Tauferinnerung
Aus dem Brunnen des Lebens schöpfen
Predigttext: Apostelgeschichte 8,26-40 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
26 Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. 27 Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, welcher ihren ganzen Schatz verwaltete, der war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. 28 Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. 29 Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! 30 Da lief Philippus hin und hörte, daß er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? 31 Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. 32 Der Inhalt aber der Schrift, die er las, war dieser: »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. 33 In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.« 34 Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem? 35 Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. 36 Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, daß ich mich taufen lasse? 37 38 Und er ließ den Wagen halten, und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. 39 Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus, und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich. 40 Philippus aber fand sich in Aschdod wieder und zog umher und predigte in allen Städten das Evangelium, bis er nach Cäsarea kam.
Homiletische Vorüberlegung
Die Predigt verknüpft die Geschichten des „Kämmerers“ und des Philippus. Sie bedient sich dabei der – fiktiven – Pressekonferenzen. Dazwischen steht ein Stück „Ich bin getauft“ mit zwei Beispielen und einer überlegten Stille. In diesem Teil ist auch ein Ortswechsel vorgesehen: Die Gemeinde versammelt sich um das Taufbecken und jede/r teilt mit seiner Nachbarin, seinem Nachbarn das Kreuzzeichen, gezeichnet mit Wasser auf die offene Handfläche. Hier kann dann auch das Glaubensbekenntnis seinen Platz haben. Die Predigt thematisiert auch, verhalten, was mit dieser Geschichte in Gang kommt: dass Heiden getauft werden. Das Spannungsverhältnis (Juden – Judenchristen – Heidenchristen), dass auch im zweiten Teil des lukanischen Doppelwerkes sichtbar gemacht wird, kann in der Predigt aber nur angedeutet werden. Den Versuch, auch die aktuelle Diskussion über „Beschneidung“ einzubeziehen, habe ich zurückgestellt, in den Fürbitten sollte dieses Anliegen aber auf keinen Fall fehlen. Der 6. Sonntag nach Trinitatis ist der Taufe gewidmet. Darauf möchte ich mich auch in dem Predigtentwurf konzentrieren. Lied nach der Predigt: „Ich bin getauft auf deinen Namen“ (EG 200).
Pressekonferenz 1 – Wir sind im Pressesaal des Finanzministeriums der Königin von Äthiopien. Die Reihen sind gut gefüllt. Dann kommt er, der Herr Minister. Eine leichte Verbeugung nach rechts und links, ein feines Lächeln huscht über die Lippen. Der Pressesprecher – eine dicke Mappe in der Hand – setzt sich zu ihm. Routine. Wie immer. In diesem Raum. Dann die erlösende Einladung: Fragen Sie, meine Damen und Herren! Ich will ihnen Rede und Antwort stehen! Der Korrespondent der „Äthiopischen Nachrichten“ steht auf. Herr Minister! Sie waren in Jerusalem. Haben Sie mit dem römischen Statthalter über eine gemeinsame Finanzpolitik sprechen können? Seit geraumer Zeit geht das Gerücht um, Äthiopien wolle sich stärker an Rom anlehnen. Der Finanzminister räuspert sich nur kurz. Dann sagt er: … – Aber hier klinken wir uns aus. Ich muss auch gestehen, nicht wirklich zu wissen oder auch nur wissen zu wollen, was die Öffentlichkeit in Äthiopien bewegt. Interessiert Sie das? Eine Pressekonferenz in Brüssel ist spannender. Neugierig horche ich dann aber auf, als Herr Finanzminister – mehr oder weniger unverhofft – mit einer persönlichen Frage konfrontiert wird: Herr Finanzminister, wir haben gehört, dass Sie Christ geworden sind. Was hat sie dazu bewegt? Ein bedächtiges Schweigen liegt im Raum. Einige, die hier sitzen, finden, die Frage sei unpassend, gehöre hier nicht hin – sagen aber nichts. Andere schauen interessiert auf. Die diplomatischen Wort-Schwaden könnten sich jetzt – endlich – lichten. Der Herr Finanzminister einmal ganz privat. Wird er auf die Frage eingehen? Sie abweisen? Sich ihrer wortreich entledigen?
Aber dann erzählt er seine Geschichte. Er habe eine Wallfahrt nach Jerusalem gemacht. Als Äthiopier könne er zwar nicht im Vollsinn Jude sein, habe sich dieser Gemeinschaft aber angeschlossen. Nichts Neues, auch nichts Besonderes. Die jüdische Religion war offen und faszinierte viele Menschen. Auch in Äthiopien. Wer in der Geschichte bewandert war, wusste gar, dass die sagenhafte Königin von Saba den König Salomon besucht habe. Das war zwar lange her, aber die Verbindung war nicht abgerissen. Dann … dann habe ich, erzählt der Finanzminister in der Heiligen Schrift gelesen. Von dem Gottesknecht, der sein Leben hingibt. Der verstummt wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Ich verstand nicht. Ein Fremder hat mir diese Stelle erklärt und von Jesus erzählt, der für alle Menschen gestorben sei. Aus Liebe. Er war auch ein Jude. Von ihm wusste ich noch nichts. Bis zu diesem Tag. Nachdem ich seine Geschichte gehört hatte, wollte ich zu ihm gehören. Ich ließ mich im erst besten Gewässer taufen, das auf dem Wege lag. Ich habe mich dazu bekannt, dass er Gottes Sohn ist. Jetzt bin ich Christ. Für mich ist jetzt noch alles neu.
Ein Bekenntnis in einer Pressekonferenz? Wir wären wohl alle eher unangenehm berührt. Wie die Menschen das damals aufgenommen haben, weiß ich nicht. Verwundert? Entsetzt? Begeistert? Neugierig? Oder vielleicht auch nur teilnahmslos? Gelangweilt? Aber – vielleicht – war diese Episode ein Lichtblick, ein Höhepunkt in der Pressekonferenz. Ein Mensch ließ in sein Herz schauen – und dann auch noch der Herr Finanzminister. Sonst immer kühl, überlegt, souverän. Und unnahbar, mächtig, abgehoben. Ich bin getauft. Jetzt ist es heraus. Heute sind viele getauft. Längst nicht mehr alle. Aber immerhin: Viele. Wir könnten heute auch darüber klagen und lamentieren, wie die Taufe ihre Bedeutung auf weite Strecken verloren hat. Ein Brauch, eine Gewohnheit – mehr nicht. Wir könnten heute – es ist der 6. Sonntag nach Trinitatis und als solcher Tauferinnerung – von vielen Versuchen erzählen, die Taufe wieder bewusster zu feiern. Sie bewusster zu machen. Aber erzählen wir uns doch einfach Geschichten. Geschichten von Taufen.
Am letzten Sonntag ist eine Taufe ausgefallen. Es war alles vorbereitet, alles auch besprochen. Es war sogar ein wunderschönes Gespräch über den Taufspruch (Psalm 91,11f): „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest“. Als die Familie dann nicht kam, ergab ein Telefonat, dass die es der jungen Mutter gesundheitlich nicht gut ging. Jetzt haben wir die Taufe verschoben, aber im Gottesdienst haben wir Psalm 91 gebetet. Es ist ein Gebet – und umfasst, trägt und birgt Menschen, die gerade jetzt einen Engel brauchen. Flügel müssen nicht sein. -Ich denke an ein alt gewordenes Ehepaar. Die längste Zeit ihres Lebens haben sie in Kasachstan verbracht. Vor einigen Jahren kamen sie nach Deutschland und haben sich hier eine neue Existenz aufgebaut. Den Gottesdienst haben sie mitgefeiert. Eines Sonntags aber äußerten sie den Wunsch, getauft zu werden. Eine kleine Überraschung. Er 75, sie 72. Die Enkelkinder schenkten die Taufkerzen, natürlich selbst gemacht. Und Paten wurden sie auch. Wollten sie sein. Die beiden Täuflinge hatten sich Taufsprüche aus dem 118. Psalm ausgesucht „Der HERR ist meine Macht und mein Psalm und ist mein Heil“ und „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden“. In diesen Worten sahen die beiden ihr eigenes Leben wie in einem Spiegel. Es war dann auch ein sehr österlicher Gottesdienst. Psalm 118 ist der Psalm von Ostern und von Pfingsten.
In der Taufe feiern wir neues Leben, Auferstehung, Gottes Zukunft mit uns. Ich bin immer wieder fasziniert, wie biblische Worte Worte leihen. Ich kann dann das sagen, wofür ich selber keine Worte habe. Ein drittes, ein letztes Beispiel mag ich nicht erzählen. Es soll von Ihnen sein. Gönnen wir uns Minuten der Stille. Was bedeutet mir, getauft zu sein? Kenne ich meinen Taufspruch? Habe ich mit ihm schon Erfahrungen gemacht? Wie habe ich als Mutter oder Vater, Patin oder Pate Taufe erlebt? Wie erlebe ich die Taufe in einem Gottesdienst, wenn ich einfach nur da bin, höre, zuschaue? – (Stille) – Ich lade Sie ein, sich um das Taufbecken zu versammeln. Wir gießen Wasser in das Taufbecken. Jede/r von uns zeichnet mit Wasser seiner Nachbarin, seinem Nachbarn, ein Kreuzzeichen in die geöffnete Hand. Wir geben so das Kreuzzeichen weiter. Das Zeichen Christi. Das Taufbecken ist nach ältester Überlieferung Brunnen des Lebens. Hier empfangen wir das Leben. Das Leben, das Christus mit uns teilt. Hier, an dieser Stelle, lasst uns auch unseren Glauben bekennen (Glaubensbekenntnis, danach setzen sich wieder alle hin).
Pressekonferenz 2 – Während sich der Finanzminister einer Pressekonferenz in Äthiopien stellt, horchen wir noch kurz nach Jerusalem. Philippus, Jünger Jesu, Apostel, berichtet der Gemeinde, was ihm in der Einöde zwischen Jerusalem und Gaza widerfahren ist. Eine Pressekonferenz? Das Wort ist wohl zu groß. Aber die Christen in Jerusalem, allesamt Judenchristen, Christen also, die Juden geblieben sind, werden darüber informiert, dass der Finanzminister aus Äthiopien Christ geworden ist. Philippus erzählt, wie er ihm die Schrift ausgelegt und ihn dann getauft hat. Auf Nachfrage gibt er zu, von einem Boten Gottes animiert worden zu sein. Ihn hat er weder vorher noch nachher gesehen. Später wird es dann, in der Schriftform, heißen: „Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. Und er stand auf und ging hin“.
In Jerusalem stößt die Nachricht nicht nur auf Freude. Ich sehe sogar entsetzte Gesichter. Philippus erzählt, der Finanzminister habe der jüdischen Religion sehr nah gestanden, wäre aber kein Jude, und jetzt erfährt die Gemeinde in Jerusalem, das ein Heide Christ geworden war! Ein Heide! Sogar von Gott aufgesucht, sogar getauft. Ein Heide! Viele trauen ihren Ohren nicht. Philippus soll sich rechtfertigen. Wie er dazu käme. Philippus aber erzählt nur, dass er in Aschdod war, das Evangelium in den Städten verkündigte und schließlich in Caesarea ankam. Die Welt fängt an, klein zu werden, und das Evangelium eilt förmlich von Ort zu Ort. Tatsächlich: In der Einöde zwischen Jerusalem und Gaza wird Gottes Volk groß. Sogar die Heiden gehören dazu. Wenn sie bekennen, dass Jesus Gottes Sohn ist. Dass diese Geschichte noch große Spannungen verursacht, in Jerusalem und anderswo, erzähle ich ein anderes Mal. Aber wenn es diese Begegnung von Philippus und dem Finanzminister nicht gegeben hätte: Ich fürchte, wir wären heute nicht hier. Wenn das der Finanzminister noch mitbekommen hätte! Als er seine Geschichte erzählt oder auch ausbreitet, ahnt er nicht, was mit ihm angefangen hat und mit seinem Gesicht verbunden ist bis heute. – Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.