Beruf(ung)

Selbstzweifel und Ängste überwinden, sich von möglichen Misserfolgen nicht abhalten lassen

Predigttext: Jeremia 1,4-10
Kirche / Ort: 26721 Emden
Datum: 05.08.2012
Kirchenjahr: 9. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Dipl.-Theol. Pfarrerin Christiane Borchers

Predigttext: Jeremia 1,4-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

4 Und des HERRN Wort geschah zu mir:  5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.  6 Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.  7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.  8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR.  9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.  10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, daß du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.

Homiletische und exegetische Vorüberlegungen

Jeremia klagt soziale Missstände und Ungerechtigkeiten an. Wir können uns sicher nicht nahtlos mit Jeremia identifizieren, die wenigsten werden sich vermutlich als von Gott Berufene verstehen, die einen besonderen Auftrag haben. Was uns aber mit Jeremia verbindet ist, dass jeder Mensch dem Gebot der Nächstenliebe verpflichtet ist. Unabhängig davon, ob sich ein Mensch besonders berufen fühlt, gehört es zu den vornehmsten Aufgaben, sich für die Wahrung der Menschenrechte einzusetzen und nicht abzulassen, sie bei den Verantwortlichen einzuklagen. Insoweit ist es m. E. erlaubt, eine Übertragung der Berufung des Jeremias auf uns zu machen.

Mit der Wortereignisformel wird die Berufung eingeleitet: Das Wort Gottes geschah zu mir. Die Berufung umfasst das gesamte Kapitel 1, in Kapitel 2 erfolgt der erste konkrete Auftrag. Kapitel 1 gliedert sich in zwei Abschnitte 1,4-10 – die Berufung selbst -  und 1, 11-19, eine Ergänzung der Berufung, in der zwei Visionen geschildert werden. Jeremia sieht einen erblühenden Zweig und einen siedenden Kessel, der von Norden her überkocht. Beide Visionen dienen der Illustration. Bei seiner Berufung erhält Jeremia den Auftrag, auszureißen und einzureißen, zu zerstören und zu verderben, zu bauen und zu pflanzen. Die Zerstörungsbotschaft wiegt stärker als die Hoffnungsbotschaft, obwohl bauen und pflanzen für sich genommen starke Hoffnungsbilder sind. Bauen und pflanzen, erblühender Zweig sind Hoffnungsbilder und Hinweise auf eine spätere Zukunft. Das Verderben überwiegt. Die Predigt sollte nicht in der Hoffnungslosigkeit versinken, aber auch nicht die Ernsthaftigkeit des Auftrages des Jeremia verharmlosen. Das „Fürchte dich nicht“ ist ein Wort, das die Ängste wahrnimmt und nicht klein redet. Sie behalten aber nicht das letzte Wort behält, sondern Gott sichert seinen Beistand zu.

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Haben Sie sich schon einmal zu einer Aufgabe berufen gefühlt?  Eine Aufgabe, die Sie tun mussten, weil sie sehr wichtig für Sie war und Ihnen am Herzen lag? Im Predigttext geht es um die Berufung des Propheten Jeremia. Jeremia fühlt sich zunächst ganz uns gar nicht berufen. Er hält sich selbst nicht für einen Menschen mit besonderen Qualitäten, der dazu geeignet ist, Gottes Willen den Großen in Wirtschaft und Politik bekannt zu machen. Aber Gott hat ihn auserwählt, Jeremia soll ein Prophet werden. Durch ihn will Gott zu den Menschen sprechen. Das werden voraussichtlich keine Worte sein, die die Leute gerne hören wollen. Es ist damit zu rechnen, dass er kritische Worte sprechen soll, die Widerstand erregen werden.

Das Buch Jeremia bestätigt die Befürchtungen. Jeremia prangert die sozialen Missstände an lässt nicht davon ab, die falsche Politik der Oberen und des Königs öffentlich anzuklagen. Er hat gelitten an seinem Amt, aber er hat nicht anders gekonnt, als Unrecht beim Namen zu nennen und darauf hinzuweisen. Sein Ziel war, die Verantwortlichen dazu zu bewegen, gute und gerechte Lebensbedingungen zu schaffen.  Jeremia ist so manches Mal an seiner Aufgabe verzweifelt, am Boden zerstört, doch Gott entbindet ihn nicht von seinem Auftrag. Er soll die Verantwortlichen mahnen und sich für sozial Benachteiligte einsetzen. Gott sagt ihm seine Unterstützung zu, er ist an seiner Seite. Jeremia gibt nicht klein bei und lässt sich nicht den Mund verbieten, sondern spricht mutig deutliche Worte gegen die Machthaber. Gestärkt wird er immer wieder von seinem Gott, der zu ihm hält und ihm den Rücken stärkt. Jeremia weiß bei aller Schwierigkeit, dass er sich auf Gott verlassen kann.

Jeremia brauchte Zeit, bis er sich berufen fühlte und Stärke für die schwere Aufgabe gewann, obwohl Gott ihn schon längst berufen hatte: “Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleib bereitete und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest und bestellte dich zum Propheten für die Völker“. Als Jeremia von seiner Berufung erfährt, reagiert er darauf keineswegs mit Begeisterung. Ganz im Gegenteil, die Aufgabe macht ihm Angst. Er sieht sich nicht in der Lage, dem Auftrag nachzukommen und geht auf Abwehr. Er ahnt schon die spitzen Zungen in seinem Dorf Anatoth. „Na, du wolltest wohl hoch hinaus, du Wichtigtuer, jetzt siehst du, dass du nichts ausrichten kannst bei den hohen Herren in der Stadt und musst wieder zu Hause die Schafe und Ziegen hüten, du glaubtest wohl, etwas Besseres zu sein.“ Außerdem werden die Oberen in der Stadt ihn gar nicht ernst nehmen, ihn verhöhnen und verlachen, ihn bedrohen, wenn er nicht aufhört, den Mund zu halten. Sie werden ihn ins Gefängnis stecken, sogar nach seinem Leben trachten.

Bei seiner Berufung sträubte sich Jeremia: „Ich tauge nicht zu predigen, denn ich bin zu jung“. Gott soll sich lieber einen anderen Menschen suchen, der bessere Voraussetzungen hat. Denn was sollte er, Jeremia, den Reichen und Mächtigen in Jerusalem entgegen setzen? Aber Gott lässt seine Einwaende nicht gelten. „Sag nicht, ich bin zu jung, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende und predigen, was ich dir gebiete.“ M. a. W., lass dich nicht überwältigen von Selbstzweifeln und Ängsten, lass dich nicht abhalten von möglichen Misserfolgen, rede dir nicht ein, du kannst das nicht, zögere nicht, deinen Auftrag anzunehmen. Jeremias Zweifel und Ängste sind ernst zu nehmen. Gott selbst wischt sie nicht weg: „Fürchte dich nicht“ spricht Gott, und vergewissert ihn, dass er nicht allein mit seiner Aufgabe da steht: „Ich bin mit dir”. Jeremia muss Gottes Wort in die Welt tragen, er muss die Menschen warnen, damit das Unheil nicht über sie hereinbricht. Gott kann nicht tatenlos zusehen, wie sein Volk ins Unglück rennt. Jeremias Worte im Namen Gottes sind eine Chance für die verstockten Oberen, Unheil von sich und dem ganzen Volk abzuwenden. Ob sie das erkennen?

Jeremia hatte mit seiner Botschaft keinen Erfolg. Die Konsequenzen musste in erster Linie das Volk tragen. Der Tempel in Jerusalem wurde zerstört, das Allerheiligste bot keinen Schutz mehr für die heiligen Geräte, es klaffte als offene Wunde hoch über der Stadt. Menschen irrten orientierungslos durch die in Schutt und Asche gelegte Stadt, Israel fiel in die Hände der Gegner. Es ist so, als ob Jeremias Geschichte eine moderne Geschichte ist. Seit eh und je muessen die kleinen Leute  die Fehler und Versagen der Großen ausbaden. An Mahnern fehlt es nicht, es gibt immer wieder Menschen, die die Situation richtig einschätzen, denen Recht und Gerechtigkeit am Herzen liegen, deren Worte aber niemand hören will, die als Schwarzmaler diffamiert und am liebsten mundtot gemacht werden. Jeremia hat gegen alle Widerstände Gottes Wort ausgerichtet. Er hat Mut und Stärke bewiesen, trotz der Niederlagen, die er einstecken musste. Seine Kraft und sein Trost war Gott, dessen Hilfe er sich gewiss war. Wie Jeremia schöpfen auch wir Mut und Kraft aus der Quelle, die Gott und Jesus Christus heißen, wenn wir von einer Sache überzeugt sind und unsere ganze Kraft für eine gerechte Sache einsetzen. Gott lässt uns nicht im Stich und hilft uns dabei, dass wir nicht aufhören, für Frieden und Gerechtigkeit zu arbeiten. Gott stärkt uns, uns selbst und unserem Auftrag treu bleiben.

 

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