Vorbilder
„Ohne Begeisterung geschieht nichts Großes“
Predigttext: Lukas 22,31-34 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
31 Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. 32 Ich aber habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. 33 Er aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. 34 Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, daß du mich kennst.
Exegetische Erinnerungen (I.) und Predigtüberlegungen (II.)
I. Der Predigttext ist ein kurzes Gespräch zwischen Jesus und Petrus: Jesus weist Petrus hin auf zukünftige Versuchungen durch den Satan. Petrus fühlt sich stark genug zu widerstehen. Jesus bezweifelt das zu recht, wie der Fortgang zeigt. Vorher hat Jesus ihm für die weitere Zukunft große Aufgaben anvertraut. Ähnlich wie im Hiob-Buch weiß Jesus um die Versuchung durch den Bösen, diesmal bei Petrus. Aber weil Jesus Gottes Sohn ist, weiß er ebenso wie Gott bei Hiob um den guten Ausgang der Versuchung. Der Verrat des Petrus wird relativ verständnisvoll beurteilt im Lukasevangelium. Die Jünger können nicht dieselbe Widerstandskraft gegen den Satan haben wie Jesus in der Versuchungsgeschichte in der Wüste und in Gethsemane.
II. Über den Aspekt: Versuchung durch den Satan könnte man heute gut predigen. Der Evangeliumstext von Jesu Versuchung durch den Teufel in der Wüste steht am Sonntag Invokavit am Anfang der Passionszeit. Vor allem herrscht heute zuviel Blauäugigkeit gegenüber der dämonischen Macht des Bösen. Manchmal hat man den Eindruck, als ob der Satan gegen die Kirche Jesu heute besonders kämpft durch Förderung von Gleichgültigkeit. Die Gefahr einer Predigt über den Satan besteht darin, dass man aus dem Dämonischen nicht genug rauskommt und sich verfängt. Auch könnte man predigen über die Selbstüberschätzung der Glaubenden auch heute: „Ich folge Dir Jesus! Leider muß ich im Alltag viele ängstliche und faule Kompromisse machen“. Plausibler ist m. E. als Predigtthema, dass gerade ambivalente Sünder wie Petrus in den Dienst für Christus gestellt werden. „Ich bin ein sündiger Mensch“, sagt Petrus nach dem Fischzug Lk 5,8-10.
Der Gemeinde soll gezeigt werden, wie gefährdet die Glaubenstreue der Christen ist und wie stark aber die Treue Jesu zu seinen sündigen Jüngern. Da ein Denker unserer Zeit gesagt hat, dass unsere Zeit besonders arm ist an großen, überzeugenden Vorbildern, die uns Kraft und Durchblick, Liebe und Hoffnung vermitteln, würde ich gern zu Beginn der Passionszeit das Thema herausstellen: Petrus als Vorbild, aber auch als Sünder und auch als ein von Jesus Gerechtfertigter und im Reich Gottes zu Großem Beauftragter.
Heilige sind Menschen, die es uns leichter machen, an Gott zu glauben. Zu ihnen gehört Petrus. Wir alle brauchen positive Vorbilder für unseren Glauben. Jeder Trainer von Leistungs-Sportlern, jeder Musiklehrer und jeder Pastor weiß um die motivierende Kraft von Vorbildern. Deswegen gibt es in der katholischen Kirche für jeden Tag einen Heiligen oder eine Heilige, um Menschen für den Glauben zu begeistern. Auch der Papst, der jetzt zurücktritt, ist wieder mit der Heiligsprechung von drei Christen beschäftigt. Jeder von uns ist doch mal durch wenigstens ein Vorbild zum Glauben gekommen. Sie begleiten unseren persönlichen christlichen Glauben bis heute. Allerdings ist es ein großes Problem, dass unsere Zeit besonders arm an Vorbildern ist.
Ist Petrus eigentlich ein Vorbild für uns evangelische Christen jetzt gerade zu Beginn der Passionszeit ? In einer Hinsicht kann er sicher ein ansteckendes Vorbild für uns sein: mit seiner Begeisterungsfähigkeit für Jesus! Bei seiner Berufung durch Jesus am See Genezareth läßt er alles liegen und folgt Jesus als erster Jünger konsequent nach. Er ist vorher als Fischer mit Jakobus und Johannes über den See Genezareth gerudert und gesegelt. Der unerwartet große Fischzug nach dem Befehl Jesu und die Aufforderung, Jesu Jünger zu werden, begeistert ihn sofort. Beruf, Frau und Schwiegermutter müssen zurückstehen. Als Jesus später seine Jünger feierlich fragt: Was sagt ihr, dass ich sei?, bekennt Petrus als erster entschiedener Christ: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! ( Mt 16,16 ) Als Jesus seinen Leidensweg ankündigt, sagt Petrus: Schone Dich! Als Jesus den Jüngern am Gründonnerstag die Füße wäscht, ruft Petrus aus mit Überschwang: Nein, nimmermehr sollst Du mir die Füße waschen! Als Jesus ihm den Sinn davon erklärt, ruft er sofort aus: Nun auch noch das Haupt! Dem Kriegsknecht, der Jesus im Garten Gethsemane gefangen nehmen will, schlägt er impulsiv ein Ohr ab.
Petrus ist für uns sicher ein Vorbild an Begeisterung für Jesus. Ohne Begeisterung, hat der Philosoph Hegel gesagt, geschieht nichts Großes. Heute sagt ein zeitgenössischer Denker: Ihr Christen habt ja so recht mit eurer Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und Umweltschutz. Ihr seid dagegen, wenn Denker mit Vernunft alles relativieren. Ihr seid auch gegen Rassismus. Es fehlt euch aber die Begeisterung. Nichts fehlt der Kirche heute so sehr wie der Heilige Geist. Es gibt kluge Reden über eine Kirchenreform, aber zu wenig Schwung zur Nachfolge Jesu und zu einem mitreißendem, ansteckenden christlichen Leben.Trotzdem stellt sich die Frage: Kann Petrus ein Vorbild für uns sein , ein Held des Glaubens, ein Heiliger, der es uns leichter macht an Gott zu glauben? Im Predigttext hören wir, dass er ein Versager ist. Judas hat seinen Freund Jesus so entsetzlich verraten, dass Jesus als Folge zum Tod verurteilt wurde und am Kreuz starb. Für viele Christen ist Judas der bösartigste Mensch der Weltgeschichte. Aber Petrus hat seinen Freund Jesus immerhin verleugnet: Als Jesus im Gefängnis war, hat Petrus geschworen, dass er Jesus überhaupt nicht kennt. Petrus hat versagt: vorher hatte er geschworen, dass er Jesus überall hin folgen würde. Ein Liebesschwur, der sich als hohl erwies. Kann so ein Versager noch ein Vorbild sein für uns?
Die Helden der Bibel sind aber alle irgendwo auch Versager. Die Hälfte der Menschheit ist heute durch Abraham beeinflußt. Für Juden und Christen und Moslems ist Abraham der erste Mensch, der dem einen Gott und Schöpfer vertraut hat. Trotzdem gibt der große Abraham aus Angst vorm Pharao seine Frau als seine Schwester aus, sodass sie eine Zeit im Harem des Pharao landet. König David läßt mit List und Heimtücke den Mann seiner Geliebten ermorden. Elia siegt gegen 400 Baalspriester und versinkt danach in Mutlosigkeit. Es gibt viele andere Beispiele mehr. In den Märchen und Mythen sind die Helden durchgängig ganz edel und tapfer. In der Bibel und in Wirklichkeit sind sie es nicht. Jemand hat gesagt: die Bibel will zeigen, dass wir Menschen gern selbst große Vorbilder und Helden sein wollen , aber dazu wenig taugen. Viel wichtiger ist deshalb die zentrale Botschaft der Bibel: Gott hält ebenso wie Jesus auch den zerbrechlichen Helden und Heldinnen seine Treue! Jesus sagt im Predigtext, dass der Satan wie ein Staatsanwalt die Täter prüft und sie dem Kerker und Tod überantwortet. Aber Jesus hält zu Petrus und zu uns Sündern. Er sieht Abfall von der Treue voraus und bewahrt trotzdem dem Petrus Freundschaft und Treue. Er betet selbst dafür, dass der Glaube des Petrus nicht aufhört. Welch großer Trost. Es geht nur darum, den Glauben zu bewahren. In der Passionszeit fragen wir uns besonders: was machst Du mit Deinem Leben? Eines Tages aber stehen wir vor Gott und er wird uns fragen: was hast Du mit dem Leben gemacht, das ich Dir geschenkt habe? Ganz gleich wie groß unsere Verfehlungen waren, wenn wir den Glauben bewahren wird Jesus vom Thron Gottes vortreten und zu Gott-Vater sagen: Verurteile ihn nicht! Er gehört zu mir !
Jesus gibt Petrus neue große Aufgaben. Petrus soll die Gesamtgemeinde und Kirche leiten. Ganz großartig hat Petrus diese Aufgabe im Geiste Jesu übernommen. Deswegen versteht sich der Papst auch als Nachfolger des Petrus. Und christliche Ruder-Sportler sagen heute: Dass Jesus den Petrus zum Leiter der Gesamtkirche machte, hängt damit zusammen, dass Petrus als Fischer früher ein Ruderer war. Anders als Tennisstars und Skiläufer sitzen alle Ruderer in einem Boot und sind in den Konflikten und in den Stürmen des Lebens aufeinander angewiesen . Sie vertrauen einander und besonders ihrem Steuermann. Während Gott mehr wie ein Kapitän ist, steuert Jesus als Steuermann unser Lebensschiff. Das gehört zum Lebensgefühl des Petrus und der Christen. Als später Judenchristen gegen die Botschaft des Apostels Paulus den Heidenchristen die über sechshundert Gebote des Judentums aufzwingen wollten und Kirchen-Spaltung drohte, hat Petrus dies beim Apostelkonzil nach Apostelgeschichte 15 abgelehnt. Wir sitzen als Christen in der Kirche als „ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“ in einem Boot. „Im Schifflein Petri“, wie es der Papst es gerade genannt hat. Ohne diesen christlichen Ruderer-Gemeinschaftssinn des Petrus wären wir heute keine Christen und feierten nicht diesen Gottesdienst. So ist Petrus für uns ein Vorbild an Begeisterung in der Kirche mit dem Geist Jesu. Die Erlebnisse des Petrus zeigen uns, wie Jesus auch uns nach Versagen und Fehlern vergibt, die Treue hält und uns große Aufgaben für Gottes Reich schenkt. Das ist unser Trost im Leben und Sterben: dass wir wie Petrus zu Jesus gehören und sein eigen sind und an seinem Reich mitwirken können.
Mit dieser Predigt vermittelt Pastor Rußmann eine Reihe von Erkenntnissen, die sich aus der Betrachtung dieses Textes ergeben. Das ist die Gestalt des Petrus. Er ist ein Heiliger. Für unsere Zeit interpretiert: Er ist ein Vorbild. Dann wird zu Recht auf die Wichtigkeit von Vorbildern in der Gesellschaft und für den Glauben verwiesen. Daraus erwächst Begeisterung. Dieser Gedanke wird unterstrichen durch ein starkes Zitat von Hegel („ohne Begeisterung geschieht nichts Großes“) und der folgenden Klage über den Zustand der Christenheit, der es bei allem Bekenntnis zu wichtigen Werten an „Begeisterung“ fehlt. Petrus ist einer, der sich für Jesus begeistert hat. Dafür werden eine ganze Reihe guter biblischer Beispiele herangezogen.
Gut herausgestellt ist die „andere Seite“ der Vorbilder im Glauben, der „Glaubenshelden“, die versagt haben. Es werden eine ganze Reihe von „Versagern“ in der Bibel vorgestellt. Zunächst Petrus, dann Abraham und David. Und dann kommt eine positive Nachricht als zentrale Botschaft der Bibel: „Gott hält ebenso wie Jesus auch den zerbrechlichen Helden und Heldinnen seine Treue“. Und weiter: „Jesus hält zu Petrus und zu uns Sündern.“ Und später: „Es geht nur darum, den Glauben zu bewahren.“ Das ist die stärkste Stelle der Predigt, die mir gut gefällt und der Gemeinde sicherlich Trost und Ermutigung gibt.
Trotz alledem – den Glauben bewahren! Das ist Ziel und ermutigende Botschaft dieser Predigt, die wie schon andere Predigten des Predigers rhetorisch eingängig und gut zu hören/lesen sind.
Interessant dass ein evangelischer Pfarrer den scheidenden Papst als Kronzeugen nennt! Aber warum eigentlich nicht? Im evangelischen Raum scheint eben keine “”Vorbilder” zu geben!? Aber war das schon einmal anders? Viele Vorbilder, an denen wir uns ausrichten, sind oft schon tot und erfahren ihre Würdigung erst posthum.
Somit sind wir als Ruderer “im Schifflein Petri” aufgerufen, endlich mal (mit Begeisterung) zu rudern und den Schlag des Evangeliums aufzunehmen! Dieser Gedanke kann den Predigthörer auf dem Nachhauseweg beschäftigen.
Und dann beginnt die Reform! Ganz einfach. Jeder im eigenen Leben, mit der eigenen Familie, den eigenen Freunden, dem eigenen Berufsfeld!
Hätte dies in der Predigt ausgearbeitet werden müssen?
Man braucht doch immer noch etwas zum Nach-Denken!
Daher: Danke für die begeisternde Predigt!