„Gut, dass wir einander haben…“
Pfingsten – Als Gemeinde Jesu Christi sich vom Geist Gottes erfüllen lassen und der Stimme der Liebe folgen
Predigttext: Epheser 4,11-16 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(11) Und er hat einige als Apostel eingesetzt, einige als Propheten, einige als Evangelisten, einige als Hirten und Lehrer, (12) damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden, (13) bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Mann, zum vollen Maß der Fülle Christi, (14) damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch trügerisches Spiel der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen. (15) Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, (16) von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist und ein Glied am andern hängt durch alle Gelenke, wodurch jedes Glied das andere unterstützt nach dem Maß seiner Kraft und macht, dass der Leib wächst und sich selbst aufbaut in der Liebe.
Überlegungen zum Predigttext
Ich werde es nicht vergessen, wie Prof. Markus Barth am Anfang seiner Bibelarbeit auf der Hauptkonferenz des Reformierten Bundes 1986 in Erlangen schmunzelnd sagte: „Nur Paulus konnte es sich leisten, so von Paulus abzuweichen. Meiner Überzeugung nach hat Paulus selbst den Epheserbrief geschrieben“. Es ist Menschen, die immer weniger die Bibel lesen, immer schwerer klar zu machen, warum der Kolosser- und Epheserbrief von einem Schüler des Paulus geschrieben sein soll und nicht von ihm selbst. In seiner Einleitung zu Luthers „Vorrede zu Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts“, 1526, weist Martin Elze auf Luthers „Konzeption einer wahren Gemeinde … als einer Versammlung derer, die mit Ernst Christen sein wollen“ hin. Von ihr sagt Elze: „Sie bedürfen keiner Vorschriften für ihren Gottesdienst, weil sie ihn ‚im Geist haben‘. Später ist er darauf nicht mehr zurückgekommen.“ (In: Martin Luther. Ausgewählte Werke, hg. v. K. Bornkamm und G. Ebeling, Frankfurt 1983, Band V, S. 73.)
In seinem Buch „Wie hat Jesus Gemeinde gewollt“ (Freiburg-Basel-Wien 1993, S. 116f) stellt Gerhard Lohfink eine Liste von 23 Stellen zusammen, an denen in den Paulus-Briefen das Wort „einander“ vorkommt. Christen sind Menschen, die gemeinsam an den dreifaltigen Gott glauben, einander dienen und so für die Welt da sind (s. Eph 4,2.32). Hans-Joachim Iwand in seiner Meditation aus dem Jahre 1946: „Man sollte doch der Kirche anspüren, dass sie gereift ist, erfahren, gewarnt, sie müsste die Weisheit des Alters verbinden mit dem Feuer des Geistes. …Liebe heißt ja, danach trachten, dass der andere in Christus wachse, sein Bestes in Christus suchen, ihn von daher ansehen als einen, für den der Herr gestorben ist“. Dann: „So gewiss Gott kein leerer Schall ist und so gewiss das Kreuz wirklich auf dieser Erde aufgerichtet ist und von ihm aus die Wirkungen ausgegangen sind, die eben doch aufhören spürbar zu sein, so gewiss dürfen wir mit der Liebe rechnen als der großen und einzigartigen Realität, an die sich zu glauben lohnt“. (Predigtmeditationen, Göttingen 1966, 3. Auflage, S. 25f.) Im Namen dieser Liebe, im Namen Jesu Christi, ist mitten in unserer Welt eine Gemeinschaft gestiftet worden, bis in unsere Zeit erhalten geblieben und noch heute lebendig, in der Menschen intensiver zusammenleben können als es auf Grund einer von Menschen gemachten Verfassung möglich ist. Dies will von vielen entdeckt, geglaubt und hier bei uns und in der weiten Welt gelebt werden.
Diese sechs Verse aus dem Epheserbrief sind einer der innigsten Texte aus dem Neuen Testament über das Wesen der Gemeinde Jesu. Sicher, da sind auch andere Stellen, z. B. das Wort Jesu: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Oder die Darstellung des vorbildlichen Lebens der Urgemeinde in Jerusalem, über die es dann heißt: Sie „fanden Wohlgefallen beim ganzen Volk“ (Apg 2,47). Immer wieder finden sich in der Geschichte der Kirche klare Aussagen zum Wesen der Kirche. An einer Stelle wagt Martin Luther es, zu beschreiben, wie er sich eine Gemeinde Jesu vorstellt: „Diejenigen, die mit Ernst Christen sein wollen und das Evangelium mit Hand und Mund bekennen, müssten sich namentlich einschreiben und irgendwo in einem Hause allein sich versammeln zum Gebet, zum Lesen, zum Taufen, das Sakrament zu empfangen und andere christliche Werke auszuüben“. Kurz danach aber gesteht er ein: „Ich kann und mag eine solche Gemeinde noch nicht ordnen oder einrichten. Denn ich habe noch nicht Leute und Personen dazu. Ich sehe auch nicht viele, die sich danach drängen“. Man kann gespannt sein, ob man an diese Sätze erinnert, wenn in fünf Jahren am 31.10.2017 das 500jährige Bestehen der Reformation gefeiert wird.
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, der Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine, sang: „Lass uns so vereinigt werden, wie du mit dem Vater bist, bis schon hier auf dieser Erden kein getrenntes Glied mehr ist, und allein von deinem Brennen nehme unser Licht den Schein; also wird die Welt erkennen, dass wir deine Jünger sein“ (EG 251,7). Manfred Siebald hat für seinen Hauskreis in Mainz das Lied gedichtet, in dem immer wiederholt wird: „Gut, dass wir einander haben, gut, dass wir einander sehn, Sorgen, Freuden, Kräfte teilen und auf einem Wege gehen. Gut, dass wir nicht uns nur haben, dass der Kreis sich niemals schließt und dass Gott, von dem wir reden, hier in unserer Mitte ist“. Der Hauskreis, in dem seine Frau und er sich mit anderen über der aufgeschlagenen Bibel treffen, ist eine Gemeinschaft, in der sie sich aufgehoben fühlen und immer neu aufatmen können. Eine große Herausforderung ist es für uns und noch mehr für unsere Kinder und Enkel, dass Muslimas und Moslems mit dem Zuspruch der Sure 3,110 aus dem Koran leben: „Ihr seid die beste Gemeinde, die für die Menschen entstand“. Was auch immer für Moslems ihre „Umma“, ihre Weltgemeinschaft im Namen Allahs bedeutet, wir tun als Christen gut daran, uns neu und tiefer sagen zu lassen, was Gemeinschaft Jesu Christi bedeutet und wie erneut die eigene Kirchengemeinde von dem Geist Gottes erfasst und durchglüht werden kann. Das Pfingstfest ist dazu da, dass wir inne halten, die Hände und das Herz öffnen und uns als Gemeinde vom Geist Gottes erfüllen lassen.
Wenn ich an die neun Gemeinden denke, zu denen ich im Laufe meines Lebens gehört habe, von der Gemeinde meiner Kindheit bis hin zu der Gemeinde, in der ich jetzt als pensionierter Pfarrer lebe, dann erinnere ich mich an viele, viele Frauen und Männer, an ältere und jüngere Menschen, denen ihre Gemeinde wichtig war, die sich für ihre Gemeinde abgerackert haben oder die für die Gemeinde geeifert haben. Für mich selbst ist es eine der wichtigsten Zielvorstellungen zu bezeugen, dass Gott seine Gemeinde gegründet hat und sie nicht ohne uns weiter bauen will. Wie ein Steinmetz auf dem Bauplatz sitzt, seine Steine behaut, dann auf das Baugerüst trägt, diese Steine an der rechten Stelle einsetzt und so auf seine Weise die Kathedrale mit baut, so sollen auch wir uns als lebendige Steine in den ewigen Bau einsetzen lassen und mit unserer Kraft mit bauen. Im Predigttext vergleicht der Apostel Paulus (wie an anderen Stellen seiner Briefe) das gemeinsame Leben der Christen mit dem Leben und Wirken eines menschlichen Leibes. Bis in die Zehen-, Finger- und Haarspitzen werden Menschen, die dazugehören, von dem Glauben an Jesus Christus, von der Hoffnung auf seine Wiederkunft und von der Liebe zu Gott und zu einander erfüllt. Da wird ein dynamisches Ganzes geschildert. Durch den Blutkreislauf und die Nervenstränge, durch die Sehnen und die alles überziehende gemeinsame Haut, durch das starke Knochengerüst und durch die inneren Organe ist alles im menschlichen Körper voneinander abhängig. So soll es in dem Leib Christi auch sein.
Klare, kurze Bekenntnisse markieren am Anfang des 4. Kapitels, was in dieser Gemeinschaft die Grundlage ist: ein Leib, ein Geist, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller. Der Geist Gottes will alles in dieser Gemeinschaft erfassen und führen, betont Paulus immer wieder. Dabei ist Christus in allem der Herr und das Haupt. Er beschenkt jeden einzelnen Menschen mit Gaben, die ganz zu ihm passen und mit denen er sich in das Ganze einfügen kann. Dabei beruft er Einzelne in besondere Dienste. Die Apostel Jesu gehören mit in das Fundament seiner Gemeinde. Immer neu werden Frauen und Männer berufen. Sie sollen als Evangelisten und Evangelistinnen, als Propheten und Prophetinnen, als Hirten und Hirtinnen und als Lehrer und Lehreinnen durch Erzählen und Verkündigen, Ermahnen und Ermuntern lebendig halten, was Gott in Jesus Christus getan hat. Hier in der Gemeinde darf jeder Mensch mit seinen begrenzten Fähigkeiten, so wie er es vermag, in seinem Glauben und Verstehen weiterkommen. Jeder Mensch hat etwas, durch das er im Miteinander der Gemeinde unvertretbar ist. Natürlich will dies durch liebevolles Achten auf sich selbst und aufeinander entdeckt und entfaltet sein. Durch seinen guten Geist, den wir an Pfingsten feiern, lenkt Gott uns in unserem Herzen, in unserem Gewissen und in unserem Erkenntnisvermögen. Wir sind alle aufgerufen, ganz wach zu sein, immer neu auf die Stimme des Gewissens zu hören und der Stimme der Liebe zu folgen.
Aus dieser Liebe zueinander schauen wir, wie wir den Menschen am Rande einer Kirchengemeinde und um uns herum in ihren Fragen, Zweifeln und Nöten helfen und dienen können. Wir sind dankbar für die Hilfe, die z. B. durch das Diakonische Werk an bedürftigen Menschen geschieht. Achten wir in jeder Kirchengemeinde darauf: Gott will uns gemeinsam die Augen für besondere Nöte von Menschen öffnen. Wo ist es noch nötig ist, eine „Tafel“ zu eröffnen, die Lebensmittel an Bedürftige verteilt? Wo muss es eine Kleiderkammer geben? Wo sind Schulkinder, die eine Hausarbeitshilfe nötig haben? Unsere Gemeinden leben in einer globalisierten Welt. Da ist es wichtig, auf Menschen zu achten, die aus anderen Ländern und Kontinenten kommen und unter uns leben. Zugleich ist es zu wünschen, dass unsere Gemeinden einen partnerschaftlichen Kontakt zu einer Gemeinde in anderen Kontinenten aufbauen. So kann auch heute unter uns erfüllt werden, was der Apostel Paulus seiner Gemeinde in Ephesus wünscht, dass „wir etwas seien zum Lob seiner Herrlichkeit“ (Eph 1,12). Der Name Gottes, des Vaters Jesu Christi, soll groß gemacht werden. Er hat durch das Leben und Sterben Jesu Christi etwas Wunderbares auf dieser Erde vollbracht. Eines Tages wird Gott alles, was er verheißen hat, vollenden. Menschen, die daran glauben, dürfen mit allem, was in ihnen angelegt ist und sich unter ihnen entfaltet, daran mitwirken. Wer kennt eine Gemeinschaft, die großartiger ist!