Geist der Welt und Heiliger Geist
Pfingsten – Gottes Geist lebt und wirkt mitten in unserer Welt
Predigttext: 1. Korinther 2,12-16 (Übersezung nach Martin Luther, Revision 1984)
12 Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott,
daß wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist.
13 Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. 14 Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es muß geistlich beurteilt werden.
15 Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt.
16 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen« ? Wir aber haben Christi Sinn.
„Geist ist geil“
„Geist ist geil!“ Ich muss schmunzeln, als ich den in gepflegter Schreibschrift gedruckten Satz auf der Kaffeetasse einer meiner Studentinnen entdecke. „Solche Tassen bekommt man bei Unicum ( https://shop.unicum.de/index.php/kaffeebecher-geist-ist-geil-197.html ),“ antwortet sie auf meine Anfrage mit einem Lachen. Mir gefällt der Spruch. Auf clevere Art und Weise wird die „Geiz ist geil“-Werbung eines bekannten Mediakonzerns aufgegriffen und karikiert. „Geist ist geil“ heißt nichts anderes als: Schlaue Köpfe sind nicht uncool; Clever-sein hat nichts mit Stubenhockern und Strebern zu tun, sondern liegt voll im Trend. Damit nicht genug: Denken macht sexy! Es gibt sogar einen erotischen Studentenkalender mit dem Titel „Geist ist geil!“ Der in die Jahre gekommene Langzeitstudent im Schmuddellook oder der mausgrau-blasse, vergeistigte Intellektuelle gehören der Vergangenheit an. Die neuen Talkshow- und Bestsellerphilosophen sehen gut aus, geben sich cool, tragen moderne Brillen und wirken so, als würden sie gerne Latte Macchiato in angesagten Cafes trinken. Man kann es nicht leugnen: Mit dem Weltgeist von heute lässt sich durchaus flirten.
Lust am Denken ist in! Alle reden von Bildungsoffensive, und Gehirnjogging verspricht geistige Fitness auch im hohen Alter. Das Geschäft mit dem Geist boomt. Neue Philosophiemagazine wie „Hoheluft“ oder „Philosophie Magazine“ erobern den Zeitschriftenmarkt und begeistern als „Bravo für Intellektuelle“ nicht wenige Menschen. Man gibt sich gern geistreich in Talkshows und Internetbloggs. Da gibt es große Geister und kleine Geister, die sich mitunter für die allergrößten halten. „Geist ist geil“; Schlausein ist in Mode, Denken ist chic und Wissen ist Macht. Der neue Zeitgeist zeigt seine Wirkung: So manche Ausbildung wird zum Studium umdeklariert und für einfache Dinge gibt es neue komplizierte Worte. Es kommt eben darauf an, dass man kapiert, wie alles funktioniert und wie man aus eigener Geisteskraft sein Leben managet – und dabei auch noch schlau und sexy aussieht. Doch vieles an dem neuen Geistboom erinnert an eine Moderscheinung und kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade besonders geistreiche Inszenierungen oft nur Leere und Geistlosigkeit zu kaschieren versuchen. Nicht hinter jeder Zeitung steckt ein kluger Kopf. So mancher Geistesblitz verpufft allzu leicht und zurück bleibt das Dämmerlicht des Halbwissens.
Gottes Geist ist anders
Vielleicht hatte Paulus so ähnliche Menschen vor Augen, als er seinen Brief an die Gemeinde von Korinth schrieb. In Korinth gab es eine Gruppe von Menschen, die hätten auch sagen können: „Geist ist geil!“ Auf die Weisheit kommt es an; damit kommt man nicht nur gut durchs Leben, sondern damit durchschaut man auch den Himmel und was die Welt im Innersten zusammenhält. Da hat es Paulus schwer mit seiner Predigt vom Kreuz, denn die steht quer zur Logik der Welt und ist mit menschlicher Weisheit nicht zu fassen (1 Kor 1,18.21): Das Schwache soll stark und die geistlich Armen sollen selig sein? Paulus predigt eine Weisheit, die mit der Weisheit der Welt kaum vereinbar scheint (1 Kor 2,6f).
(Lesung des Predigttextes)
Muss ich mich also entscheiden zwischen dem „Geist der Welt“ und dem „Heiligen Geist“? Stellt mich Paulus wirklich vor die Alternative: denken oder beten? Schlau sein oder fromm sein? Muss ich wählen – um mit den Worten des altkirchlichen Theologen Tertullian zu fragen – zwischen „Athen oder Jerusalem? (de praesc. 7; apol. 46)“, d. h. zwischen menschlicher Weisheit und göttlicher Offenbarung? „Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist Gottes, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist.“ (1 Kor 2,12) Muss ich mich nun entscheiden, wes Geistes Kind ich bin? Das fiele mir schwer, denn ich habe Lust am Denken. Zwischen dem Geist der Welt und dem Geist Gottes wählen zu müssen, wäre auch falsch – Religion, die menschliche Vernunft verachtet oder sogar auf die Seite des Bösen stellt, ist unmenschlich und gefährlich – , und so hat es Paulus nicht gemeint. Denn obwohl Paulus mitunter einen Hang zum Understatement im Hinblick auf seine eigenen Fähigkeiten hatte (1 Kor 2,3f), war er wahrlich kein Kleingeist, sondern ein großer Denker.
Paulus lebte mitten in der Welt und bediente sich wie kaum ein anderer seines Verstandes, um das Evangelium zu verbreiten. Wenn er nun in seinen Worten an die Korinther den Geist Gottes dem Geist der Welt gegenüberstellt, so tut er das, weil er einen Konflikt vor Augen hat: Er muss Gottes Geist stark machen gegen die Absolutsetzung menschlicher Weisheit, die den Geist letztlich zum Götzen macht. Denn das versuchen einige in Korinth. Die sagen nicht nur „Geist ist geil“, sondern „Geist ist alles!“. Aber ums Schlausein geht es nicht beim Glauben. Mein Gott ist keine höchste Idee, der ich mich denkend annähern kann, sondern mein Gott ist mein Erlöser – der „Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs – nicht der Philosophen und Gelehrten“, wie es Blaise Pascal einmal treffend formulierte. Auch Pascal war kein Verächter des Verstandes, sondern ein großer Denker. Genau darum weiß er: Gottes Geist ist anders als der Geist der Welt.
Gottes Geist macht heil
Pfingsten feiern wir die Ausgießung des Heiligen Geistes. Gottes Geist lebt und wirkt mitten in unserer Welt. Die Pfingstgeschichte erzählt davon, wie jeder jeden verstanden hat, unabhängig davon, in welcher Sprache gesprochen wurde (Apg 2,1-12). Gottes Geist stiftet Gemeinschaft (Phil 2,1) und ein Zusammenleben in „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit“ – das sind nämlich nach Paulus die Früchte des Geistes (Gal 5,22). Von dem Zusammenleben der christlichen Gemeinde malt die Apostelgeschichte ein wunderbares Bild: „Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und da in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott (…).“ (Apg 2,45-47)
Was für eine Welt, die ganz anders als unsere ist! Die Menschen sind zwar verschieden, aber gleich an Wert und Würde; jeder ist anders, aber keiner besser oder schlechter, oder wie Paulus es formuliert: „In einem jeden offenbart sich der Geist Gottes zum Nutzen aller…“ (1 Kor 12,7) – und nicht nur in den Schlauen, Starken und Schönen! Und noch mehr lesen wir über den Heiligen Geist: Der Heilige Geist gibt Mut zum Leben und zu freimütiger Rede – auch in schwierigen Situationen, wie etwa bei Petrus als er sich vor dem hohen Rat verantworten musste (Apg 4,8.31). Wo der heilige Geist ist, da ist Freiheit (2 Kor 3,17) und ein Leben ohne Angst: Denn Gottes Geist heilt (Apg 9,17), macht lebendig (Joh 6,63; 2 Kor 3,6), tröstet (Joh 14,26; 16,8) und steht einem bei (Phil 1,19). Er treibt die bösen Geister aus (Mt 12,28), weckt Glauben (Apg 19,2) und macht uns zu Kindern Gottes (Gal 4,6f).
Was der Heilige Geist hinterlässt, ist nicht höhere Erkenntnis, sondern heiles Leben und einen Vorgeschmack darauf, wie es ein wird, wenn Gottes Reich zur Vollendung kommt. Gott hat uns seinen Geist schon jetzt als Unterpfand in unsere Herzen gegeben (2 Kor 1,22; 5,5); schon jetzt verrückt Gottes Geist Maßstäbe, reißt Grenzen nieder und ermöglicht heiles Leben. Wenn ich erklären wollte, wie das genau funktioniert, wäre ich bald mit meinem Latein am Ende. Mit dem Verstand kann ich Gottes Geist weder begreifen noch beweisen. Aber mit den Augen des Herzens kann ich seine Spuren in der Welt entdecken.
Sven weiß es
Ich gehe in Gedanken auf Spurensuche: Die Konfirmanden sitzen im Kreis auf dem Boden, es ist dunkel. Am letzten Abend unserer Freizeit feiern wir Gottesdienst. In der Mitte steht ein Meer von bunten Kerzen, die die Konfirmanden am Vormittag selbst gebastelt haben. Leise Gitarrenklänge sind zu hören, langsam kommen alle zur Ruhe. Unser Diakon stimmt das erste Lied an. Alle schlagen ihre Liederbücher auf – bis auf Sven. Sven ist anders. Er ist weder schlau noch sexy. Er geht auf eine andere Schule als die anderen und kann nur schwer lesen. Sven hat kaum Freunde. Oft versteht er nicht, was um ihn herum passiert. So wie jetzt. Er blättert in seinem Liederbuch, hebt den Kopf, schaut hin und her, senkt den Kopf wieder und blättert weiter – suchend und ratlos – während die anderen leise vor sich hinmurmeln oder stumm die Lippen bewegen. Lautes Singen wäre peinlich.
Plötzlich steht einer auf, geht langsam zu Sven, setzt sich neben ihn, schlägt ihm die richtige Seite auf und hält seinen Finger auf das Lied, das wir gerade singen. Sven legt seinen Finger daneben und lacht. Den Text kann er zwar immer noch nicht lesen, doch er fängt an, die Melodie zu summen, erst leise, dann immer lauter. Laut summen ist Sven nicht peinlich, denn Sven ist nie etwas peinlich. Sven summt laut, und plötzlich beginnen alle lauter zu singen. Erst sind es nur wenige, erst klingt das Singen zaghaft und tastend, doch dann machen alle mit. Wir alle singen laut, aus ganzem Herzen, mit Leib und Seele und lachenden Augen, geist- befeit. Nach der letzten Strophe gibt es einen Spontanapplaus. Sven lacht und alle lachen mit. Ich bin mir sicher, dieser Moment gräbt sich ins Gedächtnis ein, hinterlässt Spuren und nährt die Sehnsucht, dass ein anderes Leben möglich ist: Da zählt weder schlau noch sexy. Da ist nichts peinlich, und da ist man nie allein. Da sind wir wie die Kinder – glücklich, heil und frei. „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1 Kor 3,16) Sven weiß es, und ist in diesem Moment klüger als alle Philosophen dieser Welt.
Eine selten geistreiche und dadurch begeisternde Predigt zum Pfingstfest von Pfarrerin Dr. Martina Janßen! Zu Beginn greift sie den modernen Spruch auf: “Geist ist geil”. Andererseits “erinnert der neue Geistboom an eine Modererscheinung”. Paulus im Predigttext – als einer der größten Denker – wehrt sich dagegen, dass der Geist des Menschen der oberste Gott sein soll. Gottes Geist ist anders als der Geist der Welt. Der Heilige Geist “hinterlässt nicht höhere Erkenntnis, sondern heiles Leben und einen Vorgeschmack darauf, wie es sein wird, wenn Gottes Reich zur Vollendung kommt”.
Ich finde diese Predigt ausgesprochen “geistreich”. Sehr schöne Beispiele, anregend, was die Person des Paulus betrifft und immer im Blickfeld die Frage, was denn dieser Geist Gottes bewirkt. Vielen Dank dafür!