Lästige Hausbewohner – Gewohnte Gäste?

„Mieterwechsel“ in der Wohnung unseres Herzens

Predigttext: Römer 7,14-25a
Kirche / Ort: Evangelische Gemeinde / Mannheim-Feudenheim
Datum: 04.11.2012
Kirchenjahr: 22. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer PD Dr. Alexander Bitzel

Predigttext: Römer 7,14-25a (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

 14 Denn wir wissen, daß das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft.  15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich.  16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so gebe ich zu, daß das Gesetz gut ist.  17 So tue nun nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.  18 Denn ich weiß, daß in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht.  19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.  20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.  21 So finde ich nun das Gesetz, daß mir, der ich das Gute tun will, das Böse anhängt.  22 Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen.  23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist.  24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?  25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!

Vorbemerkungen

Beim vorliegenden Predigttext dürfte es schwer fallen, in der Predigt nicht in abstraktes Theologisieren zu verfallen. Zu geläufig sind einem, der einmal an einer deutschen Universität evangelische Theologie studiert hat, die Entgegensetzungen von Geist und Fleisch sowie von der elenchtischen Dimension des Gesetzes. Diese Zusammenhänge nicht thetisch, sondern lebendig zur Darstellung zu bringen, ist keine leichte Übung. Auffällig ist, dass das Gesetz in dieser Textpassage von Paulus als pneumatische Setzung Gottes bezeichnet wird. Es ist ein Offenbarungsweg Gottes, der uns Menschen der Sünde überführt. Das Gesetz – wie Paulus schreibt in Röm 7,7 – öffnet mir die Augen für die Sünde. Es decouvriert meine Verfehlungen, und es macht mir deutlich: in welchen Zusammenhängen ich mich auch bewege, die Sünde ist meine ständige Begleiterin. Ohne sie kann ich nicht sein – so scheint es. Aus mir selbst heraus jedenfalls kann ich sie nicht überwinden. Ich brauche dazu Kraft von Außen. Die Kraft, die mir die eigene Sündhaftigkeit offenbar macht, die ist der Geist Gottes. Es ist dieselbe Kraft, die es mir möglich macht, aus dem verhängnisvollen Strudel der Sündhaftigkeit auszubrechen.

Für Martin Luther war die Textpassage eine idealtypische Beschreibung der Verfasstheit eines geistlichen und weisen Menschen, mithin Beleg dafür, dass Paulus selbst ein solcher Mensch gewesen ist. Ein Mensch, der von Gottes Gesetz die Augen für seine bleibende Erlösungsbedürftigkeit geöffnet bekommt und in tätiger praxis pietatis darum bemüht sein muss, die Sünde in sich zu bekämpfen, niederzuhalten und mit dem Geist Jesu Christi zu überwinden. Im Diesseits wird dieser Kampf anhalten, weshalb die traditionelle evangelische Dogmatik von der diesseitigen Kirche als von der ecclesia militans gesprochen hat. Im Jenseits jedoch wird derjenige, der sich immer auf Christus verlassen hat und ihm nachzufolgen bemüht war, den Sieg über die Sünde errungen haben und darum – in traditioneller Diktion – eingehen in die ecclesia triumphans.

Zentrales Bild des Predigttextes ist m. E. das Wohnen ("oikein"). Nicht der Geist, sondern die Sünde wohnt zunächst im Menschen und handelt aus ihm heraus. Der Mensch ist gewissermaßen das Basislager für die Sünde, die von dort aus ihre Aktionen durchführt. Diese Situation kann allein Jesus Christus ändern, indem er seinen Geist in das Innere des Menschen schickt, um dort die Sünde hinauszufegen. Das Innere des Menschen als einen Ort zu begreifen, in dem entweder die Sünde oder der Geist Gottes wohnt – das ist eine traditionsreiche Vorstellung, die im lutherischen Schrifttum des 16. und 17. Jh. vielgestaltig verarbeitet wurde. Am bekanntesten in diesem Zusammenhang dürfte die sechste Strophe des bekannten Liedes "Jesu meine Freude" (EG 396) sein, in der es heißt: "Weicht ihr Trauergeister, / denn mein Freudenmeister, / Jesus, tritt herein". Als Lied nach der Predigt empfiehlt sich dieser Choral von Johann Franck (1618-1677).

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Wenn wir in der Zeitung von einem Gerichtsprozess lesen, sagen wir: von einem Mordprozess, dann lesen wir in der Regel, dass der Angeklagte einem psychiatrischen Gutachter vorgeführt wird. Der Gutachter soll prüfen, ob der Angeklagte psychisch gesund ist oder krank, ob er voll zurechnungsfähig ist oder nicht. Die Idee dahinter ist: Wer psychisch krank ist, der ist nicht bei Sinnen, der hat keine volle Kontrolle über sein Handeln, der entscheidet nicht selbst, was er tut. Er ist vielmehr gefangen in einer Krankheit, die über ihn herrscht. Nicht er selbst handelt, sondern die Krankheit handelt durch ihn hindurch. Ein kranker Straftäter hat also nicht aus freien Stücken gehandelt. Er war vielmehr fremdbestimmt bei seiner Straftat. Er ist darum nur eingeschränkt schuldfähig. Schuldfähig kann ich nur sein, wenn ich etwas bei vollem Bewusstsein tue. Wenn ich selbst etwas tue, und nicht eine Krankheit durch mich hindurch etwas tut. Auf diese Weise kann es geschehen, dass Menschen, die etwas ganz Schlimmes und Schauriges getan haben, nicht in ein Gefängnis kommen, sondern in einer forensischen Psychiatrie landen, wo sich andere intensiv um sie kümmern und sie psychiatrisch-medizinisch behandeln. Die forensische Psychiatrie ist zwar kein Ort, an dem man gerne sein möchte. Aber es ist ein weitaus geschützterer Rahmen als ein Knast, wo es rau zugeht, wo man in einer Zelle schmort und mit den Mitgefangenen gewaltige Probleme bekommen kann.

Die Öffentlichkeit ist in der Regel empört, dass ein Schwerverbrecher nicht in den tiefsten Kerker geworden wird. Menschen sind so lange empört über solche Vorgänge, bis sie selbst einmal in so eine Situation kommen und krank werden und Dinge tun, die sie ohne diese Krankheit niemals getan hätten. Bis sie nicht mehr sie selbst sind, sondern eine Krankheit durch sie hindurch handelt, die Krankheit sie in Besitz nimmt, und tut, was sie, die Kranken, niemals wollten. Das mit der psychiatrischen Begutachtung vor Gericht ist eine wichtige Errungenschaft unseres demokratischen Rechtsstaats, eine gute Sache – wenn man sie bei Licht betrachtet. Weshalb ich das alles erzähle? Nun, weil unser Predigttext eine ganz ähnliche Situation in den Blick nimmt. Paulus, der Apostel, spricht davon, dass er selbst von einer Macht besessen wird, die ihn dazu bringt, Sachen zu machen, die er nicht machen will. Diese Macht ist außerordentlich heimtückisch. Es ist nämlich eine Macht, die das Bewusstsein des Menschen nicht eintrübt. Es ist eine Macht, die den Menschen weiter klar denken und schauen lässt. Diese Macht ist also nicht vergleichbar mit Depressionen oder anderen Krankheiten, die Menschen im Griff haben.  Nein, die Macht, von der Paulus spricht, trübt die Wahrnehmung nicht ein. Sie ist außerdem eine Macht, die weit verbreitet ist, sie hat alle Menschen, auch fromme Leute, sogar den guten Paulus im Griff. Sie können aus eigener Kraft diese Macht nicht loswerden. Paulus nennt diese Macht “Sünde”.

“Sünde” ist ein Wort, bei dem uns Modernen leicht die Ohren zufallen, wenn wir nicht von Verkehrssünden, bzw. Verkehrssünderkarteien oder auch von Diätsünden sprechen: Ich habe gesündigt gestern Abend, weil ich eine Tüte Chips gegessen habe. In solchen Zusammenhängen hat die Sünde bei uns überlebt. In vollkommen harmlosen Zusammenhängen, im Bereich der Puppensünden, wie Martin Luther das einmal genannt hat – da gibt es noch die Sünde in unserem Sprachgebrauch.  Paulus spricht im Predigttext über die Sünde. Er spricht darüber in einer Weise, dass deutlich wird, was damit eigentlich gemeint ist. Paulus macht uns klar: Die Sünde ist eine Macht, die mich gefangen hält, mich dazu bringt, bei vollem Bewusstsein Dinge zu tun, die ich nicht tun will. Die Sünde in mir bringt mich in eine ganz ähnliche Situation wie den Angeklagten vor Gericht, der von einem Psychiater gesagt bekommt: Du hast zwar dieses oder jenes getan, aber letztenendes war es eine Krankheit, die das getan hat. Die Krankheit hat durch dich hindurch gehandelt. Du selbst warst das nicht. Darum musst du jetzt zum Arzt in die Klinik und nicht in ein Gefängnis. Wie eine solche Krankheit beschreibt Paulus die Sünde, die uns Menschen eigen ist, seit wir das Licht der Welt erblickt haben.

Sünde und Krankheit. Für beides kann ich nichts. Ich bin nicht eigentlich schuld daran, dass ich krank bin. Ich bin nicht schuld, dass ich ein Sünder bin. Beides überkommt mich. Krankheit ist  nichts, was ich verursache – abgesehen davon, wenn ich z- B. bei kaltem Wetter im T-Shirt nach draußen gehe. Lassen Sie sich sonst von niemandem einreden. An schweren Krankheiten sind Menschen nicht selbst schuld. Es gibt Menschen, die krude Zusammenhänge zwischen Schuld und Krankheit konstruieren, für die jeder Kopfschmerz Ausdruck einer verfehlten Lebensperspektive ist. Nichts davon ist wahr. Wir können nichts darüber sagen, weshalb es den einen Menschen trifft und den anderen nicht. Wer krank ist, muss behandelt werden. Dasselbe gilt für den sündigen Menschen: Er muss in die Klinik. Die Klinik, in die uns Paulus überweist, ist die Christusklinik. Eine Station darin ist der Gottesdienst heute morgen hier bei uns. Hier findet der sündige Menschen  Heilung. Hier ist der Ort, an dem wir von der Sünde geheilt werden. Diese Heilung wird uns von außen zuteil. So wie das bei anderen Krankheiten der Fall ist. Die Arznei, die uns zur Heilung der Sünde gereicht wird, ist Jesus Christus selbst. Er ist das Medikament, das die Sünde aus uns herausspült. Auf ihn müssen wir hören,  Ihm Einlass gewähren in die Wohnung unseres Herzens, damit er unser Herz auskehre und rein mache und sich selbst anstatt der Sünde in diesem Herz festsetze.

Leicht ist das nicht für uns, der Mieterwechsel in der Wohnung unseres Herzens. Dieser Mieterwechsel ist einer, der einer Zwangsräumung gleicht. Der bisherige Mieter nämlich geht nicht freiwillig. Die Sünde, die bisher unser Herz bewohnt hat, die will bleiben. Wir selbst wollen im Grunde auch nicht, dass sie auszieht. Sind mit ihr doch ganz gut zurecht gekommen all die Jahre. Haben gar nicht gemerkt, dass sie uns die ganze Zeit zum Narren gehalten hat. Christus erst macht uns das deutlich. Er will uns dazu bringen, die Wohnung in unserem Herzen ihm zu geben. Er legt uns seine Referenzen vor, ausgestellt von Leuten namens Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Sind dieses Referenten glaubwürdig? Ist das glaubwürdig, was sie über Jesus schreiben? Es ist für uns ein nicht leichter  Schritt, den alten Mieter, die gute alte Sünde, an die frische Luft zu setzen –  haben wir uns doch an sie gewöhnt – und den neuen Mieter Christus aufzunehmen. Das ist ein Schritt, der uns durchwalgt und durchschüttelt. Doch wer diesen Schritt wagt, der wird Augen machen.

Effekt des Einzugs Christi nämlich in unsere Herzen ist: Wir sind fortan in der Lage, dem Gesetz Gottes zu folgen. Jedoch, um gleich Wasser in den Wein zu schütten: Diese Heilung ist vergleichbar mit Heilungen von körperlichen und psychischen Krankheiten. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie lange die Heilung vorhält. Wann kommt der Rückfall? Das ist eine Frage, die sich auch derjenige stellen muss, der im Christusspital Heilung erfahren hat. Besser ist es darum: Man setzt nach der Entlassung aus dem Christusspital die Arznei nicht ab. D. h. für uns hier im Gottesdienst: Man setzt die Arznei Christus nicht ab, wenn man aus der Kirche heraus geht. Man nimmt sie besser dauerhaft, jeden Tag aufs Neue, zu sich. Die Arznei Christus, das Krankenhaus Christi – diese sollen unsere täglichen Fixpunkte sein. Denn soweit, dass wir sagen können: Christus lebt in mir für immer – soweit sind wir erst am Ende aller Tage, wenn wir das Zeitliche segnen und uns nichts und niemand mehr von Pfad Jesu abbringen kann. Bis es soweit ist und Christus für immer in uns einzieht, lassen Sie uns singen mit Johann Franck: „Jesus meine Freude“.

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Ein Kommentar zu “Lästige Hausbewohner – Gewohnte Gäste?

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Die Sünde macht Menschen unzurechnungsfähig. Jesus als Medizin und Mieter in unserer Seele vertreibt die Sünde. Schon wieder eine besonders klare und originelle und begeisternde Predigt im Predigtforum. Als gewisser Nachtrag zum Reformationstag predigt Pfarrer Dr Bitzel mit Paulus sehr zeitgemäß darüber, dass mancher Verbrecher ja heute vom Gutachter für psychisch krank und unzurechnungsfähig erklärt wird. Paulus spricht im Predigttext selbst davon, dass die Macht der Sünde uns zu Taten bringt, die wir eigentlich nicht wollten. Jesus aber ist wie ein Medikament, das uns heilt. Er muss in uns wirken wie eine Arznei. Der Prediger wechselt dann das Bild und spricht mit einem sehr originellen Bild davon, dass Jessus der Mieter in unserer Seele werden will. Dem schlechten alten Mieter und Miet-Vandalen in uns, der Sünde, wird deswegen konsequent gekündigt. Zum Schluß verwendet der Prediger wieder das Bild, das Christen im Christus-Spital, dazu gehört auch der Gottesdienst (!) , geheilt werden von der ins Verderben zwingenden Macht der Sünde. Jesus als Heilmittel und als Mieter unserer Seele läßt uns singen: Jesus meine Freude. – Eine tiefsinnige, originelle, klare und begeisternde Predigt mit originellen neuen Gedanken,die man als Christ sicher gern weitersagt.

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