“Neu ins Leben gehen”
Das Beste für diese Welt suchen
Predigttext: Jeremia 29,1. 4-7.10-14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1Dies sind die Worte des Briefes, den der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte an den Rest der Ältesten, die weggeführt waren, an die Priester und Propheten und an das ganze Volk, das Nebukadnezar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte…
4 So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels, zu den Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen: 5 Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und eßt ihre Früchte; 6 nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen, und gebt eure Töchter Männern, daß sie Söhne und Töchter gebären; mehret euch dort, daß ihr nicht weniger werdet. 7 Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's auch euch wohl…
10 Denn so spricht der HERR: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, daß ich euch wieder an diesen Ort bringe. 11 Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, daß ich euch gebe das Ende, des ihr wartet. 12 Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören. 13 Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, 14 so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der HERR, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.
Zur Exegese und Hermeneutik
Jeremia markiert mit diesem Brief einen Tiefpunkt und Wendepunkt in Israels Geschichte. Er schaut in der Katastrophe über diese hinaus und kündet die kommende Wende. Statt diese Dramatik breit zu walzen, möchte ich das Ganze raffen, den Wendepunkt in Israels Glaubensgeschichte kurz andeuten, dann aber fragen: Welche Worte im Text sprechen mich unmittelbar an? Es sind die Worte, die zum Gebet und Gottvertrauen ermutigen, sie wurden mir zum hermeneutischen Schlüssel und gemeinsamen Horizont, der die Lage Israels im Exil und uns, die Kirche, als Pilgerschar zusammenschließt; sie geht aus dem irdischen Exil der verheißenen himmlischen Heimat entgegen.
Ein Brief des Propheten Jeremia an die nach Babylonien verschleppten Israeliten, geschrieben kurz nach 587 vor Christus, zu Beginn des 70-jährigen Exils. Jeremia mutet ihnen Erstaunliches zu: ‚Sucht das Beste der fremden Stadt, wohin ihr verbannt seid, betet für sie zu Gott. Gott will ihr und euch wohl tun. Ihr steht im fremden Land, zusammen mit dem fremden Siegervolk in einer Schicksalgemeinschaft, Gott aber ist auch dort, er ist überall, Gott ist eure Hoffnung! Ihr müsst euch aber auf eine lange Zeit einrichten, auf mehrere Generationen, 70 Jahre werdet ihr in der Fremde sein’. So ist es dann auch gekommen: Israel ist nicht untergegangen, Israel überlebte im Exil durch die Worte seiner Propheten, sie hatten sich bitter bewahrheitet. Man sammelte dort ihre Worte und schrieb sie auf, wie auch die Überlieferungen von der Mosezeit, von der Landnahme und den Königen Israels. So begann die hebräische Bibel zu entstehen. Man versammelte sich in Synagogen statt im zerstörten Tempel von Jerusalem, eine ganz wichtige Entwicklung für das Judentum in seiner weltweiten Zerstreuung bis zum heutigen Tage. Damals aber nach den 70 Jahren, nämlich nach dem Sieg der Perser über die Babylonier, durften die Gefangenen tatsächlich nach Israel zurück kehren, wie es hier die göttliche Verheißung durch Jeremia voraussagt.
Spannend und historisch interessant ist der Brief Jeremias, geschrieben in den Trümmern Jerusalems und adressiert an die Verbannten im fernen Babylonien. Das ist allerdings lange her, rund 2600 Jahre. Was aber sagt das uns heute? Hören wir hier auch Worte, die uns unmittelbar ansprechen, die heute wie damals gültig sind? Ja, solche Worte hören wir, Worte aus der Bibel, voller Trost und Kraft.” Es sind die Worte, die zum Beten Mut machen, zum Vertrauen und Hoffen auf den lebendigen Gott: Die Worte vom Anrufen und Bitten, vom Suchen und Finden. Gott will sich von uns finden lassen, wir sollen ihn voll Vertrauen suchen, „Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.“ Das gilt uns heute wie damals in Israels Exil. Es gilt in jeder Lage, in Freude und Leid: „Ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören.“ Das ist auch uns gewiss, weil Jesus selbst es uns zuruft – mit fast denselben Worten wie damals Jeremia: „Bittet, so wird euch gegeben, suchet so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan“. Wir sind arm und haben leere Hände, Gott aber kann und will sie uns füllen. Wir gehen dunkle Wege, oft sehen wir keinen Ausweg. Aber wir dürfen suchen und bitten, und Gott öffnet uns eine Tür. „Klopfet an, so wird euch aufgetan!“
Wie lange haben die Verbannten im Exil angeklopft, gebetet, einen Ausweg gesucht – mehr als drei Generationen, es war wie eine Wüstenwanderung. Was ließ sie durchhalten, was gab ihnen den langen Atem im Exil, die Hoffnung, schließlich doch wieder heimzukehren ins verheißene Land? “Es war die Verheißung Gottes durch Jeremia, ein lebendiges Wort, dessen Klang auch uns heute immer noch anrührt: „Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, daß ich euch gebe Zukunft und Hoffnung“. Wie vielen einzelnen Menschen wurde dieses Wort aufrichtend zugesprochen, diese Zusage: Gott meint es gut mit dir, auch wenn du jetzt nur das Gegenteil erlebst. Gott schenkt dir Zukunft und Hoffnung, auch wenn du nicht weiter weißt. Es gibt dunkle Strecken auf vielen Lebenswegen, Zeiten, in denen wir uns vorkommen wie in der Fremde, wie im Exil, ausgestoßen, verbannt. Aber im Gebet und im Glauben erfahren wir schon hier in der Fremde Heimat. In der vergänglichen Welt schickt uns Gott den Lichtstrahl aus der Ewigkeit, der uns gewiss macht: Wir sind auf dem Heimweg, wir werden das Ziel erreichen. Warum? Jesus, Gottes Sohn, ging selbst ins Exil. Sein Weg zu uns war der Weg in die Fremde und ins Dunkel. An seiner Hand finden wir den Weg nach Hause: „Führ uns an der Hand bis ins Vaterland“. Gott hat ihn auferweckt und in die Herrlichkeit erhöht, dort erwartet er uns.
Gott hat sein Volk Israel einen Weg geführt, aus der Sklaverei in die Freiheit und ins „Gelobte Land“, aus der Katastrophe des Exils wieder in ihr Land. Die verheißene und wieder geschenkte Heimat ist Israels Heilsgut in der Geschichte mit seinem Gott. Diese Geschichte, so glauben wir als Christen, kam in Jesus, Gottes Sohn, zum Ziel. Alle Gottesverheißungen haben in ihm ihr Ja und ihre Erfüllung gefunden. Unser Heilsgut ist nicht ein irdisches Land, sondern das himmlische. Hier auf Erden sind wir unterwegs, ständig gefährdet und angefochten. Wir sind noch auf dem Weg unserer Pilgerschaft, wir sind noch nicht angekommen in der „himmlischen Stadt“. Wir sind, im übertragenen Sinne, noch immer im Exil wie Israel damals, angesiedelt in der Fremde, wo wir nur vorübergehend zu Hause sind. An jedem Grabe sagen wir es: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“. Aber hier auf Erden sollen wir uns ein Leben lang bewähren. Hier sollen wir genau das hören, was Jeremia damals in seinem Brief schrieb, es gilt heute auch uns: „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zu Gott“. Wir sind verantwortlich für unsere Stadt, für unser Land, für unseren Staat, für die Gesellschaft, für diese Erde mit all der Gefährdung. Wie wollen sie unseren Kindern und Enkeln gut hinterlassen. Die Erde ist und bleibt Gottes Welt. Gott will uns Zukunft und Hoffnung geben, sie so gut wie möglich zu gestalten. Das Paradies auf Erden werden wir nicht schaffen, und doch sollen wir diese Erde bebauen und zu bewahren.
Im Gebet und im Glauben wollen wir weiter gehen, auf das Ziel hin. Gott hat mit uns und mit seiner Welt und Schöpfung etwas vor. Gott wird alles in allem sein. Darum beten wir, von Gottes und Jesu Geist und Kraft angeleitet, immer wieder dies eine Gebet: Vater unser im Himmel, dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden… – Das sei unser Leben und Streben, dass unser Leben dem Herrn wohl gefalle, ob wir hier noch im Exil, in der Fremde unterwegs sind, oder dann ganz bei ihm zu Hause im ewigen Licht. In dieser Hoffnung auf die himmlische Heimat dürfen wir auch diese irdische und vorläufige Heimat lieben und gestalten: „Gott gab uns Hände, damit wir handeln, er gab uns Füße, damit wir fest stehn. Gott will mit uns die Erde verwandeln, wir dürfen neu ins Leben gehn“ (EG 432,3). Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.