen: „Wie soll ich dich empfangen …“ Die Predigtperikope legt es nahe, dies im Modus der Dankbarkeit für das, was Gott bereits getan hat, zu tun.

Im Lukasevangelium ist der Psalm der Schlussstein der Geburtsgeschichte Johannes des Täufers, die m.E. zum Verständnis der Predigtperikope unerlässlich ist. Da sie aber heute kaum noch als bekannt vorausgesetzt werden kann, möchte ich sie in die Predigt mit einbeziehen.

Lieder

„Die Nacht ist vorgedrungen“ (EG 16,1.2.4.5)
„Das Volk, das noch im Finstern wandelt“ (EG 20,1-4.7)
„Wie soll ich dich empfangen“ (EG 11)
„Macht hoch die Tür“ (EG 1)
„Seht, die gute Zeit ist nah“ (EG 18)

Psalm

Traditionellerweise wird zum Ersten Advent Psalm 24 gelesen, der auch gut zu unserem Predigttext passt. Warum aber nicht auch einmal das Benedictus des Zacharias als Eingangspsalm?

 

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Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es war, als unser erster Sohn geboren wurde – das ist nun schon mehr als 30 Jahre her. Mitten in einer Novembernacht war er zur Welt gekommen, und ich war, was damals noch nicht so selbstverständlich wie heute war, im Kreißsaal dabei. Fast wäre mir schlecht geworden, weil ich zu sehr mit gehechelt hatte. Das Glückgefühl, als ich unser Kind im Arm halten konnte, war unbeschreiblich. In den Morgenstunden kam ich nachhause. Obwohl todmüde, war an Schlaf gar nicht zu denken. Deshalb hängte ich einen Zettel an die Wohnungstür, auf dem stand neben den Angaben zur Größe und zum Gewicht des Neugeborenen: „Bitte nicht stören. Glücklicher Vater muss seinen Rausch ausschlafen“. Ich legte meine Lieblingsplatte auf und trank eine Flasche Wein leer. Danach hatte ich die nötige Bettschwere. Viel erzählen konnte ich da nicht mehr.

Ganz anders war es da einem Mann bei der Geburt seines Sohnes ergangen, von dem die Bibel berichtet. Gut, er war schon wesentlich älter, und er hatte zusammen mit seiner Frau viele Jahre vergeblich auf einen Nachkommen gehofft. Als er selbst schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, erschien eines Tages ein Engel bei ihm und kündigte an, dass seine Frau ein Kind gebären würde. Der Alte musste lachen, als er das hörte: „Wie soll das denn geschehen, in unserem Alter“, sagte er. „Das glaub ich erst, wenn du mir ein Zeichen gibst.“ Dieses Zeichen sollte er bekommen. Sicher anders, als er gedacht hatte. Denn der Engel schlug ihn von diesem Moment an mit Stummheit. So musste Zacharias – so hieß der Mann – schweigen, als seine Frau Elisabeth tatsächlich schwanger wurde und nach neun Monaten einen gesunden Jungen zur Welt brachte. Erst nachdem er auf eine Tafel Johannes, den Namen des Kindes, geschrieben hat, löst sich seine Zunge, und er kann wieder sprechen. Das erste, was er tut: Er singt Gott ein Loblied für seinen Sohn, der später als Johannes der Täufer für Aufsehen sorgen sollte. Lukas hat uns diesen Psalm des Zacharias überliefert:

(Lesung des Predigttextes)

Nachdem Zacharias neun Monate lang zum Schweigen verurteilt war, sprudelt es nun aus ihm nur so heraus: „Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk!“ (Lk 1,68). Zacharias erinnert an den Bund, den Gott mit den Vätern geschlossen hat, daran, dass Gott das Volk aus der Hand der Feinde erretten würde. Er erinnert an die Heilsversprechen der Propheten, zum Beispiel an das Wort des Propheten Jesaja: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell“. (Jes 9,1) All das, was Menschen belastet hat, soll nun beseitigt werden. Gewalt und Krieg werden aufhören, einem dauerhaften Frieden weichen. Denn Gott macht sein Versprechen wahr: Er kommt zu Besuch. Wo Gott aber Wohnung nimmt, da geht die Sonne auf, da wird es hell und warm, da wächst neues Leben, da breitet sich Frieden aus. Das alles soll und wird nun geschehen. So hofft Zacharias. Denn sein Sohn Johannes wird dem Herrn den Weg bereiten. Er wird die Nähe der Gottesherrschaft ansagen und davon predigen, dass dem die Sünden vergeben werden, der von seinem bisherigen Weg umkehrt. Er wird Menschen taufen. So wird er den Weg bereiten für Gott, der uns Menschen als das „Licht aus der Höhe“ besuchen kommt. Darauf hat er gewartet. Danach hat er sich gesehnt, auch wenn er zwischendurch die Hoffnung verloren hatte. Nun beginnt er wieder neu zu hoffen.

Worauf warten wir? Oder haben wir das Warten schon aufgegeben, haben resigniert – wie Zacharias? Es gibt so vieles in unserer Welt, was im Argen liegt. In der Politik sowieso, wenn wir nur an die Schuldenkrise in der Eurozone denken oder an die Unruhen und Bürgerkriege im Nahen Osten. Aber vielleicht auch im Privaten, wo mancher sorgenvoll in die Zukunft blickt, weil er nicht weiß, wie er mit der zunehmenden Demenz des Ehepartners umgehen soll oder mit den unsicheren Berufsaussichten der Kinder. Vielen Entwicklungen stehen wir hilflos gegenüber, können sie nicht beeinflussen oder gar verändern. Manche haben sich damit abgefunden und leiden trotzdem darunter wie Zacharias. Aber an Zacharias können wir lernen, dass bei Gott nichts unmöglich ist, und dass es für uns darauf ankommt, offen zu bleiben für das, was Gott noch mit uns und unserer Welt vorhat. Die Frage ist, ob wir angesichts von Problemen resignieren oder ob wir darauf vertrauen, dass Gott auch in der Zukunft Lösungen für uns bereithält, an die wir bisher gar nicht gedacht haben. Die Frage ist, ob wir in unserem Herzen Platz für Gott haben, der uns besuchen kommen will. Alles andere dürfen wir getrost Gott überlassen. Er kommt uns entgegen. Er schafft Neues. Er ebnet die Berge ein, die Probleme, die sich vor uns auftürmen. Er erhöht die Täler, holt uns aus den Tiefen heraus, in die wir gestürzt sind. Er kommt geradewegs auf uns zu. Darauf dürfen wir uns freuen. Dazu lädt uns die Adventszeit ein.

Wenn wir Besuch erwarten, dann werden wir meist hektisch und betriebsam, wie jener Mann, der erfuhr, dass Gott zu ihm kommen wolle. „Unmöglich“, dachte er sich, als er sich in seinem Haus umsah, „hier kann ich keinen Besuch empfangen, schon gar nicht Gott. Was hat sich hier nicht alles für Mist angesammelt. Ich muss das Gerümpel zuerst fortschaffen und saubermachen, aufwischen.“ Er rief seine Freunde an und bat sie, ihm zu helfen. Aber keiner hatte Zeit. So machte er sich alleine an die Arbeit, merkte aber nach einiger Zeit durch die Staubwolken hindurch, dass er Hilfe bekommen hatte. Gemeinsam fegten sie die Zimmer aus, brachten den Müll zur Tonne und ließen die Fensterscheiben in neuem Glanz aufblitzen. Zwischendurch stöhnte der Mann: „Das schaffen wir nie!“ Der andere aber erwiderte nur: „Doch, das schaffen wir“. So schufteten sie den ganzen Tag. Schließlich waren sie fertig. Der Mann ging in die Küche und deckte den Tisch. „So“, sagte er, „nun kann mein Besuch kommen. Nun ist mein Haus bereit für Gott. Wo er nur bleiben mag?“ „Aber ich bin doch schon da“, sagte der andere und setzte sich an den gedeckten Tisch.

„Wie soll ich dich empfangen und wie begegn ich dir“, so hat Paul Gerhard gefragt. Wir antworten darauf mit Zacharias: mit Lobgesang auf den Gott, der uns unsere Fehler vergibt und unser Dunkel hell macht. Mit Lobgesang auf den Gott, der uns zu neuem Leben auferstehen lässt und unsere Füße auf den Weg des Friedens richtet. Mit Lobgesang auf den Gott, der uns im Kind in der Krippe besuchen kommt.

 

 

 

 

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Ein Kommentar zu “„Aber ich bin doch schon da“

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Diese Predigt fängt lebendig und persönlich an und berichtet von der Geburt des Sohnes des Predigers. Dann schlägt die Predigt einen Bogen zur erstaunlichen, lang erwarteten Geburt des Sohnes des Zacharias, zu Johannes dem Täufer. Zacharias erinnert sich an den Bund mit Gott und das “Licht aus der Höhe” und den kommenden Frieden für die Welt. Einen Lobgesang stimmt er an. – Worauf aber warten wir heute? Pfarrer Dr. Anzinger übergeht die vielen Probleme unserer Zeit nicht. Aber Gott hält Lösungen bereit. Das ist die Botschaft der Bibel, besonders im Advent. Zum Schluß verdichtet diese Predigt sehr spannend die Botschaft mit der Geschichte von dem Helfer. Sehr tröstlich und erfreulich ist der Schluß. – Besonders bemerkenswert finde ich an dieser Predigt, wie sie je länger je mehr immer spannender und intensiver den Glauben dem Hörer nahebringt.

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