„Wer glaubt unserem Predigen?“

Den Worten Jesu vertrauen und sie weiter geben

Predigttext: Johannes 12,34-36(37-41)
Kirche / Ort: Magdeburg
Datum: 20.01.2013
Kirchenjahr: Letzter Sonntag nach Epiphania
Autor/in: Dr. habil. Günter Scholz

Predigttext: Johannes 12,34-36(37-41)- Übersetzung nach Martin Luther; Revision 1984

34 Da antwortete ihm das Volk: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann: Der Menschensohn muss erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?
35 Da sprach Jesus zu ihnen: Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht.
36 Glaubt an das Licht, solange ihr's habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet. Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen.
37 Und obwohl er solche Zeichen vor ihren Augen tat, glaubten sie doch nicht an ihn,
38 damit erfüllt werde der Spruch des Propheten Jesaja, den er sagte (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen? Und wem ist der Arm des Herrn offenbart?«
39 Darum konnten sie nicht glauben, denn Jesaja hat wiederum gesagt (Jesaja 6,9-10):
40 »Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt, damit sie nicht / dass sie nicht mit den Augen sehen und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich ihnen helfe.«
41 Das hat Jesaja gesagt, weil er seine Herrlichkeit sah und redete von ihm.

Exegetische (I.) und homiletische (II.) Bemerkungen zum Predigttext

I.

Jh 12,37-41 gliedert sich in Überleitungsfrage des Volkes (v 34), Offenbarungsrede Jesu (vv 35-36), abschließender Kommentar des Evangelisten (vv 37-41). Die Überleitungsfrage, ein Problem des jüdisch-christlichen Streitgesprächs, wird vom Evangelisten nicht weiter verfolgt. Stattdessen schließt sich eine „Selbstauslegung“ Jesu an (vv 35-36), die an die Struktur der Ich-Bin-Worte (Offenbarung und Einladung zum Glauben) erinnert. Nach Jürgen Becker erhellt Jesus, das Licht der Welt, Ursprung und Ziel des Daseins. Wandel meint nicht einen irgendwie gearteten Lebenswandel, sondern Leben im Glauben. Dazu lädt Jesus ein, damit nicht die Finsternis Macht gewinne. Ein Leben im Glauben „gibt dem Menschen einen neuen Ursprung, denn er gehört nun zu den Söhnen des Lichtes“ (J. Becker, Das Evangelium nach Johannes, Gütersloh 31991, 465).

Der Kommentar des Evangelisten fasst Taten und Reden Jesu unter „Zeichen“ zusammen. Ergebnis von Jesu Wirken ist Unglaube. Mit dieser ernüchternden Tatsache setzt sich Johannes in den folgenden Versen auseinander. V 38 stellt den Unglauben in das Licht einer erfüllten Weissagung (Jes 53,1): Es musste ja so kommen. Das reicht ihm aber als Antwort nicht. Hinter dem Nicht-Glauben (v 37) sieht er ein Nicht-Glauben-Können (v 39). Die Antwort auf das Nicht-Glauben-Können gibt ihm Jes 6,9f. Ich versuche seine Antwort (v 40)  zu verstehen: Was problematisch erscheint, ist das „damit“. Es beschreibt eine endgültig böswillige Absicht Gottes. Gott dies zu unterstellen, ist theologisch nicht haltbar. Daher wird man dem „hina“ eine konsekutive Bedeutung zusprechen müssen: „mit der Folge, dass …“, „mit der Wirkung, dass “ Ich habe in der Übersetzung alternativ das einfache „dass“ vorgeschlagen, welches sowohl „damit“ wie auch „so dass“ umfasst. In der göttlichen Heilsökonomie liegen Absicht und Folge ineinander (W. Bauer, WbNT, 61988, 767); hier ist mehr die Folge zu betonen. Das macht das Gottesbild von v 40a auch nicht besser; ich versuche aber glättend zu verstehen: Gott bestätigt ihren Unglauben: „Wenn sie nicht wollen, dann soll es so sein“. Die Wirkung davon ist dann, dass …

Das Aufeinandertreffen von freier Entscheidung (v 37) und Prädestination (v 39) versucht Johannes in v 41zu entschärfen: Das Verstehen wie das Nicht-Verstehen hängt mit der „Herrlichkeit des einzigen Sohnes“ zusammen. Wer sie sieht, der erkennt und versteht (1,14; 4,42). Wer sie nicht sieht, der glaubt nicht (12,37). Jesaja sieht, so Johannes, dass in der Herrlichkeit des Sohnes beides begründet ist, die Gabe des Sehen-Könnens und die Verweigerung der Gabe.

II.

Ich möchte diesmal den eingeklammerten Text vv 37-41 als Herausforderung an mich zum Predigen begreifen, nicht zuletzt auch deswegen, weil er in der Frage: „Herr, wer glaubt unserem Predigen?“ das Spannungsfeld zwischen Kirche und unserer Zeit beschreibt. Ich schließe mich den Worten Isolde Karles an: „Die christlichen Glaubensüberzeugungen werden von der Gesamtgesellschaft nicht mehr in der Weise mitgetragen, wie das bis in die 1960er Jahre hinein der Fall war. Die weitergehende Säkularisierung der Gesellschaft hat zu einem Akzeptanzverlust des christlichen Glaubens und seiner Reflexionsgestalt, der Theologie, geführt … Die Pfarrerinnen und Pfarrer sind verunsichert und stehen zugleich vor der immensen Herausforderung, eine Jahrtausende alte Überlieferung zu plausibilisieren, der Kritik von Aufklärung und Post-Aufklärung Rechnung zu tragen und zugleich substantiell und identitätsstiftend zu vermitteln, wofür christlicher Glaube steht“ (DPfBl 112/2012, 616). – Um von dieser Herkules-Aufgabe nicht erdrückt zu werden, lasse ich in der Predigt am Schluss die Verse vom Licht für sich selbst leuchten.

 

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„Herr, wer glaubt unserem Predigen?“ Ich frage mich das auch. „Herr, wer glaubt unserem Predigen?“ Manch einer und manch eine von Ihnen mag sich das auch fragen: Die Kirchen könnten voller sein; die Wirkung des Predigens müsste durchschlagender sein, aber die Worte verhallen. „Herr, wer glaubt unserem Predigen?“ Unsere Reichweite ist gering. Aber wir stehen mit dieser Frage nicht allein. Der Evangelist Johannes hat sie sich gestellt in einer Zeit, in der die, die die Botschaft gehört hatten, sie lieber zum einen Ohr rein und zum anderen rausgehen ließen, sich nicht dazu bekannten, weil es für ihre Karriere nicht opportun war. In der Rückschau auf Jesu geringe Reichweite hat Johannes auch für sich und seine Zeit diese Frage gestellt: „Herr, wer glaubt unserem Predigen?“ Er formuliert diesen Stoßseufzer nicht frei, sondern er zitiert den Propheten Jesaja, dem es als Prediger ebenso erging. „Herr, wer glaubt unserem Predigen?“ Wenn ich sage: „Genau das ist unsere Situation heute“, dann muss ich sicherlich auch sagen: Es ist eine Erscheinung, die mit dem Predigen mitläuft. Wo verantwortlich gepredigt wird, ist die Reichweite gering: bei Jesaja, bei Jesus, bei Johannes und bei mir. Dennoch darf die Frage in mir, in uns nicht verstummen: „Herr, wer glaubt unserem Predigen?“ Sie muss uns Ansporn sein, unseren Glauben ins Spiel zu bringen, wo immer es sich ergibt, wo immer es notwendig erscheint, wo immer es anderen gut tut.

Johannes beschreibt eine Situation: Da sind Menschen, die nicht glauben. Obwohl sie immer wieder von den Wundertaten Jesu hören, glauben sie nicht. Obwohl die Worte Jesu immer wieder gepredigt werden: „Glaubt an das Licht …, damit ihr Kinder des Lichtes werdet“, prallen diese Worte an ihnen ab. Johannes sagt: Die können gar nicht glauben, weil sie verblendet sind. Weil er sich nicht vorstellen kann, dass Menschen wirklich so verblendet sein können, kann er nur vermuten, dass Gott sie aus unerfindlichen Gründen blind gemacht hat. Ich sehe darin auch unsere heutige Zeit. Nimmt die breite Mehrheit die Kirche eigentlich wahr? Interessiert sie die Kirche wirklich? Oder hat sich für sie eine unverständliche Parallelwelt entwickelt? Warum denn keine Trauung am Gründonnerstag, wo doch der nächste Tag frei ist? Warum keine Disco am Karfreitag? Es gibt viele, die diese Fragen für berechtigt halten, die Antwort der Kirche für unverständlich und die des Staates für übergriffig und nicht für weltanschaulich neutral. Oft sind es die gleichen, die viel von Esoterik halten, mystischen Praktiken oder geheimen Kräften, die es zu nutzen gelte, Glück oder Gesundheit zu erwerben. Da stehe ich hier und frage: „Herr, wer glaubt unserem Predigen?“ Dem Evangelisten Johannes ist es wohl ähnlich ergangen. Da blickt er gern zurück in die Zeit Jesu. Da haben sich die Leute wenigstens noch mit Jesus auseinandergesetzt. Da haben sie ihn gefragt: „Wer bist du? Du sagst, du kommst vom Vater und du gehst zum Vater. Du gibst dich wie der ewige König, den wir erwarten, und doch sagst du, du willst nicht in Ewigkeit bleiben, sondern wieder von uns – zum Vater – gehen? Wie passt das zusammen?“ Das mit der Ewigkeit, das haben die Leute wohl nicht richtig verstanden; aber immerhin, sie haben sich mit Jesus auseinandergesetzt!

Johannes erklärt es durch einen weiteren Kommentar. Er sagt: ‚Es ist eben so. Nimm es einfach so hin. Es liegt nicht an dir. Es gibt Menschen, die einfach nichts hören wollen vom Wort Gottes und die nichts sehen von dem Licht, das über der Welt leuchtet. Sie wählen die Nacht für ihren Weg und werden sich stoßen und fallen (11,10). Das ist ihre Entscheidung! Sie sind mit Blindheit geschlagen. Das ist eben so. Gott lässt ihre Entscheidung gelten, bestätigt sie’. Daher zitiert Johannes auch den Propheten Jesaja: „Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt, dass sie nicht mit den Augen sehen und mit dem Herzen verstehen und sie sich bekehren und ich ihnen helfe“. Ich gebe zu: Das ist ein anderes Gottesbild als das des guten Hirten, der seine Schafe nicht aus den Augen lässt und das verirrte wieder zurückführt. Ich kann es auch verstehen, wenn jemand sagt: „Der Gott, der Menschen mit Blindheit schlägt und sie ihrem Schicksal überlässt, ist nicht mein Gott“. Die Bibel zeigt uns aber auch immer wieder die andere Seite Gottes, einen Gott, der Menschen verstößt und sie ihrem Schicksal überlässt. Wenn Menschen nicht auch diese Erfahrung machen würden, käme so ein Bild nicht zustande. Und wir? Wollen wir uns mit der Feststellung zufrieden geben: „Dann ist es eben so?“ Wenn Menschen heute mit Gott, Glaube und Kirche nichts anfangen können, wollen wir sie ihrem Schicksal überlassen, ihre freie Entscheidung respektieren, in die Nacht hinaus gehen lassen?

Wir können die Zeit nicht zurückdrehen. Wir können z. B. das 17. und 18. Jh. mit seiner Frömmigkeit nicht wiederbeleben. Die vielen Kirchenlieder von Paul Gerhardt und Christian Fürchtegott Gellert sind Zeugnisse einer vergangenen Zeit. In ihnen schallt das Echo jener Zeit zu uns, aber wiederbeleben können wir jene Frömmigkeit nicht. Wir können auch das 19. Jh. mit seiner intellektuellen Auseinandersetzung um kirchliche Strukturen und Dogmen nicht wieder herbeireden. Was wir aber können, ist dies: Auf Jesus schauen. Hören, was er uns sagt. Johannes leitet uns dazu an. Er zeigt uns einen Jesus, der sich zu Gehör bringt bei den Menschen. Was er ihnen sagt, das lasst uns hören und weitersagen – an seiner Statt, heute: „Das Licht ist noch eine kurze Zeit bei euch. Geht euern Weg, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfällt“ (nach Joh 12,35). „Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet“ (nach Joh 12,36). Ich erinnere mich an Zeiten, da solche Worte eingerahmt in der Straßenbahn oder in der U-Bahn hingen. Nicht verkehrt. Solche Worte wirken, haben Langzeitwirkung, zergehen auf der Zunge und wirken im Geist. Geben wir sie weiter, ungezwungen, unaufdringlich, aber überzeugt und überzeugend: als Kärtchen, als Kerzen, lassen Sie sich etwas einfallen. Lassen Sie uns als Kinder des Lichts das Licht weitergeben.

 

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Ein Kommentar zu “„Wer glaubt unserem Predigen?“

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    “Wer glaubt unserem Predigen?”, fragt Dr. Scholz mit dem Predigt- Text. Ihm selbst als Prediger aber kann man glauben. Mit freundlichen Worten, aber nüchtern und ohne Überschwang spricht er über den Predigttext, über den Verfasser des Johannes-Evangeliums, über Jesus und Jesaja. Der Hörer kann seiner logisch und stimmig aufgebauten Predigt so folgen, dass er beim Zuhören nicht überfordert wird. Vor allem wird er nicht durch illusionäre ethische Überforderungen beunruhigt. Am Schluß werden wir aufgefordert, als Kinder des Lichts ungezwungen unseren Weg zu gehen. – Vielen Hörern wird diese Predigt gefallen. Manche werden aber vermutlich den intensiven Überschwang der Bibel und mancher Predigten vermissen. Sie behaupten: Ohne Leidenschaft und heiligen Geist geschieht nichts Großes für Gottes Reich. – Zwischen lebensfördernder Forderung und gefährlicher Überforderung gehen Christen gewöhnlich ihren Weg. Diese Predigt ist für sie sicher sehr erfreulich.

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