Starke Frau(en)
Hunger nach Leben und Veränderung – Einladung zum österlichen Jubel
Predigttext: 1. Samuel 2,1-2.6-8a (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Und Hanna betete und sprach:
Mein Herz ist fröhlich in dem HERRN,
mein Haupt ist erhöht in dem HERRN.
Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde,
denn ich freue mich deines Heils.
2 Es ist niemand heilig wie der HERR, außer dir ist keiner,
und ist kein Fels, wie unser Gott ist.
6 Der HERR tötet und macht lebendig,
führt hinab zu den Toten und wieder herauf.
7 Der HERR macht arm und macht reich;
er erniedrigt und erhöht.
8 Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub
und erhöht den Armen aus der Asche,
dass er ihn setze unter die Fürsten
und den Thron der Ehre erben lasse.
Exegetische (I.) und homiletische (II.) Anmerkungen
I. Der Predigtabschnitt für den Ostersonntag ist Teil der Samuelbücher, die eine stark sozialkritische Komponente haben: Einfache Menschen bekommen herausragende Aufträge, Kleine besiegen Große, Mächtige und Herrschende werden nicht von Kritik verschont. So wird ausgerechnet David, der Hütejunge aus Bethlehem und jüngste in der Riege seiner Brüder, vom Propheten Samuel zum König gesalbt. Der schmächtige David siegt gegen den Riesen Goliath. Nathan hält dem mächtigen König eine Strafpredigt. Diese Kritik an den Herrschenden und ihren Besitzansprüchen zeigt sich als Tendenz auch in und im Umfeld unserer Predigtperikope, wo in antithetischen Begriffspaaren eine Umkehrung der faktischen Verhältnisse als Gottes Wille und Tat vor Augen gestellt wird (V. 6-8)
Auch Hanna gehört als kinderlose Frau im damaligen Israel zu den Dürftigen, Niedrigen und Geringgeachteten, noch dazu gedemütigt von der kinderreichen Zweitfrau ihres Mannes Elkana. Dieses Schicksal anfänglicher Unfruchtbarkeit teilt sie mit anderen biblischen Frauengestalten, mit der Stammmutter Sara und später Elisabeth. Aber an dieser gedemütigten und doch so starken und selbständigen Frau tut Gott, was sie in ihrem Loblied besingt: Ihr Lebensschickal wendet sich, und sie wird die Mutter eines der wichtigsten Figuren in der frühen israelitischen Geschichte, des Propheten Samuel. Als betende Frau wird uns Hanna vorgestellt (in 1 Sam 2,1 betet sie zum fünften Mal nach 1,10.12.26.27). Fest ist ihr Vertrauen auf Gott, der sie nicht enttäuscht. Gott erweist Hanna durch die Geburt ihres Kindes seine Treue, und Hanna bleibt umgekehrt Gott treu, indem sie ihr Gelübde erfüllt und ihren Sohn in den Tempeldienst am Heiligtum in Silo gibt. Es ist erstaunlicher Weise hier, in diesem Abschiedsmoment, nicht schon nach der Geburt, wo sie ihr Loblied vor Gott bringt. Freudig empfangen und in Dankbarkeit wieder loslassen können gehört für Hanna zusammen.
II. Homiletisch dient der Lobgesang der Hanna aus dem Ersten Testament als Osterperikope. Der in der vorliegenden Predigt gewählte Anknüpfungspunkt an die Osterthematik des Feiertags ist die Deutung der Lebenserfahrung der Hanna, dieser starken Frau, die aber auch Zeiten großer Schwäche und Ohnmacht durchlitten hat, als Auferstehungserfahrung mitten im Leben. Ihr Lebensschicksal wendet sich. Wie später Maria, die Mutter Jesu, erfährt sie, dass Gott große Dinge an ihr tut. Textlich ist das Magnifikat, der Lobgesang der Maria im Neuen Testament (Lk 1,46-55), angelehnt an den Lobgesang der Hanna mit seinem überschwänglichen Gotteslob. Hannas Freude im Herrn ist österlicher Jubel, echte Auferstehungs- und damit Osterfreude, wie sie auch die Frauen am Grab Jesu am Ostermorgen auf den Lippen haben und wie die am Gottesdienst Teilnehmenden sie im Ostergruß einander weitergeben können. Die beiden Testamente verbinden sich mit dem Lobgesang der Hanna, die mit ihren älteren und jüngeren „Schwestern im Geist“ zu den herausragenden Frauengestalten in der Bibel gehört. Unser Osterjubel verbindet sich mit dem Lobgesang der Hanna, die auf Gott vertraut hat und der er seine Treue erwiesen hat.
Literatur
Käsmann, Margot, Mütter der Bibel. 20 Portraits für unsere Zeit, Freiburg i. B. 2010. - Volkmann, Michael, Ostersonntag: 1 Sam 2,1-2.6-8a, Predigtmeditationen im jüdisch-christlichen Kontext. Zur Perikopenreihe IV, hg. von Studium in Israel e.V., Wernsbach 2011, S. 163-166.
Lieder
“Frühmorgens, da die Sonn aufgeht” (EG 111)
„Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen“ (EG 272)
“Wir wollen fröhlich singen Gott, unserem lieben Herrn” (EG 167)
“Magnificat“ (EG 622, RT Pfalz, Kanon zu Lk 1,46)
Starke und zugleich sensible Frauen, bei denen Sanftmut und Hartnäckigkeit sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern ergänzen. Frauen, die sich mit der ganzen Härte des Lebens konfrontiert sehen, die sich aber nicht verhärten lassen, sondern Wärme ausstrahlen und sich ihre Empfindsamkeit bewahren. Die Frauen um Jesus, die in der Frühe am Ostermorgen zum Gartengrab gehen, um ihren toten Herrn zu salben, sind solche Frauen. Sie haben den Mut, sich Jesu Grab zu nähern, während sich die Jünger ängstlich in die Häuser der Mitglieder der Urgemeinde in Jerusalem zurückgezogen haben, aus Furcht vor dem langen Arm der römischen Besatzungsmacht. Auch Hanna ist eine solche starke und mutige Frau und zugleich eine liebevolle Mutter und Ehefrau. Was erzählt uns die Bibel über sie? Hanna ist eine der Frauen, die – wie Sara im Alten Testament und Elisabeth im Neuen – mit dem Schicksal der Kinderlosigkeit zu kämpfen hat. Sie wäre so gerne Mutter geworden. Aber sie wird nicht schwanger. An ihrem Mann kann es nicht liegen, denn mit seiner Zweitfrau, Peninna, kann er sehr wohl Kinder zeugen.
Hanna ist verzweifelt. Selbst die liebevolle Zuwendung ihres Mannes tröstet sie nicht. Es ist rührend zu sehen, wie Elkana sich um seine Frau Hanna bemüht, mit ihr fühlt und sich nicht von ihr abwendet, auch wenn sie keine Kinder bekommt. Aber Hanna muss es erdulden, dass Pennina sie demütigt, gegen sie auftrumpft und ihr das Gefühl der Zurücksetzung vermittelt. Hanna leidet – an sich, an ihrem Körper. Es wirkt fast als wollte sie ihren Körper bestrafen dafür, dass er seinen Dienst zur Mutterschaft versagt, indem sie nicht mehr isst. Wo soll sie mit ihrem Schmerz hin? Wodurch kann ihre verletzte Seele Trost und Stärkung finden? Hanna geht in den Tempel und bittet dort Gott inständig um ein Kind. Dieses Kind, so verspricht sie, will sie nicht wie einen Besitz für sich behalten, sondern sie will es Gott wieder zurückgeben. Zum Tempeldienst soll ihr Sohn bestimmt sein, wenn er alt genug ist. Er soll Gott priesterlich dienen, so ihr Gelübde. Hanna wird es danach leichter ums Herz, sie kümmert sich wieder mehr um sich selbst, isst wieder, und ihre Lebensenergie kommt zurück. Dann geschieht das Wunderbare: Hanna wird schwanger und bekommt einen Sohn. Ihre Traurigkeit und Verzweiflung ist einem unglaublichen Glücksgefühl gewichen. Ihre Freude ist übergroß, ihr ganzes Leben nimmt eine glückliche Wendung durch diese Geburt. Die Erniedrigung und tief empfundene Zurücksetzung und Demütigung durch Pennina haben ein Ende. Hanna kann den Kopf wieder heben, aufrecht gehen. Sie kann ihr Lebenstrauma bewältigen, ihr Lebenstraum geht in Erfüllung.
In all ihrer Freude vergisst Hanna nicht, wem sie dieses Glück zu verdanken hat: Gott, der ihr inbrünstiges Gebet erhört hat. Darum nannte sie ihren Sohn “Samuel”, ein Name mit sprechender Botschaft. Als ihr Sohn etwa vier Jahre alt ist, bringt sie ihn, wie versprochen, nach Silo, zum Tempel, zum Priester Eli und seiner Familie. Gott hat sich treu gegenüber Hanna gezeigt, und Hanna zeigt sich treu gegenüber Gott. Sie erfüllt ihr Gelübde. Sie hat die Weite von Gottes Barmherzigkeit erfahren. Sie ist bereit, ihren Sohn nicht krampfhaft für sich zu behaltenen. Sie gibt ihn frei, um ihn den Weg als Priester am Tempel in Silo gehen zu lassen. Später wird Samuel als Prophet einer der schärfsten Kritiker der Könige Saul und David und wird eine wichtige Rolle in der Geschichte Israels spielen. Hanna schenkt ihrem kleinen Sohn in seinen ersten Lebensjahren, in der Stillzeit, so viel Liebe und Fürsorge, wie sie eine Mutter nur geben kann. Empfangen und wieder freigeben – uns Menschen fällt das schwer. Wir wollen festhalten und für uns behalten, was wir geschenkt bekommen. Hanna dagegen geht selbständig, ohne ihren Mann, mit Samuel nach Silo, um ihn in den Tempeldienst zu geben. Eine starke Frau. Wieder betet sie dort, inbrünstig wie beim ersten Mal. Damals war es ein Bittgebet, jetzt ist es ein Dankgebet: das Loblied der Hanna – unser Predigttext.
Lebendiges, überschwängliches Gotteslob ist es, das aus ihrem Herzen quillt. In ihrem Gebet bringt sie ihren Dank für Gottes Hilfe und ihre Freude zum Ausdruck, auch ihre Erleichterung über die Überwindung der Erniedrigung und Demütigung. Überschäumend ist ihre Freude: „Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn. Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils”. Sie preist Gottes Heiligkeit, seine Einzigkeit, seine Stärke und Verlässlichkeit. Gott hat ihr Vertrauen nicht enttäuscht. Sie mahnt eindringlich zur Ehrfurcht gegenüber Gott. Es sind ihre persönlichen Lebenserfahrungen, es ist ihre innerste Überzeugung und Gewissheit, die sie in Worte fasst. Was sie selbst erfahren hat, will sie mitteilen, dankbar vor Gott bringen, es drängt aus ihr heraus. Hanna ist zutiefst davon überzeugt: Gott steht auf der Seite der Gedemütigten, der Schwachen und Benachteiligten, die mit einem großen Lebensproblem zu kämpfen haben und sehnsuchtsvoll nach Veränderung hungern.
Wir fragen uns oft, auf wessen Seite Gott steht, wenn wir die Welt in ihrem Ist-Zustand ansehen. Da scheint die Ungerechtigkeit über die Gerechtigkeit zu siegen und die Schlechtigkeit und Bosheit über das Gute und die Wahrheit zu triumphieren. Das ist die Welt, wie sie ist, aber das ist nicht die Welt, wie Gott sie will und gedacht hat. Es ist das, was die Menschen aus ihr gemacht haben. Hanna hat in ihrer eigenen Biographie erfahren dürfen, auf welcher Seite Gott steht. Ihr Gebet gibt seither vielen Menschen in ähnlicher Situation neue Hoffnung. In eindrücklichen Gegensatzpaaren bringt sie es auf den Punkt: „Der Herr tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder herauf. Der Herr macht arm und macht reich, er erniedrigt und erhöht. Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche…“
Vielleicht haben wir uns gewundert, warum uns an Ostern ein Predigttext aus dem Alten Testament zur Auslegung aufgegeben ist und kein neutestamentlicher Ostertext. Der Schlüssel liegt wohl in dieser Auferstehungserfahrung, die in dem wunderbaren Danklied der Hanna enthalten ist. Es ist ein Freudenlied über das neue Leben, den Sieg des Lebens über die Mächte der Finsternis und des Todes. Ein Lied, das auch die Frauen am Grab von Jesus hätten singen können, als sie erkannten, dass Jesus nicht im Tod geblieben ist, sondern durch Gottes schöpferische, neu schaffende, Kraft, in das neue, das ewige Leben ging. Gottes Kraft ist stärker als die scheinbar so unverrückbaren Gegebenheiten in der Welt. Hannas wunderbares Danklied ist so etwas wie vorweggenommener österlicher Jubel. Heute an dem Tag, an dem wir die Auferstehung Jesu Christi miteinander feiern, dürfen wir mit Hanna einstimmen in ihr Loblied auf den Gott, der hilft, rettet und heilt.