Österliches Lied
Nirgendwo sonst hat Gott in unserer Welt so eingegriffen wie bei der Auferweckung Jesu Christi von den Toten - das feiern wir am Osterfest
Predigttext: 1.Samuel 2,1-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(1) Und Hanna betete und sprach: Mein Herz ist fröhlich in dem HERRN, mein Haupt ist erhöht in dem HERRN. Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils. (2) Es ist niemand heilig wie der HERR, außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist. (3) Lasst unser großes Rühmen und Trotzen, freches Reden gehe nicht aus eurem Munde; denn der HERR ist ein Gott, der es merkt, und von ihm werden taten gewogen. (4) Der Bogen der Starken ist zerbrochen, und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke. (5) Die satt waren müssen um Brot dienen, und die Hunger litten, hungert nicht mehr. Die Unfruchtbare hat sieben geboren, und die viele Kinder hatte, welkt dahin. (6) Der Herr tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf. (7) Der HERR macht arm und wieder reich; er erniedrigt und erhöht. (8) Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche, dass er ihn setze unter die Fürsten und den Thron der Ehre erben lasse. Denn der Welt Grundfesten sind des HERRN, und er hat die Erde darauf gesetzt. (9) Er wird behüten die Füße seiner Heiligen, aber die Gottlosen sollen zunichtewerden in Finsternis; denn viel Macht hilft doch niemand. (10) Die mit dem HERRN hadern, sollen zugrunde gehen. Der Höchste im Himmel wird sie zerschmettern, der HERR wird richten die Welt. Er wird Macht geben seinem Könige und erhöhen das Haupt seines Gesalbten.
Vorüberlegungen
Wir saßen als Studenten im Bonner Theologischen Stift zusammen und diskutierten über die Frage: „Was kommt nach dem Tode?“ Einer hatte gesagt: „Nichts!“ Darauf fragte ihn ein anderer: „Was sagst du denn einem sterbenden Menschen?“ Die Antwort: „Ich tröste ihn mit dem Satz: ‚Du hast gelebt!‘ Das muss reichen!“ Sicher hat das Alte Testament Formulierungen, bei denen es so aussieht, als gäbe es in ihm die Vorstellung von der Auferstehung der Toten nicht. Von Jakob heißt es: Er „verschied und wurde versammelt zu seinen Vätern“ (1. Mose 49,33). In Psalm 6 wird gebetet: „Denn im Tode gedenkt man deiner nicht; wer wird dir bei den Toten danken?“ (V.6) Aber dann erzählt die Hebräische Bibel doch von Henoch und Elia, die nicht gestorben sind, die Gott vielmehr hinweg genommen hat in seine Welt (1. Mose 5,24; 2.Kön 2,11). Die Propheten Elia und Elisa haben Tote auferweckt (1.Kön 17,21f; 2. Kön 4,34).
Für jeden Tag im Osterfestkreis hat der liturgische Kalender unserer Kirche alttestamentliche Predigttexte: Jona 2 und Hes 37,1-14 am Karsamstag, Jes 26,13-19 für die Osternacht, Jes 25,8-9 für den Ostermontag, Jes 40,26-31 für den 1. Sonntag nach Ostern und eben 1. Sam 2,1-11 für den Ostersonntag. Hans-Joachim Kraus erzählt von seinem Studium bei Julius Schniewind: „Oft wurden wir auf den Anhang des Nestle-Textes aufmerksam gemacht, in dem die vom Neuen Testament aufgenommenen alttestamentlichen Stellen vermerkt sind. Schniewind pflegte zu sagen: ‚Und dieses Stellenregister nennt nur einen kleinen Bruchteil dessen, was tatsächlich an Beziehungen auf das Alte Testament im Neuen Testament nachweisbar ist!’ …In der Schule der Bibel kommt der Theologe unvermeidlich ins Wandern: vom Alten zum Neuen Testament und wieder zurück“ (H.-J. Kraus, Julius Schniewind, Charisma der Theologie, Neukirchen-Vluyn, 1965, S. 104). Deshalb ist es unverzichtbar, mit seiner Gemeinde am Tage der Auferweckung Jesu das Alte Testament aufzuschlagen.
Wir tun gut daran, auf jüdische Ausleger unserer Zeit, wie Martin Buber es war, zu achten. Er schreibt vom Volk Israel: „Die eine Erfahrung, die es als Volk macht, ist die des Wandernden: Unser Gott geht uns voran, wir gehen ihm nach, der Weg ist sein Weg, es ist an uns, ihm zu folgen“, dann: „den Künder, den Nabi, redet sein Gott an und redet durch ihn sein Volk an. Er spricht durch ihn je und je seine ‚Weisung‘ (thora), seine Wegweisung aus, die ja der jeweiligen Interpretation durch den Menschenmund bedarf. Er holt den von ihm Berufenen aus der natürlichen Ruf-Taubheit des Menschen hervor, immer neu ‚weckt er ihm das Ohr‘ (Je 50,4), dass er als treuer ‚Lehrling‘ das zu Vernehmende vernehme“ (M.B. Der Glaube der Propheten, Heidelberg 1984, S.11). Wo Gisela Kittel das Wesen der Hymnen des jüdischen Volkes beschreibt, da zitiert sie ihren Lehrer: „Nach Claus Westermann ist hier die Grunderfahrung ausgesprochen, die in allen Hymnen lobend bezeugt wird. ‚Das ist unser Gott, der majestätisch Erhabene, der nicht in seiner Erhabenheit bleibt, sondern in unsere Tiefe hinabsieht. Das ist der Gott, der das Schreien der Kinder Israel in der Knechtschaft gehört hat und herabgekommen ist, sie zu befreien. Das ist der Gott, den Hanna, die Mutter des Samuel, aus der Tiefe ihrer Verzweiflung angefleht und der sich ihr zugeneigt hat‘“. G. Kittel weist dann auf den 113. Psalm und auf 1. Sam 2,2-6 hin. (G. K., Der Name über alle Namen I, Biblische Theologie / AT, Göttingen 1993, 2. Auflage, S. 78)
Claus Westermann selbst stellt heraus: „Dieser Satz: ‚Gott erhöht und erniedrigt‘ als Zusammenfassung des beschreibenden Lobes zeigt von einer anderen Seite her, dass in solchem Loben nicht ein seiender, vorhandener Gott gelobt wird, sondern der in der Geschichte eingreifende“ (C.W., Lob und Klage in den Psalmen, Göttingen 1977, 5.Auflage, S. 93). Nirgendwo sonst hat Gott in seiner Einzigartigkeit und Souveränität in unserer Welt so eingegriffen wie bei der Auferweckung seines Sohnes Jesus Christus. Das feiern wir Christen am Osterfest, und das sollen und wollen wir in unseren Gottesdiensten verkündigen. Deshalb können wir einem Sterbenden sagen: „Das Schönste kommt noch!“ und „Es geht heimwärts!“
Ein fröhliches Lied
Wir haben in unserer Kirche heute nicht mehr die Sitte des Ostergelächters. Zur Zeit der Alten Kirche haben die Prediger an Ostern Witze erzählt, sodass die Gemeinde schallend lachen musste. Auf diese Weise sollte der Teufel, der bei dem Tode Jesu glaubte gewonnen zu haben, ausgelacht werden. Wir wollen heute ein fröhliches Lied miteinander betrachten, gesungen von einer Frau, die vor Freude überquillt. „Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn“, so beginnt sie. Es kommt bei ihr von ganz tief drinnen. Sie kann gar nicht anders als so zu singen. So überwältigend hat sie Gott erfahren. „Mein Haupt ist erhöht in dem Herrn. Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils.“ Von diesem fröhlichen Lied der Hanna, der Mutter des Samuel, hat Maria, die Mutter Jesu, gelernt, wenn sie singt: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes meines Heilandes, denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen“. Ein fröhliches Lied steckt an.
Ein wachsames Lied
Als ich im Siegerland Pastor war, bekam ich mit: An Ostern waren immer einige im Gottesdienst, die sehr kritisch darüber wachten, dass die Auferweckung Jesu Christi auch richtig gepredigt wurde. So ein Wachsamsein ist für die Kirche Jesu Christi ganz wichtig. Der Lobgesang der Hanna wacht darüber, dass unser Reden von der Auferweckung Jesu nicht Kopfwissen, Lippenbekenntnis oder intellektuelles Glasperlenspiel bleibt. Das den ganzen Kosmos umfassende Ereignis der Auferweckung Jesu und unsere ganz persönlichen Erfahrungen des lebendigen Gottes stehen in einem inneren Verhältnis zueinander. Wo wir den Gott, der Tote auferweckt, bekennen, da sind wir gerufen zu erzählen, wie sich Gott in unserem Alltag als der Lebendige erwiesen hat. Ein paar Beispiele:
– Meine Arbeiten zum 1.theologischen Examen mussten fertig werden. Ich lief damals abends, von der Angst bestimmt, um das Theologische Stift in Bonn herum: Werde ich fertig werden? Dabei malte ich mir aus: Was werden Verwandte und Freunde sagen, wenn ich durchs Examen falle? Die Arbeiten wurden fertig, und ich habe das Examen bestanden.
– Zu dem Alltag der Mitarbeiter westlicher Hilfsorganisationen und von Christen in Afghanistan, im Irak und in anderen islamischen Ländern, auch in Afrika und Südamerika, gehört es, dass ihr Leben Tag für Tag bedroht ist. Sie können nicht leben ohne das Vertrauen: Der Schutz unseres Leben liegt in der Hand Gottes.
– Wie viele gibt es, die eine schwere Krankheit erlebten und sich in der Hand Gottes ganz behütet wussten.
Das Lied der Hanna ist ein wachsames Lied. Es wacht darüber, dass der Auferstehungsglaube unser Leben bestimmt. Die Familientreffen und die gemeinsamen Mahlzeiten jetzt an den Feiertagen bieten Gelegenheit, davon zu erzählen.
Ein dankbares Lied
Der Lobgesang der Hanna wurde aus einer überwundenen Not heraus geboren. Was war geschehen? Es geht um die Eltern des Samuel, des letzten und größten Richters in Israel, in dem Jahrhundert vor Saul und David, etwa 1070 vor Christi Geburt. Elkana und Hanna waren offensichtlich ein Ehepaar, das sich außerordentlich gut verstand und zärtlich miteinander umging, eins der Liebespaare in der Bibel. Nur hatte Hanna großen Kummer. Während Peninna, die zweite Frau des Elkana, Kinder hatte, war Hanna kinderlos geblieben. Darum wurde sie von Peninna ständig gekränkt. Elkana versucht, Hanna zu trösten, aber Hanna lässt sich von ihm nicht trösten. Sie betet inständig im Tempel und bittet Gott, an sie zu denken und ihr einen Sohn zu schenken. Hanna ist eines der biblischen Vorbilder, wie Menschen vor Gott klagen und mit Gott ringen dürfen. Hanna verbindet ihre Klage mit einem Gelübde: Wenn Gott ihre Bitte erhört, soll das Kind Gott geweiht sein. Hanna geht mit einer Zusage aus Priestermund nach Hause. Es wird ihr ein Sohn geboren, und sie nennt ihn Samuel, „denn, so sprach sie, ich habe ihn von dem Herrn erbeten“. Bald bringen Elkana und Hanna ihren Sohn zum Heiligtum nach Silo. Dort soll Samuel Gott dienen, und dort singt Hanna ihr Lied. Es ist ein biblischer Lobgesang, er wurde aus dem wunderbaren Eingreifen Gottes geboren. So singt ein Mensch, der aus Dankbarkeit vor Gott zur Hingabe des Liebsten und Besten, was er hat, bereit ist. Hanna hat ihr Kind ganz von Gott, und so soll es Gott auch ganz gehören.
Ein souveränes Lied
Hanna hat uns ein großartiges, souveränes Lied hinterlassen. Es erzählt uns von dem Schöpfergott, der die Grundfesten der Welt geschaffen und die Erde darauf gesetzt hat, von dem Erlösergott, der bei den Menschen in ihrer Not wohnt, und von dem messianischen König, der mit seiner ganzen Macht kommen wird. Dieser Gott sieht heute die Menschen, die unter Gewalt und Terror überall auf der Welt zu leiden haben. Er sieht in Asien die Kinder, die unsere Teppiche knüpfen, die wir kaufen, und die in den Steinbrüchen die Steine hauen müssen, die wir verbrauchen. Er sieht heute, wo Menschen in Afrika, in Lateinamerika und in Asien unter Hunger zu leiden haben, kein gutes Trinkwasser haben und sterben. Er sieht heute, wo Christen um ihres Glaubens willen verfolgt werden. Gott wird ihnen auf seine Weise helfen, wo immer Menschen zu ihm schreien. Das Lied der Hanna ist auch deshalb ein so souveränes Lied, weil es so eindrücklich Menschen warnt. Es warnt die Hochmütigen, Trotzigen und Frechen. Es warnt diejenigen, die sich etwas auf ihre Stärke, auf ihren Reichtum, auf ihren Wohlstand und auf ihre militärische Stärke einbilden.
Das Lied der Hanna ist nicht das Lied einer aufmüpfigen Frau, auch nicht das fromme Lied einer harmlosen. Hanna hat Halt in Gott gefunden. Nun kündigt sie den Fall der Großen und die Aufrichtung der Niedrigen an. Sie singt: „Der Herr tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf“. Diese Worte machen das Lied der Hanna zu einem Osterlied. Das Alte Testament weiß darum, dass Gottes Macht nicht an der Grenze des Todes endet. Dieses Wissen wird durch Zeichen und Wunder bekräftigt. Henoch und Elia müssen nicht sterben; sie werden von Gott in seine himmlische Welt aufgenommen. Von der Totenauferweckung sprechen nicht nur die Psalmen und die Verheißungen der Propheten. Es wird auch erzählt, wie die Männer Gottes, Elia und Elisa, Tote zum Leben erweckt haben. Und doch weiß das Neue Testament mehr. Die Auferweckung Jesu von den Toten vor den Toren Jerusalems am 3. Tage nach seinem Kreuzestod ist der geschichtliche Erweis dafür, dass Gott in das Totenreich führt und wieder herauf. Jesus ist zu dem Erstgeborenen einer neuen Schöpfung geworden. Sünde, Tod und Teufel wurden besiegt. Was Hanna erlebte, war nur ein kleiner Abglanz des Wunders, das wir an Ostern feiern. Aber schon Hanna preist den allein wahren Gott: „Es ist niemand heilig wie der Herr, außer dir ist keiner“. Von ihm kommt unser Leben her, und auf ihn gehen wir zu. Er hält uns fest und lässt uns über Wunder staunen. Hanna stellt mit ihrem Lied die Geburt Samuels in den Zusammenhang des umfassenden Heilshandelns Gottes. Samuel ist zu einer der ganz großen Gestalten des Volkes Gottes geworden. Am Anfang seines Weges steht Hanna, die ihr ganzes Vertrauen