Unsichtbare Schätze

Gott suchen und den Glauben pflegen

Predigttext: 2. Korinther 4,16-18
Kirche / Ort: Ev. Kirchengemeinden Pfeddersheim, Monsheim, Kriegsheim, Hohen-Sülzen / 67549 Worms
Datum: 29.04.2012
Kirchenjahr: Jubilate (3. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrerin Dorothea Zager

Predigttext: 2. Korinther 4,16-18 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

16 Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.
17 Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit,
18 uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

Einführung zum Predigttext

Der 2. Korintherbrief des Apostels Paulus war in diesem Kirchenjahr bereits schon ein Mal Thema einer Predigt: Am Sonntag Invokavit, zu Beginn der Passionszeit, stand 2. Korinther 6,1–10 im Zentrum der Gedanken. Auch hier ging es um die Erfahrung des Paulus, dass seine apostolischen Existenz eine Existenz voller körperlicher Leiden und seelischer Nöte ist.

Zunächst meint man, das passt gar nicht zu „Jubilate“, einem der fröhlichsten Sonntage in der nachösterlichen Freudenzeit. Deshalb sei auf den feinen aber deutlichen Unterschied hingewiesen, den eine Exegese der beiden Schriftstellen ergibt: Während an Invokavit der Schwerpunkt darauf lag, dass das Leiden des Paulus in seinem Dienst als Apostel in seinem Wesen dem Handeln Gottes im Kreuz Jesu Christi entspricht, also das Leben des Apostels echte Nachfolge ist bis hin in das Leiden hinein (6,3-10), so liegt an Jubilate der Schwerpunkt auf der nachösterlichen Verkündigung der Herrlichkeit: Irdische Leidensexistenz ist nicht nur Nachfolge des leidenden Christus, sondern Angeld auf die künftige Erlösung (4,7-5,10). Wer hier leidet, der wird dort erlöst. Irdisches Leiden wird sozusagen mit besonderer Herrlichkeit belohnt. Daher liegt dieser Text auf dem Sonntag Jubilate. Der andere dagegen auf Invokavit.

Eine Beziehung zu unserem aktuellen Leben und Glauben herzustellen – gerade im Hinblick auf diesen Belohnungsgedanken „irdisches Leiden verschafft uns himmlische Herrlichkeit“ – gestaltet sich allerdings recht schwierig. Ich persönlich bin deshalb froh, dass am kommenden Sonntag in meiner Gemeinde das Fest der „Diamantenen Konfirmation“ gefeiert wird. Der Kasus erleichtert mir den Zugang zum Text. Meine Predigt nimmt deshalb konkret auf die Lebenswirklichkeit der Menschen Bezug, die in den Jahren 1938/39 geboren wurden. Mit ein bisschen rhetorischem Geschick kann aber jeder Prediger bzw. jede Predigerin diesen konkreten Bezug aus der Predigt herausnehmen und die Gedanken für eine „normale“ Jubilate-Predigt verwenden.

Eine kleine Anregung zum Thema Trost im Leid, eine Geschichte, die mich berührt hat, in: Willi Hoffsümmer, Kurzgeschichten Bd. 3: 244 Kurzgeschichten für Gottesdienst, Schule und Gruppe, 13. Aufl., Ostfildern 2008, S. 44.

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Unser heutiger Predigttext stammt aus dem 2. Korintherbrief. Teile des 2. Korintherbriefs nennt man auch den „Tränenbrief“, weil er viel Leidenschaft, viel Traurigkeit und viele Tränen des großen Apostels enthält. Aus der Gemeinde, die ihm soviel zu verdanken hat, waren Gegner aufgetreten, die die Autorität des Apostels Paulus in Frage stellten. Sie verlangten einen starken, überzeugenden Apostel, mit geschliffener Sprache und selbstbewusstem Auftreten – und natürlich auch mit einer einwandfreien Vergangenheit. Das alles hatte Paulus nicht zu bieten. Er war klein von Wuchs, sehr oft krank, und in aller Öffentlichkeit auftreten, laut vor eine großen Menschenmenge sprechen, das mochte er auch nicht. Was seine Vergangenheit anbelangt, war auch so Einiges, was nicht in Ordnung war: Pharisäer war er und einer der leidenschaftlichsten Christenverfolger. Seine Gegner schlugen Kapital daraus und ruinierten seinen Ruf.

Paulus rechtfertigt sich nicht. Im Gegenteil, er sagt: Ihr habt Recht. Ich bin klein und oft krank, ich habe eine üble Vergangenheit, und ich kann nicht gut reden. Aber ich habe das Evangelium im meinem Herzen, und ich habe es Euch gebracht. Darum geht es doch. Wenn Ihr dieses Evangelium behaltet und daran festhaltet, könnt ihr mich verspotten und meinen Ruf ruinieren, so viel Ihr wollt. Dann macht Ihr mich zu einem echten Nachfolger Jesu: einen Nachfolger im Leiden. Hören wir auf die Worte vom leidenden Apostel. Damit Sie diese besser verstehen, lese ich sie in der Ich-Form, obwohl sie in der Wir-Form geschrieben sind: ‚Ich werde nicht müde und nicht matt. Auch wenn auch mein äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere Mensch von Tag zu Tag erneuert. Denn meine Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft mir eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit: Mir, der ich nicht auf das Sichtbare sehe, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig’.

Bewundernswert, dass Paulus nach allem, was er durchgemacht hat, nicht müde wird und nicht matt. Wir werden müde und matt. Selbstverständlich. Das ist doch ganz normal. Wer wie Sie, liebe Jubiläumskonfirmanden, in den Jahrgängen 1938/1939 geboren worden ist, hat Einiges hinter sich. Eine Kindheit im Krieg. Manche haben ihre Eltern verloren, ihre Geschwister, sind unter Angst und Schrecken groß geworden. Haben Bombennächte erlebt und Einquartierungen, haben Hunger gelitten und vielerlei Mangel. Eine Jugend in der Nachkriegszeit. Mit dem Wunsch, etwas zu erreichen, dem Traum, es jetzt besser zu machen als die Eltern: ein friedliches Land, eine blühende Wirtschaft, ein glückliches und friedliches Leben. Aufgebaut haben Sie: ihre Familie, ihr persönliches Glück, das zerstörte Deutschland, das Vertrauen, das verloren war. Viele von Ihnen haben es auch erreicht: das Glück, den Wohlstand, die Zufriedenheit. Dann kommt – das ist der Lauf des Lebens – irgendwann die Müdigkeit.

Schicksalsschläge bleiben nicht aus: Krankheit und Schmerz. Der Verlust des Ehepartners oder vielleicht sogar eines Kindes. Einsamkeit und ein Gefühl der Leere, wenn alle Kinder ihrer Wege gehen und der Partner nicht mehr da ist. Ganz konkret und ganz körperlich: Man kann nicht mehr so, wie es früher ging. Nicht mehr so viel, nicht mehr so schnell, nicht mehr so lange. Der Alltag wird mühsam. Es wird immer schwerer, wirklich rundherum glücklich zu sein. Paulus weiß darum. Alle anderen, die heute hier sind, können das bestätigen. Auch wer nicht der Kriegs- oder Nachkriegsgeneration angehört wie unsere Jubiläumskonfirmanden weiß: Die Lebenskraft, die Energie und die Schaffenskraft, nehmen mit der Zeit ab. Wir werden müde und matt. Das geht sogar den Konfirmanden so und den Schülern, die jetzt schon die Wochen zählen, wann es endlich Zeugnisse gibt und Sommerferien. Irgendwann reicht es, da kann man einfach nicht mehr.

Paulus gibt das zu. Der äußere Mensch verfällt. Wir werden älter, spürbar, unsere Lebenskraft, unsere Gesundheit und unsere Energie lassen nach. Paulus hat das schon in jungen Jahren aushalten müssen, dass sein Körper krank war und ihm Mühe machte. Aber – und das ist seine Botschaft an alle, die mit der Müdigkeit kämpfen: Auch wenn unser äußerer Mensch müde wird und älter und matt – der innere Mensch wird jeden Tag wieder neu. Mehr noch: Er wird immer neuer und immer kräftiger und eigentlich immer jünger im Hinblick auf das, was kommt. Was soll das heißen? Wo werden wir jünger? Wo werden wir stärker? Was macht uns stärker? Paulus sagt: Mit jedem Jahr, das Ihr älter werdet, wird Euch das Unsichtbare wichtiger als das Sichtbare. Stimmt das? Ja! Als Sie jung waren, hatten Sie Träume. Ein Eigenheim. Den ersten Käfer. Bretzel in perlweiß. Vielleicht mal eine Fahrt über den Großglockner nach Italien … Sichtbares erreichen. Sichtbares vorzeigen können.

Bei unseren Jugendlichen heute ist das kein Deut anders: Vorgestern war noch ein Nokia-Handy das Non-plus-ultra, der Stolz jedes Schülers. Gestern war es der IPod, heute musst Du schon ein Tablet-PC mit in die Schule bringen. Sonst macht keiner große Augen mehr. Das Sichtbare ist wichtig. „Du bist, was Du hast.“ Wir kennen das, und die Werbung weiß genau, dass sie uns an diesem Punkt immer wieder kriegt. „Kleider machen Leute.“ „Heller als jeder Stern auf allen Straßen.“ „Schrei vor Glück“. Das geht nur, wenn man hat. Sichtbar hat. Am besten so, dass andere neidisch werden. Mit jedem Jahr, das wir älter werden, ändert sich das aber. 1968, dreißig Jahre nach Ihrer Geburt, liebe Jubiläumskonfirmanden, hat Udo Jürgens dieses Gefühl schon in Worte gepackt:

Wenn du mitunter traurig bist,
es mag sein vielleicht,
weil das Geld nie reicht,
dann sag’ dir, daß da manches ist,
was der reichste Mann
sich nicht kaufen kann.
Es gibt: Sehnsucht! Träume!
Nachts das Rauschen der Bäume!
Es gibt: Treue! Freunde!
Jemand, der zu dir hält!
Was wirklich zählt auf dieser Welt,
bekommst du nicht für Geld!

Am liebsten würde ich Ihnen den ganzen Songtext verlesen, denn darin steckt soviel Wahrheit: Je älter wir werden, merken wir, dass Anderes, Unsichtbares!, so viel wichtiger ist: Freundschaft und Liebe, Frieden und Harmonie in der Familie, Optimismus und Zuversicht, Glaube und letztlich: Hoffnung über den Tod hinaus … die Reihe der unsichtbaren Schätze könnten wir unendlich fort führen. Freundschaft und Liebe, Frieden und Harmonie, Zuversicht und Glaubensstärke können wir uns aber nicht kaufen. Sie müssen von innen heraus kommen. Oder besser gesagt: uns geschenkt werden. Denn machen können wir sie nicht. Ob wir innerlich reich sind, und ob wir andere innerlich reich machen können, das ist ein Geschenk unseres Gottes. Es wird uns geschenkt genau wie das Leben, die das Glück, zu lieben und geliebt zu werden, genauso wie die Wärme der Sonne, das erfrischende Rauschen des Regens, wie der Wechsel von Sommer und Winter, von Tag und von Nacht.

Nichts von dem, was wirklich wichtig ist, können wir uns erkaufen oder durch Leistung erwerben. Es ist und es bleibt ein Geschenk unseres Gottes. Darum ist es so unglaublich wichtig, liebe Jubiläumskonfirmanden, dass Sie je länger je mehr unseren Gott suchen und Ihren Glauben pflegen. Nichts von dem, was wir hier in diesem Leben an Sichtbarem und Messbarem erschaffen und geleistet haben, bleibt uns, wenn wir gehen. Der Reichtum unseres Herzens aber, die Liebe unseres Gottes und das Vertrauen in ihn, das bleibt. Das trägt uns in eine Welt, die jetzt noch unsichtbar ist, die wir dann aber als Herrlichkeit für immer sehen dürfen: die Herrlichkeit Gottes.

Unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden sagen an den beiden kommenden Sonntagen „Ja“ dazu, dass sie in diesem irdischen, sichtbaren Leben um die unsichtbaren Werte kämpfen möchten, nämlich Glaube, Hoffnung und Liebe. Ich denke manchmal, sie wissen noch gar nicht wirklich, zu welch wunderbarem Reichtum sie da ja sagen werden, aber sie werden es erkennen im Laufe ihre Lebens. Da bin ich mir ganz sicher. So wie auch Sie es erkannt haben und darum heute hier sind: „Ich werde nicht müde und nicht matt. Auch wenn auch mein äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere Mensch von Tag zu Tag erneuert. Ich sehe nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig“.

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Ein Kommentar zu “Unsichtbare Schätze

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Nahe am Text und nahe bei den alten und jungen Konfirmanden ermutigt diese Predigt sehr einfühlsam den Hörenden. Pfarrerin Zager bringt zuerst allen die Botschaft des Paulus nahe, der trotz körperlich nachlassender Kraft immer mehr erneuert wird durch das göttlich Unsichtbare. Sehr einfühlsam spricht sie zuerst die 1939 geborenen Jubiläumskomfirmanden an und schildert plastisch, was sie schon erlebt haben und wie das Alter ihnen Mühe macht. Mit den Worten des Paulus werden sie getröstet, dass das göttlich Unsichtbare immer mehr Bedeutung gewinnt in ihrem Leben. Nichts Wesentliches können wir kaufen. Das gilt ebenso für die jungen Konfirmanden. Wirklich wichtig ist das Unsichbare: “Freundschaft und Liebe, Frieden und Harmonie in
    der Familie, Optimismus Zuversicht, Glaube und letztlich: Hoffnung über den Tod hinaus … die Reihe der unsichtbaren Schätze könnten wir
    unendlich fortführen”. Wir können sie uns alle nicht kaufen (vgl. den Spruch: “Nicht was Du gewonnen hast, zählt am Ende, sondern wen Du gewonnen hast”). Sehr gut passt zur Predigt das Lied von Udo Jürgens. Von dieser intensiven und tiefsinnigen Predigt muss man einfach frohgemut angerührt werden.

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